Schopenhauer-Philosophie

Arthur Schopenhauer :

Die erschreckende Gewissheit des Todes
als Ursprung der Philosophie

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer
1788-1860

Der Tod ist der eigentliche inspirierende Genius der Philosophie.

Mit dieser Feststellung eröffnete Arthur Schopenhauer das berühmte Kapitel (41) Ueber den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich (im 2. Band seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung). So wurde schon in alter Zeit die erschreckende Gewissheit des Todes für die Menschen der Anlass, sich mit philosophischen Fragen auseinanderzusetzen.

Schwerlich, meinte Schopenhauer im oben genannten Kapitel, würde, auch ohne den Tod, philosophirt werden. Daher wird es ganz in Ordnung seyn, daß eine spezielle Betrachtung desselben hier an der Spitze des letzten, ernstesten und wichtigsten unserer Bücher ihre Stelle erhalte. Somit hat dieses Kapitel, aus dem im folgenden zitiert wird, für die Philosophie Arthur Schopenhauers ganz besondere Bedeutung:

„ Beim Menschen fand sich, mit der Vernunft, nothwendig die erschreckende Gewißheit des Todes ein. Wie aber durchgängig in der Natur jedem Uebel ein Heilmittel, oder wenigstens ein Ersatz beigegeben ist; so verhilft die selbe Reflexion, welche die Erkenntniß des Todes herbeiführte, auch zu metaphysischen Ansichten, die darüber trösten [...]. Hauptsächlich auf diesen Zweck sind alle Religionen und philosophischen Systeme gerichtet, sind also zunächst das von der reflektirenden Vernunft aus eigenen Mittelnhervorgebrachte Gegengift der Gewißheit des Todes.

Der Grad jedoch, in welchem sie diesen Zweck erreichen, ist sehr verschieden, und allerdings wird eine Religion oder Philosophie viel mehr, als die andere, den Menschen befähigen, ruhigen Blickes dem Tod ins Angesicht zu sehen. Brahmanismus und Buddhaismus, die den Menschen lehren, sich als das Urwesen selbst, das Brahm, zu betrachten, welchem alles Entstehen und Vergehen wesentlich fremd ist, werden darin viel mehr leisten, als solche, welche ihn aus nichts gemacht seyn und seine, von einem Andern empfangene Existenz wirklich mit der Geburt anfangen lassen. Dem entsprechend finden wir in Indien eine Zuversicht und eine Verachtung des Todes, von der man in Europa keinen Begriff hat.

Es ist in der That eine bedenkliche Sache, dem Menschen in dieser wichtigen Hinsicht schwache und unhaltbare Begriffe durch frühes Einprägen aufzuzwingen, und ihn dadurch zur Aufnahme der richtigeren und standhaltenden auf immer unfähig zu machen. Z. B. ihn lehren, daß er erst kürzlich aus Nichts geworden, folglich eine Ewigkeit hindurch Nichts gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Andern, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle. Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehen, und geht dadurch des Trostes verlustig, den auch ihm die Natur, zum Ersatz für die Gewißheit des Todes, bestimmt hatte. [...]

Nach Allem inzwischen, was über den Tod gelehrt worden, ist nicht zu leugnen, daß, wenigstens in Europa, die Meinung der Menschen, ja oft sogar des selben Individuums, gar häufig von Neuem hin und her schwankt zwischen der Auffassung des Todes als absoluter Vernichtung und der Annahme, daß wir gleichsam mit Haut und Haar unsterblich seien. Beides ist gleich falsch: allein wir haben nicht sowohl eine richtige Mitte zu treffen, als vielmehr den höhern Gesichtspunkt zu gewinnen, von welchem aus solche Ansichten von selbst wegfallen.

Ich will, bei diesen Betrachtungen, zuvörderst vom ganz empirischen Standpunkt ausgehen. - Da liegt uns zunächst die unleugbare Thatsache vor, daß, dem natürlichen Bewußtseyn gemäß, der Mensch nicht bloß für seine Person den Tod mehr als alles Andere fürchtet, sondern auch über den der Seinigen heftig weint, und zwar offenbar nicht egoistisch über seinen eigenen Verlust, sondern aus Mitleid, über das große Unglück, das Jene betroffen; daher er auch Den, welcher in solchem Falle nicht weint und keine Betrübniß zeigt, als hartherzig und lieblos tadelt. Diesem geht parallel, daß die Rachsucht, in ihren höchsten Graden, den Tod des Gegners sucht, als das größte Uebel, das sich verhängen läßt. -

Meinungen wechseln nach Zeit und Ort: aber die Stimme der Natur bleibt sich stets und überall gleich, ist daher vor Allem zu beachten. Sie scheint nun hier deutlich auszusagen, daß der Tod ein großes Uebel sei. In der Sprache der Natur bedeutet Tod Vernichtung. Und daß es mit dem Tode Ernst sei, ließe sich schon daraus abnehmen, daß es mit dem Leben wie es Jeder weiß, kein Spaaß ist. Wir müssen wohl nichts Besseres, als diese Beiden, werth seyn.“

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