https://sites.google.com/site/juergenkeltsch/verhaltenspsychologisches-training-der-mitarbeiter
Dr. Jürgen Keltsch, München
Verhaltenspsychologisches Training der Mitarbeiter als strategisches Mittel in der freien Marktwirtschaft
Chancen und Risiken, aufgezeigt am Beispiel Scientology
(Erweiterte Fassung des am 17.06.1997 vor dem Bayerischen Verband für Sicherheit in der Wirtschaft e. V. gehaltenen Vortrages)
Einleitung
In der SZ vom 07./08.06.1997 schildert der Journalist H. Munsberg einen bedenklichen Sittenverfall in der gewerblichen Wirtschaft:
Immer rücksichtsloser kämpften Deutschlands Unternehmen um Aufträge und Kunden. Kaum ein Trick werde ausgelassen, um der Konkurrenz zu schaden. Besonders ruppig gehe es im Handel zu. Mit vereinten Kräften versuchten die Branchenverbände, die Kontrahenten zu bändigen. Wettbewerbshüter warnten vor dem Verfall der Sitten. Wettbewerb, so BASF-Chef Jürgen Strube, sei manchmal auch dreckig. Mit seiner Beobachtung stehe der Chemie-Manager keineswegs allein da. Je länger Deutschlands Unternehmen unter der flauen Binnennachfrage litten, desto verbissener würden sie um Marktanteile ringen. Wir bekommen immer mehr Beschwerden, habe Reiner Münker, Hauptgeschäftsführer der Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs in Bad Homburg, geklagt. Der Trend ziehe sich durch alle Branchen. 1996 seien bei der Selbstkontrollorganisation der gewerblichen Wirtschaft rund 21.000 Beschwerden eingegangen. Tendenz steigend. Auffallend sei, dass die Zahl gravierender Eingriffe in den Wettbewerb wachse. Kaum gehemmt Breiteten sich dubiose Gewinnspielaktionen aus, die zum Kauf verführen sollten. Verstöße gegen Irreführungsverbot, Rabattgesetz, Räumungsverkaufsrecht oder Zugabeverordnung seien an der Tagesordnung. Setze sich das fort, habe Münker gewarnt, drohe die Aufweichung des bisherigen Schutzsystems des lauteren Wettbewerbs. Besonders den Handel habe er ermahnt, sich im eigenen Interesse wie auch im Interesse der Verbraucher auf die Grundsätze eines fairen Wettbewerbs zu besinnen. Der Bundesverband des Unterhaltungs- und Kommunikationselektronik-Einzelhandels (BVU) spreche mit Blick auf die eigene Branche von Kannibalismus. Statt sich über Leistungswettbewerb zu profilierten,` begegneten sich die Kontrahenten zunehmend im Schlagaustausch von Wettbewerbsprozessen. Doch nicht nur im Handel seien die Umgangsformen rauer geworden. Oskar Pack, Unternehmensberater aus Euskirchen, in seinem Buch "25 schmutzige Tricks der Konkurrenz": Es finde ein unglaubliches Hauen und Stechen statt. So werde bei Verkaufsgesprächen genüsslich auf Reklamationsfälle bei der Konkurrenz hingewiesen. Anonyme Anrufe, etwa beim Finanzamt, gehörten längst zum Geschäft gerne auch Briefe ohne Absender. Gezielt würden schon mal Konkursgerüchte gestreut. Zum Repertoire zähle auch, was Pack Durchtrennen wichtiger Lebensadern nenne: Um dem Konkurrenten zu schaden, werde die gemeinsame Hausbank aufgefordert, ihm alle Kredite zu kündigen - untermauert mit der Drohung, andernfalls die eigenen Kontoverbindungen aufzulösen. Und: Systematisch würden Mitarbeiter aus Schlüsselpositionen abgeworben. Für besonders schäbig halte Pack Trick Nr. 25: die Scientology Verleumdung.
Diese Bestandsaufnahme über die Moral in unserer Wirtschaft ist alarmierend. Ein Abhilferezept weiß Munsberg nicht. Als einzigen Grund für den Verfall der wirtschaftlichen Sitten nennt er die schwache Konjunktur. Den Kenner der Materie beschleichen Zweifel, ob dies der eigentliche Grund der Misere ist. Denn er weiß, dass unabhängig von der heute schwachen Konjunktur der Wettbewerb seit Jahren immer härter geworden ist und immer mehr Züge einer mitunter kriegsähnlichen Auseinandersetzung angenommen hat. In einem Krieg bekämpft man aber den Gegner mit List und Tücke oder versucht, ihn ein für allemal auszurotten. Die Aufforderung der UNO an Kriegsführende Parteien, die Fairnessregeln, die im Völkerrecht niedergelegt sind, einzuhalten, scheitern bekanntlich häufig. Bedrückend ist die Vorstellung, dass unsere Wettbewerbshüter sich trotz unserer staatlichen Kontrollmöglichkeiten und Rechtsschutzgarantien heute in einer ähnlichen Situation befinden könnten, wenn sie zur Einhaltung der Wettbewerbsregeln auffordern. Meine provokante These lautet, dass die Parallele zwischen gewerblichem Wettbewerb und kriegerischer Auseinandersetzung nicht zufällig ist. Dies will ich zu beweisen versuchen.
Das Wirtschaften als Grundlage des menschlichen Überlebens ist wohl die wichtigste, aber heute zur problematischsten Kulturleistung der Menschheit geworden, seit wir wissen, dass wir mit unserem Wirtschaften die Grundlagen unserer Existenz anzugreifen begonnen haben: verseuchte Flüsse, sterbende Wälder, Müllberge, Ozonloch usf.
Aber auch die Zukunft der Arbeit bereitet uns ernste Sorgen. Angesichts unseres technologischen Fortschritts auf allen Gebieten, insbesondere bei der Kommunikationstechnologie, ersetzt heute in allen Bereichen computergesteuerte Technologie menschliche Arbeitskraft. Ständig werden hierdurch Arbeitsplätze wegrationalisiert. Im globalen Weltdorf kämpft ein Heer von Arbeitslosen um die weniger werdenden Arbeitsplätze. Angesichts dieser Tatsachen fragen sich Wirtschaftswissenschaftler, ob Vollbeschäftigung eine sozialromantische Utopie ist und ob die Zwei-Drittel-Gesellschaft angesichts der strukturellen Arbeitslosigkeit auf Dauer noch zu vermeiden ist. Milliardendefizite im Staatshaushalt weisen darauf hin, dass wir in Zukunft alle unseren Gürtel enger schnallen müssen. Es entwickeln sich Verteilungskämpfe, in denen mit harten Bandagen gekämpft wird.
Eine wachsende Zahl von Beratern verkauft in dieser Krisenzeit der Wirtschaft nüchterne, wissenschaftlich begründete Ratschläge, Geheimrezepte, obskure Wundermittel und Heilsbotschaften, verändert zum Zwecke größerer Effizienz die Betriebsorganisation, aber auch die Mitarbeiter, letztere durch Persönlichkeitstrainings, die diese manchmal an Rosskuren erinnern. Die einen Unternehmen probieren es mit flachen Hierarchien und rationalisieren ganze Führungsebenen weg, organisieren innerbetrieblichen Wettbewerb, benötigen aber hinterher plötzlich Betriebspsychologen, die sich um vermehrt auftretende Mobbingprobleme und Machtkämpfe unter den Betriebsangehörigen kümmern müssen, wieder andere schwören auf neotayloristische Sozialkybernetik und kontrollieren mit hartem Händchen alles und jedes, vor allem ihre Mitarbeiter bis in die Intimsphäre hinein, so Scientology und deren Nachahmer. Wieder andere setzen auf Selbstorganisation des Unternehmens und hoffen, dass sich aus betrieblichem Chaos, das sie auf den Rat ihrer Consultants künstlich erzeugt haben, eine neue produktivere Unternehmensordnung entwickle.
All diese Versuche, das Unternehmensergebnis zu verbessern bzw. ein Unternehmen im ständig härter werdenden Wettbewerb am Leben zu erhalten, trägt heute deutlich Züge eines sozialdarwinistischen Überlebenskampfes, wie einerseits die wachsende Zahl der Insolvenzen, andererseits Unternehmensfusionen auf Grund sog. feindlicher Übernahme zeigen. Man braucht heute als Wirtschaftsführer und Unternehmer offensichtlich auch strategische Talente und die Tugend eines Kämpfers, um Betriebe zu erhalten. Trotz der vielen erhebenden Sonntagsreden über Unternehmenskultur und trotz des ständigen Einforderns von Ethik und Moral im Wettbewerb wird das Wirtschaftsleben heute vermehrt von hartem Kampf und den biologischen Machtregeln Machiavellis beherrscht.
Unser aggressives Wirtschaftsklima verlangt daher nicht nur vom Unternehmer, sondern auch von seinen Mitarbeitern Kämpferqualitäten. Der Aggressionsforscher A. Plack konstatierte bereits 1973, dass von Managern Eigenschaften verlangt würden, die einem Kampfsportler wohl anstünden: Durchsetzungsvermögen und Belastbarkeit. Wie ein Boxer müsse er hart sein: Im Geben wie im Nehmen. Hinter Managertugenden wie dynamisch, leistungsfähig, durchsetzungsbereit stünde als höchste Tugend: Aggressivität, die für ein immer aggressiver werdendes Marketing benötigt würde.
Ein ständig wachsender Management-Trainingsmarkt als Teilmarktdes in den letzten 25 Jahren entstandenen Psychomarkts befriedigt die Nachfrage der Wirtschaft nach "Kampfmanagern" bis hin zu "konditionierten Kampfmaschinen".
So berichtete Panorama, dass die ehemalige UDSSR Polizisten und Piloten in Labors durch Dressat-Methoden nach Pawlow unter Zuhilfenahme von Elektrostimulation des Gehirns so konditionierte, dass die so Trainierten durch Aussprechen eines Schlüsselworts vor riskanten Einsätzen jegliche Angst verloren haben. In psychotechnischen Privatlabors lässt sich die russische Unterwelt heute nach diesen Methoden abrichten, obwohl es bei diesen Prozeduren oft zu Gesundheitsschäden kommt.
In harten Managertrainings werden bei uns Manager auf ihre Belastbarkeit hin überprüft. Wer diese Gewaltkuren nicht mitmacht, erleidet gewöhnlich einen Karriereknick. Die Frage nach Gesundheitsgefahren, die bei manchen dieser Trainings nachweislich bestehen, wurde bis vor kurzem nicht gestellt, geschweige denn, dass man sich darüber Gedanken machte, ob diese Trainings nicht sitten- und rechtswidrige Eingriffe in die geistig-seelische Integrität den Einzelnen darstellen. Nur ein kleiner Kreis von Experten ist sich der sozialethischen Brisanz der heute angewendeten Trainingsmethoden bewusst. Im arbeitsrechtlichen Schrifttum wird die Frage nach der Zulässigkeit solch harter vom Betrieb angeordneter Trainings soweit ersichtlich bisher überhaupt nicht diskutiert.
Die Spitzenreiterrolle für harte Trainings nimmt derzeit Scientology ein.
Unter Persönlichkeitstrainern ist dies schon lange bekannt. Scientology gilt als Hauptlieferant für "dressierte Kampfmanager", die mit Kommunikationspsychologie und verhaltensmodifizierender Konditionierung, wie sie Pawlow und Skinner propagiert haben, abgerichtet wurden. Diese Methoden werden heute entweder unverändert oder in Abwandlung von anderen Trainern übernommen, ohne dass diese Scientologen im engeren Sinne sind.
Während unsere deutschen Religionswissenschaftler immer noch gebetsmühlenartig behaupten, bei Scientology handle es sich um eine Neureligion in Form einer sog. Kunden-Religion, wird der deutschen Wirtschaft allmählich bewusst, dass Scientology heute der Hauptanbieter von schwarzer Pädagogik und schwarzer Managementtechnologie, also Lehrmeister für die missbräuchliche Anwendung von Machttechniken ist, die anscheinend von einem immer größer werdenden Abnehmerkreis nachgefragt werden. Dies zeigt ein Blick auf die Fülle einschlägiger Managementliteratur zu diesem Thema: "Manipulieren, aber richtig", "Machiavelli für Manager", "Handbuch für kleine Teufel", "Chinesische Kampf- und Listtechniken", "Lob der Lüge" usf. Man hört heute von aus den USA importieren Rollentrainings, in denen Parteien und Zeugen auf Prozesse vorbereitet werden. Scientology macht zu diesem Zweck nachweislich sogar echte Lügendrills. Rechtsanwälte, die durch obstruktive Prozessführungstechniken unter Missbrauch der Prozessnormen Wirtschaftsstrafverfahren zum Platzen bringen, gelten als Stars und haben regen Zulauf.
Im zweiten Teil meines Referats möchte ich zeigen, welche Gefahren von den Trainingsmethoden der Scientology als einem der großen Anbieter auf dem deutschen Management-Trainingsmarkt, aber auch von vielen Nachahmern für den Einzelnen und die Wirtschaft ausgehen. Kennzeichnend für diese Methoden ist die Aberziehung jeglicher Skrupel und eine Erziehung zum Sichdurchsetzen um jeden Preis nach der Devise: der Zweck heiligt die Mittel.
Daran anschließend, dass die von Scientology benutzte Ideologie, der Hubbardismus, die ideellen Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft ernsthaft gefährdet. Wir haben einen neuartigen Extremismus vor uns, den man als sozialdarwinistischen Psychototalitarismus bezeichnen kann. Andere sprechen von Orwellismus oder Technodarwinismus.
Es besteht eine Fülle von Anhaltspunkten dafür, dass die Scientology-Organisation.unsere freiheitlich demokratische Grundordnung als solche abschaffen möchte und auch danach handelt. Die Scientology-Organisation wird nach dem Beschluss der Innenministerkonferenz vom Juni d. J. deshalb in Zukunft bundesweit vom VBerfassungsschutz beobachtet (vgl. 1. Halbjahresbericht 1997 des BayLfV). Wir halten die Scientology-Organisation (SO) für ein kriminogenes, im Bedarfsfalle kriminell handelndes technokratisches System, das Demokratien angreift. Wir wollen diese Behauptung zu beweisen versuchen:
1) in den Medien (öffentliche Meinung):
(Psycho-)Sekte, destruktiver (Psycho-)Kult
Bewertung durch Medien in Deutschland und Europa:
Gefahr für den Einzelnen und die Gesellschaft (h.M.); Verfolgung einer Minderheitenreligion (Selbstdarstellung SO; US-Regierung, Mindermeinung in Deutschland)
2) im theologischen und interreligiösen Diskurs:
Sekte, Neureligion, neue Glaubensgemeinschaft, (destruktiver) Kult, Jugendreligion (F.W. Haack), Geistesmagie (W. Thiede)
Bewertung
a) durch Kirchen: ablehnend, warnend, zum Abwehrkampf ermunternd
b) durch Kultbewegung: Verfolgung einer Minderheitenreligion/Weltanschauung
3) im humanwissenschaftlichen Diskurs:
a) religionswissenschaftlich, - soziologisch
neureligiöse/weltanschauliche Gruppe, alternative Religion /Weltanschauung, Neureligion
Ziel der Beschreibung:
Wertfreiheit (auch Pseudoreligion ist Gegenstand der Untersuchung), Aufzeigen von Konfliktfeldern in der Gesellschaft infolge bestehenden Wertedissenses und Verstoßes gegen herrschende kulturelle Normen (ungeschriebene gesellschaftliche Wertestandards, Sittengesetz, Recht).
b) psychologisch (psychiatrisch)/soziologisch
Anbieter auf dem gewerblichen Markt der Lebenshilfeangebote (Psychomarkt), Vulgärtherapie, dilettantische Psychotherapie, Bewusstseinsindustrie
Bewertung: unwissenschaftliche, unprofessionelle Methode, unhaltbare Therapietheorie, Risiko für vulnerable und prämorbide Persönlichkeiten
4) im juristischen Diskurs:
neuere Glaubens- und Weltanschauungsgemeinschaft, (Jugend)Sekte, Wirtschaftsunternehmen, das Religion als Deckmantel benutzt; Dienstleister auf dem Psychomarkt
Beschreibungs-, Beweis- und Bewertungsprobleme:
a) Anwendung von Art. 4, 140 GG auf SO?
b) Verfassungsfeindliche Zielsetzung (Beobachtung durch Verfassungsschutz)?
c) Vereinsverbot nach § 3 VereinsG?
d) Kriminelle Vereinigung (§ 129 StGB)?
e) Organisierte Kriminalität?
f) Verbraucherschutz vor SO de lege ferenda?
5) im politischen Diskurs:
frühere Auffassung:
bizarre Sekte, Subkultur, neureligiöse Gruppe, Beschreibungsund Bewertungszuständigkeit: Theologen, Religionswissenschaftler
heutige im Vordringen befindliche Auffassung:
als Religion getarntes Wirtschaftsunternehmen, keine Religion oder Weltanschauung im Sinne von Art. 4, 140 GG, totalitäre, demokratiefeindliche Organisation, die die politische Macht anstrebt.
Bewertung:
Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, wehrhafte Demokratie muss sich gegen SO verteidigen (a. A. ideologiegeleitete Übertreibung, Panikmache, Beweise reichen nicht aus)
1) SO nach dem Selbstverständnis von Hubbard
Eine wissenschaftstheoretische Untersuchung wird zeigen, dass die derzeitigen Erklärungsmuster für SO unzureichend sind, da bisher das Selbstverständnis von SO nicht ausreichend berücksichtigt worden ist. Als kulturelles Phänomen wurde SO bisher mit kultur- bzw. geisteswissenschaftlichen Paradigmen (z. B. Religion, Sekte, Kult, Laien-Psychotherapie) beschrieben. Übersehen wurde hierbei, dass Hubbard bei seiner Lehre, "Therapie" und seinem Menschenbild von einer naturwissenschaftlichen Theorie ausgegangen ist. Der "kulturrevolutionäre" Witz des Systems liegt in der Anwendung von "Ingenieurstechnik" (J. Ruesch/G. Bateson, 1951) zur Veränderung, d. h. der Verbesserung des "fehlerhaften Programmes" der "Maschine Mensch" und der bei ihrer "Adventuretour durch die Ewigkeit" beschädigten Steuerungseinheit Thetan (= Operierender Thetan).
Für Hubbard ist der Mensch, wie er in seinem Grundlagenwerk Dianetik, die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit (1950) ausführt, ein falsch programmierter Computer, der durch Auditing mittels Datenlöschung von sog. belastenden "Engrammen" befreit und hierdurch erst richtig programmiert, d. h. seelisch und körperlich geheilt werden muss.
Die Lehre von der selbständig operierenden immateriellen Betriebseinheit Thetan scheint in einem merkwürdigen Kontrast zu dem materialistisch ausgerichteten MaschineMensch-Konzept Hubbards zu stehen. Es handelt sich um eine spätere Zutat bei der "Erweiterung des Systems von Dianetik" zu "Scientology". Mit dieser quasispirituellen Zutat hat Hubbard seine "Ingenieurskunst" der Menschenveränderung, ohne etwas an seiner ProgrammierTechnologie verändern zu müssen, scheinbar auch für Idealisten geöffnet und scheinbar damit auch die Voraussetzung geschaffen, seine Lehre, wie manche Religionswissenschaftler es fälschlich tun, den Religionen zuzuordnen.
Bei näherer Untersuchung entdeckt man allerdings, dass Hubbards Lehre vom Geistig-Seelischen im Menschen letztlich ganz in kartesianischer Tradition steht. Denn Hubbard behandelt den menschlichen Geist nicht nur als menschliche Fähigkeit, sondern tatsächlich als "Geist in der Maschine", der diese mit Hilfe scientologischer Technik verlassen könne. Genau genommen handelt es sich jedoch bei Hubbards Konzept um einen "Metakartesianismus". Denn Descartes' "res cogitans" wird von Hubbard zu einer durch seine Technik in Raum und Zeit manipulierbaren Größe und damit zu einem Teil der "res extensa" degradiert, auch wenn er an anderer Stelle behauptet, der Thetan habe keine Ausdehnung und sei in der Lage, Materie, Energie, Raum und Zeit (MEST) zu erschaffen. Das Konzept Hubbards ist damit logisch höchst widersprüchlich.
2) Hubbardismus, eine Weltanschauung des Scientismus
Nicht nur die Lehre, sondern auch die Praxis Hubbards gehören deshalb nicht in den Formenkreis fideistischer, sondern scientistischer Weltanschauungen. Zu letzteren gehören die Lehren und die durch Experimente bewährte Praxis echter Naturwissenschaften, die in Zukunft noch gemachten Entdeckungen und neuen Techniken (Futurologie), aber auch Pseudowissenschaften und fiktive Technologien, wie sie von Quacksalbern propagiert und von der Wissenschaftsgemeinschaft abgelehnt werden. Zu diesem Bereich zählen aber auch der Inhalt von Geschichten über fiktionale Naturgesetze und deren Techniken (Science fiction) und der Glaube der ständig wachsenden Gemeinde, die diese technischen Fiktionen für Realität hält (z. B. der UFOGlaube). Der Futurologe S. Lem (1964) hat vorgeschlagen, die wissenschaftliche Beschäftigung mit derartigem parawissenschaftlichen Glauben, der ein bedeutsames kulturelles Phänomen geworden ist und vermehrt soziale Konflikte verursacht, "Phantomologie" zu nennen. Andere bezeichnen diese neue Kulturwissenschaft als "Parasoziologie" (G.L. Eberlein, 1995). Ob ein solcher Paraglaube unter den Schutz des Art. 4 GG fällt oder es sich nur um eine falsche Wissenschaftsmeinung handelt, ist, soweit ersichtlich, staatsrechtlich noch nicht als Problem erkannt worden und daher auch noch nicht geklärt.
Von diesem ihrem scientistischen Selbstverständnis ausgehend können die Anhänger des Science-Fiction-Schriftstellers Hubbard daher nur schwer als religiöse Glaubensgemeinschaft im traditionellen Sinne eingeordnet werden. Wer daher bei Scientologen als wesentliches Element einen religiösen oder geistmagischen Glauben annimmt, übersieht, dass Basis bei SO nicht Glauben, sondern eine parawissenschaftliche Theorie und ein technisches Wissen sind, durch das mittels psychotechnischer Prozeduren (z. B. Hypnose) außergewöhnliche Bewusstseinszustände beim Probanden hergestellt werden.
Über dieses Wissen und diese Techniken verfügt aber nicht SO allein. Diese außergewöhnlichen Zustände können heute von jedem humanwissenschaftlichen Bewusstseinsforscher im Labor durch Reizentzug, Reizüberflutung, Übungsstress (Endorphinausschüttung), Hypnose, Anleitung zur Hyperventilation, Fasten oder eine Drogengabe ausgelöst werden, ohne dass es einer parawissenschaftlichen Zusatzannahme bedarf (vgl. A. Dittrich, W. von Lukadou in Anhörung "Psychotechniken"). SO braucht sich somit wie alle modernen Selbtserfahrungstrainer nur auf die "Psychophysik" ihrer Trainingstechniken zu verlassen.
Zum Glaubens-, Weltanschauungs-, Ideologie-, aber auch zum Wissenschaftsproblem werden derartige außergewöhnliche Erlebnisse erst bei ihrer Deutung und Bewertung - Transzendenzerlebnis? psychopathologische Erscheinung? parawissenschaftliches Phänomen? heilende oder schädigende Wirkung?
Eine endgültige humanwissenschaftliche Lösung wird es für dieses Problem nie geben, da je nach subjektiver Erfahrung, Wissen, Menschen- und Weltbild, d. h. der Weltanschauung, die Bewertung anders ausfallen wird.
Dies entbindet Staat und Gesellschaft jedoch nicht, sich neuer riskanter "Therapie"-Formen, durch die die geistig-psychische Integrität des Behandelten verletzt werden kann, anzunehmen, um diesen bei seiner "Persönlichkeitsverbesserung" vor Manipulation und Instrumentalisierung durch die neuen Bewusstseinstechnologen zu schützen. Es handelt sich um ein sozialethisches und rechtliches Problem, das als neue rechtspolitische Aufgabe erst seit kurzem erkannt und formuliert worden ist (Kundenschutz auf dem Psychomarkt).
3) Zur Technik von SO
SO verweist zwar in der Öffentlichkeit zum Beweis für ihre Zugehörigkeit zu den Religionen auf die bei den Übungen manchmal ausgelösten außergewöhnlichen Erfahrungen ihrer Anhänger, spricht und handelt jedoch intern ganz als Psycho- und Sozialingenieur, der im Psycholabor durch das Setzen nonverbaler und verbaler Reize beim Probanden gezielt auf das Innere einwirkt. Die im Stimulus-Response-Spiel der "Programmierung" erzeugte seelische Innenraumerfahrung (Selbsterfahrung) des Probanden wird nach Kundgabe durch diesen sofort mittels eines neuen "Input" (meist Befehl) seitens des Auditors weiter bearbeitet. Eine darüber hinausgehende zwischenmenschliche Beziehung, wie sie in therapeutischen und seelsorgerlichen Begegnungen üblich und nach herrschender Ansicht notwendig ist, findet nicht statt. Der Psychiater H. Kind (1989) bezeichnet deshalb die Interaktionsbeziehung beim Auditing als "unmenschliche Prozedur". Ähnlich hat sich der Psychiater J.A. Lee bereits 1970 geäußert.
Erstaunlich ist es, dass die Auswirkungen dieses Verfahrens bis heute fast nicht mit humanwissenschaftlichen Mitteln untersucht worden sind. Der Haupteffekt dieser Prozedur dürfte in einer Konditionierung des Probanden liegen, der zur Erleichterung des Lernprozesses oft in einen hypnoiden Zustand versetzt wird (Kind).
4) Anleihen von SO beider KWT
Mit diesem theoretischen Ansatz ist die Wirkung und die Anziehungskraft von SO auf das Publikum aber noch nicht vollständig erklärt. Denn hinter dem Mensch-Maschinen Paradigma Hubbards steht ein Modell, das auch in der sog. Kognitionswissenschaft und Kognitionstechnik (KWT) zur Erklärung benutzt wird. Die KWT ist ein Mischgebilde aus mehreren überwiegend naturwissenschaftlichen Disziplinen, zu der u. a. die Nachrichten- und Kommunikationstheorie und -Technologie, die Computertechnologie, Künstliche Intelligenz (KI), die Kybernetik, die Lehre und Technik von Automaten und Robotern, die Neurowissenschaften, die strukturalistische Linguistik, aber auch die, Spiel- und Systemtheorie gehören (F.J. Varela, 1990).
Der Zentralbegriff der KWT ist "Kommunikation". Die kulturelle Brisanz der KWT liegt darin, dass die rationale Seite des menschlichen Geistes mit naturwissenschaftlichen Methoden erklärbar, modellierbar und damit beherrschbar geworden ist. Die zahlreichen Therapieansätze, die sich aus der KWT entwickelt haben, werden z. T. kontrovers diskutiert (Gehirnwäsche vs. Therapie).
SO hat es bis heute verschwiegen, dass wesentliche Teile von Hubbards Konzept und Technik auf die Pioniere der KWT, die die Grundlagen dieser neuen Wissenschaft und Technik in den vierziger Jahren geschaffen haben, zurückgehen (z. B. C.E. Shannon, A.A. Moles, N. Wiener u. a.). Im Lichte dieser Erkenntnis muss man davon ausgehen, dass Hubbard wenn er in seinem Buch Dianetik vom "Clear" als "Maschine" spricht, nicht nur figurativ redet, sondern es auch wirklich so gemeint hat: "Wenn wir einen Clear erreicht haben, stehen wir vor etwas, das man nie zuvor gesehen hat, denn es existierte nie zuvor in einem schuttfreien Zustand: eine perfekte Maschine, gut geölt, kraftvoll, schimmernd und imstande all ihre eigenen Funktionen ohne jede weitere Wartung abzustimmen und zu steuern."
Im Blick auf die von SO beweisbar zur Täuschung der Öffentlichkeit hergestellten sog. religiösen Schriften und den pseudoreligiösen Sprachgebrauch wurde bisher übersehen, dass Hubbards Idee der scientologischen Sozialutopie, wie er sie global verwirklichen möchte (Clear Planet!), tatsächlich ein Konstruktionsplan nach Art eines technischen Ingenieurs ist, der in Hunderten von Vorschriften Anweisungen an Ingenieure gibt, wie sie aus Menschen "Produktionsmaschinen" und "Produkte" produzieren sollen.
In seinem Managementtechnologie-Lexikon, das ein Extrakt aus seinen Schriften darstellt, gibt Hubbard den "Systemplan" und die "-Regeln" zur Verwirklichung seiner Sozialutopie an seine Sozialingenieure vor. In dieser Ingenieurswelt kommt der Mensch nur noch als eine von SO "produzierte" und für SO produzierende Funktionseinheit eines kybernetisch gesteuerten geschlossenen Sozialsystems vor. Der Mensch ist dort ein zielgerichtet handelnder, Befehle des Systems erfüllender, vom System vollständig kontrollierter und vom System erschaffener Automat, dem "Gegenabsichten" gegen SO und jegliche "Fremdabsichten" entfernt wurden.
Zur Erreichung der angestrebter Scientokratie wird der "aberrierte" Mensch von Hubbard zunächst als "Null-Produkt" eingestuft, aus dem mittels scientologischer Technik nach und nach ein Scientologe "produziert" wird.
Hubbard verwendet den Begriff "Produkt" in skalierter Weise (0-8) sowohl für die Qualitätsbeschreibung eines Arbeitsergebnisses als auch in wertender Bezeichnung für einen erfolgreich auditierten, trainierten und produzierenden Scientologen ("Product 8": competent, effektive and upstat [= ein mit hoher Produktionsstatistik arbeitender] Commanding Officer). Es handelt sich um das Konzept einer total gesteuerten und kontrollierten Technik-Gesellschaft. Diese ist im Unternehmensbereich von SO weitgehend verwirklicht.
Wissenschaftstheoretisch kann der Hubbardismus deshalb nicht, wie dies bisher geschieht, allein mit Paradigmen der Kulturwissenschaft im engeren Sinn, d. h. mit geistespsychologischen, hermeneutischen, phänomenologischen oder gar theologischen Mitteln beschrieben werden, sondern es bedarf hier einer humanwissenschaftlichen Ergänzung. Bei der scientistischen Ideologie und Technik von Hubbard dürfte es sich trotz des parawissenschaftlichen Theorieansatzes um eine Spielart des amerikanischen Pragmatismus und Behaviorismus im Sinne des bekannten Lerntechnologen B. F. Skinner handeln (R. Dölle-Oelmüller, 1993).
5) Menschenbild und Techniken von SO, eine Gefahr für den einzelnen und die demokratische Gesellschaft
Im Erklärungsspektrum des öffentlichen Diskurses über SO fehlen wegen eines zu engen Blickwinkels derzeit die Kommunikations-, Lern- und Verhaltenswissenschaften als kritische Instanzen. Es gibt daher bis heute keine lerntheoretischen und verhaltenspsychologisch-kognitiven Untersuchungen über die Wirkungen des Auditing. Nach glaubwürdigen Berichten von Aussteigern entfaltet das Auditing ganz rasch seine Wirkung: Es führt alsbald zu einer suchtähnlichen .Abhängigkeit (E. Gliebert u. a., 1996), zum Abtöten von Gefühlen und einem roboterähnlichen Verhalten bei bestimmten Schlüsselreizen. Es scheinen bei längerem Training auch sog. Dressatneurosen entstehen zu können.
Bereits bei Erscheinen des Grundlagenwerks Dianetik im Jahr 1950 hat der Sozialpsychologe E. Fromm auf die Gefährlichkeit der Lehre und des Menschenbildes Hubbards in einer Buchbesprechung eindringlich hingewiesen. Er schrieb damals:
Hubbards Buch kann als ein Beitrag zur Wissenschaft vom Menschen nicht-ernstgenommen werden. Ernstnehmen muss man es jedoch als Symptom eines gefährlichen Trends. . Die Entdeckung, dass das Überleben das einzige Ziel des Lebens sei, ist sicherlich nicht Ausdruck des Geistes der 'alten Hindus' oder der 'früheren Griechen', sondern vielmehr der eines plumpen Biologismus, für den ethische Werte dem Zwang zum Überleben untergeordnet sind - wenn sie überhaupt noch irgendeinen Platz haben."
Zum Schluss seiner prophetischen Kritik führt Fromm aus, Dianetik stelle eine Technik dar, die zu den verhängnisvollsten Ergebnissen im Bereich der Medizin oder Politik führen könnten: Eine Anwendung auf die Psychologie und Psychiatrie wären nicht weniger schädlich.
Im Zuge der Rationalisierung und Technologisierung unserer mitmenschlichen Beziehungen ist der Boden für den Hubbardismus in unserer Gesellschaft längst bereitet. Stoßen unsere Techno- und Computerfans auf Hubbards Schriften und seiner Programmiertechnologen finden sie ein ihnen von der Computertechnologie her bekanntes Denk- und Handlungsmuster. Der Mensch als Biocomputer, ein humanwissenschaftlich längst überholtes Menschenbild, erscheint doch so einleuchtend: Bin ich mit meiner Identität nicht zufrieden, lasse ich mich mittels Auditing einfach "umprogrammieren".
In seiner Stellungnahme vom 18.04.1997 (Material 13/01303 Enquete-Kommission sog. Sekten und Psychogruppen) zum Thema "Psychotechniken" hat Prof. Michaelis es zwar verneint, dass Psychogruppen sich über die Anwendung einer bestimmten Technik konstituieren. Dies mag für viele Psychogruppen zutreffen, nicht jedoch für S0. Kennzeichen von SO ist gerade der Glaube an die zielgerichtete Veränderbarkeit des Menschen durch Anwendung einer Technik. Beim Hubbardismus handelt es sich deshalb um einen neuen Ideologietypus, wie ihn J. Habermas in seinem Buch "Technik und Wissenschaft als 'Ideologie"' (1963) beschrieben hat. An die Stelle von Sinnerfüllung tritt bei diesem Ideologietypus als Heilslehre der Glaube an die Erzeugung perfekter Funktionen und damit die Erreichbarkeit von Stärke und Macht mittels einer bestimmten Technik. Hierbei füllt den Ort in der Seele, den früher die Religion eingenommen hat, die Naturwissenschaft bzw. der Scientismus, der Glaube an Wissenschaft und Technik aus (C.F. von Weizsäcker, 1964).
Dieser Wissenschaftsglaube, in dem sich heute echte Wissenschaft und Science fiction in nicht mehr unterscheidbarer Weise mischen, lässt die einen - so die Hubbardisten - von einer neuen Zivilisation träumen, die anderen aber zutiefst erschrecken. Dies zeigt die neuere Kulturkritik am Scientismus, die die beiden futurologischen Anti-Utopien "1984" von G. Orwell und "The Brave New World" von A. Huxley fortschreibt. So befürchten die neueren Kritiker des Scientismus die Verwandlung unserer Gesellschaft in eine "Megamaschine" (E. Fromm, 1968) bzw. in ein "Technopol" (N. Postman, 1991)) oder stellen "das Ende des Individuums und den Anfang des Retortenmenschen" (R. Gronemeyer, 1992) in Aussicht.
Dass dieses über SO gezeichnete futuristische Szenario stimmt, beweisen die übereinstimmenden Berichte von Aussteigern. Sie erlebten während ihrer Zeit bei S0 eine durch und durch futuristische, d. h. technisch-funktionale Welt ohne jede Seele und mitmenschliche Wärme und ohne religiöse Gefühle. Antrieb, als Aktivist für das System unter entsagungsvollen Bedingungen zu arbeiten, war der idealistische Glaube, sich und die Menschheit in eine bessere Zukunft zu führen.
SO erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, es handle sich bei ihren Anhängern um eine weltweite Glaubensgemeinschaft. SO lenkt damit bewusst von der Tatsache ab, dass es sich bei der Organisation zunächst einmal um ein weltweit agierendes, straff geführtes Dienstleistungsunternehmen mit einem paramilitärischen Flügel (Sea Org) handelt, das über Lizenzverträge gewerbsmäßig Persönlichkeitsverbesserung und Managementtechnik verkauft. Der Unternehmensbereich von SO verfügt über ganz erhebliche Geldmittel, die zum organisatorischen Ausbau des Unternehmens und für aufwendige PR-Maßnahmen weltweit eingesetzt werden. SO dehnt darüber hinaus systematisch unter Verwendung der eigenen Managementtechniken seinen ideologischen Einflussbereich in die Gesellschaft - in den USA bis in die US-Regierung hinein - aus. SO stellt somit, ohne dass man seine Dauerkunden mitrechnet, heute einen beachtlichen wirtschaftlichen und in manchen Ländern politischen Machtfaktor dar. Die Macht von SO kann hiernach nicht allein nach der Kopfzahl der ideologischen Anhänger bemessen werden, wie dies SO ständig tut, um die von ihr ausgehenden Gefahren zu bagatellisieren.
SO, die totale Freiheit verspricht, ist im Unternehmensbereich ein System der totalen Kontrolle. Der Wille Hubbards, Macht über den Einzelnen auszuüben, d. h. diesen total zu steuern und dem System zu unterwerfen ist, verpackt in ein (para-)scientistisch-verhaltenstherapeutisches Setting, bei SO perfekt ideologisch und praktisch verwirklicht.
1) SO, ein virtuelles Skinner-Labor:
SO verkauft seinen Kunden Verbesserung ihrer geistigen, seelischen und körperlichen Fähigkeiten. Die von SO hierfür gestellte Bedingung ist, dass der Kunde sich für den von ihm angestrebten Veränderungsprozess in eine zwischenmenschliche Beziehung begibt, in der er den eigenen Willen, d. h. jeden Widerstand gegen die Befehle des Trainers, mögen diese auch noch so unsinnig und quälend sein, gänzlich aufgibt. Es wird hierdurch ein Lern-Setting hergestellt, wie es der Lernforscher B. F. Skinner in seinem Lehrbuch zur Erziehung einer aggressionsfreien Gesellschaft vorgestellt hat (Futurum Zwei (Walden Two), 1972). Nach diesem Konzept und dieser Praxis wird der Mensch auf ein in einem Lernlabor zu dressierendes Versuchstier reduziert. Freiheit und Menschenwürde im Sinne unserer Demokratie sind bei einem solchen Menschenexperiment überflüssig, ja schädlich.
SO erschleicht die Unterwerfung des Kunden unter die Skinnerschen Versuchsbedingungen dadurch, dass sie dem Kunden "Befreiung", d. h. Verbesserung in jeder Hinsicht verspricht.
Der SO-Aussteiger T. Voltz (1995) erinnert zur Illustration der Wirkung der SO-Techniken deshalb mit Recht an das berühmt-berüchtigte Milgram-Experiment, bei dem die im Versuchslabor getesteten Freiwilligen in einer vorgetäuschten Foltersituation bereitwillig vorgetäuschte Elektroschocks bis hin zu scheinbar tödlichen Schlägen austeilten und hierbei sich und ihr moralisches Ich gänzlich vergessen haben. Voltz verweist weiter auf das entgleiste Experiment eines amerikanischen Lehrers in den sechziger Jahren, dem es mit verhaltenspsychologischen Trainingsmethoden in kürzester Zeit gelungen ist, eine Schulklasse in eine faschistische Gemeinschaft zu verwandeln. Ziel dieses Experimentes war es, der Klasse das Entstehen des Nationalsozialismus zu zeigen. Es gelang dem Lehrer nur schwer, die Klasse wieder in die demokratische Wirklichkeit zurückzuführen (vgl. hierzu M. Rhue, Die Welle, Bericht über einen Unterrichtsversuch, der zu weit ging, 1985).
Der Kunde von SO wird ähnlich wie bei diesen geschilderten Experimenten gezielt darauf trainiert, auf Kommando zu funktionieren. Hierdurch wird für den Trainer eine unangreifbare Machtposition aufgebaut. Der Kunde seinerseits wird zum willenlosen Befehlsempfänger und führt die Übungen auch aus, wenn sie ihm zunächst Unbehagen oder gar Beschwerden verursachen.
Die vom Trainer (Kursüberwacher, Auditor) anzuwendende Technik beim Training ist durch von Hubbard herausgegebene technische Bulletins bis in kleinste Einzelheiten vorgeschrieben. Abweichungen werden drakonisch geahndet. Was zunächst wie ein gemeinsames zum Erlernen neuer Erfahrungen durchgeführtes Spiel aussieht, geht beim Kunden alsbald in Fleisch und Blut über. Ähnlich wie der Trainer verinnerlicht der Kunde bald seine Rolle, auf Knopfdruck zu funktionieren und wird damit zum willenlosen Spielball des Trainers.
Der Funktionär wird außerhalb des Trainings zusätzlich nach Anweisungen Hubbards in sog. Policies (HCO Pls) gesteuert. Auch deren Einhaltung wird streng kontrolliert. Abweichungen werden ebenfalls drakonisch bestraft. Es entsteht so für den Executive eine absolute Milieukontrolle, die dadurch noch verstärkt wird, dass andere Mitarbeiter verpflichtet sind, unaufgefordert sog. Wissensberichte über etwaiges Fehlverhalten des Trainers an den "Ethikoffizier" zu schreiben ("Wissensberichte", "Knowledge Reports", "KRs"). Auch dieses Berichteschreiben wird von den Funktionären (und letztlich allen Scientologen) erlernt, verinnerlicht und dann widerstandslos hingenommen.
Funktionär (Executive, Trainer) und Kunde bilden als Trainingstandem eine feste Beziehung, in der folgende drei von J. K. Galbraith (1987) beschriebenen Machtfaktoren geschickt eingesetzt werden: 1) Konditionierte Macht (Conditioned Power), 2) Kompensatorische Macht (Compensatory Power), 3) Repressive Macht (Condign Power).
(1) Der Kunde lässt sich von der Kompetenz und Effizienz des Systems überzeugen und unterwirft sich deshalb (konditionierte Macht).
(2) Der Kunde unterwirft sich dem System weiter dadurch, indem er Wohlverhalten durch sofortige Bezahlung der Kursgebühr und durch Gehorsam auch gegenüber schmerzhaften Methoden beim Training zeigt. Dies ist die Leistung für die von SO als Belohnung in Aussicht gestellte Gegenleistung, d. h. die "Verbesserung" seiner Persönlichkeit (kompensatorische Macht).
(3) Der Kunde unterwirft sich schließlich dem System auch deshalb, weil er bei Ungehorsam schmerzhafte Sanktionen erlebt hat und in Zukunft derartige vermeiden will (repressive Macht).
Jeder Funktionär ist bei SO für eigene Dienstleistungen, die er an sich geleistet haben möchte, immer selbst auch wieder Kunde und unterliegt hierbei ebenfalls wieder den drei o. g. Machtfaktoren. Hierdurch verstärkt sich sein "absolutes Funktionieren" im System. Die Bereitschaft zum Funktionieren geht bei höheren Funktionären soweit, dass diese, wenn sie "versagt" haben, auf Befehl sich sogar "freiwillig" in das "Rehabilitationsprojekt" (RPF) begeben und dort drakonische Strafen (z. B. Zwangsarbeit, Schlafentzug, Essensreste als Ernährung) über sich ergehen lassen.
2) SO, ein profitorientierter Strukturvertrieb
Das System SO ist zum Zwecke des Dienstleistungsverkaufs als straff organisierter Strukturvertrieb konzipiert und funktioniert auch so, wobei die drei genannten Machtfaktoren bewusst als Zug- und Druckmaschinerie installiert sind. Dieser kann sich normalerweise niemand bis hinauf in hohe Funktionsränge entziehen, es sei denn man revoltiert und verlässt das System.
Um größtmöglichen Profit zu erwirtschaften, werden diese drei Machtfaktoren auch in missbräuchlicher Weise eingesetzt. Die Macht des Systems ist dabei so stark, dass der einzelne Verkäufer wie im Milgram-Experiment nur schwer gegen unsittliche Befehle Widerstand leisten kann. Er wird so zum Opfer-Täter. Dies soll an der Werbe- und Verkaufspraxis kurz gezeigt werden
SO erlaubt im Rahmen einer Verpflichtung zum Hardsell auch sittenwidrigen Druck und Täuschung des Kunden. Zur Rechtfertigung derart unsittlichen Verhaltens wird auf die Notwendigkeit der "Errettung" des Kunden bzw. der Welt hingewiesen. Da der Abschluss eines auch mit sittenwidrigen Mitteln erreichten neuen Trainingsvertrages vom System finanziell und ideell belohnt wird, werden die Hemmungen eines Werbers, einen Kunden zum Kauf eines neuen Trainings auch mit sittenwidrigen Mitteln zu veranlassen, nicht selten gänzlich abgebaut, d. h. es brennen die moralischen Sicherungen durch. Das System setzt darüber hinaus seine Funktionäre dadurch unter Druck, dass ihre sämtlichen Leistungen für das System statistisch gemessen werden. Ein Abfall der Verkaufsstatistik hat drakonische Sanktionen zur Folge. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob ein Abfall der Statistik verschuldet ist oder nicht. Auch hierdurch wird unredliches Verkaufsverhalten gefördert.
Da durch das Training beim Kunden alsbald, wie oben beschrieben, ein suchtähnliches Verlangen nach weiterem Training (bzw. Auditing, der Scientology-"Therapie") eintritt, wird der Faktor der konditionierten Macht, d. h. der Glaube des Kunden an das System und die Verwirklichbarkeit der Sozialutopie allmählich so stark, dass es in fortgeschrittenem Trainingsstadium manchmal nur noch eines geringen Anstoßes durch einen Verkäufer bedarf, ein weiteres Training (bzw. Auditingpaket) zu kaufen, auch wenn hierfür unsinnig hohe Preise verlangt werden. Trotz bekannter Mittellosigkeit der Kunden werden diese oft unter Druck gesetzt, auf Kredit weitere Kurse und Auditingpakete zu kaufen.
Die individual- und sozialpsychologischen Mechanismen der Unterwerfung des Einzelnen unter das System SO sind bis heute mit humanwissenschaftlichen Mitteln nicht hinreichend untersucht worden. Für die Bindung des Einzelnen an das System dürfte die geschickte Ausnutzung individual- und sozialpsychologischer Gesetzmäßigkeiten und weniger ein Glaube in Frage kommen. Es lässt sich heute deshalb nicht sagen, ob es sich beim "Funktionieren des Einzelnen im System", wenn dies auch zum eigenen Schaden führt, um ein normalpsychisches oder ein sozialpathologisches Verhalten handelt. Es dürfte sich um eine ambivalente Heils-/Terror-Bindung handeln, wie sie E. Goffman u. a. für "totale Institutionen" und "totale Gruppen" beschrieben-haben. Jedenfalls lässt sich die Menschenfeindlichkeit und damit Sittenwidrigkeit des Plans, den Hubbard allein für den Verkauf seiner Dienstleistungen konzipiert hat, bereits heute sicher nachweisen. Der Frage, wie die Aktivisten von SO diesen Plan im einzelnen vollziehen, wird im strafrechtlichen Teil unter IV. nachgegangen werden.
3) Machterhaltungs- und Machtsteigerungstechniken von SO:
a) Sozialdarwinismus
Hubbard folgte entsprechend seinem biologistischen Kulturansatz, den er in dem alles begründenden ersten Axiom "Überlebe!" zusammengefasst hat, bei der Entwicklung seiner scientologischen Gesellschaftstheorie einem harten Sozialdarwinismus. Denn es richtet sich in der "Scientokratie" Ansehen und damit praktische
-Rechtsstellung des Scientologen letztlich nur nach der für das System erbrachten, mittels Statistik gemessenen momentanen Leistung. Aufstieg und Fall von Mitarbeitern im Unternehmensbereich können sich daher rasch abwechseln. Abgesehen von den höchsten Funktionsstellungen gibt es daher keine Erbhöfe im System. ,jeder Scientologe ist und bleibt aufgrund der ihm durch das Training zugewachsenen scientologischen "Power" für sich selbst verantwortlich. Mit dieser Ideologie des persönlichen Machtzuwachses durch Training überdeckt und rechtfertigt das System spielend die tatsächlich stattfindende rücksichtslose finanzielle und persönliche Ausbeutung und Versklavung der Einzelnen, die dem extremen Druck des Systems nicht standhalten können. Nur robuste Persönlichkeiten bleiben, wie dies in jeder Diktatur der Fall ist, über Wasser und drehen mit Lust an den Rädern der Macht. Der gänzlichen Vereinnahmung können sich auch Kunden entziehen, die es fertig bringen, dem ständigen Werbedruck einigermaßen zu widerstehen und so Abstand zur Organisation zu halten.
Bezeichnend für den Sozialdarwinismus Hubbards ist, dass er die Idee des Welfare State ausdrücklich ablehnt, weil sie eine "Bestrafung der Produzenten" bewirke (vgl. Managementtechnologie-Lexikon, Stichwort "Welfare State"). Das System fühlt sich deshalb auch nicht verpflichtet, auf die Einhaltung von Arbeitszeiten zu achten, für seine Funktionäre Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen und sich um notleidende Scientologen pekuniär zu kümmern. SO macht zwar neuerdings mit Sozialprojekten Reklame. Damit soll die Öffentlichkeit jedoch über die wahre Natur des Systems getäuscht werden.
b) Expansionstechnik:
Auch die SO-Organisationen selbst werden wie jeder Einzelne über die erbrachte Leistung, d. h. den Trainings- und Buchverkauf gemessen.
Ein Versagen der Funktionäre an der Organisationsspitze, gemessen durch das Zurückgehen der Statistik, wird wie das niederer Funktionäre rücksichtslos z. B. durch Degradierung oder durch Abordnung zur "Rehabilitation" bestraft. Der Erfolg wird mit Aufstieg belohnt. Der Erfolg wird letztlich allein durch hohe "Produktion" bzw. durch Spenden an die sog. Kriegskasse definiert.
SO expandiert deshalb wie ein großer Wirtschaftskonzern nach der Logik und Praxis eines Strukturvertriebes bzw. eines Pyramidenspiels. Dahinter steht allerdings die Idee, mit der Technik der Hubbardschen "Persönlichkeitsverbesserung" eine weltweite "Sozialreform" bewirken zu können, d. h. eine "neue Zivilisation" zu schaffen. Erstes Versuchsland sollte Albanien sein. Endziel ist die Weltherrschaft (Clear Planet).
Das Konzept erinnert in seiner Schlichtheit zwar an ein Computerspiel. Es ist von der Spielidee her schlüssig, hat bereits zahlreiche "Mitspieler" aktiviert und funktioniert. Ähnlich wie in einem totalitären Staat ist dieses Funktionieren erkauft durch Zwangserziehung, meist subtilen, manchmal offenen Terror und Repression nach innen und nach außen und eine ständige Desinformationspolitik, durch die sowohl die Öffentlichkeit als auch die einzelnen Anhänger (Kunden) über die wahre Natur des Systems getäuscht werden. Hubbards neuentwickelte Sprache hat hierbei offensichtlich für seine Anhänger eine ähnliche Aufgabe wie die Neusprache in Orwells "1984". Deshalb ist es den Mitgliedern der Unterorganisation "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" e.V." (KVPM) anscheinend bis heute entgangen, wie SO in den RPF nach den Vorschriften Hubbards hohe Spitzenfunktionäre zur "Rehabilitation" systematisch misshandelt und in ihren Menschenrechten verletzt (vgl. Managementtechnologie-Lexikon, Stichwörter: Rehabilitation Projekt Force; RPF's RPF). Aussteiger haben von KZ-ähnlichen Zuständen berichtet. Es liegt hierfür eine gerichtliche Bestätigung vor (Urteil Wollersheim).
c) Abwehrtechnik bei der Bekämpfung von Gegnern:
Wer der Expansion des Systems SO entgegentritt, ist nicht nur Gegner, sondern nach Hubbard, wie er dies vielfach dargelegt hat, "Wahnsinniger", "Krimineller" und "Feind". Nach der glaubwürdigen eidesstattlichen Versicherung des Aussteigers Wollersheim, der in den USA gegen SO wegen erlittener Torturen in einem spektakulären Verfahren Schmerzensgeld in Höhe von 2,5 Millionen Dollar erstritten hat, sah Hubbard in Gegnern seiner Techniken und seiner Organisation Feinde, die es in einem Krieg(!) zu bekämpfen gilt. Anleitung für seine Kriegsführung habe er aus dem Buch des Chinesen Sun Tsu (500 v. Chr.) "Die Kunst der Kriegsführung" erhalten. Nach diesem Buch drille SO auf Befehl Hubbards seinen Geheimdienst (OSA) in Taktik und Strategie, insbesondere in geheimdienstlicher Spionagetechnik.
Dieses Lehrbuch der natürlichen Kriegsführung, das auch von Mao benutzt wurde, enthält raffinierteste asiatische Kampftaktiken, insbesondere ein ganzes Arsenal von schmutzigen Spionage- und Überrumplungstechniken. Die Verwendung einer derartigen biologischen Kriegslehre würde sich nahtlos in das biologische Lebenskampfmodell Hubbards fügen. Gestützt auf die Idee des "Überlebe!" ließen sich bereits früher und lassen sich offensichtlich auch heute noch Mitstreiter für totalitäre Systeme aktivieren. Wer beim Selbsterhaltungsfeldzug nicht mitmacht, wird automatisch zum "Feind des Lebens". Bekanntlich ist ein Feindbild ein, besonders guter sozialer Kitt, durch den Gruppen zusammengehalten und zur gemeinsamen Aktion veranlasst werden können. Vor diesem Hintergrund wird auch die Motivation eines Kampfes mit allen Mitteln gegen Gegner verständlich.
SO benutzte hierbei bisher - vor allem in den USA das gesamte schmutzige Repertoire, das auch der Staatssicherheitsdienst der DDR zur "Zersetzung der Seele" der Systemgegner unter der Bezeichnung "Operative Psychologie" (Behnke/Fuchs, 1995) eingesetzt hat. Die Übereinstimmung in den Methoden ist verblüffend.
Im Beschluss der Innenministerkonferenz vom 06.06.1994 wird Scientology wie folgt beschrieben und bewertet:
"Die Scientology-Organisation stellt sich gegenwärtig den für Gefahrenabwehr und Strafverfolgung zuständigen Behörden der inneren Verwaltung als eine Organisation dar, die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschaftskriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint. Der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten scheint im Bereich der Wirtschaftskriminalität zu liegen."
Ein Nachweis für den Verdacht, der Schwerpunkt der Aktivitäten der SO liege im Bereich der Wirtschaftskriminalität, konnte bisher in Deutschland nicht geführt werden.
Verurteilungen in Frankreich, Italien, Griechenland und Norwegen in der letzten Zeit zeigen jedoch, dass das System SO von demokratischen Staaten immer besser, auch hinsichtlich seiner kriminellen Aktivitäten enttarnt werden konnte.
1) Historischer Überblick:
Seit über 25 Jahren verkauft Scientology in Deutschland Bücher, Kurse und psychotechnische Dienstleistungen angeblich zur Verbesserung der Persönlichkeit (Auditing) und Managementtechnologie. Zunächst wurde die Organisation als sogenannte Jugendreligion qualifiziert.
Die alsbald auftretenden Konflikte zwischen der Organisation und unzufriedenen Dienstleistungsempfängern führten zu immer- zahlreicheren Zivilprozessen, in denen es um die Rückzahlung von Kursgebühren ging, aber auch zu immer mehr Strafanzeigen wegen Betrugs, Wuchers, Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz u. a.. Es zeigte sich, dass die ursprüngliche Einordnung der Organisation als sogenannte Jugendreligion durch Gesellschaft und Staat unrichtig gewesen ist. Die Bezeichnung von SO als Kirche, war - wie wir jetzt aufgrund von glaubwürdigen Aussteigerberichten (Ehepaar Young, T. Voltz) wissen - eine bewusste Maßnahme der Desinformation von SO.
Die vielen Strafanzeigen führten im Jahr 1984 zu einer Durchsuchung der Münchner Zentrale durch die Staatsanwaltschaft München I. Damals wurde erstaunliches, für die Charakterisierung der SO auch heute noch wichtiges Beweismaterial gefunden (115 Js 4289/84).
Nach dem sichergestellten Beweismaterial bediente sich die Organisation, zur Bekämpfung ihrer Gegner, eines Geheimdienstes, bespitzelte diese, griff diese - wie auch heute noch - mit strafbaren Methoden (z. B. Rufmord, Bedrohung, falsche Anschuldigung durch Unterschieben gefälschter Beweismittel, Telefonterror etc.) an und versuchte diese damit einzuschüchtern (StA München I, S. 28/30). Zu den Verfolgten zählten auch Behördenangehörige z. B. Staatsanwälte, der Leiter des Kreiswehrersatzamtes München und der Leiter der Kreisverwaltungsbehörde München. Die Staatsanwaltschaft München I sah in der SO aufgrund dieser Mobbing- u. Harassment-Techniken und im Hinblick auf eine Steuerhinterziehung in Millionenhöhe bereits damals ein kriminogenes, im Bedarfsfall, wenn es der Organisation nützlich erscheint, illegal handelndes System, dessen Wertvorstellungen und Handlungsweise mit der Wertordnung des Grundgesetzes nicht in Einklang stehen (aaO S. 27/31). Da der Hauptverantwortliche für die Steuerhinterziehung sich in die Schweiz abgesetzt hat, konnte dieser nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Der staatliche Strafanspruch ist zwischenzeitlich verjährt (StA München I, 301 JS 14070/84).
Der Versuch der Landeshauptstadt München angesichts des von der Staatsanwaltschaft gefundenen Beweismaterials den Verkauf von Dienstleistungen durch die Organisation gem. § 35 Gewerbeordnung zu unterbinden, scheiterte.
Die im Verwaltungsgerichtsverfahren Scientology-Kirche Hamburg e.V. gegen Freie und Hansestadt Hamburg 11 VG 3738/94 - vorgelegten Beweismittel (Schriftsätze vom 01.03. und 31.03.1995) bestätigten und vertieften die Feststellungen und die Gesamtbewertung des Systems durch die Staatsanwaltschaft München I.
Ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde von der Staatsanwaltschaft Hamburg allerdings 1994 mangels hinreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer kriminellen Vereinigung eingestellt (141 Js 194/91). Die Staatsanwaltschaft Hamburg bejaht jedoch ausdrücklich den kriminogenen Charakter des Systems.
2) Heutige Lage: Verdacht von strafbarem Verhalten der SO beim Verkauf von Dienstleistungen
a) SO, ein kriminogener, im Bedarfsfall kriminell handelnder Strukturvertrieb
SO benutzt für den Verkauf seiner Dienstleistungen und Kurse, wie oben bereits ausgeführt, die Methoden eines Strukturvertriebs. SO belohnt nach dem Grundsatz "der Zweck heiligt die Mittel", wie oben bereits angedeutet, ausdrücklich auch illegal zustande gekommene Vertragsabschlüsse. Das Management der Organisation folgt hierbei der sog. KHA-KHAN-Richtlinie Hubbards vom 01.09.1965, nach welcher einem Scientologen alle Verbrechen verziehen sind, wenn seine Verkaufsstatistik hoch ist.
Hinzu kommen Verkaufstrainings, in denen die Verkäufer auf ein rücksichtslosen Hard-Sell trainiert werden. In diesem Training werden sittenwidriger Druck (§ 1 UWG) bis hinzu Nötigung (§ 240 StGB) und Erpressung (§ 253 StGB) und auch Betrug (§ 263 StGB) des Kunden als richtige Verkaufsmethoden empfohlen (StA München I, S. 38, Anl. 39a, Strafurteil Mailand vom 02.12.1996). Hierzu gehört auch z. B., dem Kunden seinen "Ruinpunkt" (z. B. Selbstmordkandidat) vorzuspiegeln.
Es ergibt sich hieraus, die kriminogen-kriminelle Struktur, wie sie bei unseriös geführten Strukturvertrieben im kriminalistischen Schrifttum beschrieben worden ist.
Zu dieser systemtypischen Vorgehensweise zwei Beispiele von Kreditbetrug zur Finanzierung von Kursen aus dem Münchner Bereich und deren Bestätigung als systemtypisch durch eine britische Aussteigerin:
(1) Spitzenfunktionäre der Mission Nymphenburg in München setzten Frau R. im Jahr 1990 derart unter Druck, dass sie unter Vorlage einer von einem Scientologen gefälschten Nebenverdienstbescheinigung bei der Hypo Bank in München einen Kredit in Höhe von 20.549,35 DM erschlich. Der Kredit wurde zur Bezahlung von Kursgebühren verwendet. Das Ermittlungsverfahren lief bei der Staatsanwaltschaft München I (115 Js 5056/95).
(2) Bei der Aufnahme eines Bankkredits über 25.000 DM, den sie für die Bezahlung eines Kurses bei der Organisation benötigte, legte Frau E. am 06.01.1993 der Raiffeisenbank Augsburg einen Scheinarbeitsvertrag und eine gefälschte Verdienstbescheinigung vor. Diese Betrugshandlung geschah ebenfalls mit Kenntnis und Zustimmung von Spitzenfunktionären der Mission Nymphenburg in München, die den Scheinarbeitsvertrag erstellt hatten.
(3) Die gleiche Vorgehensweise berichtete die britische Aussteigerin Andrea Catt Ende 1996 im britischen Fernsehen. Sie war von 1988 - 1995 in der Organisation als sog. Registrar (= Verkäufer) tätig.
b) Verbotene Progressive Kundenwerbung (§ 6 c UWG):
Der gesamte Verkauf der Bücher/Kassetten, Trainings und des Trainings-Know-how ist ganz nach den Regeln und Usancen eines gewerblichen Waren- und Dienstleistungsunternehmens organisiert. Voraussetzungen für die Anwendung des Trainings oder Management-Know-How von L. Ron Hubbard ist immer der vorherige Abschluss eines Dienstleistungs- oder Franchising-Vertrages (StA München I, Anl. 4, 5).
Die Expansion des Unternehmens Scientology erfolgt u. a. über sog. Feldmitarbeiter zum Teil nach dem Prinzip des Schneeball-Systems. Jeder Anwerber erhält mindestens 10% der Summe, die der Angeworbene als Entgelt zu bezahlen hat, oft in Form von geldwerten Leistungen (Anspruch auf eigenes kostenloses oder verbilligtes Training). Geschieht die Anwerbung auf der Straße (Anm.: inzwischen verboten), wird nicht selten gegen § 1 UWG verstoßen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.10.1984 - 2 U 214/83).
c) Gezielte Schwächung des Willens der Kunden durch das Training zum Zwecke von Wuchergeschäften (§ 302 a StGB):
Im Hinblick darauf, dass diese rücksichtslosen Verkaufstechniken auch auf Kunden angewendet werden, die durch den Trainingsstress (insbesondere durch anbefohlene Saunagänge) und durch das sie euphorisierende Trainingserlebnis (bzw. Auditingerlebnis) in ihrer Kritikfähigkeit bereits erheblich eingeschränkt sind (Anklageschrift Spanien, S. 37; Strafurteil Lyon, S. 47 ff., Strafurteil Mailand), besteht bei dem Verkauf von höheren scientologischen Dienstleistungen angesichts der horrenden Preise auch der Verdacht von Wucher (§ 302 a StGB). Die progressive Preisgestaltung ist der durch das Training zunehmenden Kritikschwäche der Kunden offensichtlich angepasst. Es kann hierbei zu einem progredienten Einbau der Hypnose und Tranceerlebnisse (Erinnerungen an frühere Leben, Erfahrung der Außerkörperlichkeit usf.) in das Realitätsbewusstsein des Kunden kommen. Traum und Wirklichkeit können am Ende oft nicht mehr richtig unterschieden werden, wie Aussteiger berichten (vgl. F. Schuch, 1995).
Die Auditoren bei SO sind, wie sich aus Aussteigerberichten ergibt, sich dieser Wirkung ihrer Technik voll bewusst und setzen sie gezielt zur Bindung der Kunden an das System ein. Trotzdem gibt es hier erhebliche rechtliche Nachweisprobleme. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Wuchers ist in Deutschland deshalb, soweit ersichtlich, noch nicht erfolgt. Der Abschluss von Dienstleistungsverträgen unter diesen Bedingungen ist jedenfalls sittenwidrig (§ 138 BGB). Da bis heute die Wirkung der Techniken von SO nicht ausreichend humanwissenschaftlich erforscht ist, tut sich auch die Rechtsprechung der Zivilgerichte noch schwer, durch SO geschädigten Kunden bei der Geltendmachung ihrer Schadensersatzansprüche zu ihrem vollen Recht zu verhelfen.
d) Sittenwidrige Knebelung der Angestellten
Für die als Angestellte der Organisation arbeitenden Funktionäre und Lebenszeitmitglieder wird das Verlassen der Organisation dadurch erschwert, dass ihnen Dienstleistungen, die sie zu verbilligten Preisen erhalten haben, beim Ausscheiden voll in Rechnung gestellt werden. Bei Nichtbezahlung wird der Aussteiger zum Freeloader (Schmarotzer) erklärt. Dies hat zur Folge, dass der Betreffende nach der Fair-game-Doktrin (Freiwild-Doktrin) von der Organisation solange ggf. auch mit illegalen Mitteln - unter Druck gesetzt wird, bis er seine Schulden (Freeloader Debt) beglichen hat. Die Sittenwidrigkeit dieser Knebelungstechnik, die das Verlassen der Organisation verhindern soll, wird noch dadurch verstärkt, dass das festangestellte Personal für seine Arbeit nur einen Hungerlohn erhält (vgl. StA München, S. 63, VG-Verfahren Hamburg, S. 19) und nicht einmal sozialversichert ist.
e) Angriffe auf Leib und Leben von Mitgliedern im Unternehmen
Zur Bestrafung von potentiellen Dissidenten im Unternehmen benutzt SO offensichtlich Techniken echter Gehirnwäsche. Hubbard bezeichnet diese als "Black Dianetics".
Die Aussteigerin Stacy Young hat in ihrer eidesstattlichen Erklärung vom 13.10.1994 zu dem Begriff "Black Dianetics" Hubbard wie folgt zitiert:
"Eine Person kann sich mit Dianetik ohne viel Schwierigkeit ziemlich verrückt machen. Bisher haben Sie sich bei ihrem Studium darauf konzentriert, Leute zu verbessern. Das ist ihre Betonung. Aber denken Sie nicht, dass das alles dazu ist. Es gibt ebenso viele Daten, wie man Leute wahnsinnig, unbehaglich, krank machen oder töten kann (Tonträger vom 17.09.1951 mit dem Titel 'Some Notes an Black Dianetics')."
Diese Techniken wurden offensichtlich auch bei der Bestrafung des renitenten Mitgliedes Wollersheim durch SO angewendet (vgl. Wollersheim-Urteil).
Die bekannt gewordenen Selbstmorde und -Versuche bei und im Umkreis von SO (vgl. u. a. Strafurteil Lyon, Fall Schuch) zeigen, welchem Risiko sich der Einzelne beim Training aussetzt, zumal wenn "Black Dianetics" angewandt wird. Beweise, dass in Deutschland gezielt Methoden des "Black Dianetics" angewendet wurden, liegen bisher noch nicht vor. Dass in derartigen Fällen der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist, bedarf keiner Begründung.
3) Gezielte Angriffe der Organisation auf Unternehmen und deren Ausplünderung
Neben der für Strukturvertriebe typischen Kriminalität besteht der Verdacht, dass Mitglieder von SO Unternehmen unter ihre Kontrolle bringt und sie zur Auffüllung der sog. Kriegskasse mit Billigung der Organisation wirtschaftlich ausplündern.
Mehrfach ist es bereits zu erfolgreichen oder versuchten Betriebsübernahmen gekommen, wie Aussteiger glaubwürdig bestätigt haben. Die Vorgehensweise beschreibt Hubbard in seiner Führungsanweisung ED 1840 wie folgt:
"(1) Such Dir ein Geschäft aus, welches bereits sehr gut arbeitet.
(2) Wende Dich an den höchsten Direktor. Biete ihm an, dafür zu sorgen, dass sein Geschäft ihm mehr Geld einbringt.
(3) Lokalisiere SPs "(unterdrückerische Personen)" in der Organisation und wirf sie hinaus.
(4) Auditiere die leitenden Angestellten und zeige ihnen, um was es sich handelt, das wird dann den Zyklus in Gang setzen: die leitenden Angestellten werden die Jungmanager und das andere Personal dazu drängen, Auditing zu nehmen."
Es sind hierbei aus strafrechtlicher Sicht zwei Methoden zu unterscheiden: Entweder der Firmeninhaber wird als Kunde in das System, indem er Mitglied im scientologischen Unternehmensverband WISE wird, gezogen oder ein scientologischer Manager bindet ein Unternehmen faktisch an den Unternehmensverband WISE an. Das als Beute ausgewählte Unternehmen wird gegebenenfalls in konzertierter Aktion unter Mitwirkung mehrerer WISE-Firmen über Scheinverträge ausgeplündert.
Durch die Schulung von Führungskräften, in denen die Management-Lehren von Scientology offen oder verdeckt vermittelt werden (z. B. durch Choice International), gewinnt die Organisation zunächst Einfluss auf Firmeninhaber und Führungskräfte von Firmen und damit auf die Firmenleitung. Werden Führungskräfte (Eigentümer von Unternehmen und Manager) Lizenznehmer von WISE bezüglich der Unternehmensführungsmethoden von Scientology unterwerfen sie sich sowohl der rechtlichen als auch der unmittelbaren tatsächlichen Kontrolle durch die Organisation. Denn die Lizenzgeberin hat nach den derzeitigen Verträgen das Recht; die Räume des Lizenznehmers nach Voranmeldung zu betreten. Die Einflussnahme von Scientology bleibt jedoch nicht im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung (Einhaltung der Lizenzverpflichtungen), sondern führt, wenn es dem System opportun erscheint, zu einer faktischen massiven Einflussnahme auf die Betriebsleitung. Dieser nötigende Einfluss kann soweit gehen, dass, falls die finanziellen Ressourcen oder die Produktion des Unternehmens für SO interessant werden, die Verantwortlichen gezwungen werden, sich den Befehlen von WISE gänzlich zu beugen (Schweitzer, Scientology, Die schleichende Entmündigung, S. 11/12). Im Extremfall kann auch der Befehl erfolgen, das Unternehmen gänzlich aufzugeben (Voltz, S. 134 f).
Unerklärlich erschien es bisher, warum Lizenznehmer von WISE sich den Befehlen der Vertreter der Lizenzgeberin nicht widersetzen. Zwei Gründe sind dafür maßgeblich:
(1) Durch das Auditing und die anbefohlenen strapaziösen Sauna-Gänge (Reinigungs-Rundown) wird der WISE-Lizenznehmer - dies gilt für andere Kunden der Organisation entsprechend - systematisch in seiner Widerstandskraft geschwächt. Es tritt eine euphorische Stimmung und eine blinde Reiz-Reaktions-Abhängigkeit, auf die er im Auditing geschult (dressiert) wurde, ein (vgl. StA München I, S. 59/63; Anklage Spanien, S. 37, Urteil Lyon, S. 47/48) und er kann sich deshalb gegen Befehle von Scientology, die sein Unternehmen schädigen, in der Regel nicht mehr oder nur schwer zur Wehr setzen.
Darüber hinaus bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass der Wille eines WISE-Lizenznehmers, der Widerstand zu leisten versucht, durch Methoden der Psychoschikane bis hin zu Psychofolter, wie sie bisher nur von Geheimdienst-Behandlungen in totalitären Staaten bekannt geworden sind (sog. operative Psychologie), gebrochen wird (vgl. Urteil Wollersheim; Anklageschrift Spanien, S. 37).
(2) In der Regel sind WISE-Lizenznehmer nach durchgeführtem Auditing erpressbar und leisten auch deshalb keinen Widerstand. Es lässt sich beweisen, dass die über das Auditing gewonnenen persönlichen Falldaten von Scientology gezielt zum Zweck der Erpressung auf ehrenrührige Schwachpunkte hin ausgewertet, zentral gesammelt und zur Erpressung benutzt werden (vgl. Confessional-Formular Nr. 1 RA, StA München I, S. 27, Voltz, S. 194, Schweitzer, S. 9, Potthoff, S. 50, Wollersheim-Urteil, S. 54, Anklageschrift Spanien, S. 39, 45). Es bestehen Anhaltspunkte einer Verletzung von Privatgeheimnissen aus Gewinnsucht (§ 203 Abs. 5 StGB). Wegen ihrer Erpressbarkeit erstatten die Opfer in der Regel jedoch keine Strafanzeige und stellen keinen Strafantrag.
Eine dritte Version von Wirtschaftskriminalität besteht darin, dass WISE-Mitglieder Firmen mit der Absicht gründen, betrügerischen Bankrott (§ 283 a StBG) zu begehen. Die von Ihnen gegründeten Firmen lassen sie nach wirtschaftlicher Ausplünderung für die "Kriegskasse" der Organisation kurze Zeit nach Gründung in Konkurs gehen.
Ein SO-Hintergrund, der allenfalls als Motiv für diese Straftaten in Frage kommt, bleibt bei der Ermittlung der Strafverfolgung oft verborgen.
4) Kritikerverfolgung:
Im Umkreis von SO kommt es auch heute noch zu Kritikerverfolgungen, wie sie von der StA München I in den achtziger Jahren ermittelt und beschrieben worden sind (Telefonterror, Verleumdung, Bedrohung). In der Regel können die unbekannten Täter nicht ermittelt werden. Dass diese Taten dem System kriminologisch zuzurechnen sind, bedarf keiner näheren Ausführung, da Kritiker, wie oben dargelegt, nach Hubbard, dem SO auch heute noch darin folgt, als Feinde bekämpft werden müssen (vgl. Fair-game-Richtlinie, z. B. Aussage der Aussteigern Aznaran). Ein Strengbeweis im Sinne der StPO ließ sich hierfür bis heute jedoch nicht führen. Ausmaß und Intensität der Kritikerverfolgung hängen, wie bereits die Staatsanwaltschaft München I ausgeführt hat, offensichtlich von der Risikobereitschaft der einzelnen Funktionäre ab, sich mit dem demokratischen Rechtsstaat anzulegen.
5) Ermittlungsprobleme:
Die kriminogene Struktur des Systems SO liegt zwar deutlich auf der Hand. Schwierig ist es jedoch, eine kriminelle Struktur der Organisation im Sinne einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB nachzuweisen. Denn die Beweisanforderungen für den Nachweis einer kriminellen Vereinigung sind erheblich höher als die für eine kriminogene Struktur.
Die JustizministerInnen haben in ihrem Bericht vom 15.09.1993 hierzu folgendes ausgeführt:
"Von erheblicher Bedeutung und Gefährlichkeit ist der weitgehend noch nicht erkannte Einfluss der Scientology-Organisation aufgrund ihres rigiden Unterwerfungs- und Disziplinierungssystems in Bezug auf Mitglieder, die im öffentlichen Leben, vor allem im Wirtschaftsleben tätig sind. Auch hier tritt die Scientology-Organisation grundsätzlich ihren Mitgliedern mit dem Anspruch auf totale Unterwerfung gegenüber, der durch ein ausgeklügeltes System von Belohnungen/Bestrafungen durchgesetzt werden soll. Bei der Bewertung des Verhaltens von Mitgliedern kommt der Frage große Bedeutung zu, ob und in welchem Umfang diese Finanzzuweisungen an zentrale Institutionen der Organisation leisten. Weisungen und Richtlinien legen fest, dass den grundlegenden Prinzipien der Scientology-Organisation stets Vorrang gegenüber Vorschriften anderer Art einzuräumen ist. Im Konfliktfall führt dieses Unterordnungssystem nahezu zwangsläufig auch zur Begehung von Straftaten, für deren Verfolgung und Ahndung das bestehende gesetzliche Instrumentarium des Wirtschaftsstrafrechts allerdings grundsätzlich durchaus ausreichend ist.
Im Rahmen der Strafverfolgung bestehen insoweit jedoch andersgelagerte praktische Probleme, welche es gegenwärtig noch erschweren, diesen besonders gefährlichen Bereich eines strafrechtlichen relevanten Verhaltens von Mitgliedern der Scientology-Organisation in seinen Ausmaßen und seiner Bedeutung zu erkennen und richtig einzuordnen: Im Gegensatz zu Vorwürfen, welche sich gegen die Organisation oder ihre Funktionäre unmittelbar richten, ist nicht gewährleistet, dass von Scientology-Mitgliedern begangene Delikte aus dem Bereich der allgemeinen Wirtschaftskriminalität auch in ihrem übergeordneten Bezug zur Organisation erkannt werden. Die hier relevanten Verfahren werden gegen die Verantwortlichen neutral firmierender Firmen geführt, deren Mitgliedschaft in der Scientology-Organisation den Strafverfolgungsbehörden eher zufällig - wenn überhaupt - bekannt wird. Auch die Art der Straftaten, etwa Steuerhinterziehung, Konkursverschleppung, Betrug - gehören zum allgemeinen Bild der Wirtschaftskriminalität und bieten keinen Anlass zu besonderem Verdacht; sie werden daher in aller Regel isoliert bearbeitet, ohne dass die Notwendigkeit gesehen wird, die Problematik auf übergeordnete Zusammenhänge oder etwa überörtliche Steuerung zu überprüfen. Es besteht jedoch im Hinblick auf die absolute Unterordnung des Einzelnen unter die Hierarchie der Scientology-Organisation die Gefahr, dass auch das Schicksal des von einem Scientologen gesteuerten Wirtschaftsunternehmens nicht nach den allgemeinen Bedingungen des Marktes, sondern nach Gesichtspunkten des Wohls der Organisation bestimmt wird mit unabsehbaren Folgen für Arbeitnehmer und Vertragspartner. So ist in Hamburg in einem anhängigen Ermittlungsverfahren festgestellt worden, dass eine Firma, gegen deren Inhaber wegen Konkursverschleppung ermittelt wird, noch nach eingetretener Zahlungsunfähigkeit namhafte Beträge an die Scientology-Organisation 'gespendet' hat."
Diese Gründe gelten auch heute noch.
Abgesehen von Beweisen für eine kriminell-kriminogene Struktur liegen aber auch erdrückende Beweis dafür vor, dass SO eine verfassungsfeindliche Organisation ist.
Nach deutschem Recht ist eine Organisation als verfassungsfeindlich einzustufen, wenn sie einen Grundsatz der freiheitlichen demokratischen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen oder außer Geltung setzen will (vgl. § 4 Bundesverfassungsschutzgesetz). Die Erkenntnisse aus den internen Anweisungen von SO, den Berichten von Aussteigern und den Aktivitäten von Scientology zeigen, dass Programmatik und Aktionen von SO mit einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar sind:
- Scientology will eine Gesellschaft etablieren, in der die nicht im Sinne der Organisation "geklärten" Durchschnittsmenschen von den Scientology-"Führern von morgen" mit einer aus Sicht der Organisation überlegenen Technologie geführt werden.
- Scientology will eigene "Verwaltungs-, Technologie- und Gerechtigkeitsverfahren" auf die sie umgebende Gesellschaft anwenden, also ein eigenes für alle verbindliches Rechtssystem mit Scientology-eigenen Normen etablieren, ohne Rechtswegegarantie, ohne Gewährleistung des rechtlichen Gehörs, ohne Anspruch auf einen gesetzlichen und unabhängigen Richter und ohne gesetzesmäßige Verwaltung (vgl. das Strategiepapier "Clear Switzerland!").
- Scientology sieht in der von ihr angestrebten Gesellschaft keine unabhängigen Gerichte vor, sondern solche, die die von der Scientology-Führung detailgenau vorgegebenen, standardisierten Scientology-Technologien umsetzen.
- Scientology propagiert die Notwendigkeit der Lenkung der Regierung durch Scientology und arbeitet gezielt darauf hin.
- Scientology missachtet die Menschenrechte (Art. 1 Grundgesetz) und den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Grundgesetz), da nur "geklärten", nicht-aberrierten" Scientologen in einer "Scientokratie" Rechte zugestanden werden.
- Scientology missachtet Art. 5 Grundgesetz, da Kritik an Scientology mit allen, auch gewaltsamen Mitteln zu unterdrücken ist.
- Scientology organisiert sich in einer totalitären Form, die Gewalt und Willkürherrschaft bewusst einschließt.
SO setzt dieses Programm bereits in die Tat um. SO versucht öffentliche Stellungen bis hin zur Regierung unabhängig von der Rechtslage ihren zielen gefügig zu machen:
- Der HCO-Richtlinienbrief vom 15.08.1960 über die Einrichtung eines Departements of Government Affairs spricht von der "Gefahr", die von Behörden und Gerichten ausgeht, ein Eingeständnis von SO, dass man sich rechtswidriger und krimineller Taten bewusst ist. Der Brief enthält konkrete Anweisungen, wie Behörden gefügig gemacht werden.
Die Anweisungen entsprechen genau den Methoden, mit denen SO laut New York Times vom 09.03.1997 bei der US-Steuerbehörde IRS die Steuerbefreiung durchgesetzt hat. Es wurde eine Vielzahl von Beamten der Steuerbehörde ausgespäht, verdächtigt und in eine Unzahl von Prozessen verwickelt. Diesem Druck gab die Steuerbehörde schließlich nach und hat trotz jahrzehntelangen Kampfes gegen SO einen Vergleich geschlossen.
- Das HCO-Bulletin vom 23.06.1960 enthält einen Spezialbereichsplan zur Unterwanderung der Polizei. Er schildert Methoden, die "Durchsetzung von Recht und Ordnung... in zivilisierte Bahnen" zu lenken. Im Klartext: gesetzesmäßiges Handeln der Polizei durch ein Handeln im Dienste von Scientology zu ersetzen. Für den Beginn des Vollzugs dieses Planes in Deutschland gibt es Beweise.
- Das "Programm zur Handhabung des amerikanischen Konsulats Athen", der von der griechischen Behörde unlängst beschlagnahmt werden konnte, beschreibt Methoden, in das Konsulat "Gebietskontrolle" hereinzubekommen, um die Erteilung von Visa an SO-Mitarbeiter und Kunden zu erreichen. Dabei wird nicht danach gefragt, ob die Erteilung rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
- In Albanien war SO bereits bis in die Regierungsspitze vorgedrungen. Es wurden Verhandlungen über die Einführung der Technologie Hubbards im Unterrichtswesen geführt. Beabsichtigt war die Errichtung eines SO-Staates, der sich bis nach Griechenland erstrecken sollte.
Staat und Gesellschaft sind nach der jahrelangen Fehleinschätzung, bei SO handle es sich um-eine religiöse Minderheit, die nur marginale Sicherheitsprobleme aufwerfe, in der Zwischenzeit aufgewacht und versuchen sich gegen die vielfältigen Angriffe von SO auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung zur Wehr zu setzen.
Zwischenzeitlich ist erkannt, dass es sich bei SO um eine besonders gefährliche Ausprägung eines Dienstleisters auf dem in den letzten 25 Jahren entstandenen Psychomarkt handelt, für den wir zum Schutz der Kunden gegen Manipulation dringend ein Dienstleistungsrecht benötigen. Sind wir bis zum Erlass eines solchen Gesetzes den sittenwidrig-kriminellen und verfassungsfeindlichen Praktiken von SO gegenüber hilflos ausgeliefert? Nein: Denn es besteht die Möglichkeit, SO als Organisation nach § 3 VereinsG bundesweit zu verbieten. Voraussetzung für ein derartiges Verbot ist der Nachweis, dass Zwecke oder die Tätigkeit der Organisation den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder dass sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Bei einer genauen Überprüfung der Beweislage wird es sich ergeben, dass die Voraussetzungen für die Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren nach § 4 VereinsG bezüglich der beiden ersten Alternativen des § 3 VereinsG bereits vorliegen.
Eine entsprechende, Aufforderung wurde von Bayern und Baden-Württemberg bereits an den Bundesminister des Innern gerichtet. Eine Entscheidung über die Einleitung eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren ist noch nicht gefallen.
In einem Symposium der Alfred Herrhausen Gesellschaft für Internationalen Dialog hat der Theologe Hans Küng zum Thema "Arbeit der Zukunft - Zukunft der Arbeit" 1994 darauf hingewiesen, dass ohne Bindung an ein aus den Religionen abgeleitetes Weltethos und ohne Bindung an einen absoluten Sinn-Grund unsere derzeitige Orientierungs- und Sinnkrise, die zu einer immer inhumaneren Welt führe, nicht überwunden werden könne.
Zu diesem allgemeinen Weltethos gehören nach Küng folgende vier fundamentale Regeln:
1. Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit und der Ehrfurcht vor allem Leben.
2. Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und eine gerechte Weltwirtschaftsordnung.
3. Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und ein Leben in Wahrhaftigkeit.
4. Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und der Partnerschaft von Mann und Frau.
Vor diesem Hintergrund zeigen sich Ansätze einer Fehlentwicklung in unserer Gesellschaft, für die Macht, materieller Erfolg und Vergnügen zu letzten Lebensinhalten geworden sind. Blicken wir hinter die Maske des Fortschritts erkennen wir, dass wir dem ständigen Erfolgsdruck als Einzelne nicht gewachsen sind. Es gibt eine Flucht in Drogen, aber auch eine Flucht aus dieser Gesellschaft in den Selbstmord. 1972 berichtete das Wirtschaftsmagazin Capital, dass innerhalb von 5 Jahren mindestens 500 hochdotierte Manager sich das Leben genommen haben. Interessant wäre es, die heutige Suizid-Statistik zu kennen, um abzuschätzen, wie mörderisch unser derzeitiges Wirtschaftsleben ist. Die Quote, am Herz-Kreislauf-System zu erkranken, ist für Manager bekanntlich überproportional hoch. In Japan sterben heute bereits Jungmanager wegen beruflicher Überlastung an einem Erschöpfungssyndrom.
Ein gesunder Leistungswettbewerb war von jeher der Motor für den Fortschritt. Dies wurde bereits sehr früh in Europa erkannt. Als Entdecker dieses Prinzips gilt Heraklit (500 v. Chr.). Mit seinem martialisch klingenden Ausspruch, der Krieg sei der Vater aller Dinge, meinte er nichts anderes als das, was wir heute mit Leistungswettbewerb bezeichnen. Wenig später wurde in Europa allerdings auch entdeckt, dass durch ein Zuviel des Guten Schaden entstehen kann. Aristoteles erkannte, dass man für jedes Handeln das richtige Maß finden müsse, um nicht zu schaden. Dieses richtige Maß scheinen wir derzeit im wirtschaftlichen Wettbewerb trotz Handelsbräuchen und gesetzlichen Wettbewerbsregeln häufiger zu verfehlen. Nur mit einer Rehumanisierung des Wettbewerbs wird sich der konstatierte Sittenverfall in der Wirtschaft aufhalten lassen. Wir bräuchten dann auch keine "Kampfmanager" mehr, die den wirtschaftlichen Wettbewerb mit Scientology-Techniken in einen Kriegsschauplatz zu verwandeln versuchen.
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"Scientology", "Dianetik" ("Dianetics") und "WISE" ("World Institute of Scientology Enterprises") sind Trademarks des Scientology-Konzerns.