NS-Zwangsarbeit in Hamburg

Von Svea Gruber und Jonas Jakubowski

Die KZ-Häftlinge und die italienischen Militärinternierte (IMI), die am Dessauer Ufer interniert waren, mussten Zwangsarbeit im Hamburger Hafen verrichten. Auch weitere Gruppen von Zwangsarbeiter*innen lassen sich am Dessauer Ufer nachweisen. Bei ihnen ist die Verknüpfung mit konkreten Arbeitsorten jedoch meist nicht eindeutig (1). Unter Zwangsarbeit im Nationalsozialismus versteht man in der Geschichtswissenschaft „jede Art von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat“ (2). In der Forschung unterscheidet man zwischen drei wesentlichen Gruppen, die im Deutschen Reich zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeit leisteten: ausländische Zivilarbeiter*innen, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge. Um den kriegsbedingten Arbeitskräftemangel auszugleichen und die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen zu halten, mussten geschätzt ca. 13,5 Millionen Menschen aus ganz Europa Zwangsarbeit leisten (3). In Hamburg waren es insgesamt fast 500.000 Zwangsarbeiter*innen.

Aus einer Statistik aus dem Juli 1944 geht hervor, dass jeder vierte Arbeitsplatz in der deutschen Wirtschaft mit ausländischen Zivilarbeiter*innen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen besetzt war (4). Zwischen diesen Gruppen gab es hinsichtlich Versorgung und Unterbringung, Art und Schwere der Arbeit, Entlohnung und Behandlung große Unterschiede (5). Vor allem die Nationalität der Zwangsarbeiter*innen war entscheidend dafür, wie sie behandelt wurden. Westeuropäer*innen wurden deutlich besser behandelt als Osteuropäer*innen, da letztere in der nationalsozialistischen Ideologie als minderwertig galten (6). Am untersten Ende dieser rassistischen und antisemitischen Hierarchie standen Menschen, die die Nationalsozialisten als Jüdinnen und Juden verfolgten. KZ-Häftlinge, die sowohl in der privaten Wirtschaft als auch in Wehrmachts- und SS-Betrieben Zwangsarbeit leisten mussten, wurden besonders brutal behandelt (7). Ihre und die Überlebenschancen der sowjetischen Kriegsgefangenen waren verglichen mit den anderen Gruppen am geringsten.

Die männlichen und weiblichen KZ-Häftlinge des Außenlager Dessauer Ufer mussten Zwangsarbeit im Rahmen des ,,Geilenberg-Programms“ (8) leisten. Sie wurden zur Räumung von Trümmern bei den großen Raffinerien wie beispielsweise Rhenania Ossag (Shell), Ebano-Oehler (Esso), Mineralöl-Werke Ernst Jung oder den Ölwerken Julius Schindler (H&R GmbH & Co. KGaA) eingesetzt (9). Die meisten genannten Betriebe sind bis heute, teilweise unter anderen Firmennamen, im Hamburger Hafen präsent. Überlebende Frauen berichten in Interviews von den schweren Arbeitsbedingungen, der mangelnden und unzureichenden Versorgung und den alltäglichen Gefahren der Zwangsarbeit. Die SS und die nutznießenden Unternehmen nahmen billigend in Kauf, dass die Häftlinge sich schwer verletzten oder infolgedessen ums Leben kamen kamen. Auch die Perspektive der männlichen KZ-Häftlinge kann anhand von Häftlingsberichten und Interviews mit Überlebenden beleuchtet werden.

Die italienischen Militärinternierten nehmen eine besondere Rolle ein. Nach dem Waffenstillstand Italiens (10) mit den Alliierten im September 1943 war ihre Behandlung in den Kriegsgefangenenlagern und an den Arbeitsorten von Hass aufgrund des vermeintlichen Verrats, Misshandlungen und Schikanen geprägt (11). Etwa 650.000 Italiener weigerten sich auf deutscher Seite weiterzukämpfen. Eine Behandlung nach den Genfer Konventionen (12) wurde ihnen durch die Nationalsozialisten verweigert. Der Arbeitseinsatz der italienischen Militärinternierten am Dessauer Ufer ist noch nicht gut erforscht. Sie mussten ebenso wie die KZ-Häftlinge schwere körperliche Arbeiten verrichten. Dazu zählten Aufräumarbeiten nach Luftangriffen, das Errichten von Behelfswohnungen und andere Bauarbeiten. Sie wurden auch in der Rüstungsproduktion eingesetzt. Über den 1916 im norditalienischen Cremona geborenen ehemaligen italienischen Militärinterinternierten Luigi Cremaschi ist bekannt, dass er u.a. am Dessauer Ufer untergebracht war. Anschließend wurde er in ein Lager in der Süderstraße verlegt. Von hier aus mussten er und andere Italiener Zwangsarbeit bei den Wasserwerken auf der Elbinsel Kaltehofe leisten (13). Obwohl die italienischen Militärinternierten zwar formal Westeuropäer waren, war der Verratsvorwurf maßgeblich für ihre schlechte Behandlung. Die Verpflegung war unzureichend, viele wurden krank oder waren so geschwächt, dass sie kaum noch arbeitsfähig waren (14). Etwa jeder Zehnte erlebte das Kriegsende nicht. Dies führt der Italienische Ehrenfriedhof in Hamburg-Öjendorf den Besuchenden mit seinen fast 6.000 Gräbern vor Augen (15).

Der Einsatz von Zwangsarbeiter*innen hatte zwischen 1939 und 1945 eine große Bedeutung für die Hamburger Wirtschaft, die fast ausschließlich auf die Kriegsproduktion ausgerichtet war (16). Seit dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 wurden immer mehr Zwangsarbeiter*innen eingesetzt, um die Hamburger Kriegswirtschaft aufrecht zu erhalten (17). Obwohl viele Betriebsleitungen sich beschwerten, die unterernährten und kranken Zwangsarbeiter*innen brächten keine ausreichende Arbeitsleistung, sicherten diese die Produktionsfähigkeit vieler Unternehmen und Betriebe. Sie waren für die Hamburger Wirtschaft daher von zentraler Bedeutung und legten zudem eine Grundlage für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg (18). Trotz des umfänglichen Einsatzes hunderttausender ziviler Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge konnte der Arbeitskräftemangel, der für die NS-Kriegswirtschaft charakteristisch war, letztlich nicht kompensiert werden (19). Der Krieg wurde dadurch lediglich verlängert, obwohl die Kriegsniederlage spätestens ab 1943 nicht mehr abzuwenden war. Vielen ehemaligen Zwangsarbeiter*innen wurden erst ab dem Jahr 2000 Entschädigungen zugesprochen. Die italienischen Militärinternierten sind bis heute mit grotesken Begründungen nicht für das ihnen zugefügte Unrecht entschädigt worden.


Quellen und Literatur

(1) Vgl. Dessauer Ufer, in: http://zwangsarbeit-in-hamburg.de/ [zuletzt 04.02.2021]

(2) Buggeln, Marc: Unfreie Arbeit im Nationalsozialismus. Begrifflichkeiten und Vergleichsaspekte zu den Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten, in: Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S. 231-252, hier: S. 234.

(3) Spoerer, Mark: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945. München 2001. Gesamtzahl abzüglich der Doppelzählungen (z.B. ins KZ eingewiesene Zwangsarbeiter*innen)

(4) Ebd., S. 9.

(5) Buggeln 2014, S. 231.

(6) NS-Zwangsarbeit Dokumentationszentrum: Alltag Zwangsarbeit, online unter: Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit - Einführung in die Ausstellung (ns-zwangsarbeit.de) [zuletzt: 31.01.21]

(7) Littmann, Friederike: Zwangsarbeit in der Kriegswirtschaft, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hg.): Hamburg im Dritten Reich, Göttingen 2005, S. 228-229.

(8) Buggeln, Marc: Arbeit & Gewalt. Das Außenlagersystem des KZ Neuengamme, Göttingen 2009, S. 78f., S. 85-91.

(9) KZ-Gedenkstätte Neuengamme: Hamburg-Veddel (Frauen), online unter: Außenlagerliste (kz-gedenkstaette-neuengamme.de) [zuletzt: 31.01.21].

(10) Bis 1943 waren das nationalsozialistische Deutschland und das faschistische Italien Bündnispartner, zu diesem Bündnis gehörte auch Japan.

(11) Littmann, Friederike: Ausländische Zwangsarbeiter in der Hamburger Kriegswirtschaft 1939-1945, München/Hamburg 2006, S. 578f.

(12) Zum „Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen“ von 1929: https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/188857/genfer-abkommen-von-1929-27-07-2014 [zuletzt: 09.02.2021].

(13) Templin, David: Wasser für die Volksgemeinschaft: Wasserwerke und Stadtentwässerung in Hamburg im „Dritten Reich“, Hamburg/München 2016, S. 252f.

(14) Littmann 2006, S. 578f. sowie S. 581, zum Arbeitseinsatz der italienischen Militärinternierten in Hamburg siehe Tabelle S. 587.

(15) Friedhof Öjendorf/Italienischer Ehrenfriedhof: https://www.gedenkstaetten-in-hamburg.de/gedenkstaetten/gedenkort/friedhof-oejendorf-italienischer-kriegsgefangenenfriedhof/ [zuletzt: 04.02.2021].

(16) Weinhauer, Klaus: Handelskrise und Rüstungsboom. Die Wirtschaft, in: Forschungsstelle für Zeitgeschichte (Hg.): Hamburg im Dritten Reich, Göttingen 2005, S.224.

(17) Littmann 2005, S. 230-232.

(18) Ebd., S. 244f.

(19) Weinhauer 2005, S. 224.