Die Täter vom Lagerhaus G
Von Carina Krüger
Definitionsprobleme
Denkt man an den Begriff „Täterschaft“, kommt einem schnell die Gesetzesdefinition in den Sinn. Nach dem Strafgesetzbuch, Artikel 25, wird als Täter derjenige bezeichnet, der selbst oder durch andere eine Tat begeht. In Anbetracht der Beurteilung von Taten im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus hilft diese Definition nicht weiter. Die Täterforschung der Geschichtswissenschaft geht anders an die Thematik heran. Sie fragt nach dem Handeln und nach Handlungsspielräumen: Was hat eine Person getan oder gelassen? Was konnte dieser Mensch als Mitglied der NS-Volksgemeinschaft ausrichten?
In Diskussionen um die Schuldigkeit von Soldaten wird oft das Argument genannt, sie würden nur Befehle ausführen. Das mag während des Gefechts seine Daseinsberechtigung haben, jedoch nicht in der Betrachtung von Menschen, die beispielsweise im Dienste der SS standen. Keiner musste der SS beitreten. Keiner musste als Wachpersonal in einem Lager arbeiten. Überdies zeigt ein Urteil von 23. Juli 2020, dass das indirekte Mitwirken bei einer Straftat durchaus Konsequenzen hat. So wurde der ehemalige SS-Mann Bruno Dey 2019 vom Hamburger Landgericht angeklagt, weil er als Wachmann im KZ Stutthof gearbeitet hat. 2020 wurde der damals 93jährige Mann zu einer Jugendstrafe (er war zur Tatzeit noch keine 18 Jahre alt) von zwei Jahren wegen versuchten Mordes und Beihilfe zum Mord in über 5.000 Fällen verurteilt. Dies passierte nur, weil er 2016 auf Bildern in Akten des KZ Stutthof als SS-Mann erkannt worden war.
Mit einer einfachen Definition kommt man besonders bei der Beurteilung von „Tätern“ im Nationalsozialismus also nicht weiter. Dies liegt auch daran, weil es keine „Einzeltäter“ gab, eher ein „arbeitsteiliges Verbrechen“. An der Organisation der erfolgten Massenvernichtung waren sehr viele Zweige der Gesellschaft beteiligt.
Eine schwierige Quellenlage
In einer so ausgeklügelten und gut organisierten Tötungsmaschinerie wie der der Nationalsozialisten sollte man meinen, dass es sehr viele Quellen gibt. Die gibt es zum Teil auch, beispielsweise sind die Akten zu den von an Menschen verübten Versuchen sehr detailliert und vielzählig. Allerdings gibt es zu den Tätern eher wenige. Das lässt sich darauf zurückführen, dass in der Endphase des Krieges die Nationalsozialisten in allen erdenklichen Bereichen Dokumente vernichtet haben. Man war sich darüber im Klaren, dass diese als Beweise für die Verbrechen und die Beteiligung daran dienen könnten. So geht aus einem Auszug der Prozessakte eines britischen Militärgerichtes von 1946 hervor, dass Angehörige der Wachmannschaft des Lagerhauses G nicht bekannt geworden sind.
Insgesamt ist aus der Zeit, in der männliche Häftlinge dort untergebracht wurden, wenig überliefert. Aus der Zeit, in der Lagerhaus G ein Frauenlager war, gibt es mehr Quellen. So gab es in den genannten britischen Militärgerichtsverfahren drei Verhaftungen von SS-Männern mit Haftstrafen von 18 Monaten bis 15 Jahren sowie die Verhaftung des Lagerführers, der wegen Misshandlungen von Häftlingen ebenfalls eine Haftstrafe von 15 Jahren bekam. Im 1974 hinzugefügten Aktenvermerk wird auch auf die Schwierigkeit der Anklagen eingegangen. Zum einen ist die Aufklärung der Verhältnisse im Lager durch die dünne Quellenlage schwierig, zum anderen ist es in Betrachtung der verstrichenen Zeit schwierig, weitere Zeugen zu finden, die nicht (an den Folgen der Inhaftierung) gestorben sind oder sich an die Ereignisse erinnern können.
Als letzter Punkt sei noch der Grund für die Pausierung der Nutzung als Außenlager genannt. Am 25 Oktober 1944 gab es einem Bombenangriff auf das Lagerhaus G, bei dem 150 männliche Häftlinge starben. Dabei wurden einige Akten, die sich im Stammlager befanden, vernichtet. Anzumerken sei hier der mutige Einsatz einiger Häftlinge, die es schafften, kurz vor Ende des Krieges einige Dokumente vor der Zerstörung zu bewahren, wie beispielsweise eines der Totenbücher.
Was für Quellen gibt es?
Einige der Dokumente, die die Vernichtung überstanden haben, erzählen von den Tätern. Als Beispiel soll hier Hans Fiekers vorgestellt werden, der von Oktober 1944 bis 1945 im Lagerhaus G tätig war. In den Dokumenten der KZ-Gedenkstätte Neuengamme wird Fiekers als sadistischer Schläger beschrieben, der oft ohne jegliche Provokation auf die Gefangenen einprügelte. Nach dem Krieg ging Fiekers unter falschem Namen nach Düsseldorf und später nach Hannover. Nach Bekanntwerden seiner Identität konnte ihm durch Fehler in der Aktenführung nicht der Prozess gemacht werden. Nach 1982 wurde es schließlich unmöglich: Hans Fiekers tauchte ab, nachdem ein ehemaliger Stützpunktleiter vor Gericht stand und er als Zeuge vernommen werden sollte. Trotz der eher dünnen Quellenlage sind einige Namen bekannt. Einige, wie Fieker, sind davongekommen. Wie sich aber an der Prozessakte des britischen Militärgerichtes sehen lässt, konnte durch Zeugenaussagen der Quellenlage gestrotzt und zumindest vier SS-Männern aus dem Lagerhaus G der Prozess gemacht werden.
Auszug aus der Prozessakte eines britischen Militärgerichtes, 1946. Foto: Denkmalschutzamt Hamburg
Quellen und Literatur
Wieland, Günther: Naziverbrechen und deutsche Strafjustiz. Berlin 2004.
https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__25.html
Auszug aus der Prozessakte eines britischen Militärsgericht (1946), IV 404 AR 606/67, Ludwigsburg den 24.April 1974.