2. Sati-Zen

Sati-Zen als lebendige buddhistische Tradition

Der Buddha fasste sein Erwachen, seine Einsicht in das Leben, wie es wirklich ist, in den Vier Edlen Wahrheiten zusammen und zeigte in der Vierten Edlen Wahrheit, dem Achtfachen Pfad, einen gangbaren Weg zur Freiheit auf. Um den Menschen in ihrer unbegrenzten Vielfalt diesen Weg zu weisen, lehrte er in den 45 Lebensjahren nach seinem Erwachen "84'000 Wege", wie es bildhaft ausgedrückt wird.

Unzählige Nachfolgerinnen und Nachfolger des Buddha versuchten in späteren Zeiten ebenso, geeignete Hilfsmittel (upaya) zu entwickeln, die es den unterschiedlichsten Menschen ermöglichen sollten, auf verschiedene, ihnen zugängliche Weise Einsicht in die Natur der Dinge zu erlangen. Dies geschah umso mehr, als die Buddha-Lehre sich nach und nach in verschiedenste Länder und Kulturen ausbreitete. Gleichzeitig ging es im Lauf der Jahrhunderte auch darum, sich nicht in diversifiziertesten Lehrmeinungen und unzähligen Methoden zu verlieren, sondern weiterhin auf möglichst direktem Weg auf die wahre Natur des Geistes hinzuweisen.

Sati-Zen: Ein Zweig am Baum der buddhistischen Schulen

Sati-Zen steht in dieser Tradition lebendiger Erneuerung und ist eine von vielen Variationen, den Kern der Buddha-Lehre zu erhalten und dem Weg des Buddha im 21. Jh. eine zeitgemässe, westliche Form zu geben. Um ein Bild zu verwenden: An einem Baum hat es viele Zweige. Sofern die neuen Zweige (Schulen) die grundlegende Lehre der Drei Merkmale bzw. der Vier Dharma-Siegel vertreten und in Richtung Befreiung (Freiheit des Herz-Geistes) zielen, können sie als buddhistisch bezeichnet werden.

Dass im Verlauf von Jahrhunderten ständig neue Schulen entstanden, die sich philosophisch und in ihrer Praxis meist nur minimal von ihren Vorgängern unterschieden, war stets ganz natürlich. Es ging jeweils um eine besondere Kombination oder Ausprägung und damit Betonung gewisser Aspekte des Weges. Auch Sati-Zen ist, wie alles, selbstverständlich bedingt entstanden, ist also zusammengesetzt und lässt sich mit dem bereits beschriebenen Bild einer Frucht mit Kern, Fruchtfleisch und Schale beschreiben. Im Zusammenhang mit Sati-Zen heisst das für uns:

    • Als Kern bezeichnen wir im Sati-Zen die oben beschriebene buddhistische Geisteshaltung im Sinne der Drei Merkmale bzw. der Vier Dharma-Siegel. Dies ist der eigentliche Grund, weshalb wir von "Buddhismus" sprechen und nicht von einer undefinierbaren Mischung oder Allgemeinlehre.

    • Das sogenannte Fruchtfleisch sind die seit Jahrhunderten weitergegebenen Methoden - upaya - im Vermitteln der Meditation und der Geistesschulung allgemein, also die äusserst präzise beschriebenen Wege der Erforschung des menschlichen Bewusstseins. Das Rad muss nicht stets neu erfunden werden, doch können die bewährten, traditionellen Hilfsmittel durchaus durch zeitgemässe Methoden ergänzt werden. Wir stützen uns bei der Sati-Zen-Praxis auf die alten traditionellen Methoden, wie sie unter "Übersicht" beschrieben werden.

    • Als Schale bezeichnen wir die äusseren Formen, die durchaus auch als "hilfreiche Mittel", upaya eingesetzt werden können. Doch wann immer wir an Formen zu sehr haften, erstarren sie und verlieren ihre Fähigkeit zum natürlichen Wandel. Im Sati-Zen vereinen wir zeitgemässe Elemente westlicher und traditionelle Elemente asiatischer Kultur, welche wir als spannende Unterstützungen auf dem Weg der Achtsamkeit beibehalten möchten.

Ein Beispiel ist das „Gassho“, also das Zusammenlegen der beiden Handflächen mit einer damit verbundenen kleinen Verbeugung. Diese kleine Geste kann so viel beinhalten, wenn wir uns da von Herzen hineingeben. Es ist ein Dank und genauso auch ein Verbinden und Vereinen von zwei Seiten, von Gegensätzen. Hingegen haben wir im Sati-Zen beispielsweise keine festen Kleidervorschriften und erwarten kein bestimmtes Verhalten gegenüber den Lehrenden, leben die Gleichberechtigung der Geschlechter und setzen Formen und Rituale als Übungen ein, nicht als Ziel. Wir haben also aus Asien viele Formen übernommen, gleichzeitig wollen wir kein "(Zen-)Theater" aufführen und auch die eigene Kultur wertschätzen und einbringen.

Selbst die wenigen traditionellen oder modernisierten Formen sind dabei erfahrungsgemäss manchen schon zu viel. Ich möchte hier nur kurz darauf hinweisen, dass es so etwas wie einen „formlosen“ Weg nicht wirklich gibt! Wir sind "Form", haben stets Formen um uns und das formgewordene Leben in seinen Manifestationen ermöglicht uns, das Wunder des Bewusstseins zu erforschen — weit über unsere neurotischen Muster hinaus, jenseits von Abneigungen und Zuneigungen! Es geht uns auch hier um einen mittleren Weg zwischen Formlosigkeit und Formalismus.

Welche Methoden der Geistesschulung wir im Sati-Zen nutzen, aus welchen Traditionen sie stammen und wie wir mit äusseren Formen umgehen, beschreiben die nächsten Kapitel.