Dita Kraus. Quelle: KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Archiv, ANg F 2012-284

Dita Kraus – "ein aufgeschobenes Leben"?

Von Lisa Hellriegel

„Ich muss mein Leben nicht mehr aufschieben.“ [1] Mit diesen Worten endet Dita Kraus‘ Autobiografie. Geboren im Jahr 1929, überlebte sie als Jugendliche die Haft im Ghetto Theresienstadt, im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und in verschiedenen Außenlagern des KZ Neuengamme, unter anderem dem Dessauer Ufer. Mitte April 1945 erlebte sie die Befreiung im KZ Bergen-Belsen. Anschließend kehrte sie zunächst in ihre Herkunftsstadt Prag zurück und wanderte 1949 nach Israel aus. Im letzten Kapitel ihres Buchs macht sie deutlich, dass sie sich nicht „selbst dafür leidtun [möchte], was für ein hartes Leben [sie] hatte“, sondern sich auch auf die „wunderbare[n] Dinge“ konzentrieren möchte, die sie erlebt hat: [2] Sie ist stolz auf ihre Familie und auf ihr aktives Leben auch im hohen Alter.

Tschechische Überlebende am Dessauer Ufer, Juni 1999. Von links: Edith Kraus, Susi Weiss, Ruth Kemeny, Margit Herrmannová, Dagmar Lieblová und Ruth Bachrich. Foto: Detlef Garbe /KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Archiv, ANg, F 2015-273

Im November 2020 erzählte Dita Kraus bei der Vorstellung ihrer Autobiografie von ihrer Verfolgungsgeschichte und ihrem Umgang mit dem Erlebten. [3] Auch ihr Sohn Ron Kraus nahm an dem Online-Gespräch teil. So konnten sich Mutter und Sohn über die Auswirkungen der Verfolgungsgeschichte unterhalten. Ron Kraus erzählte zu Beginn, dass er sich nicht erinnern könnte, wann er zum ersten Mal von der Verfolgungsgeschichte seiner Eltern gehört habe: Dieser Teil der Familiengeschichte sei, etwa durch die in Auschwitz eintätowierten Häftlingsnummern bei seinen Eltern und deren Freund_innen, so sehr Teil einer Normalität gewesen, dass er sich als Kind gefragt habe, warum manche Menschen diese Nummern nicht hätten. Dies ist nicht unbedingt typisch: Einige Überlebende wie Ruth Bondy ließen sich die Häftlingsnummer entfernen, um nicht von Fremden übergriffige Fragen dazu gestellt zu bekommen, oder erfanden für ihre Kinder eine andere Erklärung für die Tätowierung. [4]

Das Gespräch mit Dita Kraus und ihrem Sohn Ron Kraus auf YouTube.

Viele Überlebende sprachen, anders als Dita Kraus und ihr Mann Otto, anfangs mit ihren Kindern kaum über das Erlebte, um sie damit nicht zu belasten. Ron Kraus hingegen empfand es als „gesünder“, dass seine Eltern immer mit ihm darüber sprachen. Dita Kraus äußerte die Vermutung, dass das Verschweigen auch dazu führen könnte, dass die zweite Generation es nach dem Tod der Eltern bereuen würde, sie nie nach dem Erlebten gefragt zu haben. Dass Dita und Otto Kraus untereinander viel über das Erlebte sprachen, scheint häufig vorgekommen zu sein: Weil die Erinnerung an den Holocaust im neugegründeten Staat Israel zunächst wenig öffentliche Aufmerksamkeit fand, sprachen die Überlebenden viel untereinander über die Hafterfahrung. [5]

Dita Kraus im Keller des Lagerhaus G, Juni 1999. Foto: Detlef Garbe/ KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Archiv, ANg F 2000-1295

Als Erwachsener entschied Ron Kraus sich dafür, sich selbst ebenfalls die Häftlingsnummern seiner Eltern eintätowieren zu lassen – ihm zufolge eine häufige Reaktion der zweiten oder dritten Generation, um sich so an das „Wunder“ des Überlebens ihrer Eltern bzw. Großeltern zu erinnern, das ihre Geburt ermöglicht hatte. Dita Kraus sah dies anfangs sehr kritisch, meinte aber, sich daran gewöhnt zu haben. Deutlich wird hier, wie die Erfahrung der Eltern auch die nächsten Generationen prägte und sich in einigen Fällen sogar in ihre Körper einschreibt.


Quellen und Literatur

[1] Kraus, Dita: Ein aufgeschobenes Leben. Kindheit im Konzentrationslager – Neuanfang in Israel, Göttingen 2020, S. 474.

[2] Ebd., S. 473.

[3] Jensen, Ulrike: Zeitzeuginnengespräch einmal anders. Ein Abend mit Dita Kraus und Familie (27.11.2020),

https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/nachrichten/news/zeitzeuginnengespraech-einmal-anders-ein-abend-mit-dita-kraus-und-familie/

[4] Ellger, Hans: Zwangsarbeit und weibliche Überlebensstrategien. Die Geschichte der Frauenaußenlager des Konzentrationslagers Neuengamme 1944/45, Berlin 2007, S. 262.

[5] Ebd., S. 261.