Ahimsa

Buddhismus und Jainismus - die Religionen der Ahimsa

Auszug aus dem Beitrag von Herbert Becker , Berlin , zuerst veröffentlicht in: Zurück zur Natur-Religion? : Wege zur Ehrfurcht vor allem Leben /Holger Schleip (Hrsg.). - Freiburg im Breisgau : Bauer 1986, S. 178-202,

und danach in: BODHI BAUM ,
Zeitschrift für Buddhismus, 12. Jg. (1987), Nr. 4/5, S. 79-90.

Ahimsa : Kuh

Als Symbol für die Ahimsa kann die Kuh gelten,
die in Indien unter besonderem Schutz steht.

Die Ahimsa und ihre geistigen Wurzeln

Die Tore zum höchsten Heil, zur Erlösung, stehen nach der Lehre des Buddha und der Religion der Jainas nur dem offen, der innerlich geläutert, der reinen Herzens ist. Von einem solchen geläuterten Menschen sagte Buddha:

Lebendiges zu töten hat er verworfen,
Lebendiges zu töten liegt ihm fern:
ohne Stock und ohne Schwert, voll Mitgefühl,
hegt er zu allen Wesen Liebe und Mitleid.

Diese Worte lassen etwas ahnen von dem, was seit mehr als 2500 Jahren die indische Religionsgeschichte nachhaltig beeinflußt: die Ahimsa. Obwohl das Sanskritwort Ahimsa oft mit Gewaltlosigkeit oder Nichtverletzen übersetzt wird, beinhaltet es weit mehr als nur den Verzicht auf Gewalt oder das bloße Unterlassen von schädigenden Handlungen. Es bedeutet - wie das obige Zitat zeigt - vor allem eine geistige Haltung, eine positive, ja liebevolle Gesinnung allem Leben gegenüber.

Das Gebot der Ahimsa ist tief in der indischen Religionsgeschichte verwurzelt. Seine Ursprünge sind weit älter als der Buddhismus. Vor etwa 3000 Jahren bestimmten zwei große religiöse Strömungen das geistige und kulturelle Leben in Indien:

Auf der einen Seite war der Brahmanismus, eine mächtige Priesterreligion, die auf dem Glauben an heilige Schriften (Veden),auf Riten und Zeremonien mit zahllosen blutigen Tieropfern beruhte.

Hierbei hatte die soziale Aufteilung der Menschen in Kasten eine besonders wichtige und zunehmende Bedeutung, denn sie wurde von Priestern - nicht zuletzt aus eigenem Interesse - durch die heiligen Schriften begründet, also religiös motiviert und damit legitimiert.

Andererseits gab es aber schon damals immer wieder Menschen, welche die Kastenordnung ablehnten und die religiöse Wahrheit nicht bei Priestern, nicht in Tempeln, nicht in heiligen Schriften, nicht durch Riten und Zeremonien suchten. Diese religiös Suchenden wußten, daß sie die erlösende Wahrheit nur in sich selber finden konnten und beschritten dazu einen Weg, den die Mystiker aller Zeiten und Kulturen gegangen sind, den Weg der geistig-sittlichen Läuterung. Einsamkeit, Rückzug in die Natur, Askese waren die äußeren Kennzeichen ihres Lebens.

Aus dieser religiösen Asketenbewegung entwickelten sich Jainismus und Buddhismus, die zu den ältesten Religionen der Welt gehören. Hierbei sind zwei Persönlichkeiten von überragender Bedeutung, die beide etwa im 6. Jahrhundert v. Chr. im nördlichen Indien lebten und wirkten: Mahavira und Buddha.

Jedoch im Unterschied zum Buddha gründete Mahavira keine neue Religion, sondern erneuerte eine schon seit langer Zeit bestehende Religion, den Jainismus, und trug hierdurch wesentlich dazu bei, daß der Jainismus im alten Indien zeitweise erhebliche Bedeutung erlangte.

Aus der historischen Tatsache, daß Jainismus und Buddhismus den gleichen Wurzeln entstammen und sich seitdem im Laufe der Jahrtausende wechselseitig stark beeinflußt haben, erklären sich ihre vielen Gemeinsamkeiten.

Eine besonders große Ubereinstimmung zwischen beiden Religionen besteht in ihrer Ethik. So ist bei ihnen die erste und wichtigste ethische Verhaltensregel, möglichst kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen, was im Gegensatz zum Brahmanismus auch die Opferung von Tieren zu religiösen Zwecken ausschließt. Mahavira und Buddha waren sich einig in der entschiedenen und kompromißlosen Ablehnung jeglicher Tieropfer.

Da nach ihrer Ethik grundsätzlich alles Leben, also nicht nur das menschliche, zu schützen und zu achten ist, unterscheiden sich hierin Buddhismus und Jainismus wesentlich von den in unserem Kulturbereich vorherrschenden Religionen. Selbst kleinste Lebewesen werden als gleichberechtigt, wenn auch nicht als gleich hoch entwickelt anerkannt. Jainas und Buddhisten sehen im Tier den Bruder des Menschen, mit dem sie durch Karma und Wiedergeburt zu einer untrennbaren Schicksalsgemeinschaft verbunden sind.

Weiteres zur Ahimsa

> Vegetarismus und Tierschutz in der Jaina - Religion