Totenbuch Neuengamme. Foto: Archiv KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Ng. 4.4.2.3

Quellen. Von Archiven und Leerstellen

Von Raja Nicolaisen

Zur Erforschung der Geschichte des Lagerhaus G braucht es historische Quellen, aus denen Kenntnisse der Vergangenheit gewonnen werden können. Im KZ Neuengamme gelang es der SS, vor der Räumung fast die gesamte Lagerkorrespondenz zu vernichten. So sind heute kaum Häftlingsbestandslisten oder datierte Belegungsangaben für die Außenlagern erhalten. Dennoch lassen sich aus den vorhandenen überlieferten Quellen Informationen über das KZ Neuengamme, seine Außenlager und somit auch über das Lagerhaus G gewinnen.

Zu den bedeutendsten erhaltenen historischen Zeugnissen des KZ Neuengamme gehören die im Krankenrevier des Stammlagers geführten Totenbücher . In diesen sind 23.394 Todesopfer namentlich benannt. Aus den Unterlagen geht hervor, dass 12.270 Menschen im Hauptlager, 7.671 in den Außenlagern und 3.453 an anderen oder unbekannten Orten starben. Aus diesen Totenbüchern, den Sterberegistern städtischer Standesämter oder anderen Register gehen also zumindest Namen und teilweise auch Informationen wie Geburtsdaten hervor. Auf der hier abgebildeten Doppelseite aus dem „Krankenrevier-Totenbuch Außenlager III“ sind mehrere Tote des Bombenangriffs vom 25.10.1944 notiert.

Des Weiteren sind für das KZ Neuengamme und seine Außenlager Archivbestände zur Planung der SS-Führungsspitze und zentralen Erlässen, zur Kooperation mit anderen staatlichen Stellen beim Verleih der KZ-Häftlinge, der Kooperation mit der Wehrmacht oder der Zusammenarbeit mit den städtischen Verwaltungen erhalten.

Die Dokumentation zum Einsatz der KZ-Häftlinge bei der Arbeit in den verschiedenen Werken ist hingegen recht dünn: Einige Unternehmensbestände wie der Bestand der Hermann Göring Werke (später Salzgitter AG) sind erhalten. Jedoch gibt es kaum Aufschlüsselungen zu Prämienregelungen, Verhaltensanweisungen, wie produktiv die Arbeit war oder ähnlichem.

Autobiografie von Dita Kraus. Foto: Lisa Hellriegel

Zentrale Quellen für die Erforschung der Außenlager, zum Beispiel des Dessauer Ufers, sind Überlebendenberichte und Zeitzeugen*innen-Interviews. Für das Lagerhaus G liegen sowohl Memoiren von Überlebenden als auch Interviews mit ehemaligen KZ-Häftlingen vor.

Ehemalige KZ-Insassinnen haben nach 1945 ihre Autobiographien veröffentlicht: Dita Kraus „Ein aufgeschobenes Leben. Kindheit im Konzentrationslager – Neuanfang in Israel“, Lucille Eichengreen „Von Asche zum Leben. Erinnerungen“ oder Ruth Bondy „Mehr Glück als Verstand. Eine Autobiographie“.

Der Historiker Hans Ellger hat im Rahmen seiner Dissertation zwischen 1998 und 2004 über 80 Interviews mit mehr als 80 überlebenden Frauen aus verschiedenen Außenlagern des KZ-Neuengamme geführt, davon auch über 20 Interviews mit ehemaligen Häftlingen aus dem Lagerhaus G.

Im Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme befinden sich heute fast 1.000 Berichte und Interviews, die das Leben in den verschiedenen Außenlagern thematisieren. Auch wenn es in der geschichtswissenschaftlichen Forschung noch immer Debatten um die Aussagekraft und Wirklichkeitsreferenz dieser Quellen gibt, sind sie sehr wichtig, um die subjektive Erfahrung der Überlebenden kennenzulernen. So kann auch eine Sozial- und Alltagsgeschichte der Außenlager geschrieben werden.

Es gibt eine Vielzahl von Quellen zu dem Thema, die über offene Archive zugänglich sind und von allen Interessierten digital genutzt werden können.

Das Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme umfasst sowohl originales Schriftgut aus der Lagerregistratur (Totenbücher) als auch Duplikate andernorts verwahrter Dokumente, Bestände aus Nachlässen, Erinnerungs-Berichte und Interviews. Die Computer-Datenbanken des Archivs enthalten zudem Daten von fast der Hälfte der über 100.000 Häftlinge des KZ und seiner Außenlager.

Offenes Online-Archiv der KZ-Gedenkstätte Neuengamme: http://www.offenes-archiv.de/de/startseite.xml

Online Zugriff auf das Totenverzeichnis des KZ-Neuengamme: https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/geschichte/totenbuch/die-toten-1940-1945/

Online-Suche in den Arolsen Archives. Screenshot: Raja Nicolaisen

Die Arolsen Archives haben es sich seit Jahrzehnten zur zentralen Aufgabe gemacht, Schicksale aus der Zeit des Nationalsozialismus zu klären und Vermisste zu suchen. Jährlich werden rund 20.000 Anfragen zu NS-Verfolgten beantwortet. Gleichzeitig bietet das umfangreiche Online-Archiv ein Angebot für Forschung und Bildung. Es ist das umfangreichste Archiv über NS-Verfolgte und steht allen, die Interesse haben, bei ihrer Recherche zur Verfügung.

Online-Archiv der Arolsen Archives: https://arolsen-archives.org/suchen-erkunden/suche-online-archiv/


Quellen und Literatur

Arolsen Archives: Über uns, online unter: https://arolsen-archives.org/ueber-uns/ (18.01.2021, 14:23)

Buggeln, Marc: Arbeit & Gewalt. Das Außenlagersystem des KZ Neuengamme, Göttingen 2009.

Ellger, Hans: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien, Berlin 2007.

Kaienburg, Hermann: Das Konzentrationslager Neuengamme 1938-1945 [Dietz-Taschenbuch 76], Bonn 1997.

KZ Gedenkstätte Neuengamme: Archiv, online unter: https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/forschung/archiv/ (18.01.2021, 14:25)

Wrochem, Oliver von / Jockheck, Lars (Hg.): Das KZ Neuengamme und seine Außenlager: Geschichte, Nachgeschichte, Erinnerung, Bildung [Neuengammer Kolloquien 1], Konferenzschrift, Hamburg 2009.