3. Methodik und Praxis

Die Praxis von Sati-Zen lässt sich vor dem Hintergrund des bisher Ausgeführten nunmehr gut erklären:

Es geht darum, die immens tiefe Kenntnis des Bewusstseins, die der Buddha lehrte und all die Generationen nach ihm lebendig weitervermittelten, in einer geschickten Weise zeitgemäss zu vermitteln. Und damit geht es auch um die Wege bzw. Methoden, die zielführend zur Transformation des engen und egozentrischen Bewusstseins eingesetzt werden. Hierzu gehören unter anderem, aber in einem wesentlichen Sinn, die Wege der Meditation. Um sich nicht in den Weiten dieser Wege zu verlieren, beschränken sich die meisten buddhistischen Schulen auf eine ganz spezifische Auswahl an Praktiken und Hilfsmitteln. Und wie wir bereits gesehen haben: Alle heute bekannten Schulen haben sich im Laufe der Jahrhunderte enorm verändert. Eine Stärke des Buddhismus ist unter anderem ja gerade, dass er verschiedene Traditionen entwickelt hat, die alle auf denselben Kern verweisen und jahrhundertelange Erfahrung bezüglich eines "planmässigen Vorgehens", also einer klaren Methodik, aufweisen, die zur Freiheit des Geistes führt.

So gibt es nicht die eine, richtige Methode! Jede hat ihre Stärken und Schwächen. Daraus ergibt sich die Frage: Was erachten wir als hilfreich? Da kaum jemand von uns westlichen Praktizierenden im Kloster lebt, sondern in einem durchaus weltlichen Alltag, muss die Praxis, die sich an nicht-klösterlich lebende Menschen richtet, aus unserer Sicht "alltagstauglich" sein und dennoch eine gewisse Tiefe anstreben.

Da im Zentrum der ganzen Buddha-Lehre die Freiheit bzw. das Nicht-Anhaften steht, ist damit auch das Ziel klar definiert. "Nicht-Anhaften" klingt zuerst einmal ziemlich abstrakt. Doch sind darin unzählige Facetten verborgen, die alle mehr oder weniger mit der Auflösung der Egozentrik zu tun haben. Dies bedeutet natürlich nicht das Ende unserer Individualität oder Persönlichkeit! Vielmehr sprechen wir von der geradezu zwanghaften Haltung, dass es immer und primär nur "um mich", "um uns" geht. Es geht um diesen oft nahezu krankhaften Drang, einzigartig zu sein, als wären wir das nicht sowieso schon und als wäre es nicht genug, in diesem Sinn einfach zu sein. Dieses verzweifelte Streben nach Sicherheit, Beständigkeit, nach "Haben statt Sein", wie Erich Fromm das nannte, ist nicht grundlegend falsch, aber nimmt meist viel zu viel Raum ein im modernen Lebensalltag - und verhindert damit die Verwirklichung der Freiheit, zu der wir fähig wären. Die Gegenstücke liegen im Grund auf der Hand: gemeinsam bzw. füreinander statt "ich allein und nur für mich"; Offenheit kontra festgefügte

Ansichten; Flexibilität anstelle von Sturheit; Mitgefühl und Mitfreude anstatt blosses Eigeninteresse.

Wenn wir diesen komplexen Veränderungsprozess in Betracht ziehen, wird klar: Der Weg der Befreiung ist kein Hobby, sondern muss, wenn wir ans Ziel gelangen wollen, langsam aber sicher unser gesamtes Leben mit einbeziehen. Auf diesen Prämissen haben wir unsere Praxis aufgebaut. Die buddhistische Tradition bietet eine zweieinhalbtausendjährige Erfahrung bezüglich dem Achtfachen Pfad für eine heilsame Lebensgestaltung. Das Rad muss also nicht stets neu erfunden werden.

Meditation - Arbeit – Gemeinschaft

Aus Beobachtungen und Erfahrungen anderer Schulen und Vorgehensweisen sowie aus dem Studium der langen Geschichte buddhistischer Praxis ergab sich die für Sati-Zen spezifische Herangehensweise. Da wir wie gesagt nicht in einem klösterlichen Umfeld leben, ist die gesamte Sati-Zen-Praxis auf ein Pendeln zwischen Rückzug und Vertiefung und einem aktiv gelebten Alltag ausgerichtet.

Retreats erfüllen dabei eine ganze Reihe wichtiger Aufgaben: Wir nehmen uns aus den täglichen Anforderungen heraus und halten inne. Wir erkennen oft erst im Innehalten, wie sehr wir uns in Kreisläufen und Gewohnheitsmustern verloren haben. Dies reicht von einem zwanghaften Umgang mit dem Smartphone bis hin zur Geschwätzigkeit, sobald wir mit anderen Menschen zusammen sind, um nur zwei Beispiele zu nennen. Unsere Welt bietet wenige Oasen der Stille. Und kaum haben wir gelernt, mit Stille und Rückzug gut umzugehen, so beginnen wir auch daran wieder zu haften.

Deshalb fordert uns die Sati-Zen-Praxis auf, uns immer wieder mit Alltäglichem zu konfrontieren, wie etwa all den Arbeiten in Haus und Garten. Ch'an-Meister Baizhang Huaihai (720–814) reformierte die aus Indien stammenden Regeln der Mönche und Nonnen und führte die Selbstversorgung der Klöster ein; alltägliche Arbeit wurde Teil der gesamten Praxis. Wir sprechen von "Holz hacken, Wasser tragen" und meinen damit, dass die Arbeit in Haus und Garten nicht zur blossen notwendigen Organisation verkommen darf, um nachher wieder in Ruhe meditieren zu können, sondern dass all dies ein wichtiger Bestandteil der Übung ist.

Gerade hier zeigt sich oft, wie sehr wir die Meditation und die Retreats mehrheitlich aus einer Perspektive von Konsumentinnen und Konsumenten betrachten. Oft haben wir etwa zu einem Retreat oder einem Meditationszentrum das gleiche Verhältnis wie zu einem Dienstleistungsbetrieb: "Ich zahle und das Personal arbeitet". Dies ist jedoch nicht im Geist einer Sangha, einer Gemeinschaft. Sangha bildet sich durch unser Geben, also unseren Beitrag, der natürlich weit mehr ist als nur Geld. Daraus entsteht erst ein gemeinschaftlicher Geist. Und gleichzeitig erhält der Geist dabei die Möglichkeit, flexibler, toleranter und grosszügiger zu werden.

Zusammengefasst kann ich sagen, dass ich stille und weitgehend arbeitsfreie Retreats schätze, genauso wie die Fähigkeit, ein gemeinsames Ritual oder eine Feierlichkeit zu begehen. Doch soll dies hier nicht enden oder Selbstzweck werden und darum gestalten wir die Retreats in einer Weise, dass all dies zusammenkommt.

In dieser Weise spielen die drei Elemente der Sati-Zen-Sangha, der Zen-Gemeinschaft der Achtsamkeit, zusammen:

Meditation - Arbeit – Gemeinschaft

Ch'an-Meister Yung-chia (665-713) beschreibt den Weg und die Frucht der Praxis so:

Gehen ist Zen, Sitzen ist Zen,

Sprechen oder Schweigen,

Bewegung oder Ruhe:

In seiner Essenz ist alles unbewegt.

Selbst das Schwert des Todes vor Augen

verweilen wir deshalb in Frieden.

Methoden und Praktiken dienen dazu, weit über die Beschränkungen des Denkens und sich Erarbeitens hinauszugehen.

In den folgenden Kapiteln erläutern wir die Aspekte der meditativen Praxis des Sati-Zen. Im Grunde genommen handelt es sich um vier Aspekte ein und derselben Praxis, die zur Einsicht in die Lebensgesetze führt und damit den Geist befreit, also "erwachen" lässt. Wir erachten sie als hilfreiche Zugänge zu diesem Ziel - etwa so, wie wir durch verschiedene Türen aus einem Haus ins Freie gelangen können: einmal durch die eine, ein andermal durch eine andere Tür.