Genetik und Evolutionslehre sind im Biologieunterricht oft sehr theorielastig. Eigenständige, unmittelbare Naturbeobachtung sind in diesen Gebieten nicht so leicht zu gewinnen. Beim Lernen kommt es deshalb schnell so weit, dass Gedanken nicht an beobachtbaren Phänomenen gebildet werden, sondern einfach rezipiert und gelernt werden.
Für die mendelschen Regeln gibt es zwar einfache, anschauliche Beispiele, die in ihrer Klarheit dem Gebiet zudem einen mathematischen Touch geben. Die Erbsenversuche von Mendel sind deshalb beliebte Unterrichtsbeispiele. Es entsteht leicht der Eindruck, dass eigentlich alles klar und einfach ist.
In Wirkklichkleit sind die Dinge aber sehr verwickelt und ausserordentlich kompliziert. Dies ist auch Mendel klar geworden, als er seine Erkenntnisse auf die Habichtskräuter ausdehnen wollte (Korrespondenz mit dem Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli).
Im Genetikunterricht wird dies dann auch schnell klar. Ein Blick in die Medizin genügt. Es gibt zwar bestimmte Krankheiten, die auf einzelne defekte Gene zurückgeführt werden können und sich deshalb nach den einfachen mendeleschen Regeln vererben (z.B. Bluterkrankheit u.a.). Für die meisten Krankheiten trifft dies aber nicht zu: Hier gibt es nur noch statistischen Zusammenhänge und Wahrscheinlichkeiten.
Die Planzen- und Tierzucht bietet nun Beobachtungsfelder, die etwas von der Komplexität von Vererbung und Typenbildung zeigen und deutlich machen wie Evolution und Vererbung zusammenwirken.
Ein solches, einfaches leicht beobachtbares Beispiel sind die Haselnüsse. Sie stehen in fast jedem Garten, sind als Wildsträucher in den Wäldern weit verbreitet und als Zier- und Nutzsträucher Bestandteil der meisten Gärten. Haselnüsse haben unsere Kultur seit Anbeginn begleitet. Sie haben unseren Speisezettel seit jeher auf äusserst wertvolle Art ergänzt.
Die Nüsse sind zwischen Sommer und Herbst leicht zu ernten. Die Zuchtsorten unterscheiden sich in Form, Farbe, Struktur, Kern stark voneinander. Es werden keine ausgeklügelten Untersuchungsmethoden benötigt, um dies zu bemerken. Die richtige Jahreszeit und eine gute Beobachtungsgabe sind das Ausschlaggebende.
Am Beispiel der Haselnüsse könnten nebenden genetischen auch viele botanische, ökologische ja sogar gesundheitliche, medizinische und technische Themen behandelt werden.
Verhältnis von Wildformen zu Zuchtformen (genetisch)
Selektion durch den Menschen (genetisch)
Schädlinge der Zuchtformen (ökologisch und genetisch)
Rückkreuzungen (genetisch)
Vegetative und generative Vermehrung (botanisch, genetisch)
Blütenmorphologie (botanisch)
Formen der Haselnusspflanzen (Gattung Corylus) weltweit (botanisch)
Bedeutung für diverse Tiere (Vögel, Mäuse, Insekten etc.) (ökologisch)
Bedeutung als Nahrungsmittel (gesundheitlich medizinisch)
Haselnusspollen und Haselnüsse als Allergene (medizinisch)
Nutzung der Nüsse zur Ölgewinnung, (technisch, Verarbeitung)
Der Bochumer Botanische Verein hat 2016 eine Mongrafie zur Haselnuss herausgegeben. Darin werden botanische, ökologische und kulturelle Aspekte der Haselnuss dargestellt. Wer sich vertieft mit Haselnüssen auseinandersetzen möchte, sei dieser Artikel empfohlen.
Beim vorliegenden Unterrichtsprojekt geht es um die Vielfalt der verschiedenen Haselnusssorten, die man in Gärten finden kann. Daran sollen sich direkt einige ökologische und genetische Fragen behandelt werden:
Die vorgestellten Beispiel stammt aus den Gärten der Siedlung Lolibach in Duggingen.
Diese Vielfalt ist wohl bei der Anlage des Gartens zufällig zustandegekommen. Kaum jemand war sich damals wohl überhaupt bewusst, dass verschiedene Haselnusssorten mit sehr verschiedenen Nussformen angepflanzt worden sind, da Haselnüsse gemeinhin als Wildpflanzen gelten.
Die Vielfalt ist interessant und auch ohne grosse fachliche Fähigkeiten zu bemerken. Da sich Haselnusspflanzen über Nüsse auch leicht vermehren, trifft man auch Pflanzen an, die Wildformen gleichen und kleine unauffällige Nüsse haben.
Vergleiche zwischen Wildsorten und Zuchtsorten drängen sich auf und könnten auch praktisch durchgeführt werden.
Haselnüsse eignen sich besonders gut, da sie überall vorkommen, stabil sind, leicht gesammelt und untersucht werden können.
Fragen, die gestellt und von den Schülern beantwortet werden können:
Welche Vielfalt an Zuchtformen der Haselnuss gibt es?
Sind Sie in der Lage selbst gefundene Nüsse bekannten Zuchtformen zuzuordnen?
Wie gehen sie vor, wenn sie diese in ihrem Garten haben möchten: Setzen Sie eine Nuss oder nehmen Sie einen Zweig ihres Wunschstrauches mit?
Was geschieht, wenn eine Nuss einer Zuchtsorte keimt und ein neuer Strauch heranwächst? Was erwarten Sie dann für Nussformen?
Was würden Sie tun, wenn sie Selbst eine Ihre "Supernuss" züchten möchten?
Welche Merkmale sind für eine Haselnusssorte entscheidend und deshalb bei der Bestimmung besonders zu beachten?
Welche Merkmale sind eher zufällig?
Wieso sind die wilden Nüsse meist kleiner als die Zuchtsorten?
Was sind die Anforderungen an eine erfolgreiche Wildform?
Wieso verwildern die Zuchtsorten in der Regel nicht?
Gibt es in ihrer Umgebung Haselnüsse, die vermutlich aus einer Rückkreuzung entstanden sind? Wie kommen Sie zu Ihrer Einschätzung?