Angelika, der Urlaubsflirt 

Im Februar 1986 fuhr Nils mit seinem Freund Jochen für zwei Wochen zum Schilaufen nach Österreich. Wie gewohnt rasten sie in der ersten Woche die Berge rauf und runter. Sie waren die Helden der Schipiste. Jedenfalls dachten sie das von sich. Sie tobten sich wie zwei kleine Jungs so richtig auf der Schipiste aus. So hatten sie es immer gemacht. Es war ein schönes Gefühl viel Kraft zu haben und abends erschöpft ins Bett zu sinken. Aber nach einer Woche stellten sie plötzlich fest, dass irgendetwas fehlte. Jochen machte daraufhin seinen berühmten Ausspruch: "Ohne Frauen ist das Leben irgendwie langweilig.'" Eine tiefschürfende philosophische Erkenntnis. Nils konnte nicht anders als Jochen vollständig zustimmen. Was wäre das Leben ohne den Tanz der Beziehungen? Ihm würde das Salz in der Suppe fehlen. Nils und Jochen waren in dem Alter angekommen, wo kleine Jungen zu Männern werden. Und bei richtigen Männern dreht sich alles um die Frauen. Die Frauen sind das Licht im Leben eines Mannes. Sie sind sein tiefster Sinn, sein Zentrum, sein innerer Halt. Ohne Frauen würden die Männer in ewiger Dunkelheit leben. Nach ihrer tiefschürfenden philosophischen Diskussion änderten Nils und Jochen ihre Weltsicht radikal. Statt auf steile Schipisten wendeten sie ihren Blick auf verführerische Schihasen. Und stellten 31 erstaunt fest, dass die ganze Schiwelt voller Frauen war. Jetzt gab es nur noch eine Aufgabe. Wo ist die passende Frau? Und der Himmel war ihnen gnädig. Genau an diesem Tag kam eine neue Reisegruppe aus lauter Frauen in ihrer Pension an. Nils und Jochen saßen am Abendbrottisch. Da trat Angelika mit ihren Freundinnen in den Raum. Sie sah Nils. Und Nils sah sie. Sie blickten sich in die Augen. Und es funkte sofort. Sie waren sofort ineinander verliebt. Und auch Jochen fand an diesem glücklichen Tag sein Schihäschen. Fortan gingen Jochen und Nils getrennte Wege. Und trafen sich nur noch manchmal zu einem kurzen Erfahrungsaustausch. Diese Unterhaltungen waren immer sehr spannend. Angelika setzte sich zu Nils an den Tisch. Sie kamen ins Gespräch. Sie konnten sofort gut miteinander reden. Am Abend war eine kleine Tanzveranstaltung. Angelika und Nils gingen gemeinsam dorthin. Sie stellten fest, dass auch ihre Körper gut miteinander harmonierten. Erst tanzten sie mit verführerischen Gesten. Und dann schmiegten sich ihre Körper aneinander. Die Musik spielte sanft ein Liebeslied. Alles entwickelte sich mühelos und wie von selbst. Zwei Menschen hatten einen großen Hunger nach Liebe und Zärtlichkeit. Sie hatten das Gefühl, genau den zu sich passenden Partner gefunden zu haben. Ihre Herzen öffneten sich langsam immer mehr. Ihre Münder verschmolzen miteinander. Zwei Engel tanzten in den Himmel der Liebe. Jeden Tag trafen sie sich auf der Schipiste. Nils brachte Angelika das Schifahren bei. Angelika war etwas ängstlich, wie es sich für eine verliebte Frau gehört. Manchmal fiel sie in den Schnee. Nils half ihr dann auf und bekam als Belohnung viele süße Küsse. Nils hätte Angelika ewig das Schilaufen zeigen können. Nach dem Schilaufen gingen sie in einem gemütlichen Restaurant zusammen essen. Und danach kuschelten sie noch etwas in Angelikas Zimmer. Sex gab es im Schiurlaub zwar noch nicht, dafür aber viele Streicheleinheiten. Nils stellte fest, dass ihm diese Art zu leben wesentlich besser gefiel als das monotone Schilaufen in der ersten Woche. Die zweite Woche verging sehr schnell. Zum Glück hatten Nils und Angelika den gleichen Heimweg. Sie fuhren im selben Reisebus zurück nach Hause. Nur musste Angelika schon in Heidelberg aussteigen und Nils fuhr bis Hamburg weiter. Es war ein schwerer Abschied. Angelika wurde plötzlich sehr traurig. Sie tröstete sich damit, dass eine so große Liebe nicht so schnell enden kann. Nach dem Schiurlaub schrieben sich Nils und Angelika viele sehnsuchtsvolle Briefe. Und dann besuchte Angelika ihn eine Woche lang in seinem kleinen Haus. Sie redeten viel, machten lange Spaziergänge und verbrachten viel Zeit im Bett. Sie hatten jeden Tag Sex von morgens bis abends. Als Angelika wieder nach Hause reisen musste, liebten sie sich noch mehr als vorher. Angelika schrieb Nils einen langen Brief: "Lieber Nils. Morgens aufwachen und du bist da. Deine warme Haut spüren auf meiner und dich streicheln. Die Pläne für einen ganzen Vormittag lösen sich auf. Für mich war die Woche in Duvenstedt eine sehr schöne Zeit. Ich fühle mich wie verwandelt. Ach Nils, ich habe schon ganz schön Sehnsucht nach dir. Ich habe das Bedürfnis eine Menge Zeit mit dir zu verbringen. Ich denke oft an dich. Alles Liebe." 32 Im Juni besuchte Nils Angelika in Süddeutschland. Angelika war Krankenschwester und wohnte in einem Schwesternheim. Sie hatte öfter Nachtschichten und dafür manchmal einige Tage frei. In einer solchen Freiwoche besuchte Nils sie. Sie machten einen Ausflug nach Heidelberg, badeten in einem Natursee und liebten sich abends in ihrem kleinen Zimmer. Angelika stellte ihren neuen Freund ihren Freundinnen vor. Wie fanden die Freundinnen Nils? Wahrscheinlich ganz nett. Aber andererseits wohl wie alle Männer. Damit war Nils einverstanden. Er wollte nichts Besonderes sein. Er wollte einfach nur ein Mann wie alle Männer sein. Er fuhr zufrieden wieder nach Hamburg. Nach einem halben Jahr verstanden sich Angelika und Nils immer noch gut. Aber ihre Liebe war doch bereits erheblich abgekühlt. Der viele Berufsstress von Angelika zeigte seine Wirkung. Die vielen Nachtschichten und der unregelmäßige Arbeitsrhythmus zehrten erheblich an ihren Nerven. Angelika besann sich immer mehr auf ihre Bedürfnisse. Sie überlegte, welche Ansprüche sie an die Beziehung stellen wollte. Nils merkte, dass er es mit einer emanzipierten Frau zu tun hatte. Grundsätzlich hatte Nils nichts gegen die Emanzipation. Aber er fragte sich doch, ob ihm Angelika auf die Dauer nicht etwas zu anstrengend sein würde. Und dann gab es da noch ein Problem. Nils war zu dieser Zeit noch mit U zusammen. Zwar neigte sich die Beziehung mit U dem Ende zu, aber Nils hatte sich noch nicht klar von U getrennt. Als U von Angelika hörte, geriet sie in Panik. Sie bat Nils es noch einmal mit ihr zu versuchen. Jetzt saß Nils zwischen zwei Stühlen. Wie sollte er sich entscheiden? Auf der einen Seite war da die zärtliche Angelika, die aber durchaus auch einige schwierige Eigenschaften besaß. Auf der anderen Seite existierte U, mit der Nils eine langjährige Beziehung hatte. Diese Beziehung gab ihm viel Halt und Geborgenheit. Andererseits lief es sexuell fast überhaupt nicht mehr. Er und U stritten ständig miteinander. Aber sie hatten ein gemeinsames Kind. Sie bildeten eine kleine Familie, die man nicht unbedacht aufgeben sollte. Nils versuchte nach dem Grundsatz der Richtigkeit zu handeln. Was war in dieser Situation richtig? Wie würde sich ein weiser Mensch verhalten? In seinem Leben war Nils bisher mit dem Prinzip der Richtigkeit gut gefahren. Richtig ist eine Entscheidung, wenn sowohl die Vernunft als auch das Gefühl dafür sprechen. Stimmen Vernunft und Gefühl nicht überein, dann muss man so lange überlegen, bis sich eine ausreichende Klarheit ergibt. Nils schrieb alle Argumente, die für seine bisherige Beziehung mit U sprachen, auf einen Zettel. Auf einen anderen Zettel schrieb er alle Argumente, die bei einem Zusammenziehen mit Angelika zu berücksichtigen wären. Dann las er sich beide Zettel gründlich durch, bewertete die einzelnen Argumente und ordnete sie nach dem Grad ihrer Bedeutung. Er traf eine Entscheidung. Und überschlief diese Entscheidung noch eine Nacht. Am nächsten Morgen dachte er noch einmal gründlich über alles nach. Gab es noch irgendwelche Informationen, die ihm für eine endgültige Entscheidung fehlten? Dann entschied er sich endgültig. Und wenn Nils eine Entscheidung getroffen hat, dann hält er sich grundsätzlich langfristig daran. Nils entschied sich dafür es mit U noch einmal zu probieren. Er hatte das Gefühl, dass es für ihre Beziehung noch eine Chance gab. Diese Chance musste er auch aus seiner Verantwortung für seinen kleinen Sohn heraus nutzen. 33 Gegen die Beziehung mit Angelika sprach, dass es über die körperlichen Bedürfnisse hinaus zwischen ihnen keine großen gemeinsamen Interessen gab. Angelika interessierte sich nicht für Spiritualität. Spiritualität war für Nils aber der zentrale Lebensinhalt. Dieser Interessengegensatz hätte langfristig vermutlich zu Spannungen geführt. Alleine auf die körperliche Anziehung zu setzen, wäre sehr gewagt gewesen. Die körperliche Anziehung verringert sich normalerweise nach einigen Jahren erheblich. Dann braucht eine Beziehung etwas, das sie auf einer tiefen Ebene trägt. Die Entscheidungssituation war nicht eindeutig. Aber Nils musste sich entscheiden. Eine langfristige Ungewissheit wäre für alle Beteiligten sehr leidvoll gewesen. Im Nachhinein sieht Nils seinen Hauptfehler darin, dass er sich überhaupt auf eine Beziehung mit Angelika eingelassen hat. Es ist besser erst eine Beziehung klar zu beenden, dann eine gewisse Trauerzeit zu durchleben und dann erst eine neue Beziehung zu beginnen. Beginnt man eine neue Beziehung, obwohl eine andere Beziehung noch nicht abgeschlossen ist, entsteht grundsätzlich viel Leid. Der bisherige Partner leidet. Der neue Partner leidet, falls man doch wieder zu dem bisherigen Partner zurückkehrt. Und man selbst ist ständig hin und her gerissen. Solange man sich nicht klar von seinem bisherigen Partner getrennt und eine ausreichende Trauerund Trennungsarbeit geleistet hat, ist jede neue Beziehung stark belastet. Auch ein neuer Partner hat Fehler und Schwächen. Die werden nach einiger Zeit an die Oberfläche kommen. Auch der bisherige Partner hat gute Seiten. Die werden einem nach einiger Zeit mit einem neuen Partner immer mehr bewusst werden. Man geht nicht wirklich offen in die neue Partnerschaft. Man will eine Verbesserung. Nach einiger Zeit beginnt man zu vergleichen. Und zerstört damit das Glück in der neuen Beziehung. Meistens hat die neue Beziehung in einem solchen Fall keine langfristige Chance. Entweder man kehrt zum früheren Partner zurück, um es noch einmal zu versuchen. Das geschieht sehr oft. Oder man wandert nach einiger Zeit weiter zu einem neuen Partner. Angelika war sehr enttäuscht, als Nils ihr das Ergebnis seiner Überlegungen mitteilte. Sie brach sofort jeglichen Kontakt ab. Nils hörte nie wieder etwas von ihr. Sie handelte konsequent nach der Devise: "Weine einem verlorenen Mann keine Träne hinterher." Nils und U bemühten sich ein halbes Jahr sehr. Dann scheiterte ihre Beziehung endgültig. Im Nachhinein sieht Nils seinen Weg als richtig an. Er musste es mit U und Florian noch einmal versuchen. Sonst hätte er sich sein Leben lang Vorwürfe gemacht. So kam es nach einem klaren letzten Versuch zu einer klaren Trennung. Und Nils konnte offen und positiv in seine Zukunft gehen.