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Jürgen Keltsch
Rechtliche Regelung für Dienstleistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe - Brauchen wir ein Lebenshilferecht?
Erstmals veröffentlicht in "Recht der Jugend und des Bildungswesen", Heft3/1997
Im Mai 1997 hat die Freie und Hansestadt Hamburg im Bundesrat einen Gesetzesantrag zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen Anbieterinnen und Anbietern und Hilfesuchenden auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe eingebracht1. Zur selben Zeit hat sich die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission »Sogenannte Sekten und Psychogruppen«2 mit demselben Thema beschäftigt. Ergebnis der Beratung ist eine Empfehlung an den Gesetzgeber, so rasch wie möglich eine Verbraucherschutzregelung für Kunden, die Dienstleistungen der Lebensbewältigungshilfe und Persönlichkeitsentwicklung in Anspruch nehmen, zu schaffen.
Die Öffentlichkeit greift in Lebenskrisen und bei Problemen der Lebensbewältigung immer öfter auf die Angebote eines sich ausweitenden gewerblichen »Psychomarktes« zurück. Dieser ist in den letzten Jahrzehnten in den westlichen Industrienationen außerhalb der etablierten Schulpsychotherapie mit ihrem Ziel, einen seelischen Kranken zu heilen, und außerhalb der pastoralen Seelsorge der Kirchen mit ihrem Ziel, dem Menschen in seelischer Not beizustehen, entstanden. Durch Methoden wie z.B. neurolinguistisches Programmieren, Psychodrama, Suggestopädie, Gruppentherapie, mentales Training, Hypnotherapie, Yoga, Brainmachines etc. sollen die eigenen geistigen und seelischen Fähigkeiten verbessert werden. Das neue Interesse an Selbstverwirklichung durch mentales und körperliches Training (sog. Körpertherapie) wird durch gewerbliche Anbieter von Dienstleistungen auf dem Gebiet der Lebensbewältigungshilfe befriedigt.
Von einfachen Entspannungskursen bis zu Kursen zur Erlernung des Levitierens (so die Transzendentale Meditation) gibt es ein weites Angebot seriöser, halbseriöser und betrügerischer, gesundheitsfördernder und gesundheitsschädigender Dienstleistungen dieser Art, ohne dass bisher ein Verbraucherschutz existiert. Auch die Enquete-Kommission hat in ihrem Zwischenbericht vom 27. 6. 1997 das Fehlen eines Verbraucherschutzes in diesem Bereich ausdrücklich festgestellt und auf die völlige Unübersichtlichkeit des neuen Marktes hingewiesen.
Nach den vorläufigen Erkenntnissen der Enquete-Kommission gibt es mittlerweile ca. 1 000 Ansätze, Methoden, Techniken und Verfahren auf dem sog. Psychomarkt. Der Esoterikbereich weist nach Schätzungen einen jährlichen Umsatz von 18 Milliarden DM auf. Die Zahl der Anbieter im Esoterikbereich liegt bei 10 000 bis 20 000. Demgegenüber stehen lediglich 5 000 niedergelassenen Nervenärzte und Psychiater, 3 000 ärztliche Psychotherapeuten und 13 500 psychologische Therapeuten, von denen 9 000 niedergelassen sind3.
Diese Dienstleistungen fallen sowohl aus dem Rahmen der Religion, definiert nach abendländischem Verständnis, das auf eine transzendente, die Immanenz der Erfahrungswelt übersteigende Orientierung abstellt, als auch aus dem Bereich herkömmlicher heilkundlicher, d.h. wissenschaftlich begründeter Psychotherapie. Diese neuen Dienstleistungen liegen wegen ihrer Zielrichtung, die Kunden nicht zu »heilen«, sondern gesunde Kunden fähiger, glücklicher und leistungsfähiger zu machen, auch außerhalb des Bereichs des Heilpraktikergesetzes und des sich gerade in der legislativen Beratung befindlichen Psychotherapeutengesetzes. Zur Unterscheidung von der heilkundlichen Psychotherapie und der religiösen Seelsorge bietet es sich daher an, diese neuen menschlichen Interaktionsformen, die der Selbstverbesserung und Sinnfindung dienen, » Lebenshilfe« zu nennen. Kennzeichnend für diese Dienstleistungen ist, dass sie gewerblich gegen Bezahlung und nicht im Rahmen einer Gefälligkeit angeboten werden. Die Scientology Church kann im Hinblick darauf, dass alle wesentlichen Dienstleistungen in Form von Persönlichkeitstrainings zur angeblichen Verbesserung des Selbst von den Kunden »gekauft« werden müssen, als Prototyp des gewerblichen Dienstleisters auf diesem Gebiet genannt werden.
Mit der bisherigen Einordnung von Scientology und ähnlichen »Lebenshelfern« in den Kreis der »Neureligionen« bzw. in den der »(Jugend-)Sekten« durch die Religionswissenschaft wuchsen diesen Organisationen bis vor Kurzem faktisch die Privilegien einer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft nach Art. 4, 140 GG i.V.m. Art. 137 WV zu. Das Streben nach höchstmöglichem Profit beim Verkauf sogenannter seelsorgerischer Dienstleistungen durch einen Anbieter in diesem Bereich widerspricht abendländischem Religionsverständnis4. Der Ansatz der deutschen Religionswissenschaftler, hier von einer »Kunden-Religion«5 zu sprechen, überdehnt den Religionsbegriff.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung in Deutschland ist daher der deutschen Religionswissenschaft nicht gefolgt. Das BAG hat das Vorliegen einer Religions- bzw. Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne von Art. 4, 140 GG, Art. 137 WRV bei Scientology aus diesen Gründen verneint.6 Das BVerwG hat die Verpflichtung zur Gewerbeanmeldung für den Dienstleistungsverkauf durch Scientology bejaht7. Dabei blieb dahingestellt, ob es sich bei der Organisation um eine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne der Verfassung handelt.
Zum Schutz des Bürgers als Vertragspartner vor Missbräuchen der neuen Dienstleister ist es geboten, ein » Lebenshilferecht« zur Regelung »gewerblich« gewährter Lebensbewältigungshilfe zu schaffen. Es soll damit verhindert werden, dass ein Hilfesuchender, der sich einem solchen Anbieter anvertraut, durch individual- und sozialpsychologisches Wissen und der hierauf gestützten Techniken, die z.T. von der Psychologie entwickelt wurden, sowie durch Praktiken (Meditation, Beichte), die aus den Religionen entlehnt sind, instrumentalisiert wird. Bei Missbrauch dieses Wissens und dieser Techniken können Abhängigkeit, Ausbeutung und bei Vorgeschädigten auch psychische Krankheiten bewirkt werden8. Mit dem in den letzten Jahren gewonnenen besseren Verständnis des psychophysischen Zusammenspiels von körperlicher Außenwelt (res extensa) und seelischer Innenwelt (res cogitans)9 wächst auch die Manipulierbarkeit des Menschen in einer bisher nicht für möglich gehaltenen Weise'10. Nicht nur durch psychologische (Bewusstseins-) Kontrolltechniken und psychotrope Substanzen wie künstliche Drogen und euphorisierende Medikamente, sondern auch durch interaktionsfähige Maschinen wie Brainmachines, Cyberspacemachines, Biofeedbackgeräte, therapeutische Computer etc. sind sehr effiziente Mittel gegeben, den Menschen in seinem Bewusstsein und seinem Verhalten rasch nachhaltig zu verändern11. Es ist daher geboten, Art. 2 Abs. 2 GG dahingehend auszulegen, dass jeder nicht nur das Recht auf körperliche, sondern auch auf geistig-seelische Unversehrheit hat - bei gleichzeitiger Anerkennung der individuellen Entscheidung des Einzelnen für die Wahrnehmung von Angeboten dieses »Psychomarktes« und der damit ebenfalls verfassungrechtlich zu schützenden Individualität, auch mit riskanten Lebenshilfetechniken zu experimentieren. Insoweit bedarf es einer verfassungsrechtlichen Abwägung.
Durch das Anknüpfen an die Dienstleistungsbeziehung zwischen dem Lebenshelfer und dem Hilfesuchenden wird die Möglichkeit eröffnet, rechtlich zu reagieren, wenn ein Anbieter in diesem Bereich gezielt individual- und sozialpsychologisches Wissen und Techniken einsetzt zur Gefügigmachung und zur Bindung der Kunden, weitere Dienstleistungen zu kaufen12; zum Training gehören in derartigen Fällen unter anderem dressatähnliche Lernmethoden sowie der Einsatz von hypnotischen Methoden zur Veränderung des Wachbewusstseins; zugrunde liegt ein Verständnis, dass der Mensch ein kybernetisch zu steuernder Biocomputer sei. Das Ergebnis ist oft eine wirtschaftliche und persönliche Ausbeutung des Kunden, die mit erheblichen Gesundheitsgefahren verbunden ist.
Die Erkenntnis, dass mit der Anknüpfung an den Begriff »Psychomarkt« ein die Sektendiskussion und Sektentheorie verändernder Paradigmenwechsel vollzogen wird, war im Februar 1994 auch Gegenstand eines Kolloquiums über »Psychomarkt - Sekten - Destruktive Kulte« des Berufsverbands Deutscher Psychologen. In der gleichnamigen Dokumentation'13 untersuchte P. Conrad aus betriebswirtschaftlicher Sicht den neuen Dienstleistungsmarkt und stellte den »Psychokult als Unternehmen« vor. Er kam ebenfalls zu der Feststellung, dass ein neuer Dienstleistungsmarkt entstanden sei, auf dem zum Schutz der Kunden Angebote und Anbieter staatlich kontrolliert werden sollten14. Der Religionssoziologe J. Eiben konstatierte in dieser Dokumentation, dass es neben kirchlicher wie nicht-kirchlicher Religiösität einen »Boom der Psychotherapie« gebe. Deren Gegenstand sei die Erhaltung oder die Herstellung von Leistungsfähigkeit. Für diese neue Erscheinung hätten die modernen Gesellschaften nur unzureichende Reaktionsmuster ausgebildet. Für den Supermarkt der Weltanschauungen und Lebenshilfen stecke der Verbraucherschutz noch in den Kinderschuhen, sei es was mögliche Regressansprüche, sei es was den Umgang mit alternativen Lebensformen betreffe15.
Mit dem Paradigmenwechsel, der nicht mehr primär an die »innere« Tatsache »Glauben« anknüpft, sondern an seelsorgerische und therapeutische Prozesse, hat eine Verschiebung des Blickwinkels stattgefunden. Man stellt nicht mehr phänomenologisch auf einen Bewusstseinsinhalt ab, sondern legt ein äußeres soziales Ereignis, nämlich eine Interaktion, durch die auf das Innere des Menschen zu dessen (Bewusstseins-)Veränderung eingewirkt wird, zugrunde. Ob diese Interaktion religiös als ein Akt der Seelsorge oder aber säkulär als ein Akt der Therapie oder Lebensbewältigungshilfe zu interpretieren ist, hängt einerseits von der eigenen Interpretation des Hilfesuchenden, also seinem Selbstverständnis, andererseits aber auch von der Gesellschaft und deren Bewertung ab. Nach bisherigem abendländischem Verständnis fiel nach der von Martin Luther formulierten Lehre von den »Zwei Reichen«16 die Unterscheidung nicht schwer. Hilfen, die auf das Seelenheil im Jenseits abstellten, gehörten zur Religion, Hilfen, die auf Seelenheilung im Diesseits abzielten, betrafen die weltliche Psychotherapie. Die Grenzen zwischen den beiden »Reichen« sind heute allerdings längst nivelliert. Einerseits leisten Theologen als Pastoralpsychologen ihren Gemeindenmitgliedern therapeutisch-seelsorgerischen Beistand17, andererseits hat die humanistische Psychologie die menschliche Spriritualität entdeckt und empfiehlt als Therapie Meditation und eine Orientierung am Transzendenten bzw. Transpersonalen18.
Die Lage für den Juristen, unter diesen Umständen Religion von Nicht-Religion abzugrenzen, ist daher mehr als prekär geworden. Die Entscheidung, ob ein neuer Lebenshelfer und seine Anhänger nach unserer Verfassung den Status einer Religionsgemeinschaft erhalten können oder nicht, bleibt daher immer problematisch. Da eine positive Bestimmung dessen, was Religion bzw. Weltanschauung ist, in einer pluralen Gesellschaft letztverbindlich nicht möglich ist, erscheint es sinnvoll, Umstände zu suchen, die eine Einordnung in den Kreis der Religionen und Weltanschauungen im Sinne unserer Verfassung wenigstens sicher ausschließen.
Gegen eine Einordnung in diesen Kreis sprechen folgende Umstände: Eine vollständig auf Gewinnerzielung ausgerichtete Kommerzialisierung von Lebenshilfeangeboten, also das gänzliche Fehlen von Altruismus; (oder) eine (natur-)wissenschaftlich ausgerichtete Begründung für die angewandten Methoden der Lebenshilfe bei gleichzeitiger Degradierung des Menschen zum bloßen Naturobjekt;(oder) das Fehlen eines Mensch-Gott bzw. Mensch-Welt-Konzepts bei Angeboten der Lebensorientierung. Bei Trainings und Therapien, die lediglich der Entfaltung einzelner menschlicher Fähigkeiten dienen, fehlt das für Religion bzw. Weltanschauung erforderliche Moment der Universalität, durch das der Mensch sich in ein letztes Ganzes einordnet und so seinem Leben Sinn gibt.
Bezüglich Scientology stellte der Verfasser fest, dass selbst dann, wenn man die Organisation als Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne unserer Verfassung betrachtete, sie sich wegen ihrer verfassungswidrigen, die Menschenrechte der Kunden verletzenden Trainings- und Kontrollpraxis nicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz einer Weltanschauungsgemeinschaft berufen könne19.
Fast unbemerkt von der Öffentlichkeit, aber auch nahezu außerhalb der Wahrnehmung der Rechtswissenschaft hat sich nunmehr eine rechtspolitische Idee durchgesetzt, die erstmals 1993 vom Verfasser in einer größeren Expertenrunde vorgestellt worden ist. Am 6. Dezember 1993 führte die SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg zum Thema »Scientology« im Landtag von Baden-Württemberg eine Anhörung durch. Dort wurde die These aufgestellt, dass die derzeitigen Gesetze nicht ausreichten, um den Konsumenten von gewerblicher Lebensbewältigungshilfe zu schützen. Es sei notwendig, eine Verbraucherschutzregelung für die Erbringung von Dienstleistungen im Bereich der Lebensbewältigungshilfe zu schaffen20.
Im September 1994 griff die Junge Union Rheinland-Pfalz auf dem Zweiten Wormser ScientologyTribunal die Idee vom Verbraucherschutz des Kunden auf dem neuen Dienstleistungsmarkt auf und forderte die Schaffung eines Rechts der gewerblichen Lebenshilfe zur Bekämpfung der Mißstände auf dem »Psychomarkt«. In der Dokumentation über dieses Tribunal legte der Verfasser ein ausführlich begründetes »Konzept für eine gesetzliche Regelung der Dienstleistungen gewerblicher Lebensbewältigungsangebote« vor und plädierte für die Schaffung einer staatlich kontrollierten Marktordnung21.
Auf Antrag der Gesundheitsministerin von Baden-Württemberg traf die Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am 17./18. 11. 1994 einstimmig die Entschließung, den Verbraucher bei Dienstleistungen gewerblicher Lebensbewältigungshilfe vor der missbräuchlichen Anwendung von Techniken zu schützen, mit denen Bewusstsein, Psyche und Persönlichkeit in gesundheitlicher Weise manipuliert werden können. Die GMK bat deshalb den Bundesgesundheitsminister, eine Arbeitsgruppe des Bundes und der Länder einzusetzen.
Auch die Innenministerkonferenz22 und die Ministerpräsidentenkonferenz23 schlossen sich der Forderung der GMK nach einer Regelung der Dienstleistungen auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe an. Begründet wurde diese Forderung damit, dass nur so dem Wirken der Scientology-Organisation als unseriösem Anbieter auf dem Psychomarkt wirksam entgegengetreten werden könne. Die konstituierende Sitzung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die die Bundesregierung bei dem Bundesministerium für Gesundheit endlich Mitte des Jahres 1996 eingesetzt hat, fand am 4. 6. 1996 statt.
Zwischenzeitlich hat Hamburg in Anlehnung an das Konzept des Verfassers den bereits erwähnten Gesetzesentwurf erarbeitet. Dieser zielt auf die Herbeiführung des Schutzes für den Verbraucher vor der missbräuchlichen Anwendung von Techniken, mit denen Bewusstsein, Psyche und Persönlichkeit manipuliert werden können. Zur Erreichung dieses Zieles wird vorgeschlagen, ein Gesetz zu erlassen, durch das die Rechtsbeziehungen zwischen Anbietern und Hilfesuchenden auf dem Gebiet der gewerblichen Lebensbewältigungshilfe geregelt werden. Auf eine Zulassungsregelung für Anbieter auf dem Psychomarkt, wie sie in dem vom Verfasser erarbeiteten ursprünglichen Konzept auch vorgeschlagen wurde, wird verzichtet.
In § 1 des Hamburger Entwurfs wird der persönliche und sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes beschrieben. Die Vorschriften beziehen sich dabei ausdrücklich auf Verträge über die entgeltliche und gewerbliche Gewährung von Lebensbewältigungshilfen. Ärztinnen und Heilpraktikerinnen im Sinne des Heilpraktikergesetzes sind von diesem Gesetz ausdrücklich nicht betroffen.
In § 1 des Entwurfs sind neben Ärzten und Heilpraktikern weder Psychologen noch Psychotherapeuten erwähnt, da sie heilkundliche Psychotherapie derzeit selbständig nur als Heilpraktiker oder im Auftrag von psychotherapieberechtigten Ärzten24 im sog. »Delegationsverfahren« und damit nur unselbständig ausüben dürfen. Sofern Psychologen und Psychotherapeuten ohne Heilpraktikererlaubnis als Lebensbewältigungshelfer tätig sind, fallen sie jedoch unter den Anwendungsbereich des Gesetzes. Hieraus folgt, dass erst nach Inkrafttreten des im Gesetzgebungsverfahren befindlichen Psychotherapeutengesetzes25, durch das die heilkundliche Psychotherapie als neuer heilkundlicher Beruf geregelt wird, Psychotherapeuten im Sinne des Psychotherapeutengesetzezes mit den Ärzten und Heilpraktikern in § 1 des Hamburger Gesetzesentwurfs gleichgestellt werden können und wohl auch müssen.
Unter Lebensbewältigungshilfe wird dabei die
»zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Interaktion zwischen Helferinnen bzw. Helfern oder einer Helfergruppe und einer hilfesuchenden Person mit dem Ziel der Verbesserung der seelischen Befindlichkeit oder der geistigseelischen Fähigkeiten, z.B. durch Gespräch, Unterricht, mentales und/oder körperliches Training in sogenannten Selbsterfahrungsgruppen, Kursen, Workshops oder im Selbststudium und Selbsttraining unter Verwendung schriftlicher und/oder audiovisueller Unterrichtsmittel und/oder interaktiver Maschinen«
verstanden.
Für den Bund-Länder-Arbeitskreis hat das Bundesverwaltungsamt, bei dem seit 1994 eine allgemeine Informations- und Dokumentationsstelle »Sogenannte Jugendsekten und Psychogruppen« besteht, abweichende Vorschläge unterbreitet. Dabei geht es vor allen Dingen auf das hier bestehende Spannungsfeld der Berufsfreiheit der Anbieter einerseits und des Schutzbedürfnisses der Kunden andererseits ein. Das Bundesverwaltungsamt begrüßt die Nichtanwendbarkeit des Gesetzesentwurfes auf Angehörige der medizinischen Berufe, da diese ohnehin gewerblichen Berufszulassungsregelungen unterliegen. Der Schutz des Kunden sei damit gewährleistet. Dabei wird jedoch die Frage aufgeworfen, wie Gesellschaften (z.B. GmbH, OHG, KG), die Anbieter von Lebensbewältigungshilfe sind, zu behandeln sind, wenn ihre Geschäftsführer oder persönlich haftende Gesellschafter Heilpraktiker oder Ärzte sind. In diesem Fall, wie auch in anderen Fällen, in denen eine qualifizierte und daher vom Gesetz ausgeschlossene Person sich zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit anderer Personen bedient, die diesem Personenkreis nicht angehören, scheint es notwendig, die Ausführungen zum Anwendungsbereich noch zu ergänzen, um die Entstehung von Regelungslücken zu vermeiden. Das Bundesverwaltungsamt rät jedoch von einer allzu strengen Regulierung des Marktes ab. Obwohl Anbieter auf dem Lebensbewältigungshilfemarkt häufig nicht über eine Ausbildung, die sie zur Ausübung ihrer selbstgewählten Tätigkeit qualifiziert, verfügen, könne nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass alle vom Lebensbewältigungsgesetz erfassten Anbieter als unseriös einzustufen seien:
»Der sich ständig ausbreitende Lebensbewältigungshilfemarkt ist das Spiegelbild eines gesellschaftlichen Bedürfnisses nach den von Lebensbewältigungshelfern angebotenen Programmen. Die Suche nach einer sinnvollen Lebensgestaltung, nach Persönlichkeitsverwirklichung und vielleicht auch nur der Einbindung in eine Gruppe nährt und gestaltet den Markt und muss als Interesse eines großen Teils der Bevölkerung gesehen werden. Demzufolge darf es nicht Aufgabe eines gewerblichen Lebensbewältigungshilfegesetzes sein, den Markt zu zerschlagen. Vielmehr muss versucht werden, die Vertragsanbahnung und -gestaltung in geordnete Bahnen zu lenken. Der Gedanke des Verbraucherschutzes muss dort seine Grenzen finden, wo er einerseits die Mündigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Verbrauchers außer Kraft setzt und zum anderen das Recht des Anbieters auf freie Berufswahl und Berufsausübung unverhältnismäßig behindert.«
Angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der Lebensbewältigungshilfe von zugelassenen Heilpraktikern geleistet wird, deren heilkundliche Qualifikation als unzureichend anzusehen ist, es sei denn, es handelt sich um als Psychotherapeuten niedergelassene Diplompsychologen, kann gerade auch von Heilpraktikern bei Dienstleistungen der Lebensbewältigungshilfe eine nicht unerhebliche Gefahr für den Hilfesuchenden ausgehen. Es erscheint deshalb entgegen den oben geäußerten Ansichten empfehlenswert, den Anwendungsbereich des Gesetzes grundsätzlich auch auf die Heilpraktiker zu erstrecken, da diese, sofern es sich nicht um Diplom-Psychologen handelt, oftmals nur unzureichende Kenntnisse über die Psyche besitzen. Hierfür spricht auch, dass es für die meisten Lebensbewältigungshelfer in Zukunft ohne Schwierigkeiten möglich sein wird, alsbald die Heilpraktikerprüfung abzulegen, um sich dem Anwendungsbereich des Lebensbewältigungshilfegesetzes zu entziehen.
Die Herausnahme von Ärzten aus dem Anwendungsbereich des Hamburger Entwurfs erscheint im übrigen nur dann gerechtfertigt, wenn diese therapieähnliche Lebensbewältigungshilfe gewähren. Anders stellt sich die Sachlage dar, wenn ein Arzt neben seinem ärztlichen Beruf z.B. als Managementtrainer und Persönlichkeitsentwickler tätig wird. Bei dieser Tätigkeit liegt der Schwerpunkt der Leistungen im pädagogischen Bereich, selbst wenn mit psychoaktiven Mitteln gearbeitet wird. Wenn auch Therapeutik und Pädagogik nahtlos ineinander übergehen, sollten die beiden Bereiche jedoch nicht miteinander vermischt werden. Zu erwägen ist, ob nicht der Begriff »Persönlichkeitsentwicklung« neben dem der »Lebensbewältigungshilfe« bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs mitverwendet werden sollte, um die unterschiedlichen Formen der Lebensbewältigungshilfe deskriptiv zu verdeutlichen. Hilfen in einer Lebenskrise unterscheiden sich erheblich von Hilfen, eine leistungsstarke Persönlichkeit zu werden.
Da das Gesetz inhaltlich grundsätzlich nur den unseriösen Anbieter trifft, ist davon auszugehen, dass die rechtlichen Regelungen keinen Eingriff in die Rechte des Anbieters auf freie Berufswahl und Berufsausübung darstellen werden.
In § 3 des Hamburger Gesetzesentwurfs ist ein Widerrufsrecht von vier Wochen sowie die Art der Rückabwicklung des widerrufenen Vertrages geregelt. Das Widerrufsrecht gilt auch für einen Kreditvertrag, der zwischen dem Anbieter und der hilfesuchenden Person zum Zwecke der Finanzierung des Entgelts für die Lebensbewältigungshilfe abgeschlossen wurde. Nach § 3 Abs. 5 ist der Wert der Überlassung des Gebrauchs oder der Benutzung der vom Anbieter überlassenen Sachen oder der geleisteten Lebensbewältigungshilfe bis zum Zeitpunkt der Ausübung des Widerrufsrechts nicht zu vergüten. Diese Regelung ist dem Femunterrichtsgesetz (FernUSG) entnommen und stellt eine Modifikation der ansonsten für die Rückabwicklung einschlägigen bereicherungsrechtlichen Vorschriften dar. Auch diese Vorschrift wurde vom Bundesverwaltungsamt kritisiert, da sie einen zu großen Eingriff in die freie Vertragsgestaltung von Anbietern und Verbrauchern darstelle. Die Kritik bezieht sich insbesondere auf die Länge der Widerrufsfrist von vier Wochen, mit der Folge, dass eine Vertragserfüllung durch den Kunden (Zahlung der vereinbarten Vergütung mit befreiender Wirkung) nicht vor Ablauf dieser Frist möglich sei. Beginnt der Anbieter vor Ablauf der Frist mit der »Behandlung«, laufe er Gefahr, seine Leistung zu erbringen, ohne dass ihm ein Gegenleistungsanspruch zustehe. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsamtes ist ein derartig weitgehender Verbraucherschutz nicht für jeden Fall der Vertragsanbahnung auf dem Gebiet der Lebensbewältigungshilfe notwendig. Auszuschließen seien vor allem die Fälle, in denen ein Verbraucher von sich aus auf einen Anbieter zugeht, um mit diesem einen Vertrag abzuschließen. In diesem Fall sei der Kunde nicht schutzbedürftiger als ein Kunde, der ein Geschäft aufsucht, um dort Waren zu erwerben.
»Anders verhält es sich in den Fällen, in denen die Kontaktaufnahme vom Anbieter der Lebensbewältigungshilfe ausgeht und es zur Beeinflussung und Überrumpelung des Kunden kommt. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn der potentielle Gläubiger des Lebensbewältigungshilfevertrages vor Vertragsschluss an Werbeveranstaltungen, Probeseminaren usw. des Anbieters teilnimmt. In diesen Fällen entsteht eine Situation für den Verbraucher, die ihn zum Abschluss eines Vertrages verleiten kann, den er unter normalen Voraussetzungen niemals abgeschlossen hätte.«
Das Bundesverwaltungsamt schlägt daher sowohl eine differenzierte Normierung des Widerrufrechts als auch eine Verkürzung der Widerrufsfrist auf zwei Wochen vor.
§ 7 des Hamburger Gesetzesentwurfs trifft eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Hilfesuchenden, wonach bei Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadensersatz gegen den Anbieter wegen Gesundheitsstörungen oder Gesundheitsschäden aus der Lebensbewältigungshilfe dieser nachzuweisen hat, dass dies Gesundheitsstörungen bzw. -schäden nicht durch die bei der Lebensbewältigungshilfe angewandten Methoden hervorgerufen wurden. Diese Beweislastumkehr gilt nur dann nicht, wenn die Ursächlichkeit dieser Methode bei objektiver Betrachtung unwahrscheinlich ist. Das Bundesverwaltungsamt ist der Ansicht, dass dieses Erfordernis der Beweislastumkehr einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Anbieters darstellt, da der erforderliche Nachweis in der Praxis wohl kaum erbracht werden könne. Der Anbieter von Lebensbewältigungshilfe könne danach »für jede nach der Teilnahme an einem Lebensbewältigungshilfeprogrammfeststellbare Gesundheitsschädigung haftbar gemacht werden, wenn eine Ursächlichkeit nicht unwahrscheinlich ist«. Da eine derartige Kausalitätsvermutung praktisch kaum widerlegt werden könne, würde die Einführung dieser Beweislastumkehr den Markt folglich faktisch zerstören. Dies könne jedoch nicht Ziel der angestrebten Regelung sein. Sinnvoller erscheine es, dem Anbieter bei der Vertragsanbahnung die Einhaltung bestimmter Sorgfaltspflichten aufzuerlegen.
Dieser Kritik kann im Ergebnis nicht beigepflichtet werden. Angesichts der zu beobachtenden Tendenz zu immer härter werdenden Trainingsmethoden der Managerschulung und Persönlichkeitsentwicklung treten heute nicht nur selten Befindlichkeitsbeschwerden bei den Kunden auf. Manchmal kommt es zu Gesundheitsstörungen, mitunter zu psychotischen Episoden oder Psychosen sowie Depressionen mit Suizidgefahr. Der Werteordnung und dem Menschenbild unseres Grundgesetzes widersprechen Persönlichkeitsentwicklungstrainings, bei denen sittenwidrige Trainingsmittel eingesetzt und ein sittenwidriges Ziel angestrebt werden, etwa der »dressierte Kampfmanager, der über Leichen geht«26 oder - wie vom Hubbardismus erwünscht - die absolut gefühllose, perfekt funktionierende »Maschine Mensch«, die jeden Befehl widerspruchslos ausführt27.
Um dieser bedenklichen Entwicklung auf dem Trainingsmarkt mit seinen leider häufiger werdenden riskanten28 und auch bisweilen menschenverachtenden Trainingsmethoden29 wirksam entgegentreten zu können, sollte es möglich sein, dass der Kunde, der infolge eines solch harten Trainings Gesundheitsschäden erlitten hat, den Trainer nach Absolvierung des Trainings hierfür auch haftbar machen kann.
Angesichts der erheblichen Beweisschwierigkeiten, einen durch das Training erlittenen Gesundheitsschaden nachzuweisen, bedarf es einer Beweiserleichterung für den Kunden. Diese Beweiserleichterung sollte durch eine widerlegliche tatsächliche Vermutung, also einer Art Anscheinsbeweis, die an typische Ausgangstatsachen anknüpft, ermöglicht werden. Diese Beweisregel könnte wie folgt lauten:
»Kommt es in unmittelbarem Zusammenhang mit Lebensbewältigungshilfeübungen, bei denen der Hilfesuchende bis an die Grenze seiner körperlichen, geistigen oder seelischen Belastbarkeit gefordert worden ist, zu einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörung, wird vermutet, dass diese durch die Übungen verursacht ist, es sei denn, der Anbieter beweist, dass die Gesundheitsstörung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine andere Ursache hat.«
Zur Beweissicherung könnte und sollte der Kunde, der bei einem Selbsterfahrungs- oder Persönlichkeitstraining einen Gesundheitsschaden erlitten hat, einen qualifizierten Psychotherapeuten oder Psychiater aufsuchen, und sich dort untersuchen lassen. Der Kläger kann dann in einem Schadensersatzprozeß den Arzt oder Therapeuten als sachverständigen Zeugen anbieten. Als Anspruchsgrundlage kommt in diesen Fällen eine positive Vertragsverletzung oder auch unerlaubte Handlung in Betracht. Bei länger dauernden Gesundheitsschäden z.B. bei Eintritt einer Psychose oder einer schweren Depression mit Suizidgefahr, dürften in der Regel auch die Voraussetzungen für ein Schmerzensgeld gegeben sein.
Damit der Anbieter nicht durch eine Freizeichnungsklausel diesen Kundenschutz unterlaufen kann, sollte eine generelle Haftungsfreistellung, wie sie heute in den Trainingsverträgen allgemein üblich ist, gesetzlich ausgeschlossen werden.
Daneben enthält der Hamburger Gesetzesentwurf vor allen Dingen Regelungen zur Schriftform des Vertrages (§ 2), der Kündigung (§ 5) sowie ein Aufrechnungsverbot (§ 6).
In § 2 Abs. 2 sind bestimmte Informationen genannt, die die Vertragsurkunde notwendigerweise enthalten muss. Dazu gehören z.B. Angaben über das Vertragsziel, die angewandte Methode und die theoretische Grundlage, die Qualifikation der Helferin bzw. des Helfers, den Gesamtpreis sowie den Einzelpreis je Veranstaltung, den Preis von Folgeangeboten, deren Wahrnehmung durch die hilfesuchende Person bis zur Erreichung des Vertragszieles der angebotenen Lebensbewältigungshilfe erforderlich ist, sowie das Widerrufsrecht und die Widerrufsfrist. Die schriftliche Niederlegung dieser Angaben soll vor allen Dingen dazu dienen, dem Kunden einen Überblick über seine Rechte und Pflichten aus dem Vertrag zu verschaffen. Sie hat erhebliche Warnfunktion und ist damit eine klassische Verbraucherschutzvorschrift.
§ 5 verbietet eine Aufrechnung des Anbieters mit der Forderung eines bei ihm Tätigen auf Zahlung der Vergütung für diese Tätigkeit. Diese Vorschrift soll die Entschließungsfreiheit des Arbeitnehmers, der in einer Lebenshilfeorganisation angestellt ist, schützen. Durch das Trucksystem (=Entlohnung durch Ware) besteht die Gefahr, dass ein Arbeitnehmer im Bereich dieses Sektors von seinem Arbeitgeber völlig abhängig gemacht wird. Die Entlohnung in Form von Trainings und Kursen statt einer Entlohnung in Geld, verstärkt die Bindung an den Arbeitgeber und dessen Ideologie. Diese Entlohnungspraxis ist vor allem durch Scientology bekannt geworden.
Zu bedenken ist jedoch, dass in dem Fall, in dem ein Arbeitnehmer eines Anbieters nach weiterem Training »süchtig« geworden ist - von diesem Phänomen wurde von Scientology-Anhängern wiederholt berichtet - das Aufrechungsverbot ihn kaum daran hindern wird, sich nach Auszahlung seines Lohnes mit diesem Geld weitere Kurse zu kaufen.
Der Gesetzentwurf enthält keine Regelung zur Schweigepflicht der neuen Dienstleister. Eine solche Regelung erscheint jedoch erforderlich. Der Lebensbewältigungshelfer erfährt bei seiner Dienstleistung in gleicher Weise wie sie in § 203 StGB genannten Vertreter anerkannter psychosozialer Berufe Daten aus dem Intimbereich des Hilfesuchenden.
Die schonungslose Offenlegung derartiger Daten wird oft sogar als notwendiges Mittel im Lebenshilfeverfahren verlangt, um die versprochene Besserung zu erreichen. Mit diesen Daten gehen aber manche Helfer in höchst missbräuchlicher Weise um. Bei Scientology werden im Auditing gewonnene Intimdaten der Kunden protokolliert und von einem Ausbilder zum nächsten weitergereicht. Aufgrund dieser Praxis wird vom »gläsernen Kunden« bei Scientology gesprochen. Aus Aussteigerberichten ergibt sich zudem der begründete Verdacht, dass diese Daten von der Organisation auch gezielt dazu benutzt werden, um abgesprungene Anhänger zu erpressen und in der Öffentlichkeit bloßzustellen. Es erscheint notwendig, die Schweigepflicht in dem neuen Gesetz zu normieren und einen Verstoß dagegen unter Strafe zu stellen.
In seinem Konzept für eine gesetzliche Regelung der Dienstleister gewerblicher Lebensbewältigungsangebote hat der Verfasser sich auch dafür ausgesprochen, das Tätigwerden der Dienstleister auf diesem Gebiet an bestimmte Qualifikationen zu binden und eine Regelung zu schaffen, die mindestens dem derzeitigen Heilpraktikergesetz entspricht, das dringend erneuerungsbedürftig ist. Diese Idee wurde jedoch vom Bund-Länder-Arbeitskreis nicht weiterverfolgt. Die Lösung einer solchen Aufgabe ist im Hinblick auf die in diesem Bereich bestehenden Forschungsdefizite und die ungelöste wissenschaftstheoretische Problematik, das neue soziale Phänomen zu beschreiben und zu strukturieren, derzeit noch nicht möglich.
Durch die jetzt angestrebte kleine Schutzlösung wurde auch gänzlich das Problem aus dem Auge verloren, inwieweit das Know-how für die Techniken einer Lebensbewältigungshilfe ein vermarktbares Rechtsgut sein kann oder nicht. Die Expansionskraft von Scientology ergibt sich gerade aus einer solchen Vermarktung ihres technischen Know-how. Methoden der Lebensbewältigungshilfe sollten jedoch als Kulturgut der ganzen Menschheit extra commercium bleiben.
Bisher unbeachtet blieb auch der Vorschlag des Verfassers, ausgerichtet am Menschenbild unserer Verfassung einen ethischen Minimalkonsens hinsichtlich der Anwendungen von Psychotechniken zu erarbeiten. Da sich die Technisierung in Therapie und Pädagogik nach dem Siegeszug der Verhaltenswissenschaften und der dadurch bedingten Biologisierung von Seele und Geist wohl leider nicht aufhalten lassen wird, bedarf es ähnlich der Bioethikkonvention auch einer Psychoethikkonvention, um den Einzelnen vor der rücksichtslosen Anwendung von Verfahren der Veränderung der Persönlichkeit zu schützen.
Die kommunikative (interaktive) Beziehung bei der Gewährung von Lebenshilfe ist immer durch Missbrauch gefährdet. Denn diese Beziehung ist asymmetrisch, d.h. der Lebenshelfer ist in der Regel aufgrund seiner Postition und seines überlegenen Wissens der Starke, der Hilfesuchende aber der Schwache. Für den Hilfesuchenden besteht daher immer die Gefahr, dass er im Interesse des Lebenshelfers instrumentalisiert, d.h. manipuliert wird. Dies zumal dann, wenn Psychotechniken eingesetzt werden (homo homini manipulator)30. Aufgabe jeden Rechtsstaates ist es aber, seine Bürger vor Machtmissbrauch zu schützen. Dies gilt auch für den therapeutisch-seelsorgerischen Bereich. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Lebenshelfer sein Tun religiös oder säkular, d.h. therapeutisch zu legitimieren versucht. Es ist zu erwarten, dass von verfassungsrechtlicher Seite unter Hinweis auf Art. 4 GG generelle Einwände gegen die beabsichtigte Regelung vorgebracht werden. Da aber jedes therapeutische und seelsorgerische Handeln dort seine Grenze findet, wo es dem Hilfesuchenden schadet, kann das neue Recht weder von seiner Zielsetzung noch durch die angewendeten Mittel, die allein dem Kundenschutz dienen, einen Eingriff in die Religions- bzw. Weltanschauungsfreiheit des Anbieters von Lebensbewältigungshilfe oder die des Kunden darstellen.
Über die Notwendigkeit der Schaffung eines Lebensbewältigungshilfegesetzes besteht nicht nur unter Experten, sondern inzwischen auch politisch große Einmütigkeit. Es ist daher zu hoffen, dass das Gesetz nach Klärung der angesprochenen Datailfragen bald erlassen werden kann.
1 BR-Drucksache 351/97.
2 Die Enquete-Kommission wurde durch Beschluss des Deutschen Bundestages vom 9. Mai 1996 eingesetzt, BT-Drucks. Nr. 13/4477.
3 Zwischenbericht der Enquete-Kommission, S. 37, BT-Drucks. Nr. 13/8170.
4 Zur Begründung ist auf die reinigenden Revolten gegen die Kommerzialisierung des Religiösen zu verweisen: z.B. durch Jesus,Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Ablass und Simonie als Auslöser der Reformation. (vgl. auch Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft, Stuttgart 1976).
5 Vgl. Enquete-Kommission, a.a.0., S. 78; Eiben, in : Aktion Psychokultgefahren e.V. (Hg.), Im Netz der Sinnverkäufer, Krefeld 1991, S. 94 ff.; Hummel, Suche und Identität, in: Schriftenreihe Kirche und Gesellschaft der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle Mönchengladbach, Nr. 151, S. 11. Zweckmäßiger erscheint es, in Anlehnung an die angelsächsische Terminologie statt von »Kunden-Religion« von »Klientenkult« (client cult) zu sprechen. Dieser wird von der amerikanischen Sozialwissenschaft zwischen Publikumskult (audience cult) und Kultbewegung (cult movement) angesiedelt (Hummel, a.a.0.).
6 BAG, NJW 1996, 143.
7 BVerwG, NVwZ 1995, 473.
8 Näheres hierzu mit Beispielen aus der forensischen Praxis des Verfassers als Staatsanwalt in: Keltsch, Sekten und Justiz. Bisherige Juristische Erfahrungen in Deutschland, in: Schweizerische Arbeitsgruppe für Kriminologie (Hg.), Sekten und Okkultismus. Kriminologische Aspekte, Chur, Zürich, 1996: Giese/Kleiber (Hg.), Das Risiko Therapie, Weinheim, Basel 1989; Schmidtbauer, W., Wie wir uns verändern, München 1992, S. 182 ff.; Niebel/Hanewinkel, Gefahren- und Missbrauchspotential von Meditationstechniken unter besonderer Berücksichtigung von Jugendlichen, psychisch labilen und psychisch kranken Menschen, Kiel 1997.
9 Unter dem neuen Paradigma Kommunikation und Kommunikationstechnik ist nach der sog. linguistischen Wende in Philosophie und Wissenschaftstheorie in der Psychologie und Psychotherapie ein Umbruch erfolgt (vgl. Ruesch/Bateson, Kommunikation. Die soziale Matrix der Psychiatrie (USA 1951), Heidelberg 1995; Watzlawick/Beavin/Jackson. Menschliche Kommunikation, Formen, Störungen, Paradoxien, Bern/Stuttgart/ Toronto 1990; Varela, Kognitionswissenschaft-Kognitionstechnik, Frankfurt a.M. 1990).
10 Scientology knüpft an die technische Kommunikation, d.h. die Kybernetik N. Wieners an und wendet auf die »Maschine Mensch« zu deren Umprogrammierung Ingenieurs-Know-how an (vgl. Ruesch/Bateson, a.a.0., S. 262; Varela, a.a.0., S. 32 f.). Nach diesem technischen Menschenbild ist stupider Drill, ständige Kontrolle und Reiz-Reaktionsgehorsam, der durch Konditionierung erlernt wird, das technische Arsenal für eine rasche Unterwerfung der Hilfesuchenden unter das System Scientology. Dies wird von der Religionswissenschaft bis heute übersehen (vgl. z.B. Thiede, Scientology - Religion oder Geistesmagie, Konstanz 1992).
11 Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt a.M. 1977; Sherman/Judkins, Virtuelle Realität, Cyberspace-Computer kreieren synthetische Welten, München 1993; Gross, Hinter jeder Sucht ist eine Sehnsucht. Die geheimen Drogen des Alltags erkennen, Freiburg 1995.
12 Zu nennen sind folgende Umstände: Vollständige Kommerzialisierung der Beziehungen; Verkauf aller Dienstleistungen in Form eines sogenannten Strukturvertriebs mit Hard-Sell-Methoden; Vertrieb des Know-how auf Franchising-Basis; extremer Leistungsdruck auf Angestellte. Gerade bei Scientology wird der Kunde durch die E-Meter-Befragung (E-Meter ist eine Art Lügendetektor, der den Hautwiderstand misst) zum erpressbaren »gläsernen Menschen«. Der Konzern verschafft sich so totale soziale Kontrolle, die durch drakonische »EthikMaßnahmen« bis hin zur »Rehabilitation« in Strafeinrichtungen verstärkt wird (vgl. Keltsch, in Gross (Hg.), Psychomarkt, Sekten, Destruktive Kulte, Bonn 1996, 168 ff.).
13 Groß (Hg.): Psychomarkt, Sekten, Destruktive Kulte, Bonn 1996.
14 A.a.O. S. 54 ff.
15 A.a.O., S. 153 ff.; Der vorgeschlagene Paradigmenwechsel beginnt sich allmählich durchzusetzen: Vgl. Hanns Seidel Stiftung (Hg.), Vom Sektenmarkt zum Psychomarkt, Politische Studien Nr. 346, München 1996, mit Beiträgen von Eiben, Reinke und Keltsch zur neuen sozialen Erscheinung »Psychomarkt«.
16 Pohl, in Pohl/Türcke, Heilige Hure Vernunft. Luthers nachhaltiger Zauber, Berlin 1989, S. 85 ff.
17 Sons, Seelsorge zwischen Bibel und Psychotherapie. Die Entwicklung der evangelischen Seelsorge in der Gegenwart, Stuttgart 1995; Lemke, Personenkonzentrierte Beratung in der Seelsorge, Stuttgart, Berlin, Köln 1995.
18 Frankl, Der unbewußte Gott. Psychotherapie und Religion, München 1988; Lukas, Psychologische Seelsorge. Logotherapie-die Wende zu einer menschenwürdigen Psychologie, Basel, Wien 1985; Läpple/Scharfenberg (Hg.), Psychotherapie und Seelsorge, Darmstadt 1977.
19 A.a.O., S. 168 ff.; vgl. auch Jaschke, Gutachten im Auftrag des Innenministeriums NRW, Auswirkungen der Anwendung scientologischen Gedankenguts auf eine pluralistische Gesellschaft oder Teile von ihr in einem freiheitlich demokratischen Rechtstaat, 1995. Seit Mai 1997 ist die Organisation bundesweit Objekt der Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter, vgl. Bay. Staatsministerium des Innern; Scientology - eine verfassungsfeindliche Bestrebung, 1997; Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, Scientology -ein Fall für den Verfassungsschutz, August 1997.
20 SPD-Landtagsfraktion Baden-Württemberg (Hg), Scientology -In den Fängen eines totalitären Psychokonzerns, Stuttgart 1994.
21 Junge Union Rheinland-Pfalz (Hg.), Das Zweite Wormser Scientology-Tribunal (17. und 18. September 1994). Die politische Herausforderung durch totalitäre Bewegungen, Mainz 1995.
22 Beschluss vom 15. 12. 1995, unveröffentlicht.
23 Beschlüsse vom 7. 3. und 23./25. 10. 1996, unveröffentlicht.
24 Psychotherapieberechtigt sind Ärzte, die eine Zusatzqualifikation für Psychotherapie bzw. Psychoanalyse erworben haben oder Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. Fachärzte für Psychotherapeutische Medizin sind (vgl. Freie Hansestadt Bremen, Umfrage zum psychotherapeutischen Angebot in Bremen, 1997; es wird dort eine klare Unterscheidung zwischen heilkundlicher Psychotherapie und Dienstleistungen der Lebensbewältigungshilfe bei Alltags-, Partnerschaft-, Berufs- und Erziehungsproblemen und in Lebenskrisen getroffen).
25 BT-Drucks. Nr. 13/733; 13/8035.
26 In der ehemaligen UdSSR wurden Polizeibeamte und Piloten mit Hilfe von Elektrostimulationen des Gehirns derart konditioniert, dass sie beim Aussprechen eines Schlüsselwortes beim Einsatz ihre Angstgefühle verloren. Durch diese Prozeduren kam es zu zahlreichen Erkrankungen bei den Probanden.
27 Das kybernetische Maschine-Mensch-Paradigma, auf das Hubbard seine » Sozialingenieurslehre und -technik« ausdrücklich stützt, ist bis heute nicht humanwissenschaftlich untersucht. Die Brisanz dieser technischen Theorie liegt darin, dass sie voll anschlussfähig an die moderne Nachrichten- bzw. Kommunikationstheorie und -technik ist. Im Hubbardismus verliert der Mensch seine personale Würde und wird zum funktionalen Objekt; ebenso Dölle-Oelmüller, Scientology - eine moderne Wissenschaft von Menschen. Eine philosophische Stellungnahme, in: Baumgartner (Hg.), Verführung statt Erleuchtung. Sekten, Scientology, Esoterik, Düsseldorf 1994.
28 Hemminger, Eine Erfolgspersönlichkeit entwickeln? Psychokurse und Erfolgstechniken in der Wirtschaft, EZW-Text Nr. 132, 1996; Lell, Das Forum. Protokoll einer Gehirnwäsche. Der Psychokonzern Landmark Education, dtv 1997; Niebel/Hanewinkel, a.a.0.
29 Von Kursteilnehmern extremer Trainings wird z.B. von Scheinerschießungen, Ekeltraining usw. berichtet. Um Grenzerfahrungen zu erreichen, scheint derzeit vor so gut wie nichts zurückgeschreckt zu werden.
30 Giese/Kleiber, a.a.0.,; Schmitt-Lellek/Heimannsberg (Hg.), Macht und Machtmissbrauch in der Psychotherapie, Köln 1995; Kramer/Alstad, Die Guru Papers. Masken der Macht, Zweitausendeins 1995. Popper, Die moralische Verantwortlichkeit des Wissenschaftlers, Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 25, Sonderbeitrag (S.435 f.), 1979; Keltsch, Neue religiöse Bewegungen und das Recht, in: Münchner juristische Gesellschaft, Einheit und Vielfalt der Rechtsordnung, 1996.