Schopenhauer-Aphorismen

Arthur Schopenhauer : Aphorismen zur Lebensweisheit

- ausgewählt von Heidemarie Becker

In seinem sehr empfehlenswerten Buch über Arthur Schopenhauer und dessen Philosophie schrieb der Philosoph Heinrich Hasse:

Die Rechenschaft über die Grundbedingungen des menschlichen Glückes, welche Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit zu geben sucht, zeigt den Denker als Kenner der Menschen und als Kritiker menschlicher Vorurteile in voller Größe ...

So stark auch die Individualität des Autors in diesen Betrachtungen mit ihrer persönlichen Klangfarbe hineinschwingt, so überindividuell ist doch die Bedeutung, die ihnen verbleibt. Dahin gehört die Entlarvung der Scheingüter und der Scheinautoritäten, welche unter den Menschen in Geltung stehen ...

Von klarem Wirklichkeitssinn erfüllt, gibt diese "Lebensweisheit" Einblicke in die Zusammenhänge menschlicher Existenz, welche einen unvergänglichen Beitrag zur Deutung derselben darstellen ...

Stilistisch zeigt sich Schopenhauer in den Aphorismen zur Lebensweisheit in vollendeter Meisterschaft. Der Klarheit und Treffsicherheit seiner Gedanken und der klassischen Ursprünglichkeit seiner Urteile entspricht eine sprachliche Fassung derselben, die in ihrer schlichten Prägnanz und inneren Notwendigkeit einzig dasteht.

Heinrich Hasse, Schopenhauer , München 1926, S. 402 f.

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer
1788-1860

Die folgenden Aphorismen wurden von Heidemarie Becker (Redaktion des Arthur-Schopenhauer-Studienkreises und des Arbeitskreises " Schopenhauer und Buddhismus" ) aus Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VIII, Parerga und Paralipomena I, Aphorismen zur Lebensweisheit, Zürich 1977, ausgewählt:

"Um durch die Welt zu kommen, ist es zweckmäßig, einen großen Vorrath von Vorsicht und Nachsicht mitzunehmen: durch erstere wird man vor Schaden und Verlust, durch letztere vor Streit und Händel geschützt.

Wer unter Menschen zu leben hat, darf keine Individualität, sofern sie doch ein Mal von der Natur gesetzt und gegeben ist, unbedingt verwerfen; auch nicht die schlechteste, erbärmlichste, oder lächerlichste. Er hat sie vielmehr zu nehmen, als ein Unabänderliches, welches, in Folge eines ewigen und metaphysischen Princips, so seyn muß, wie es ist, und in argen Fällen soll er denken: ´es muß auch solche Käuze geben.` ...

Darum also müssen wir, um unter Menschen leben zu können, Jeden, mit seiner gegebenen Individualität, wie immer sie auch ausgefallen seyn mag, bestehn und gelten lassen, und dürfen bloß darauf bedacht seyn, sie so, wie ihre Art und Beschaffenheit es zuläßt, zu benutzen; aber weder auf ihre Aenderung hoffen, noch sie, wie sie ist, schlechthin verdammen. Dies ist der wahre Sinn des Spruches: ´ leben und leben lassen.`"

Schopenhauer , a. a. O., S. 484 f.

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"Für sein Thun und Lassen darf man keinen Andern zum Muster nehmen; weil Lage, Umstände, Verhältnisse nie die gleichen sind, und weil die Verschiedenheit des Charakters auch der Handlung einen verschiedenen Anstrich giebt... Wenn zwei dasselbe tun, ist es nicht dasselbe.

Man muß, nach reiflicher Ueberlegung und scharfem Nachdenken, seinem eigenen Charakter gemäß handeln. Also auch im Praktischen ist Originalität unerläßlich: sonst paßt was man thut nicht zu Dem, was man ist.

Man bestreite keines Menschen Meinung; sondern bedenke, daß wenn man alle Absurditäten, die er glaubt, ihm ausreden wollte, man Methusalems Alter erreichen könnte, ohne damit fertig zu werden. ...

Wenn die Absurditäten eines Gesprächs, welches wir anzuhören im Falle sind, anfangen uns zu ärgern, müssen wir uns denken, es wäre eine Komödienscene zwischen zwei Narren ...

Wer auf die Welt gekommen ist, sie ernstlich und in den wichtigsten Dingen zu belehren, der kann von Glück sagen, wenn er mit heiler Haut davon kommt."

Schopenhauer , a. a. O., S. 505.

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"Es ist im Leben wie im Schachspiel: Wir entwerfen einen Plan: dieser bleibt jedoch bedingt durch Das, was im Schachspiel dem Gegner, im Leben dem Schicksal, zu thun belieben wird. Die Modifikationen, welche hiedurch unser Plan erleidet, sind meistens so groß, daß er in der Ausführung kaum noch an einigen Grundzügen zu erkennen ist."

Schopenhauer , a. a. O., S. 510.

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"Wenn wir jung sind, vermeinen wir, daß die in unserem Lebenslauf wichtigen und folgenreichen Begebenheiten und Personen mit Pauken und Trompeten auftreten werden: im Alter zeigt jedoch die retrospektive Betrachtung, daß sie alle ganz still, durch die Hinterthür, und fast unbeachtet, hereingeschlichen sind.

Man kann ferner ... das Leben mit einem gestickten Stoffe vergleichen, von welchem jeder in der ersten Hälfte seiner Zeit die rechte, in der zweiten aber die Kehrseite zu sehn bekäme: letztere ist nicht so schön, aber lehrreicher; weil sie den Zusammenhang der Fäden erkennen läßt."

Schopenhauer , a. a. O., S. 524.

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"Bei einem unglücklichen Ereigniß, welches bereits eingetreten, also nicht mehr zu ändern ist, soll man sich nicht ein Mal den Gedanken, daß dem anders seyn könnte, noch weniger den, wodurch es hätte abgewendet werden können, erlauben: denn gerade er steigert den Schmerz ins Unerträgliche."

Schopenhauer , a. a. O., S 472.

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" Was ... uns am unmittelbarsten beglückt, ist die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst. Wer eben fröhlich ist, hat allemal Ursache es zu seyn: nämlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist.

Einer sei jung, schön, reich und geehrt; so frägt sich, wenn man sein Glück beurtheilen will, ob er dabei heiter sei: ist er hingegen heiter; so ist es einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder pucklig, arm oder reich sei; er ist glücklich.

In früher Jugend machte ich ein Mal ein altes Buch auf, und da stand: ´Wer viel lacht ist glücklich, und wer viel weint ist unglücklich`, - eine sehr einfältige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit doch nicht habe vergessen können, so sehr sie auch der Superlativ eines ... [Gemeinplatzes] ist.

Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wann immer sie sich einstellt, Thür und Thor öffnen: denn sie kommt nie zur unrechten Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten, indem wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht Ursache haben, zufrieden zu seyn; oder auch, weil wir fürchten, in unsern ernsthaften Ueberlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestört zu werden: allein was wir durch diese bessern ist sehr ungewiß; hingegen ist Heiterkeit unmittelbarer Gewinn."

Schopenhauer, a. a. O. S. 354.

Weiteres zu

Arthur Schopenhauers Aphorismen (Einführung) > hier

Schopenhauer-Zitate (zum großen Teil aus seinen Aphorismen) > hier