Aufnahmegerät 1954. Foto: Roger & Renate Rössing, Deutsche Fotothek‎, CC BY-SA 3.0 DE

Sensible Quellen – Oral History-Interviews in (Online-)Austellungen

Von Svea Gruber und Lisa Hellriegel

„Die Interviewsituation ist eine merkwürdige Mischung aus ‚natürlicher‘ und künstlicher Kommunikationssituation. Zwei Menschen, die sich in der Regel einander vorher nie begegnet sind, gehen für kurze Zeit eine äußerst intime Beziehung ein, und zwar insofern, als sich vor allem einer der beiden offenbart und entblößt, sich quasi ausliefert, während der andere fast nichts von sich preisgibt, im Anschluß aber das gewonnene Material in einer Weise verwendet, über die der Erzähler keine Kontrolle mehr hat und in der Regel auch nichts erfährt.“ [1]

Oral History-Interviews werden auch als ,,Zeitzeugen“-Interviews bezeichnet. Sie sind eine Methode, mit der Historiker_innen herausfinden wollen, wie die befragte Person ein bestimmtes historisches Ereignis erlebt oder verarbeitet hat – beispielsweise die Verfolgung im Nationalsozialismus. Gerade Interviews mit Überlebenden der Konzentrationslager sind heute ein häufiger Bestandteil von Ausstellungen zur diesem Thema. Sie ermöglichen den Besucher_innen, eine andere Erzählung als die der Täter/-innen kennenzulernen. Auch wir haben bei der Konzeption unserer Website auf diese Quellen zurückgegriffen, um die Perspektive der Überlebenden zu beleuchten und uns dabei gefragt: Wie kann man diese sehr persönlichen Quellen auf sensible Art veröffentlichen?

Grundlegend für ein gelungenes Interview ist ein Vertrauensverhältnis zwischen Interviewer_in und Interviewter. Dazu gehört, vor Beginn des Interviews die spätere Verwendung festzulegen: Zwar liegen die Rechte meist bei der interviewenden Person, diese sollte jedoch „die Regeln der Fairneß und Umsicht befolgen“. [2] Schwierig wird es zum Beispiel dann, wenn man ältere Interviews benutzt, bei denen eine Veröffentlichung im Internet nicht spezifisch abgeklärt wurde. Vor diesem Problem standen auch wir als Seminarteilnehmer_innen. Viele der Frauen, deren Interviews wir ausgewertet haben, sind nicht mehr am Leben, sodass wir sie nicht um Erlaubnis für die Veröffentlichung fragen konnten. Gerade deshalb war es uns aus ethischen Gründen ein Anliegen, möglichst sensibel mit den Interviewausschnitten umzugehen, auch nachdem die rechtliche Seite mit dem zuständigen Archiv geklärt war. [3] Deshalb haben wir versucht, Kriterien zu finden, um diesem Anspruch gerecht zu werden.

Als Ausstellungsmacher_innen finden wir es wichtig, vor der Verwendung eines Gesprächsausschnitts abzuwägen, welchen Teil wir wählen und wie wir ihn kontextualisieren, um die interviewte Person nicht bloßzustellen. Dies gilt besonders auch für Online-Ausstellungen, in denen ein Missbrauch oder eine weitere Veröffentlichung durch Dritte nicht ausgeschlossen werden kann. [4] Dabei ist es wichtig, einen Mittelweg zwischen einer besonders interessanten persönlichen Erfahrung und dem Schutz der Person, etwa durch Anonymisierung [5], zu finden.

Auch die Position der Interviews im Gesamtkonzept der Ausstellung oder Website sollte gut überlegt sein: Um ihrer Rolle als erzählter Lebenserinnerung gerecht zu werden, sollten sie eine zentrale Position erhalten und nicht nur eine Art „Hintergrundgeräusch“ zu den schriftlichen und visuellen Ausstellungsstücken darstellen. Außerdem sollten sie – sofern eine Einwilligung der interviewten Person vorliegt - tatsächlich hörbar (und nicht nur schriftlich) präsentiert werden, um die vielschichtigen Bedeutungsebenen des Erzählten zu vermitteln. [6]

Wichtig finden wir, nicht nur Geschichten von Gewalt und Leid, sondern auch von Selbstbehauptung und Widerständigkeit zu erzählen, um die interviewte Person als Akteur_in und nicht als hilfloses „Opfer“ darzustellen. Dazu gehört auch, die ganze Lebensgeschichte der Person in den Blick zu nehmen und auch ihr Weiterleben nach der Befreiung zu thematisieren.


Quellen und Literatur

[1] Wierling, Dorothee: Oral History, in: Maurer, Michael (Hrsg.): Neue Themen und Methoden der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 2003 [= Aufriß der Historischen Wissenschaften, Bd. 7], S. 81-151, hier. S. 113.

[2] Ebd., S. 114.

[3] Vgl. Shopes, Linda: Legal and Ethical Issues in Oral History, in: Charlton, Thomas L.; Myers, Lois E. und Sharples, Rebecca (Hg.): Handbook of Oral History, Lanham 2006, S. 135-169, hier S. 164f.

[4] Vgl. ebd., S. 146-148.

[5] Dies kann bei bekannten Personen schwierig werden, vgl. Wierling: Oral History, S. 114.

[6] Green, Anna: The exhibition that speaks for itself. Oral History and Museums, in: Perks, Robert und Thompson, Alistair (Hg.): The Oral History Reader. London & New York 2003, S. 448-456, hier S. 449.