Ein Werkzeug zum Hervorheben

Bei Eigenschaftswörtern

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– Mondd meg nékem, kis tükröm:

ki a legszebb a földön?

– Úrnőm, nincs a világnak

szebb asszonya tenálad.

»Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land?«

»Frau Königin, ihr seid die schönste im Land.«

Die böse Königin

Aus dem Märchen wissen wir, dass die Stiefmutter von Schneewittchen eine schöne Frau gewesen sei, also „szép asszony volt”, was der Spiegel eigentlich immer bestätigt hatte (obwohl später anscheinend nicht im genügenden Maße…). Die unterstrichenen Wörter stellen – in umgekehrter Reihenfolge – die Steigerungsmöglichkeiten eines Adjektivs dar: schön, schöner, am schönsten. (Man beachte, dass der Übergang p → b an sich einen Sonderfall darstellt!)

Eine Eigenschaft wird eigentlich dann gesteigert, wenn man einen Vergleich mit etwas vornehmen möchte, das qualitativ weniger gut ist. So ist szebb (schöner) natürlich besser als szép (schön), und legszebb (am schönsten) ist das beste unter all denen, die schon schöner sind als zum Beispiel der Durchschnitt. Aber nichtsdestoweniger antworten die gesteigerten Adjektive immer noch auf die selbe Frage wie ihre Grundstufe: „milyen?”, das heißt „wie ist er/sie/es?”.

Aber was passiert dann, wenn wir etwas zweckmäßiges unter qualitativ gleichwertigen Dingen auswählen möchten? Oder anders gefragt, wie kriegt die böse Königin Schneewittchen dazu, unter lauter (schönen) Äpfeln den einen auszuwählen, den sie unbedingt sollte? In der ungarischen Version des Märchens (.hun) wird das viel präziser beschrieben, als im Original:

„Kosarat vett a karjára, telerakta almával, legtetejére rátette a legszebbiket, a mérgezettet…” Sie nahm einen Korb, stopfte ihn voll mit Äpfeln, wobei sie den schönsten, [das heißt] den giftigen, zuoberst daraufgelegt hatte.

Ob das unterstrichene Wort immer noch auf eine Frage mit „wie” antwortet? Es ist eine Besonderheit der ungarischen Fragewörter, dass sie – hilfsbereit wie sie sind – die erforderliche Endung ihrer möglichen Antwort schon mit angeben, wie z.B. hányan (zu wievielt), miért (warum), kivel (mit wem), usw. Demzufolge muß also ein gesteigertes Adjektiv mit ik-Endung auf eine Frage mit melyik, also „welche(r/s)”, antworten. Auf deutsch würden wir ähnlich nach dem oben liegenden Apfel fragen – bloß ohne die Möglichkeit, die Antwort an das Fragewort anpassen zu können:

Melyik alma van felül a kosárban? A legszebbik, amelyik mérgezett Welcher Apfel liegt oben im Korb? Der schönste, [also] derjenige, der vergiftet ist.

Die ik-Endung hat also im Beispiel die Aufgabe, die Tatsache zu betonen, dass der oberste Apfel auf jeden Fall als der schönste erscheinen soll, unabhängig davon, wie die anderen aussehen mögen.

Mit anderen Worten, das Fragewort „melyik?”, genauso wie jede Antwort darauf, erzwingt eine eindeutige Auswahl, und bestimmt damit sein Objekt. Es ist ja klar, dass von mehreren Objekten das eine (az egyik) nicht dasselbe sein kann, wie das andere (a másik):

Nem mindegy melyik, pedig mindegyik kiválasztható Es ist nicht egal welche(r/s), obwohl jede(r/s) auswählbar ist.

Daraus folgt wie selbstverständlich, dass alle Pronomina mit ik-Endung die objektive Konjugation bedingen.

Im allgemeinen

Die Bienenkönigin

– Mondd meg nékem, kis tükröm:

ki a legszebb a földön?

– Szép vagy, úrnőm, de tudd meg:

Hófehérke százszor szebb.

»Spieglein, Spieglein an der Wand,

wer ist die schönste im ganzen Land?«

»Frau Königin, ihr seid die schönste hier,

aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als ihr.«

Die ik-Endung nennt sich im Ungarischen selbstbezüglich. Die Bedeutung dieser Bezeichnung kann man sich anhand des obigen Beispiels einfach klarmachen. Allem Anschein nach ist die Königin äußerst selbstgefällig. Es ist also nicht schwierig, sich bei ihr einzuschmeicheln. Alles, das wir tun müssen, ist einfach jedes nur erdenkliches (und gesteigertes) Attribut auf sie zu beziehen, dann wird sie sich selber ständig im Mittelpunkt fühlen – praktisch schränken wir damit die Auswahl auf sie ein:

– Úrnőm, ha néked tetszik,

Légy mindig te a szebbik!

»Nun Herrin, ist es euch lieber,

Dann bleibt die Schönste für immer!«

Die Bezeichnung „selbstbezüglich” hat ihren Ursprung darin, dass in der ik-Endung das selbe elementare semantische Suffix k vorkommt, das man auch in denjenigen Suffixen wiederfindet, die zur Bildung von reflexiven* Verben dienen („képző”, vgl. die Liste der ungarischen Grammatikbegriffe [.html.hun]). Wir wissen ja, dass die Königin gonosz, also böse war, vor allem dann, wenn sie mit Schneewittchen gonoszkodott, d.h. boshaft war, in anderen Worten „sich boshaft gebärdet hatte”. Unter anderem hatte sie mal mit einem vergiftetem Kamm ihr Haar gekämmt (fésülte a haját). Wenn Schneewittchen dies selber gemacht hätte, dann hätte es geheißen: fésülködött.

Oder ein anderes Beispiel aus einem anderen Märchen:

„A méhecske meg csak zümmögött, repdesett, sorra rászállt mind a három királykisasszonynak az ajkára, s végül megült annak a szája szögletében, aki mézet evett. Így tudta meg a királyfi, melyik a három közül a legkisebbik királykisasszony.” Da kam die Bienenkönigin von den Bienen …, und versuchte den Mund von allen dreien, zuletzt blieb sie auf dem Mund sitzen, der Honig gegessen hatte, und so erkannte der Königssohn die rechte. (Die Bienenkönigin)

Hierin hat die Tätigkeit, die durch das Verb repdes ausgedrückt wird, einen „häufig wiederholten” Aspekt, den man auch noch in der deutschen Entsprechung spürt: herumschwirren. Es gibt allerdings ein ähnliches Verb, repked, das im Prinzip das selbe ausdrückt, es jedoch um den Hinweis ergänzt, „es von sich aus zu tun”. Das ist so, als würde zum Beispiel ein Schmetterling aus purer Lebensfreude herumschwirren. Damit ist dieses Verb im Ungarischen reflexiv, weil solche Verben dort nicht einfach pronominal sind – wir wissen ja, dass Pronomina sowieso nicht oft mit angegeben werden –, sondern im allgemeinen eine Wirkung auf das ausführende Subjekt haben (übrigens ist diese Auffassung auch im Englischen vorherrschend).

Wie dem auch sei, die Beobachtung aus dem „Erfolgserlebnis”, dass es im Ungarischen mindestens so viele „Zeiten” für Verben gäbe, als Kasus für die Hauptwörter, scheint sich zu bewahrheiten. Die einzige Klarstellung, der diese Aussage bedarf, ist, dass es sich hierbei tatsächlich um verschiedene Aspekte ein und derselben Tätigkeit handelt, die in der Sprache meistens auch akkurat unterschieden werden, auch wenn die Wörterbücher es meistens nicht mehr tun.

Bei Zahlwörtern

Történt ebben az időben, hogy a királynénak eltűnt a legszebbik gyűrűje Nun trug es sich zu, dass gerade an diesem Tage der Königin ihr schönster Ring fort kam (Die weiße Schlange).

Obwohl diese Tat für Aufregung bei Hofe gesorgt hatte, waren einige Verdächtige schnell gefunden worden. Da das Zimmermädchen der Königin den Täter gesehen hatte, konnte bald eine Gegenüberstellung stattfinden. Die Zeugin sollte dabei wie üblich, einfach nur angeben, welcher der aufgestellten Verdächtigen der Täter gewesen sei. Sie hatte daraufhin kurz und bündig gesagt: – A harmadik »Der dritte« (scheinbar hatte sie den Film zuvor nicht gesehen…). Natürlich könnte sie statt der Ordnungszahl auch das Wort hármas benutzen, aber damit würde sie im wahrsten Sinne des Wortes eher die Nummer Drei angeben (siehe hierzu „Die Zahlen – Vokabeln Nr. 1”). Mit der Ordnungszahl wählt sie jedoch eindeutig die Person aus, die sie gesehen zu haben glaubt. Diese imaginäre Szene macht die Logik der Ordinalzahlen nachvollziehbar. Mit Hilfe des d wird zuerst ein „Angebot” aus gleich großen Teilen erstellt (vgl. harmad ein Drittel). Die ik-Endung dient auch hier nur dazu, genau denjenigen Teil hervorzuheben, den wir tatsächlich meinen.

Diese Logik ist teilweise auch im Deutschen noch erkennbar. Hier haben die Ordnungszahlen ähnliche Endungen wie der Superlativ, der im Grunde auch nur eine eindeutige Auswahl ausdrückt. Wenn wir zum Beispiel einen Blick auf das „Fahndungsbild” werfen, dann können wir feststellen:

Der erste in der Reihe ist der kleinste.

Bei den Verben

A favágó nyomban látta a farkason, a rókán meg a nyúlon, hogy valami rosszban törik a fejüket [Da] kamen der Wolf, der Fuchs und das Häslein heran, und der Holzhauer merkte wohl dass sie etwas Böses im Schilde führten. (Der wunderliche Spielmann)

Látom, mindnyájan anyámasszony katonái vagytok; mind féltek, hogy beletörik a fogatok ebbe a kemény dióba! Ich sehe, dass ihr alle zu Weibern geworden seid und keiner den Fuchs beißen will. (Die Eule)

Beim Suffix -ik aus den obigen Beispielen handelt es sich nur im ersten Fall um ein Pronominalsuffix, das jedoch kein ik-Verb, sondern die 3. Person Plural eines normalen Verbs auszeichnet. Im Gegensatz dazu (und zur weitverbreiteten Meinung) ist die eigentliche ik-Endung im zweiten Satz kein Pronominalsuffix, sondern eine Auszeichnung des Verbs, die es zum sogenannten ik-Verb macht.

Das können wir nachvollziehen, wenn wir dieses Suffix im Sinne der obigen Abschnitte als ein Mittel zum Hervorheben interpretieren (vgl. Das Bezugssystem). Der Unterschied zwischen einem normalen und einem ik-Verb in der 3. Person Singular ist einfach folgender: [ő] tör er/sie/es bricht (etwas; objektiv), bzw. [az] törik „der/die/das [dort] bricht” (von alleine; subjektiv), also er/sie/es zerbricht. Im konkreten Beispiel sind das a foguk, d.h. ihre Zähne (auf gut deutsch, sie beißen sich die Zähne aus), und nicht etwa a fejük ihre Köpfe – im Singular wie im zweiten Satz würde es heißen: „töri a fejét”. Diese Unterscheidung drückt wohl nur die Tatsache präzise aus, dass ein jeder seinen Kopf zerbrechen kann, obwohl sein Kopf dabei nicht selber zerbrochen wird…

Diese streng umrissene Aufgabe der ik-Endung entspricht vollends dem agglutinierenden Grundprinzip der Sprache, der vorschreibt, dass jede grammatikalische Begebenheit durch ein bestimmtes Suffix gekennzeichnet werden muß – natürlich unter Berücksichtigung der Vokalharmonie. Mit anderen Worten, jeder Kasus hat ein eigenes Suffix, so zum Beispiel der Akkusativ das -(V)t (mit V=a,e,o,ö), was nicht das selbe ist, wie das Zeichen des Präteritums in der subjektiven Konjugation, nämlich -((O)t)t (mit O=o,e,ö). Hiernach steht in der 3. Person Singular normalerweise das Zeichen als leeres Pronominalsuffix.

Bei den ik-Verben steht jedoch in der 3. Person Singular – und nur hier – die verallgemeinerte ik-Endung -(É)k (mit É=é,i) anstelle der üblichen Pronominalsuffixe (-∅, -A, -Á) (mit A=a,e; Á=á,é). Wie man es zusätzlich aus der Konjugationstabelle der ik-Verben entnehmen kann, wurde die Vergangenheit dieser Verben aus einer heute nicht mehr üblichen Form gebildet. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass diese ik-Form heute nicht mehr geläufig ist (auch den Ungarn nicht mehr!).

Es bleibt also festzuhalten, dass die ik-Endung nicht nur Verben auszeichnen kann, sondern auch andere Wortarten. Ihre semantische Bedeutung ist aber in jedem Fall der Selbstbezug, der sie zum speziellen Werkzeug zum Hervorheben dieses „Selbst” macht.

Hieraus ergeben sich einige interessante Folgerungen, die man kennen sollte, um sicherzustellen, dass man die Funktion dieser allgegenwärtigen ik-Verben richtig versteht, damit man sie später richtig einzusetzen weiß.

    1. Die ik-Verben bildeten nie eine vollständige Konjugation
    2. Genauso wie die Demonstrativpronomina a, az (der/die/das [dort]), haben die ik-Verben ausschließlich in der 3. Person einen Sinn. Damit zeigt man auf irgend etwas, oder auf ihn/sie/es. Wollte man auf die 1. oder 2. Person zeigen, so tut man dies im Ungarischen durch die außergewöhnliche Angabe des entsprechenden Pronomen, das man ja sonst immer wegläßt (vgl. Die vertraute Beziehung). Außerdem ergibt sich aus der Tatsache, dass es keine Form wie *legszebbikek gibt, dass diese Art der Hervorhebung nur im Singular Anwendung findet.
    3. Wenn jedoch der Sinn dieses Suffixes auf eine einzige Person in der Konjugation beschränkt ist, sollte man sich weder beim Lernen, noch beim Sprechen mit den anderen Personen belasten. Dann wird man leichter verstehen können, warum auch Verben, die laut Wörterbücher keine ik-Verben sind, unter bestimmten Umständen auch eine solche Endung bekommen können:
      1. Jöjjék [az], aminek jönnie kell! Komme, was kommen mag!
    4. Für diese Verben gab es keine Spezialsuffixe außer -(É)k
    5. Weil die ik-Verben ein subjektives Bezugssystem bilden, ist es nicht weiter verwunderlich, dass sie ursprünglich in der 2. Person Singular das ebenfalls subjektiv zu deutende Suffix -l aufwiesen. Am Anfang galt dies jedoch auch für die gewöhnliche subjektive Konjugation.
    6. Diese Konjugation, wiederum, benutzt aber auch dessen objektives, d.h. nach „außen” gerichtetes Gegenstück -sz, das unter den mittlerweile vorherrschenden lautlichen Aspekten wie selbständig unter gewissen Umständen den Platz vom -l übernehmen kann, wie zum Beispiel bei gondolkodol → gondolkodsz du überlegst.
    7. Als wir weiter oben gesehen haben, hat die 2. Person überhaupt keinen Einfluß auf die Bedeutung der ik-Endung, so dass man als Lernender sich am besten gar nicht damit befassen sollte.
    8. Bei der ersten Person muß man dagegen schon noch ein Bißchen Acht geben. Wie wir es schon erwähnt haben, ist die Eindeutigkeit der funktionalen Suffixe eine direkte Konsequenz des agglutinierenden Grundprinzips, so dass sie natürlich auch in der Konjugation gilt. Wenn also das Pronominalsuffix der 3. Person Singular auf k endet, wie im Fall einer ik-Endung, dann muß die 1. Person eine andere Kennung haben. Im Ungarischen wird dies mit dem Suffix -m bewerkstelligt, womit ursprünglich sicherlich alles klar gewesen ist.
    9. Mit dem Aufkommen der objektiven Konjugation, die ausgerechnet dieses Suffix für die 1. Person Singular benutzt, hat sich jedoch seine gleichzeitige Verwendung für die ik-Verben als nachteilig erwiesen. Es scheint so, als sei die Sprache heutzutage gerade dabei, die dadurch entstandene Verwirrung zu beseitigen. Dieser Prozeß wird wahrscheinlich dazu führen, das zur Kennzeichnung eines ik-Verbs nur die Suffixe der 3. Person des Indikativ Präsens und des Imperativs, die immer eindeutig zuzuordnen sind, übrigbleiben werden (vgl. Konjugation der Ik-Verben).
    10. Ein ik-Verb ist nicht zwingend intransitiv
    11. Die Transitivität der Verben ist im Gegensatz zum Beispiel zum Englischen zweitrangig, und es existiert daher kein dediziertes sprachliches Mittel, um sie zum Ausdruck zu bringen. Man könnte meinen, dass die objektive Konjugation gerade die Transitivität der Verben betont, aber das ist falsch. So wie ein transitives Verb nicht immer objektiv konjugiert werden muß (zB. Sárkányt repít Er/sie läßt einen Drachen fliegen), so muß auch ein intransitives Verb nicht unbedingt ein ik-Verb sein (zB. Repül a sárkány Der Drache fliegt).
    12. Es ist zwar umgekehrt richtig, dass ein intransitives Verb nicht objektiv konjugiert werden kann, doch deutet die gelegentliche transitive Verwendung von ik-Verben darauf hin, dass die verbreitete Intransivität solcher Verben eher eine Folge des Selbstbezuges ist (allein deswegen muß man sich den autoflexiven Charakter solcher Verben immer vor Augen führen, weil die genauso benannten, aber reflexiven pronominalen Verben im Deutschen immer transitiv sind).
    13. Um dies zu illustrieren, genügt vielleicht ein Beispiel mit alszik schlafen, das wie im Deutschen meist intransitiv ist:
      1. Hófehérke éppen a legszebb álmát alussza, amikor a törpék hazaérnek Schneewittchen schläft gerade „ihren schönsten Schlaf” (= am tiefsten), als die Zwerge nach Hause kommen.
    14. Ein ik-Verb ist nicht nur reflexiv oder medial
    15. Im allgemeinen sind objektive ik-Verben reflexiv, während die subjektiven sinngemäß medial sind. Es gibt aber viele ik-Verben, die in keine dieser Kategorien passen.
    16. Diese drei Verben sind zum Beispiel nicht medial, und sind daher auf jeden Fall objektiv, aber als solche trotzdem nicht reflexiv: mászik kriechen, netezik (im Internet) surfen, játszik spielen.
    17. Es ist auch noch interessant, dass die passive Form des letzten Beispiels, nämlich játszódik (auch spielen), in Siebenbürgen eine eindeutig aktive Bedeutung hat. Es ist demnach so, dass die ik-Verben tatsächlich mehr umfassen, als dies die üblichen, aber eher indoeuropäischen Begriffe, wie intransitiv, reflexiv oder medial beschreiben können.
    18. Die passive Form war schon immer speziell
    19. Die ik-Endung macht (csinál) auch noch Folgendes: wenn jemand etwas machen läßt (csináltat, Faktitiv), dann wird dieses etwas natürlich gemacht (csináltatik, Passiv). Praktisch wird es „veranlaßt, das etwas gemacht wird”, eine passiv-reflexive Konstruktion, die im Deutschen gar nicht möglich ist. Diese eigenständige, weil gesteigerte passive Form ist wegen der ik-Endung notwendigerweise auf die 3. Person Singular beschränkt. Im Plural ist die Form csináltatnak schon nicht mehr passiv, sondern eindeutig aktiv: sie lassen machen.
    20. In Wahrheit stellt also diese seltene passive Form eine unbestimmte, „umgekehrte” Aussage dar, die man heute lieber subjektlos in der 3. Person Plural, oder aber mit einem ähnlichen, aber subjektiven Verb trifft: csinálják man macht, bzw. készül er/sie/es wird gemacht.
    21. Das Verb születik (geboren werden) ist an sich ein Sonderfall. Der Grund, warum seine gesamte Konjugation eine passive Bedeutung tragen kann, liegt darin, dass trotz seiner Entwicklung szül (objektiv) → *szület (objektiv) → születik (subjektiv), das mittlere Verb irgendwann auch eine passive Bedeutung bekam, so dass die zwei Diathesen sich nicht mehr in die Quere kommen konnten.
    22. Die ik-Endung ist auch heute noch aktiv anzuwenden
Die üblichen Verdächtigen
              1. Tükröm, tükröm, mondom néked,
              2. Nem sikerült – s esz a méreg!
              1. Spieglein, Spieglein, wenn's nicht gelingt,
              2. Mich die Wut schon baldig zerfrißt.
    1. Wenn man in diesem Beispiel das Verb enni (essen, fressen) in der gewohnten Form einsetzen würde, wenn man also
      1. »Eszik a méreg!«
    2. sagen würde, dann würde jeder Ungar sofort fragen:
      1. »De mit eszik a méreg?« Aber was frißt die Wut („das Gift”)?
    3. Das wird dadurch verursacht, dass die ik-Endung die durch sie ausgezeichnete Tätigkeit auf den Subjekt anstatt auf das Objekt, wie oben im Beispiel, bezieht. Das Verb ist zwar immer noch transitiv, aber zusammen mit der ik-Endung bedarf es eines expliziten Objekts, das ohne dieses spezielle Suffix durch das implizite Pronomen „mich” gebildet wurde.
    4. Das Verb vadászik (jagen) haben wir schon erwähnt, zum Beispiel hier. Wir wissen auch, dass
      1. A vadat vadásszák Das Wild wird gejagt.
    5. Daher könnte man auch sagen, dass
      1. Valaki vadat vadász Jemand jagt [das] Wild.
    6. Wenn wir aber gleichzeitig verraten möchten, wer eigentlich das Wild jagt, dann müssen wir die ik-Endung heranziehen:
      1. A királyfi vadra vadászik Der Königssohn jagt [das] Wild (macht Jagd auf das Wild).
    7. Wie wir es schon unter „Das Bezugssystem” besprochen haben, wird im letzten Satz zusätzlich zum Objekt der Jagd, das immer noch das Wild (vad) ist – schließlich steht dieses unmittelbar vor dem Verb –, das Subjekt auch extra hervorgehoben, als hätte man nebenbei gefragt, welcher Mensch dies denn tue.

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* Anmerkung:

Der deutsche Begriff „selbstbezüglich” entspricht zwar dem ungarischen Fachbegriff, bezeichnet aber etwas anderes, nämlich die reflexiven Verben, die im Deutschen mittels reflexiver Pronomina gebildet werden. Die machen jedoch im Ungarischen nur eine Teilmenge der viel allgemeiner autoflexiven Wörter aus, die alle selbstbezüglich im Sinne von „selbst anzeigend” sind.

So ist zum Beispiel eszik selbstbezüglich, bedeutet aber nicht „er/sie/es frißt sich”, sondern „der/die/das [da] frißt”!

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