Ruth Bondy an der Schreibmaschine, 1969. Foto: Israel Press and Photo Agency (I.P.P.A.) / Dan Hadani collection, National Library of Israel / CC BY 4.0

Ruth Bondy – "Ich benötige räumlichen Abstand und mein Textverarbeitungsprogramm"

Von Lisa Hellriegel

„Ich benötige räumlichen Abstand und mein Textverarbeitungsprogramm, um in die Gegenwart zurückzukehren“, schreibt Ruth Bondy (1923-2017) in ihrer Autobiografie „Mehr Glück als Verstand“. [1] Die aus Prag stammende Jüdin hatte die Haft im Ghetto Theresienstadt, im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau sowie in verschiedenen Außenlagern des KZ Neuengamme, unter anderem dem Dessauer Ufer, überlebt. In ihrem Buch betont sie, wie wichtig das Schreiben nach der Befreiung für sie wurde, etwa, wenn sie Orte ihrer Vergangenheit aufsuchte. 1948 emigrierte sie nach Israel und arbeitete dort als Journalistin – das Schreiben machte also auch einen großen Teil ihres Berufsalltags aus. Es war auch einer der Gründe, weshalb sie Hamburg und das Dessauer Ufer 1971 wieder besuchte. [2]

Ruth Bondy, 1969. Foto: Israel Press and Photo Agency (I.P.P.A.) / Dan Hadani collection, National Library of Israel / CC BY 4.0

Zwei Jahre nach ihrer Ankunft in Israel entschied sich Ruth Bondy, ihre eintätowierte Häftlingsnummer aus Auschwitz entfernen zu lassen, da sie sich unangemessenen Nachfragen ausgesetzt sah: „‘Wie kommt es, daß du am Leben geblieben bist? Was mußtest du tun, um zu überleben?‘ Nicht selten blitzte Mißtrauen in den Augen auf: War sie ein Kapo? Eine Hure?‘“ [3] Fremde fragten sie „im Bus, im Geschäft, oder am Strand, […] wieso ausgerechnet ich am Leben geblieben sei, während die Ihren ermordet worden waren“. [4] Unabhängig dieser Fragen zogen „die Israelis es vor[...], über das Thema Holocaust nichts zu hören“. [5] Dies änderte sich erst mit den 1960er/1970er Jahren, als eine verstärkte Beschäftigung der israelischen Gesellschaft mit dem Holocaust einsetzte, erkennbar etwa an der Einführung des Gedenktages Yom Ha Shoah 1967. [6]

Ruth Bondy, 2008. Foto: Krokodyl, CC BY 3.0

Die verstärkte Beschäftigung mit der Shoah zeigte sich auch in den Lehrplänen der israelischen Schulen, wie Ruth Bondy anhand ihres Enkels Dor erzählt: „Es naht der alljährliche Gedenktag für die Opfer des Holocaust und mein Enkelsohn Dor […] hat die Aufgabe bekommen, eine Überlebende zu befragen.“ [7] Die Schulaufgabe ermöglichte es ihr, in angemessenem Rahmen über ihre Geschichte zu sprechen, denn „Erinnerungen auszubreiten, ohne daß ich danach gefragt werde, und dabei die sehnsüchtigen Blicke nach […] dem Fernseher […] aufzuschnappen, kommt nicht in Frage.“ [8] Häufig erzählten Überlebende erst der dritten Generation ausführlich von ihren Erinnerungen, auch, weil sie selbst vor der Rente selten die Gelegenheit fanden, sich ausführlich damit zu beschäftigen. [9]

Ruth Bondy im Garten, 1969. Foto: Israel Press and Photo Agency (I.P.P.A.) / Dan Hadani collection, National Library of Israel / CC BY 4.0

Im Privaten, mit ihrer Tochter Tali, sprach Ruth Bondy schon früher „in wohldosierten Mengen [...] über die Shoah, antwortete auf ihre Fragen. Dabei bevorzugte ich Episoden, die auch etwas zum Lächeln hatten […]. Auch ohne mein Zutun ist die Last der jüdischen Vergangenheit, die in Israel auf den Schultern der jungen Generation lastet, überschwer. Denn diese Last besteht ja nicht nur aus einer endlosen Kette von Pogromen, Vertreibungen, dem Holocaust und der Vernichtung – sie beinhaltet auch einen nichtendenwollenden Lobgesang auf unsere Fähigkeiten zu überleben.“ [10] Hier kennen wir nur ihre Sichtweise, nicht, wie bei Dita Kraus, auch die ihres Kindes. Ruth Bondy reflektiert nicht nur, wie sich ihre Erlebnisse, sondern auch, wie sich ihre Erzählungen darüber auf die zweite Generation auswirken.


Quellen und Literatur

[1] Bondy, Ruth: Mehr Glück als Verstand. Eine Autobiographie. Gerlingen 1999, hier S. 25.

[2] ANg, M 2013-0015, Interview mit Ruth Bondy, Interviewer Hans Ellger, am 4.3.2000 in Givat Haim-Ihud (Israel), Gesamtlänge 00:57:00, hier Min. 00:50-Ende.

[3] Bondy: Mehr Glück als Verstand, S. 72.

[4]Ebd., S. 73.

[5] Ebd.

[6] Ellger, Hans: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien. Die Geschichte der Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Neuengamme 1944/45, Berlin 2007, S. 263.

[7] Bondy: Mehr Glück als Verstand, S. 57.

[8]Ebd., S. 56f.

[9] Ellger: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien, S. 264f.

[10] Bondy: Mehr Glück als Verstand, S. 81.