2.2 Synthese

Im Folgenden möchten wir nun etwas genauer beschreiben, wie wir Elemente des Frühen Buddhismus mit späteren Entwicklungen verschiedener Schulen des Mahayana vereinen zu dem, was wir Sati-Zen-Sangha nennen.

Sati

sati ist Pali (Skt. smriti) und bedeutet zuerst einmal "sich erinnern", obwohl es meist mit dem mittlerweile recht unspezifisch gebrauchten Begriff "Achtsamkeit" übersetzt wird. Treffende Übersetzungen sind auch "sich vergegenwärtigen" oder "Gewahrsein". Wir haben den Begriff aus verschiedenen Gründen gewählt:

Mit dem Begriff sati signalisieren wir zum einen, dass wir uns auf wichtige Texte und Meditationsformen des Frühen Buddhismus beziehen, allen voran auf die beiden grundlegenden Sutren Satipatthana (Vier Grundlagen der Achtsamkeit) und Anapanasati (Sutra des bewussten Atems). Unsere Meditationspraxis beruht anfänglich, aber auch weit darüber hinaus, auf diesen zentralen, auf den Buddha zurückgehenden Anweisungen. Dies ist unsere Nähe zum Frühen Buddhismus und zu dem, was allgemein als Einsichtsmeditation (Vipassana, Skt. vipashyana) bekannt ist.

Zum anderen umfasst der Begriff sati - weit über den unspezifisch verwendeten Begriff "Achtsamkeit" hinausgehend - im tieferen Sinn von Buddhas samma sati, der umfassenden Achtsamkeit aus dem Edlen Achtfachen Pfad, den gesamten Übungsweg: sati führt ebenso direkt in die Tiefen buddhistischer Meditation wie zur unmittelbaren Umsetzung im Alltag, wie wir es auch aus dem Zen kennen. Dies zu ergründen und direkt zu erfahren ist ein zentraler Teil der Sati-Zen-Praxis.

Zen

Der Begriff Zen kommt aus dem Japanischen und leitet sich ursprünglich ab vom Sanskrit-Wort dhyana (= in Meditation verweilen, Pali jhana). In China wurde er zu Ch'an oder Ch'an-na, in Korea zu Seon, in Vietnam zu Thien. Wegen seiner Geläufigkeit wird der Begriff "Zen" heute auch oft generalisierend für das chinesische Ch'an, das vietnamesische Thien und das koreanische Seon verwendet. "Zen" steht insbesondere für die Überschreitung dualistischer Konzepte und Lehrmeinungen, also auch für die letztendliche und umfassende Wirklichkeit. Diese nicht-duale Wirklichkeit kann direkt und unmittelbar erkannt und erfahren werden.

Zen-Buddhismus

Wir haben im Studium an mehreren Stellen darauf hingewiesen und im Detail ausgeführt, dass und weshalb Aussagen etwa eines D. T. Suzuki (1870-1966, japanischer Gelehrter und Autor) bezüglich Zen höchst problematisch sind, beispielsweise diese:

"Darum vermag es [Erg.: Zen] sich mit großer Schmiegsamkeit fast jeder weltanschaulichen oder sittlichen Lehre anzupassen, solange seine intuitive Unterweisung durch sie nicht gestört wird. Es kann sich mit anarchistischen oder faschistischen, kommunistischen oder demokratischen Idealen, mit Atheismus oder Idealismus, mit jedem politischen oder wirtschaftlichen Dogma befreunden."

(Aus: D. T. Suzuki: Zen und die Kultur Japans, 1938; dt. Übersetzung 1941)

Wir möchten uns von einem solchen "geschichtslosen" und damit entwurzelten Zen in aller Klarheit distanzieren und Zen da verorten, wo es herkommt: aus der zweieinhalbtausendjährigen Geschichte und Tradition der Buddha-Lehre - und ihrer mitfühlenden Ethik. So hat der Buddha etwa auch weder eine Meditationsmethode für gestresste Manager noch ein Entspannungstraining für Burnout-Betroffene entwickelt, sondern einen Weg zur Befreiung aus den Kreisläufen menschlichen Leidens in seiner ganzen Tiefe.

Als buddhistische Schule ist Zen damit ganz klar kein Fragment, das beliebig überall hineinpasst. Natürlich können wir uns einzelner Aspekte und Fragmente von Zen bedienen und sie isoliert verwenden oder mit anderen Methoden kombinieren. Doch werden wir der Tiefe des Zen und der Buddha-Lehre damit nicht gerecht. Zen war in Japan keine Neuerfindung, noch war es Ch‘an in China: die Meisterinnen und Meister

haben lediglich nach einer lebendigen Form gesucht, die Lehren des Buddha in ihrer ganzen Tiefe umsetzen zu können, mit all ihren Aspekten gemäss dem Achtfachen Pfad und den alten Sutren. Die Einsichten und die Weisheit (prajna) des Buddha müssen in gelebtem Mitgefühl münden und sich ganz praktisch im gelebten Alltag bewähren.

Sangha

Sangha bedeutet Gemeinschaft. Natürlich kann man auch alleine praktizieren. Das gemeinsame Praktizieren ist jedoch für die meisten Menschen einerseits eine grosse Hilfe, andererseits auch eine Herausforderung und damit eine gewisse Überprüfung des eigenen Verstehens. Viele egozentrische Kräfte zeigen sich erst in zwischenmenschlichen Beziehungen deutlicher. Fragen der Individualität und Hingabe an eine grössere, gemeinsame Vision werden im Zusammenwirken überdeutlich, wie diese Beispiele zeigen:

  • Suchen wir die Gemeinschaft als Hort der Sicherheit, der Selbstbestätigung, als Ort, an dem unsere tiefen Mangelgefühle behoben und unsere Erwartungen erfüllt werden sollen?

  • Oder erkennen wir die Sangha als Möglichkeit, unsere schwierigen Eigenschaften umwandeln zu lernen und fähig zu werden, unsere förderlichen Qualitäten zum Wohle anderer in die Gemeinschaft einzubringen?

Hier wird der Begriff Sangha also nicht im Sinn der sogenannten Arya-Sangha verstanden, also nicht im Sinne des Dritten Juwels als "edle Gemeinschaft" derer, die in allen Jahrhunderten die geistige Freiheit erlangt haben. Hier verstehen wir Sangha als die Gemeinschaft der hier und heute miteinander Praktizierenden. Und diese Gemeinschaften und Praktizierenden sind wohl allesamt mehr oder weniger unvollkommen. Das schmälert ihren Wert als "hilfreiches Mittel" jedoch keineswegs - gerade deswegen erweisen sie sich vielmehr als ideale Übungsfelder.

Dennoch hat natürlich auch die Arya-Sangha eine wichtige Funktion für uns. Sie ist der Nordstern, die Vision. Buddha als der Erwachte oder als Potenzial des Erwachens in uns selber ist für uns somit ein idealisiertes Vorbild. Idealisiert deshalb, weil er die Möglichkeit des vollkommenen Erwachens repräsentiert. Und auch die grossen Meisterinnen und Meister der Gegenwart wie der vorangegangenen Zeiten sind eine lebendige Inspiration und Quelle der Orientierung und der Kraft für die Praxis.

Sati-Zen-Sangha bedeutet also kurz gesagt Zen-Gemeinschaft der Achtsamkeit. Die Praxis der Sati-Zen-Sangha orientiert sich an den Neun Pfeilern der Sati-Zen-Sangha.