Zierbänder aus ockerfarbenem Backstein verlaufen über die Breite des Gebäudes, Aufnahme von 2021. Foto: Frederik Kleesattel

Vor Ort. Materialien und Materialität des Lagerhaus G

Von Manuel Bolz

Der folgende Beitrag möchte das Lagerhaus G aus der Perspektive der verwendeten Materialien und ihrer Materialität vorstellen.

Die Bausubstanz: Backstein, (Stahl-)Beton und Holz

Das Lagerhaus G, welches im Jahr 1903 für das Lager- und Regiegeschäft am Dessauer Ufer in Hamburg erbaut wurde, ist durch die kaiserzeitliche Backsteinarchitektur gekennzeichnet. Die Baustruktur des ältesten Gebäudes am Saalehafen besteht aus einer inneren Holzkonstruktion, welche durch Backsteinaußenmauern gestärkt ist. Diese sorgen für ein angemessenes Klima im Inneren des Gebäudes und ermöglichten eine längerfristige Lagerung von Zucker, Salpeter, Baumwolle, Tabak, Tee oder Baumaterialien. Damit stand das Lagerhaus G in der Tradition der Speicherarchitektur, obwohl auf den drei Böden keine Bearbeitung der Güter stattfand.

Darüber hinaus ist das Gebäude durch Brandmauern in acht Abschnitte unterteilt. Zu jedem Abschnitt gehört land- und wasserseitig je ein Außenaufzug mit Windhäuschen. Der Grundbau besteht aus parallel zum Wasserbecken gestellten Backsteinbögen und Pfeiler auf Holzpfählen. Auf den Bögen ist die Balkenanlage aufgebracht, über der Pfeilerkonstruktion die Holzständer, die bei Niedrigwasser sichtbar werden. Die aus Holz gebauten Obergeschossstützen sind wasserseitig und landseitig im nördlichen Abschnitt vorhanden. Die Holzkonstruktion im Obergeschoss ist durch Stütz- und Balkenquerschnitte von ca. fünf Meter Länge für die Lagerung von Waren konzipiert. Auch Stützfelder aus Stahlbeton sind vorhanden. Das Untergeschoss des Gebäudes besteht aus einem Betonboden und wurde oftmals als Keller genutzt. Es wurde nachträglich zum Ufer hin durch eine Mauer abgegrenzt, ist begehbar und mit Schotter befestigt. Die vorhandenen Ziegelpfeiler sind mit Betonummantelungen nachträglich verstärkt worden. Fenster, Tore und Luken aus Holz sind sichtbar. Des Weiteren sind Mauerabdeckungen und Windenüberdachungen aus Kupfer gefertigt und das Dachfenster mit Eisenrahmen umrandet.

Aufstellung der Kurbelwinden im Speicher F und G, Zeichnung von 903. Quelle: Staatsarchiv Hamburg, STAH: Strom- und Hafenbau I, Mappe 708.

Durch den massigen Baukörper mit flachgeneigtem Satteldach unterscheidet es sich von der benachbarten Speicherstadt mit ihren Lagerhäusern. Aber auch die horizontalen Zierbänder, die flächigen Mauern, fehlende Fenstersimse und Giebel, die kleinen Lochfenster und das unverzierte Mauerrelief verweisen auf eine sparsame Dekoration und auf die pragmatische Funktion der Architektur. Damit stellt das Lagerhaus G einen Gebäudetypus dar, welcher in Hamburg kaum noch vorhanden ist. Er dokumentiert die historische Lagerhaltung außerhalb der Speicherstadt, ihre Bedingungen und ihre zeittypischen architektonischen Prinzipien.

Infrastrukturen: Wasser, Schienen und Raffinerien

Das Gebäude erhebt sich über den Wasserspiegel des Saalehafens. Er gewährleistete den Warenumschlag über Schuten und Binnenschiffe. Aufgrund der niedrigen Sachsen- und Hansabrücke ist er nur bei Niedrigwasser mit Binnenschiffen zu erreichen. Häufig wird jedoch landseitig durch LKW über die Dessauer Straße umgeschlagen. Die Verkehrsfläche ist ein gepflasterter Boden mit Schienen, welche während des NS-Regimes für den Transport von Menschen und Ressourcen genutzt wurden. Heute führen die Reste der Schienen nirgendwo mehr hin.

Die jüdischen Zwangsarbeiter*innen und KZ-Häftlinge arbeiteten während der NS-Zeit in benachbarten Mineralölindustrien (Raffinerien) und in der Kriegsproduktion von materiellen Ressourcen (Gleis- und Panzergrabenbau). Vorhandene und historisch-gewachsene Infrastrukturen wurden angeeignet und im Sinne des Gewaltregimes genutzt. Die Lagerung von Werkstoffen und die Produktion von Materialien waren eine Kernfunktion des Gebäudes. Es ist gegenwärtig greifbarer Zeuge von Unrechtsherrschaft, Unterdrückung und der Brutalität des NS-Regimes am Hafengelände bzw. im dortigen Lagerhausensemble. Eine Bewahrung ist daher nicht nur aus hafen-, stadt-, und bauhistorischen Gründen wichtig, sondern auch als wichtiger materieller Zeitzeuge des NS-Regimes. Das Gebäude ist mit Bedeutungen und Zuschreibungen aufgeladen und stellt demnach einen Erinnerungsort dar.

Vom Veddeler Damm aus zeigt sich der massive Baukörper mit seinem flachen Satteldach, Aufnahme von 2021. Foto: Frederik Kleesattel

Materialität in Bewegung. Zwischen Beständigkeit und Zerfall

Nicht nur die Nutzungsformen des Gebäudes, sondern auch die Bausubstanz des Lagerhaus G haben sich im Laufe der Zeit verändert. Durch klimatische Bedingungen und fehlende Abdichtungen, fehlende Formen der Instandsetzung und Abtragungen durch das angrenzte Wasser des Hafenbeckens, zersetzten sich das Holz und die Backsteinstruktur des Gebäudes. Die fehlende Sanierung bietet Konfliktpotenzial zwischen dem Denkmalschutz der Stadt Hamburg, Initiativen und dem Eigentümer. Sie zeigt eindrücklich, wie persönliche Motivationen und stadtpolitische Interessen zwischen der Erhaltung eines lokalen Erinnerungsortes bis hin zur strategischen Gleichgültigkeit aufgrund von Grundstücksspekulationen stehen. Damit einher gehen oftmals auch Deutungshoheiten um die Zukunft des Gebäudes und seinen Erinnerungswert. Der materielle Wandel des Lagerhaus G bedingt daher auch soziale, kulturelle und symbolische Veränderung.

Die Fassade mit den hohen Bogensubstruktionen auf der Wasserseite, Ost-Ansicht von 1977. Foto: Denkmalschutzamt, Fotoarchiv, DA 13136/4.

Materialisierte Erinnerung oder: das Lagerhaus G als gebauter und sozialer Raum

Gegenwärtig verweisen angebrachte Gedenktafeln und ein Stolperstein auf den Erinnerungsraum und verweisen dadurch auf doppelter Weise auf die materialisierte Erinnerung.

Stolperstein für Margarethe Müller im Pflaster vor dem Lagerhaus G in der Dessauer Straße, Aufnahme von 2021. Foto: Frederik Kleesattel


Quellen und Literatur

Mappe zum Lagerhaus G, Dessauer Ufer, Kleiner Grasbrook . Denkmalschutzamt der Behörde für Kultur und Medien der Freien und Hansestadt Hamburg

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Hahn, Hans-Peter (Hrsg.): Vom Eigensinn der Dinge: für eine neue Perspektive auf die Welt des Materiellen. Berlin: Neofelis 2015.

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