Die Sexgöttin 

Die Sexgöttin war dreißig Jahre alt und Kindergärtnerin. Die Kinder waren unruhig, überaktiv und wollten immer irgend etwas von ihr. Sie hatte viel Stress in ihrem Beruf. Yoga war für sie genau das Richtige. Sie konnte damit gut ihren Stress abbauen und sich mit positiver Energie aufladen. Die Sexgöttin war so begeistert vom Yoga, dass sie später eine Ausbildung als Yogalehrerin machte. Ihr gefielen die dynamischen Übungen im Stehen, die Yogaübungen im Liegen, die Meditation am Schluss und die Anleitung zum positiven Denken. Und der Yogalehrer gefiel ihr auch. Die Sexgöttin verliebte sich in ihren Yogalehrer. Sie überlegte, wie sie mit ihm ins Gespräch kommen könnte. Nils arbeite damals neben seiner Tätigkeit als Yogalehrer auch als Psychotherapeut. Sie vereinbarte einen Einzeltermin mit ihm. 61 Als sie dann in seinem kleinen Haus saß, erklärte sie Nils, dass sie sich in ihn verliebt habe. Die Therapiestunde sei nur ein Vorwand gewesen, um ihn persönlich treffen zu können. Nils war damals noch mit der Ökofrau zusammen. Er erklärte der Sexgöttin deshalb sofort, dass er leider bereits eine Freundin habe. Das konnte sie akzeptieren. Sie kam weiterhin in seinen Yoga-Kurs. Ende 1990 trennte sich dann die Ökofrau von ihm. Nils war zwei Monate traurig und erinnerte sich dann an die Sexgöttin. Zum Glück begann gerade ein neuer Yogakurs. Die Sexgöttin hatte sich auch zu dem Kurs angemeldet. Nils fragte sie, ob sie noch Interesse an einer Beziehung mit ihm habe. Die Sexgöttin wollte sich das eine Woche überlegen. Eine Woche später sagte sie dann "Ja". Nils tanzte durch den Wald. Die Freude am Leben war wieder da. Die Ökofrau war vergessen. Neues Spiel, neues Glück. Der Wald war voller Licht. Nils war glücklich. Die Sexgöttin auch. Beide waren sehr verliebt. Sie telefonierten viel miteinander. Einige Zeit später besuchte die Sexgöttin Nils in seinem Haus. Sie hielten sich nicht lange mit einer Hausbesichtigung auf. Sie gingen sofort ins Bett. Sie waren hungrig aufeinander. Beide verstanden sich wunderbar. Sie harmonierten im Bett und auch geistig. Sie konnten gut miteinander reden. Sie interessierten sich für Yoga, Psychologie und Philosophie. Sie testeten, ob sie auch längere Zeit harmonisch miteinander verbringen konnten. Eine ganze Woche lebten sie zusammen in dem Haus von Nils. Es gab keinen Streit. Sie konnten alle Konflikte gut klären. Sie waren wie füreinander geschaffen. Körperlich und geistig. Die Sexgöttin konnte nie genug vom Sex kriegen. Das fand Nils am Anfang sehr gut. Später wurde es ihm manchmal doch etwas zu viel. Einmal war sie wie so oft bei ihm zu Besuch. Sie machte das Bett schön zurecht und legte sich dekorativ darauf. Sie dachte, wenn Nils sie so sehen würde, würde er hungrig werden und sich auf sie stürzen. Aber es kam ganz anders. Nils fühlte sich unter sexuellen Leistungsdruck gesetzt. Da ging nichts mehr. Die Sexgöttin war enttäuscht. Sie bemühte sich um positives Denken und erklärte, dass sie dann eben nur so kuscheln sollten. Nils war ziemlich geschockt. Irgendwie verband er mit seiner Potenz sein Selbstwertgefühl. Was sollte er jetzt tun? Wie konnte er seine Psyche wieder in Ordnung bringen? Er kam auf die Idee, alles dem Kosmos zu überlassen. Wenn der Kosmos wollte, dass er Sex hatte, dann sollte es so sein. Wenn der Kosmos es nicht wollte, dann war auch das in Ordnung. Schließlich ist ja der Kosmos der große Bestimmer und nicht Nils. Nils übte Gottüberlassenheit an einem konkreten und durchaus nicht völlig unbedeutsamen Fall. Dieser Weg erwies sich als sehr hilfreich. Der Kosmos wollte in Zukunft fast immer. Nils konnte so seinen Erwartungsdruck an sich loslassen. Die Sexgöttin war äußerlich schön. Aber ihr fehlte das innere Glück. Sie hatte eine Neigung zum negativen Denken. Insbesondere hatte sie eine Neigung dazu sich und ihren Körper zu kritisieren. Sie sah hauptsächlich ihre Schwachstellen. Ihr fiel es schwer sich und ihr Leben positiv zu sehen. Inneres Glück kommt aus einer gereinigten Psyche. Sitzen viele Verspannungen in der Psyche, ist das innere Glück blockiert. Der Mensch neigt zum negativen Denken. 62 Die vielen Verspannungen kamen bei der Sexgöttin aus der Kindheit. Ihre Eltern hatten sich oft gestritten und ihre Kinder mit überzogenen Leistungsforderungen gestresst. Die Sexgöttin hatte bereits eine langjährige Psychoanalyse hinter sich. Geholfen hat es ihr nicht viel. Sie konnte gut über ihre Probleme reden. Aber lösen konnte sie sie leider nicht. Sie begriff nicht, dass das dauerhafte äußere Glück bei einem Menschen mit starken inneren Verspannungen ein Traumgebilde ist. Lösbar wären die Verspannungen durch ein konsequent spirituelles Leben. Die Sexgöttin hätte im Schwerpunkt spirituell leben müssen. So weit war sie aber noch nicht. Sie wollte noch etwas träumen. Sie glaubte an das große Glück auf dem äußeren Weg. Sie glaubte, dass sie dauerhaft glücklich sein würde, wenn sie einen guten Beruf und einen guten Mann hätte. Die Sexgöttin war deshalb auf Suche. Sie wechselte ständig ihren Beruf. Und auch ihre Männer. In der Zeit, in der Nils sie kannte, hatte sie nacheinander drei verschiedene Berufe. Und wie mit den Berufen war es auch mit den Männern. Irgendwie waren sie alle nicht perfekt. Sie waren nicht dazu geeignet sie dauerhaft glücklich zu machen. Am Anfang war sie von jedem Mann begeistert. Da sie gut aussah, konnte sie im Prinzip jeden Mann haben. Sie suchte sich die besten Männer aus. Aber nach einiger Zeit zeigten sich bei jedem Mann irgendwelche negativen Seiten. Das nervte sie dann so stark, dass sie zum nächsten Mann weiterging. Sie erkannte nicht, dass ihre andauernde Unzufriedenheit aus ihrer eigenen Psyche kam. Wer negativ denkt, sieht auch in seinen Mitmenschen überwiegend das Negative. Zuerst war sie mit einem Manager verheiratet. Ihr Mann sah gut aus und hatte viel Geld. Er konnte ihr ein Leben im äußeren Luxus geben. Aber leider musste er auch viel arbeiten. Er hatte kaum Zeit für seine Frau. Für Sex war er meistens viel zu erschöpft. Statt intensive Gespräche mit ihr zu führen, erholte er sich lieber nach der Arbeit am Fernseher. Die Sexgöttin trug die Sehnsucht nach einer glücklichen Beziehung in sich. Sie wollte ihr Leben in einer glücklichen Beziehung verbringen. Im Laufe der Jahre war ihr klar geworden, dass ihr Mann ihr das weder geben konnte noch geben wollte. Ihr Mann sah seinen tieferen Lebenssinn in der beruflichen Karriere und sie sah ihren Lebenssinn in einer glücklichen Beziehung. Sie trennte sich deshalb von ihrem Manager-Mann und ging eine Beziehung mit Nils ein. Sie dachte, dass Nils der tollste Mann auf der Welt sei. Er wirkte auf sie so verständnisvoll, klug und einfühlsam. Die Sexgöttin verfing sich in der Falle ihrer eigenen Projektionen. Als Yogalehrer hatte Nils eine Alpha-Männchen-Position in der Yogagruppe. In vielen Frauen steckt das genetische Programm, sich immer in das stärkste Männchen zu verlieben. Als die Sexgöttin dann Nils näher kennenlernte, war er gar nicht mehr so toll. Sie sah seine schwachen Seiten und seine eigene Liebesbedürftigkeit. In ihren Mädchen-Träumen hatte sie sich alles irgendwie anders vorgestellt. 63 Da sollte ein großer Retter kommen. Sie gab ihm dann ihren Körper und bekam dafür seine Liebe. Und ewig schwebte sie in einem Zustand des Glücks dahin. Der Manager war nicht der große Retter und der Yogalehrer auch nicht. Nach einem halben Jahr mit Nils hatte die Sexgöttin das Gefühl, dass sie es mit ihrem Exmann noch einmal probieren sollte. Ihr Exmann hatte ihr viel Sicherheit und Geborgenheit gegeben. Das vermisste sie bei Nils. Sie wusste nicht, wie sich die Beziehung mit Nils langfristig entwickeln würde. Sie sah nach einiger Zeit deutlich die Schwachstellen von Nils und lernte die Stärken ihres Exmannes schätzen. Die Sexgöttin trennte sich von Nils und ging wieder zu ihrem Exmann zurück. Sie schrieb Nils: "Ob meine Entscheidung nun richtig oder falsch ist, kann ich noch nicht so recht beurteilen. Im Moment ist sie jedenfalls richtig. Ich hätte es nicht verkraftet, mich jetzt von meinem Ehemann zu lösen. Zu viele Ängste kamen hoch. Und vieles muss noch geklärt werden. Ich vermisse dich oft. Unsere Nähe. Ich denke oft über das Vergangene nach und erlebe es in Gedanken noch einmal. Ich finde, wir hatten eine schöne und intensive Zeit. Ich empfinde noch immer Liebe und Zuneigung zu dir und möchte das auch gar nicht wegdrängen. Es ist so. Ich hoffe sehr, dass es dir nicht mehr so schlecht geht. Ich möchte nicht, dass du leidest. Ich möchte, dass es dir gut geht und dass du das Leben genießen kannst. Das versuche ich auch gerade. Ich versuche mich gern zu haben, damit ich mich in meinem Leben wohl fühlen kann. Manchmal gelingt es mir. Ich umarme dich.“ Als Nils diesen Brief erhielt, dachte er: "Ich vermisse sie auch. Wenn zwei Menschen sich so geliebt haben, tut eine Trennung immer weh. Das ist das ewige Spiel der Liebe. Irgendwie habe ich keine Lust mehr dazu.“ Die Sexgöttin versuchte ein Vierteljahr eine glückliche Beziehung mit ihrem Exmann aufzubauen. Sie scheiterte und trennte sich endgültig von ihm. Sie kam aber nicht zu Nils zurück. Sie verliebte sich in einen jungen Studenten. Es ist in der heutigen Zeit sehr schwer weise zu leben. Das Kino und das Fernsehen suggerieren uns beständig, dass der Weg des äußeren Glücks der große Glücksweg auf der Erde ist. Die Wahrheit sieht leider anders aus. Die Wissenschaft hat klar nachgewiesen, dass etwa 90 % des Glücks eines Menschen aus seiner Psyche kommen. Die Sexgöttin hätte zu einer wissenschaftlichen Glückssicht finden müssen. Sie hätte klar nachdenken und dann einen weisen Lebensplan machen müssen. Sie hätte Beziehungen haben können. Aber sie hätte daran nicht die große Glückserwartung knüpfen dürfen. Sie hätte ihr Leben so organisieren müssen, dass sie innerlich und nicht vorwiegend äußerlich wächst. Sie hätte ihr großes Glück nur von der Arbeit an sich selbst und von einem Fortschreiten auf dem spirituellen Weg erwarten dürfen. Sie hätte ihre Hauptlebensenergie in die Entwicklung ihres inneren Glücks und nicht in die Suche nach dem passenden Partner investieren sollen. Dann wäre aus einer Sexgöttin eine echte Glücks-Göttin geworden. Die Sexgöttin befand sich noch in der Phase der Suche. Sie war dabei Weisheit zu entwickeln. Sie musste noch viele Männer ausprobieren, bis sie erkennen konnte, dass der Weg der vielen Beziehungen vorwiegend ein Leidweg ist. Bis sie zu der entscheidenden Wahrheit kommen konnte, dass sie selbst ihr großer Retter ist.