Die perfekte Konjugation

Was sind eigentlich Verbalpräfixe?

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Verbalaffixe im Ungarischen sind meistens Adverbien, die eine Tätigkeit so stark auszeichnen, daß sie zum Verb gehörig betrachtet werden:

Kiveszem a mesekönyvet a csomagból és felteszem a polcra Ich nehme das Märchenbuch aus dem Paket heraus, und stelle es auf das Regal.

mesekönyv

Trotz ihrer Bezeichnung können diese Vorsilben auch als Postpositionen vorkommen, wenn sie nach ganz bestimmten Regeln von ihrem Verb abgetrennt werden:Miért tetted el a mesekönyvet? Warum hast du das Märchenbuch weggeräumt?

Einige Verbalaffixe können auch als eigenständige Adverbien agieren:Nem tettem el, csak fenn van a könyvespolcon Ich habe es nicht weggeräumt, es steht nur oben auf dem Bücherregal.

Bedingt durch diese funktionale Abstammung gibt es im Ungarischen, im Gegensatz zum Deutschen etwa, eine schier unübersehbare Anzahl an Verbalaffixen. Die wichtigsten davon findet man als „Agglutinierende Bausteine der ungarischen Sprache” wieder.

Die geografische Funktion

Verbalaffixe werden meist im Sinne ihrer alten adverbialen Bedeutung benutzt, um einer Tätigkeit eine Richtung oder einen Ort, usw. zuzuweisen. Ein so in seiner Aussage geändertes Verb kann auf Deutsch oft wortwörtlich wiedergegeben werden:

Leírod ezt a mesét? Schreibst du dieses Märchen ab?

Auch bei der Bildung abstrakterer Begriffe wird oft eine ähnliche Logik befolgt wie im Deutschen:

A szerző aláírta a mesekönyvet Der Autor hatte das Märchenbuch signiert (unterschrieben).

Andere, im Deutschen anders gebildete Wortschöpfungen kann man durchaus noch mit Hilfe der Richtungsangaben nachvollziehen:

Kiír egy mesét a mesekönyvből Er (oder sie) schreibt ein Märchen aus dem Buch ab (ki = heraus).

Fokussierung

Eine Übereinstimmung zwischen der Richtung des Verbalpräfixes und der Kasusendung wie im letzten Beispiel kann bisweilen zur formalen Gleichheit dieser Affixe führen:

Beleírom a nevem a mesekönyvbe Ich schreibe meinen Namen ins Märchenbuch (hinein).

Es muß aber nicht immer so sein, weil das Ungarische es ja sehr genau mit dem Ort des Geschehens, das heißt dem Fokus einer Aussage nimmt:

A mesében az ifjú király gyakran kijárt vadászni az erdőbe Im Märchen ging der junge König oft in den Wald (hinaus), um zu jagen.

Diese Aussage bezieht sich auf die gewöhnliche Umgebung des Königs, zum Beispiel seine Burg. Würde sie aber von jemandem am Rande eines Walds getroffen, müsste es heißen:

Bement az erdőbe vadászni Er ging in den Wald (hinein), um zu jagen.

Die abgeschlossene Handlung

Eine kleine Änderung des Affixes im letzten Beispiel, und schon lautet seine Übersetzung ganz anders:

Elment az erdőbe vadászni Er ist in den Wald gegangen (ging weg), um zu jagen.

Die Vorsilbe el- ändert also hier den Tempus des Verbs zum Perfektum, obwohl es im Original weiter im Präteritum bleibt. Im Deutschen wird die Abgeschlossenheit einer Handlung – mittels eines eigenen Tempus – oft nur noch in der Vergangenheit betont, obschon es auch für die Zukunft möglich ist: er wird gegangen sein.

Es gibt aber auch im Deutschen Verbalpräfixe, die eine ähnliche, mehr oder minder ausgeprägte perfektive Wirkung haben: es sind die unbetonten, nicht abtrennbaren Vorsilben wie be-, ent-, zer-, usw. So ist zum Beispiel das, was man verschreibt, auf jeden Fall geschrieben, also vollendet, unabhängig davon, wann es geschieht.

Im Ungarischen gilt dies für die Affixe be-, el-, ki- und le-, und zwar meistens dann, wenn die ursprüngliche Richtung keinen Sinn ergibt:

Nem jó, ha elírnak egy mesét Es ist nicht gut, wenn man sich bei einem Märchen verschreibt.

Eine eigene „Konjugation”

Das Ungarische geht jedoch einen – konsequenten – Schritt weiter. Es gibt nämlich ein Verbalaffix, das keine andere Aufgabe mehr hat, als das Perfektiv zu markieren (diese Funktion wird etymologisch begründet [.hun]): megír (zu Ende) schreiben.

Seine Verwendung macht so aus jedem Tempus eine perfekte Zeit*:

Eine Tätigkeit, die im Präsens beginnt, kann natürlich ihre Vollendung erst in der Zukunft erfahren. So ist die Form megírod eigentlich ein unmittelbares Futur, das zum Beispiel im Englischen mit „you are going to write” oder im Französischen mit „tu vas écrire” richtig wiedergegeben werden würde.

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* Anmerkung:

Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum es im Ungarischen außer Futur keine zusammengesetzte Tempora mehr gibt. Über die Herkunft dieses Systems von Verbalaffixen wird man etwas in „Lingua Hungarorum – Die Sprache der Ungarn” erfahren können.

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