08 Die ingenieur-kybernetische Organisations- und Managementtechnologie von L. Ron Hubbards Scientology
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Dr. Jürgen Keltsch
Die ingenieur-kybernetische Organisations- und Managementtechnologie von L. Ron Hubbards Scientology
Bayerisches Staatsministerium des Innern, Juli 2000
Überarbeitet 2013
Im folgenden Text, wie übrigens auch in anderen staatlichen Aufklärungsbroschüren, wurde "Exec" (Executive) fälschlicherweise mit Funktionär übersetzt.[1] Ein Exec einer Scientology-Organisation ist jedoch immer ein Befehlshaber, der in der Organisationshierarchie rücksichtslos Befehle von oben nach unten weitergibt und dafür sorgt, dass sie buchstabengetreu ausgeführt werden. Als Befehlshaber überzeugt er durch "Ethikpräsenz"[2], er kennt keine "Reasonableness"[3], er befolgt nur "Command Intention"[4], er führt einen "Command Comm Cycle"[5] zu Ende. (Aus Zeisel, A., Scientology schafft uns ab, Kap. Die Verwaltungstechnologie im Detail)
1. Allgemeine Lehre
Unter der Überschrift "Üben Sie durch standardgemäße Verwaltung Kontrolle über Ihre Umgebung und Zukunft aus" wirbt Scientology für den Verkauf der in acht Bänden als "Organization Executive Course (OEC)" niedergelegten Organisations- und Managementlehre, die sie intern selbst zum Organisieren benutzt. Diese Lehre wird wie folgt angepriesen:
"Dieser Kurs wurde zunächst für kirchliche Organisationen entwickelt, behandelt jedoch elementare Verwaltungsgrundlagen, die von jeder Organisation verwendet werden können. Der OEC enthält Grundlagen, die für jede erfolgreiche Tätigkeit unerlässlich sind. Der OEC besteht aus acht separaten Kursen - einem Kurs für jede Abteilung der Scientology-Organisierungstafel sowie einem Kurs der die Grundlagen dessen umfasst, wie man als Mitarbeiter jede Arbeit erledigt".
In dem Kurs könne man die "Standard Tech" über folgende Themen studieren: "Personal, Verwaltung, Ethik und Recht in einer Gruppe, Kommunikation, Dienste, Produktion, Leute für ihre Arbeit ausbilden, Qualität und Korrektur des Produkts, Aktionen und Pflichten einer Führungskraft und vieles mehr".[6]
Für seine Organisationslehre hat Hubbard als Modell einer idealen Organisation eine "warenproduzierende Maschine" benutzt. Im HCO PL v. 29.10.1970, Ausgabe I: "Die Analyse von Organisationen anhand des Produkts" [7] führt er hierzu aus:
"Die verschiedenen an der Produktion beteiligten Produkte sind:
1. Etwas etablieren, das produziert. (Produkt 1)
2. Das, was produziert, betreiben, um ein Produkt zu erhalten. (Produkt 2)
3. Das, was produziert, reparieren oder korrigieren. (Produkt 3)
4. Das, was produziert wird, reparieren oder korrigieren. (Produkt 4)
Dies sind die vier grundlegenden PRODUKTE, die an der Produktion beteiligt sind.
Somit sind tatsächlich vier grundlegende Produkte für eine Produktionstätigkeit notwendig.
Diese sind:
1. Die etablierte Maschine.
2. Das Produkt der Maschine.
3. Die korrigierte Maschine.
4. Das korrigierte Produkt."
Hubbard unterscheidet an seinem Produkt drei Hauptfaktoren: Quantität, Qualität, Existenzfähigkeit. Er überträgt diese Regeln eines Qualitätsmanagements für die Warenproduktion ohne Veränderung auf seine Organisation bzw. die Tätigkeit der im Management, aber auch im Service, d. h. bei der Ausbildung und beim Prozessing (Auditing) Beschäftigten. Personen, die in der "Auditingfabrik" (LRH ED 67 INT v. 20.12.1969[8]) repariert und korrigiert werden, gelten dementsprechend als "Wertvolles Endprodukt" (Valuable Final Product, VFP[9]) im Sinne eines hergestellten Objektes.
Die Produktion in einer Scientology-Organisation wird nach Hubbard mittels einer Technologie (Tech) betrieben. Er definierte Tech (HCO PL v. 22.06.1974[10]) wie folgt:
"Jede Aktion, die in einem Produkt resultiert, hat eine bestimmte Tech... Technologie
ist derjenige Teil des Wissens, der verwendet wird. ... Wenn Sie in irgendeinem
Bereich feststellen, dass Sie zu lange brauchen, um ein Produkt herzustellen, dann
ist es an der Zeit, Ihre Tech noch einmal zu überprüfen.
A) Existiert Tech?
B) Wenn ja, ‘Wende ich sie an?’
C) Wenn nein, ‘Muss ich sie entwickeln?’“
Scientology benutzt Hubbards Maschinenmodell einer "Idealen Org" nicht nur im übertragenen Sinn, sondern praktiziert dieses Modell nach ihren Richtlinienbriefen tatsächlich. Bei der Gründung einer neuen Organisation wird danach zunächst das "Produkt 1" die "etablierte Maschine" geschaffen, d. h. Mitarbeiter angestellt und dann jede von ihnen später auszuübende Funktion durch Lerndrill eingeübt ("Chinesenschule"[11] , d. h. den Mitarbeitern werden durch Nachsprechen im Chor die Regeln eingedrillt), bis der Mitarbeiter "seinen Posten kontrollieren kann" (HCO PL v. 23.07.1972 RB, rev. 11.01.1998: Die absolute Notwendigkeit von Hutausbildung[12]). Auf der Organisationstafel werden über 500 verschiedene einzelne Mitarbeiteraufgaben unterschieden, für die es spezielle Trainings gibt.
Bei der Mitarbeiterausbildung wird höchster Wert auf ein perfektes Zusammenspiel der einzelnen Abteilungen, Unterabteilungen und Mitarbeiter gelegt. Dieses soll dann gewährleistet sein, wenn die Kommunikation zwischen allen Stellen wie in einem lebenden Organismus ("lebende Organisation") abläuft und nicht wie in einer mechanischen "Maschinenorganisation", in der die Funktionen der "Mitarbeiter wie Zahnräder ineinandergreifen" (HCO PL v. 02.11.1970, Ausgabe II: "Die Theorie von Scientology-Organisationen"[13]). Dementsprechend werden "zwei Arten von Posten in einer Organisation unterschieden" (HCO PL v. 24.04.1959, Ausgabe III: "Posten in Organisationen - Zwei Arten"[14]):
"1. Linienposten
2. feste Terminale
Ein Linienposten hat mit den Linien der Organisation zu tun; darauf zu achten, dass die Linien reibungslos laufen; alle Ridges (=Hindernisse) in den Linien zu beseitigen; die Partikel von einem Posten zu einem anderen reibungslos am Fließen zu halten. Ein Linienposten befasst sich mit dem Fluss von Linien, nicht unbedingt mit den festen Terminal-Posten am Ende der Linien."
Ein "Partikel" ist beispielsweise ein Kunde der Organisation, der von Beginn bis zum Ende des "Produktionsprozesses" in der Organisation von einem "Terminal" (Posten) zum anderen geschleust wird.
Diesem Organisationsschema liegt die sog. "Kommunikationsformel" zugrunde, auf der Hubbard seine gesamte Organisationstechnik aufgebaut hat (HCO PL v. 04.04.1972 R, Ausgabe III, rev. 21.06.1975[15]):
"Die Formel für Kommunikation ist: Ursache, Entfernung, Wirkung, mit Absicht, Aufmerksamkeit
und Duplikation MIT VERSTEHEN."
Diese Formel erklärt Hubbard wie folgt:
"Axiom 28. Kommunikation ist die Betrachtung und Handlung, einen Impuls oder ein Partikel vom Ursprungspunkt über eine Entfernung zum Empfangspunkt zu schicken, mit der Absicht, am Empfangspunkt eine Duplikation und ein Verstehen dessen zu erzeugen, was vom Ursprungspunkt ausging."
Hubbard stützte sich hierbei auf die Ende der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstandene Informationstheorie. Diese unterscheidet zwischen folgenden Elementen eines Informationsprozesses: Sender (= "Ursprungspunkt"), Empfänger (= "Empfangspunkt"), Signal (= "Impuls", "Partikel"), Kanal (= "Entfernung"), Ankunft des Signals beim Empfänger, der das Signal dekodiert (= "Duplizierung").
Das reibungslose Zusammenspiel aller "Posten" mit ihren verschiedenen Funktionen soll dadurch erreicht werden, dass alle potenziellen Handlungen, seien es Managementfunktionen oder Serviceleistungen, nach in sog. Richtlinienbriefen niedergelegten allgemeinen Befehlen eingeübt werden. Es gibt dementsprechend eine hochkomplexe Befehlslehre, durch die, wie bei der staatlichen Gesetzgebung, die Begründung und Aufhebung genereller und konkreter pflichtenbegründender Anweisungen und die jeweiligen Befehlszuständigkeiten hierfür aufs genaueste geregelt sind (HCO PL v. 05.03.1965 Ausgabe II: "Richtlinien; Ihr Ursprung"[16]; HCO PL v. 09.08.1972: "Die Rangordnung von Anweisungen"[17]; HCO PL v. 01.05.1965: "Klemmbrett für Befehle und Zeitmaschine"[18]).
Zuständige Stelle für den Erlass, die Veränderung und die Aufhebung der das Organisations-Reglement begründenden Anordnungen ist "Das Hubbard Kommunikationsbüro", das in jeder Org durch die "Abteilung 1" und dort durch die "Ethiksektion" vertreten wird. Die gesamte Verwaltungstätigkeit wird durch Richtlinienbriefe (HCO PL = "Hubbard Communications Office Policy Letter") minuziös geregelt. Die Einhaltung der Regeln wird durch die "Abteilung 1" penibel kontrolliert. Durch die "HCO-Bulletins" ("HCOB") wird daneben der Ablauf des gesamten "Prozessing" (= "Auditing"), d. h. der "Tech" im engeren Sinn vorgeschrieben.
Hubbard hat damit sämtliche Beziehungen in der Organisation einem engmaschigen, auf "Produktion", d. h. auf dressurähnliches Abrichten von Mitarbeitern und Kunden ausgerichteten technischen Regelwerk unterworfen, das seinesgleichen sucht. Bei der Einordnung des Regelwerkes nach Regelungsdichte zwischen anomisch (regellos) und supernomisch (überregelt), ist die Regelungsdichte als supernomisch zu qualifizieren. Es besteht zwischen allen "Posten und Kunden" zudem das struktur-funktionalistische Ordnungsgefüge einer Maschinenbürokratie im Sinne des Organisationswissenschaftlers F. W. Taylor.
Es gilt der Grundsatz, dass alle Befehle des Managements von diesem schriftlich zu erteilen sind (HCO PL v. 09.02.1979 R, Ausgabe II, rev. 23.08.1984: "Checkliste: Wie man mündliche Tech überwindet"[19]).
Für die Mitarbeiter sind zudem eine Vielzahl minuziöser technischer Kommunikationsregeln aufgestellt. Die Abweichung von diesen wird "DEV-T" ("Developed Traffic - Entwickelter unnötiger Verkehr") genannt; hierbei werden 51 Abweichungsmöglichkeiten beschrieben (HCO PL v. 27.01.1969: "Zusammenfassende Liste von DEV-T", Ausgabe II, rev. 21.10.1980: "Zusätze zur zusammenfassenden Liste von DEV-T"[20]).
Die Mitarbeiter sind verpflichtet, über die geringsten Störungen im kommunikationstechnischen Ablauf Berichte zu schreiben. Es werden über 21 verschiedene störende Ereignisse in der Kommunikationskette unterschieden, die berichtspflichtig sind. Hierzu gehören insbesondere sog. "Wissensberichte" über Fehler, die Mitarbeiter gemacht haben (HCO PL v. 01.05.1965, Ausgabe I: "Mitarbeiterberichte"[21]).
Um eine möglichst hohe "Produktion" in der Organisation zu erzielen, wird jede einzelne Arbeitsleistung eines Mitarbeiters, aber auch einer Abteilung, schließlich jeder einzelnen Organisation "statistisch" gemessen. Entsprechend der "Produktionsleistung" wird jedem Mitarbeiter ein sog. (Leistungs-)"Zustand" ("condition") zugewiesen. Jede Veränderung der "Statistik" nach oben oder unten führt zur Festsetzung eines neuen "Zustandes" durch das Management oder den "Ethikoffizier" (HCO PL v. 18.10.1967,Ausgabe V: Zustände an Orgs, Abteilungen oder Unterabteilungen, Klarstellung[22];
HCO PL v. 05.01.1968, Ausgabe II: "Zustandsanordnungen Ethik von Führungskräften"[23]).
Fällt die Statistik, ist dies ein Fall für sog. Ethikmaßnahmen, d. h. der Mitarbeiter oder die Abteilung oder die Organisation werden nach dem Funktionsschema der "korrigierten Maschine" bzw. des "korrigierten Produkts" zur Verbesserung ihrer Produktivität "repariert", d. h. korrigiert.
Werden die neuen "Zustände" vom Management nicht zugewiesen oder die verhängte Sanktion nicht befolgt, führt dies zu einer neuen Korrektur, d.h. Bestrafung des Managements (HCO PL v. 18.10.1967 Ausgabe VI: "Das Versagen, Zustände zu befolgen oder sie anzuwenden"[24]). Die Nichteinhaltung der Verwaltungsrichtlinien durch Verwaltungsmitarbeiter - es gibt ca. 2.000 derartiger Richtlinien - wird als "Verwaltungs-Schwerverbrechen" verfolgt (HCO PL v. 10.07.1986 Ausgabe III[25]). Hierzu gehört insbesondere auch die Verwendung sog. "mündlicher Tech" (HCO PL v. 15.02.1979: "Mündliche Tech: Strafen"[26]):
"Jede Person, bei der festgestellt wird, dass sie mündliche Tech verwendet, soll vor ein Ethikgericht gebracht werden.
Die Anklagepunkte sind das Weitergeben von Daten, die im Widerspruch zu HCOBulletins oder Richtlinienbriefen sind oder ihren Gebrauch oder ihre Anwendung verhindern, ihre Absicht verfälschen, ihren Inhalt in irgendeiner Weise ändern, sie für einen anderen mündlich oder auf andere Weise interpretieren oder vorgeben, sie zu zitieren, ohne die tatsächliche Ausgabe zu zeigen.
Jede dieser Kategorien stellt mündliche Tech dar und ist nach dem obigen strafbar."
Zu ähnlichen korrigierenden Sanktionen kann es kommen, wenn Mitarbeiter bei der Ausbildung in der sog. "Studiertechnologie" ("Wortklärungsübungen"), durch die das organisationseigene Reglement und die ingenieurtechnische Sprache eingedrillt werden, geschlampt haben, so dass der "Student" die (technologische) Scientology-Terminologie nicht versteht (HCO PL v.04.04.1972 R, Ausgabe II, rev. 21.06.1975: "Ethik und Studiertechnologie"[27]).
Bei der Korrekturmaßnahme werden inquisitorische Vernehmungsmethoden unter Verwendung normierter Prüflisten zur Aufklärung der Gründe für die Verschlechterung der "Statistik" angewendet (HCO PL v. 09.04.1972 R, rev. 01.12.1979: "Die korrekte Handhabung des Zustandes Gefahr"[28]). Zur "Abhilfe" werden nicht selten Nachschulungen des Personals in Form von Drills durchgeführt (HCO PL v. 09.03.1972
Ausgabe III: "DEV-T und Nicht-Gehutet-Sein"[29]).
Bei gravierenden oder fortdauernden Regelverletzungen von Mitarbeitern und Kunden werden diese schließlich als "Potenzielle Schwierigkeitsquelle" ("Potential Trouble Source" = "PTS") oder "Unterdrückerische Person" ("Supressive Person" = "SP") eingestuft.
Hieraus folgt, dass auch Kunden in ihrer Eigenschaft als "Studenten" oder "PCs", bei einem Abweichen von den sich aus den HCO PLs für sie ergebenden Pflichten zur "Reparatur" einem sog. Ethikverfahren unterworfen werden (HCO Pl v. 29.04.1965 Ausgabe III: "Ethik Review"[30]).
Durch die Begründung einer großen Fülle neuer, sich insbesondere auch auf einen ingenieurtechnischen Sprachgebrauch erstreckender Verhaltenspflichten, wie sie bisher weder im Alltagsleben noch bei Gruppen in besonderen Gewaltverhältnissen (Militär, Anstalt etc.) bekannt waren, übt Scientology über Mitarbeiter und Kunden ein Übermaß an ständiger erzieherischer Kontrolle und Korrektur aus, das seinesgleichen sucht. Diese permanent ausgeübte Kontrolle steht in offenem Gegensatz zu dem Versprechen, völlige Freiheit zu verschaffen. Unter dem Vorwand, das Training führe zur Freiheit, werden Mitarbeiter und Kunden durch den Drill (TRs) immer stärker an das Pflichtensystem bis hin zur Hörigkeit gebunden.
Mit ihrer Organisations- und Managementlehre hat Scientology ein auf rigider Kontrolle beruhendes autoritäres Organisationsschema entwickelt, das unabhängig von ideologischen Prämissen allgemein verwendet werden kann.
Für die Anwendung von Hubbards mechanistischer Organisationslehre ist es nicht Voraussetzung, dass Mitarbeiter sich vorher dem "Prozessing", d. h. der sog. dianetischen Behandlung in Auditingsitzungen unterzogen haben. Hubbard unterscheidet selbst sein Reglement für die Organisation von Gruppen ("Dritte Dynamik") von seiner "dianetischen Therapie" ("Erste Dynamik"), mit der der einzelne Kunde trainiert wird. Scientology tritt deshalb heute auf dem Markt der Managementschulung verstärkt auf und verkauft ihre Organisationslehre weltweit an die Wirtschaft.
Mitmenschliche Beziehungen werden in dieser Organisationslehre einem computertechnologischen Modell unterworfen, wie es kybernetische Ingenieure zur Systemoptimierung in der Industrieproduktion verwenden. Hubbard bezeichnete bereits in seiner Grundlagenschrift "Dianetik" das Endergebnis seiner Behandlung den "Clear" als eine "Maschine", die sich selbst warten könne. Er sah in der Scientology Organisation offenbar ebenfalls eine nach Maschinenregeln zu organisierende und zu optimierende Einrichtung, die Mitarbeiter und Kunden als technische Objekte im Wege der "Produktion" und "Reparatur" zum "Funktionieren" bringt.
2. Die Organisations- und Managementpraxis zur Erhaltung der inneren und äußeren Sicherheit der Organisation
2.1 Linienabweichung: Abweichung von den durch HCO PLs und HCOBs begründeten Verhaltenspflichten
Die nach Vorbild eines Computersystems mit vielen Rechnern aufgebaute bürokratisch-hierarchische Interaktionsstruktur der Organisation, in der der Mensch zum "Terminal" und zum "Partikel" degradiert ist, unterliegt sowohl nach innen als auch nach außen der ständigen minuziösen Überprüfung auf Fehlerfreiheit der "Kommunikationswege" und der "Datenübertragung" entsprechend der Fehlerminimierungsstrategie eines radikalen Qualitätsmanagements. Die Feststellung von Störern (PTS) und Schädigern (SPs) des Systems geschieht dabei nach dem Prinzip: "Abweichung von den Führungsrichtlinien". Zum Begriff der Abweichung von der "Linie" sind im Handbuch "Grundlegender Mitarbeiter-Hut", Bd. 0 allein 65 Nachweise in dort abgedruckten Führungsrichtlinien enthalten, wobei die gravierendsten Fehler eine Abweichung von Befehlen in den Richtlinienbriefen (HCO PL) und den Bulletins (HCOB) darstellen (= "Off-Policy, Off-Origin, Out-Tech"). Scientology stellt entgegen der vor allem unter Religionswissenschaftlichern weit verbreiteten Ansicht deshalb kein Glaubenssystem dar. Linientreue (= „Korrekte Linie") des Anhängers ergibt sich nicht aus seiner Gesinnung, sondern aus seinem richtigen Funktionieren im System, d. h. der messbaren und ständig gemessenen Befolgung aller sich aus den schriftlichen Befehlen (= "Programmanweisungen") ergebenden technischen Verhaltenspflichten.
2.2 Die Praxeologie (Technologie) der Handhabung von Abweichlern und Kritikern (SP)
Nicht genehme Verhaltensweisen von Kunden, Mitgliedern, aber auch von Außenstehenden werden "gehandhabt". Soziologisch handelt es sich beim "Handhaben" von Abweichlern, d. h. internen Störern (PTS) und Schädigern (SPs) sowie externen Kritikern, die ebenfalls als SPs eingestuft werden können, um ein einheitliches vom Organisationsregelement vorgeschriebenes Handlungsspektrum ("Ethik-, Justiztechnologie"), das kriminologisch in zwei Klassen zerfällt, nämlich in noch erlaubte Drucktechniken und noch erlaubte Informationsbeschaffung, d. h. sozialadäquates Handeln einerseits und unerlaubte Druck- und Angriffstechniken (Nötigung, Erpressung, Bedrohung, Schikanen bis hin zu Körperverletzung, verbotene Datenbeschaffung etc.) andererseits.
In jedem Fall geht es darum, mittels "Technologie" (Befehls-)Befolgung ("Compliance") zu erreichen. Bei dem Begriff "Compliance" handelt es sich um ein Schlüsselkonzept der scientologischen Techniklehre. Laut "Policy Index" wird der Begriff Compliance zusammen mit seiner verneinten Form Noncompliance über 75-mal in HCO PLs verwendet. Da das vielgestaltige Arsenal an Druck- und Beugetechniken zur Erreichung von Willfährigkeit bei den "Störern" und "Schädigern" die ganze Palette von erlaubtem bis zu unerlaubtem Druck durchläuft, fällt die Bewertung des Verhaltens der Organisation je nach Kenntnisstand über das Ziel und die Methoden des Systems oft uneinheitlich aus.
Da viele Beugemaßnahmen unterhalb der Schmerzgrenze der Behandelten bleiben, werden sie zudem oft nicht wahrgenommen. Hinzu kommt, dass Angestellte und Kunden, die längere Zeit in Interaktionsbeziehungen zu der Organisation stehen, infolge Gewöhnung auch starke Schikanen (Mobbingattacken) widerstandslos hinnehmen. Denn der natürliche Widerspruchsgeist wurde ihnen durch das rigide Biofeedbacktraining systematisch aberzogen.
2.3 Die Mitwirkungspflicht von Kunden und Angestellten bei Sicherheitsüberprüfungen ("Security Checks") außerhalb von Regelverstößen
Zur Feststellung eines einwandfreien "ethischen Zustands" bedient sich die Organisation unabhängig vom Verdacht eines Regelverstoßes permanenter Sicherheitsüberprüfungen ("Security Checks") mittels E-Meter, das hierbei als Lügendetektor benutzt wird, sowie sog. vorbereiteter Fragelisten, mit deren Hilfe systematisch alle nur denkbaren Verfehlungen abgefragt werden. In einem Verhaltenskodex für nichtscientologische Mitarbeiter (HCO PL v. 20.10.1961 RB, rev 11.01.1985) beschreibt die Organisation diese permanenten inquisitorischen Sicherheitsüberprüfungen als wesentlichen Bestandteil der Lebensform aller Scientologen.
Dementsprechend werden alle neuen, aber auch von "Missionen" zurückkehrenden oder außerhalb einer Org tätigen und alle aus einem scientologischen Arbeitsverhältnis ausscheidenden Mitarbeiter sicherheitsüberprüft. Aber auch derjenige, der Scientology für immer verlässt, muss sich vorher einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen.
Die Pflicht und Form der Sicherheitsüberprüfung ist durch eine Fülle von Richtlinienbriefen geregelt. Es gibt Hunderte je nach Tätigkeitsbereich verschiedener Fragelisten. Durch die permanent durchgeführten Inquisitionsprozeduren werden die scientologischen Verhaltensregeln ständig in Erinnerung gehalten und dabei gefestigt (Dressureffekt).
Die Ergebnisse der Sicherheitsüberprüfungen werden protokolliert. Die Protokolle kommen in die Personalakten. Die Verweigerung einer Sicherheitsüberprüfung ist ein "Ethikverstoß" und löst ein "Ethikverfahren" aus.
Da nach der Lehre nicht offenbarte Übertretungen ("Overts") und in Gedanken begangene Übertretungen, die nicht offenbart werden ("Withholds"), den Fortschritt eines Falles hindern, haben die Sicherheitsüberprüfungen ambivalenten Charakter: Sie dienen einerseits dem Schutz der Organisation und haben dabei gleichzeitig auch therapeutisch-pädagogischen Zweck. Dementsprechend werden vor jedem Ausbildungsabschnitt und vor allen wichtigen "Prozessings" Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Diese wurden früher "Integritätsprozessing", heute "Confessional" genannt. Im HCO PL v. 07.01.1985: "HCO Confessionals" wird ausdrücklich betont, dass zwischen "Sec Chec", "False Purpose Rundowns" und "HCO Confessionals" in technischer Beziehung kein Unterschied bestehe. Da ein Offenbarungszwang besteht, der ggf. mit Ethikmaßnahmen durchgesetzt wird (HCO PL v. 06.03.1982 R, rev. 10.12.1988: "Confessional Tech Policies", abgedruckt in "The Organization Exekutive Course, HCO Divison", Vol. I., Aus. 1991), kennt Scientology die für eine demokratische Wertordnung unverzichtbare Gewissensfreiheit nicht. Werden im "Auditing" oder auch bei Sicherheitsüberprüfungen von Probanden schädliche Handlungen anderer Personen gegenüber Scientology offenbart, muss auch dies an die "Ethik-Sektion" zur Einleitung der erforderlichen Nachforschungen gemeldet werden (z. B. HCOB v. 10.11.1987: "Miscellaneous Reports").
2.4 Kontrolle und Korrektur der nichtscientologischen Welt
Mit den Begriffen "Potenzielle Schwierigkeitsquelle (PTS)" und "Unterdrückerische Person (SP)" erstreckt Scientology ihre Definitionsmacht ausdrücklich auch auf Personen der nichtscientologischen Welt, die nicht in Dienstleistungsbeziehungen mit der Organisation stehen, und versucht darüber hinaus auch über die nichtscientologische Welt Kontroll- und Korrekturmacht auszuüben. Sie hat hierfür in der Organisation spezielle Posten eingerichtet (vgl. das Organisationshandbuch "Zusammenfassung der Abteilungen", S. 35).
2.5 Sicherheitsorgane zur Erhaltung und Steigerung der Funktionsfähigkeit von Scientology
Scientology hat sich mit der sog. Ethiksektion, die für die innere Sicherheit zuständig ist, und dem Office of Special Affairs (OSA), einem Geheimdienst, sowie mit dem diesem übergeordneten paramilitärischen Verband Sea Org Sicherheitsorgane nach Art eines Polizeistaats geschaffen. Deren Aufgabe besteht darin, durch eine permanente Kontrolle der Organisation im Innern und durch Investigationsmaßnahmen in der nichtscientologischen Welt alle Gefahren von der Organisation abzuwehren, um die "Funktionsfähigkeit von Scientology" zu erhalten.
Diese Sicherheitsorgane sind Teil des sich auf alle Lebensbereiche erstreckenden Sicherheitssystems der Organisation. Diesem müssen sich intern alle Funktionäre (Execs, Befehlshaber) und Kunden beim Training ("Ausbildung und Prozessing") zur Kontrolle ihrer Linientreue (vgl. 2.1) ständig unterwerfen ("Security-Check-Tech" mittels Fragelisten am E-Meter). Durch permanente investigative Operationen sucht Scientology extern die nichtscientologische Welt nach potenziellen Feinden ab und versucht diese nach Muster eines totalitären Staates mit Geheimdienstoperationen zu kontrollieren.
So unterliegen alle Kritiker von Scientology, sobald sie von den Sicherheitsdiensten als Gefahr für das System eingestuft sind, als Störer - der Begriff ist hier im Sinne des Polizeirechts eines totalitären Staates zu verstehen - der permanenten geheimen Beobachtung und Ausforschung, ohne dass die Kritiker hiervon Kenntnis erhalten müssen, aber auch der Verhaltensbeeinflussung. Im "Policy Index" sind über 100 Fundstellen zum Terminus "Gefahr" aufgeführt. Die einschlägigen HCO PLs erklären, wie Gefahrenlagen zu handhaben sind. Die Organisation erforscht mit ihren Sicherheitsdiensten auch heute noch mit erlaubten und unerlaubten Mitteln akribisch die Vergangenheit und das Umfeld ihr gefährlich erscheinender Personen und legt über sie umfangreiche Dossiers an (vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 1998), um mit Hilfe von aufgefundenem kompromittierenden Material ggf. beugenden Druck auf diese Personen ausüben zu können und sie so zum Schweigen zu bringen. Sie versucht dabei auch nachweislich, missliebige Personen in kompromittierende Situationen zu verwickeln, um sich derart das zur Druckerzeugung notwendige Material zu verschaffen. Die Organisation verhält sich hierbei, um die Aufmerksamkeit der deutschen Sicherheitsbehörden nicht noch stärker auf ihre Aktivitäten zu lenken, raffiniert. Sie benützt für ihre Investigationsmaßnahmen auch dritte Personen, d. h. private Detekteien.
2.5.1 Das Office of Special Affairs (OSA), eine Organisationseinheit mit der Funktion nach Art eines "Propaganda- und Sicherheitsministeriums"
Im HCO PL v. 13.03.1961: "Department of Official Affairs", abgedruckt in "The Organization Executive Course, Executive Division, Vol. 7" (1991), dem Organisationshandbuch für die Führungsabteilung der Organisation ("Abteilung 7"), wird die Aufgabe dieser Unterabteilung mit der eines Propaganda- und Sicherheitsministeriums verglichen und beschrieben. Hinsichtlich der Arbeitsweise dieser Abteilung wird auf die Broschüre der Freien und Hansestadt Hamburg, Landesamt für Verfassungsschutz, Der Geheimdienst der Scientology Organisation, 2. Auflage (1998) sowie auf den Absatz Nr. 20 in der Broschüre des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, Das System Scientology (1998) Bezug genommen.
Neben der Sicherheitsaufgabe, zu der auch die Wahrnehmung von Rechtsangelegenheiten gehört, hat das OSA als Propagandainstitution auch die Aufgabe, nach strategischen Grundsätzen die Voraussetzungen für die Expansion des Systems zu verbessern, d. h. alle Konfliktherde in der Gesellschaft zu ermitteln und durch propagandistische Bearbeitung die Störquellen zu beseitigen (persuasive Propagandatechnik). Zum Propagandainstrumentarium gehört aber auch die Zersetzung des Ansehens von Gegnern mittels sog. schwarzer Propaganda, wie sie totalitäre Staaten benutzen (vgl. Das System Scientology Nr. 18).
2.5.2 Die Sea Organization (Sea Org), ein politisches Kontrollorgan für die Gesellschaft
Die "Sea Org" nimmt die gleichen Aufgaben wie das OSA in übergeordneter Stellung wahr. Dies ergibt sich aus dem HCO PL v. 08.02.1968, Ausgabe II, abgedruckt im Organisationshandbuch für die Führungsabteilung ("Abteilung 7"). Dort heißt es unter der Überschrift "Öffentliche Kontrollfaktoren":
"Die Sea Org hat ein Feld öffentlicher bzw. politischer Kontrolle, die basieren auf:
A: Ethik-Aktionen
B: Frieden
C: Finanz und Admin (=Administration)
Dies sind die Basiselemente der Sea Org-Planung zur Umsetzung zukünftiger Aktivitäten und zu ihrer Koordinierung der Sea Org mit den anderen Organisationen."
In HCO PL v. 04.10.1968, abgedruckt im Organisationsführungskurs "Grundlegender Mitarbeiter-Hut", Bd 0, wird "Ethikpräsenz" als Fähigkeit, Befehle durchzusetzen, beschrieben und hervorgehoben, dass die "Sea Org" hierzu besonders befähigt sei:
"Wenn Sie also Befehle austeilen, verwenden Sie Nachdruck und Autorität. Sie können aber in eine solche Geisteshaltung geraten, dass Sie aufhören, auch die sanftere Kunst zu verwenden. Bei Nicht-Befolgung ("noncompliance") verwenden Sie Heftigkeit, wobei Sie das Ziel im Auge behalten, Ihre Kommunikationslinie aufrecht zu erhalten."
"Wegen der Sea Org scheinen wir eine unbegrenzte Reichweite und - auf irgendeine mysteriöse Weise - unbegrenzte Mittel zu haben. Die Fähigkeit, auf mysteriöse Weise zu erscheinen und zu verschwinden, ist ein Teil der Ethikpräsenz."
Über die sicherheitspolitische Aufgabe hinaus hat die Sea Org ebenfalls die Aufgabe, die Voraussetzung für die Expansion des Systems zu verbessern.
2.6 Die Konstruktion eines Feindbildes und Mobilisierung zum Kampf nach der kybernetischen Strategielehre
2.6.1 "Das Gesetz der Dritten Partei"
Im HCO PL v. 26.12.1968, Ausgabe I, abgedruckt im Organisationsführungskurs "Grundlegender Mitarbeiter Hut", Bd 0, stellt Hubbard ein von ihm entdecktes angebliches Naturgesetz vor: Das Gesetz der Dritten Partei. Er erklärt dort, dass die Ursache für Konflikte immer die Einwirkung einer dritten Partei sei. Damit hat Hubbard sich die Möglichkeit eröffnet, alle Kritik an seinem System auf einen äußeren Feind, die "Unterdrückerische Person", zu verlagern. Das Investigationssystem, um die "Dritte Partei", d. h. "Unterdrückerische Personen" ausfindig zu machen, erhält damit eine pseudowissenschaftliche Rechtfertigung. Auch diese Doktrin wird dem Personal der Sicherheitsdienste, aber auch den Auditoren eingedrillt und in die Praxis umgesetzt. Es gibt eine ganze Technologie zur "Handhabung der Dritten Partei". Mit der Doktrin des "Gesetzes der Dritten Partei" missbraucht Hubbard das Konzept der systemischen
Psychologie, mit dem diese Störungen in Interaktionsbeziehungen in Gruppen beschreibt und zu verbessern versucht.[31]
2.6.2 Das Freiwildgesetz (Fair Game Law)
Zur Behandlung von Personen, die als "Feinde" der Organisation eingestuft waren, gab es eine Richtlinie, nach der die zum Feind erklärte Person zum Freiwild, d. h. vogelfrei erklärt wurde (Fair Game Law).
In der Version des HCO PL v. 18.10.1967: "Strafen für niedrigere Zustände" lautete diese Richtlinie: "Feind SP Order: Man darf ihr Eigentum abnehmen, sie in jeder Weise verletzen, ohne dass man von einem Scientologen bestraft wird. Man darf ihnen Streiche spielen, sie verklagen, sie belügen oder vernichten."
In vor US-amerikanischen Gerichten abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen ehemaliger höchstrangiger Manager von Scientology, wie der ehemaligen Vorstandsvorsitzenden des "Religious-Technology-Centers", der höchsten Befehlszentrale der Organisation, Vicky Aznaran, und des Ehepaares Young, früheren Top-Managern bei Hubbard, wird ausgeführt, dass die Organisation das "Freiwild-Gesetz" zur Feindbekämpfung auch nach seiner förmlichen Aufhebung fortlaufend sowohl gegen Scientologen als auch Nichtscientologen weiter angewendet habe. Frau Aznaran weist ferner darauf hin, dass alle neueren Fassungen der Richtlinie zum "Freiwild-Gesetz" lediglich semantische Veränderungen seien, die an der Praxis, "Unterdrückerische Personen" mit allen, auch kriminellen Mitteln zu bekämpfen, nichts geändert hätten. Tatsächlich finden auch heute noch weltweit gegenüber Dissidenten und Kritikern von Scientology neben erlaubten Angriffen z. B. in Prozessen gemeine Mobbingattacken unterschiedlichster Intensität statt.
2.6.3 Schulung des Sicherheitsmanagements in militärischer Strategie
Das "Freiwild-Gesetz" ist nur die formelhafte Zusammenfassung einer aus Lehrbüchern über Kriegsführungstechniken und der kybernetischen Spieltheorie entnommenen Strategie-Lehre für die Ausschaltung von Schädigern von Scientology. Kern dieser Verfahrenslehre ist der Einsatz geheimdienstlicher Mittel, wie sie totalitäre Staaten zur Ausschaltung ihrer Feinde verwenden. Da es sich um eine geheime Strategie des Managements der Organisation handelt, ist das Organisations- und Lehrmaterial hierüber ausdrücklich als vertraulich eingestuft und wird daher in der für die Öffentlichkeit bestimmten Schriften nicht dargestellt.
Beweis für die Verwendung einer militärstrategischen Lehre sind das Lehrbuch für Ausbilder und Auszubildende des Geheimdienstes, das Executive Directive des Office of Special Affairs, und das Manual of Justice. Das höhere Management aus der "Führungsabteilung (Abteilung 7)", in der sich das "Office of Special Affairs" befindet, und die Funktionäre (Execs, Befehlshaber) der Abteilung 1 (= "Hubbard-Kommunikationsbüro"), in der die sog. "Ethiksektion" angesiedelt ist, sowie die mit "unbegrenzter Vollmacht" ausgestattete paramilitärisch organisierte und geführte Spezialeinheit "Sea Org" werden hiernach zur "Handhabung", d. h. Abwehr innerer und äußerer "Feinde" in geheimdienstlichen Operationstechniken speziell gedrillt.
Ziel der Schulung in Geheimdiensttechniken ist es offensichtlich, die Funktionäre (hier: OSA-Execs, OSA-Befehlshaber, PR-Execs) zu befähigen, für die Organisation schädliche Maßnahmen von Gegnern, seien es Behörden oder Privatpersonen, mit allen Mitteln zu unterbinden. Hierbei wird, wie die Direktive beweist, die Gesellschaft als eine Art Kriegsschauplatz angesehen, in der man mit unfairen Kampfmethoden den Gegner ausschalten darf.
Die Funktionäre (hier: OSA-Execs, OSA-Befehlshaber, PR-Execs) werden zu diesem Zweck in Kampftechniken aus dem Lehrbuch "Über Kriegskunst" des chinesischen Geheimdienstexperten Sun Tsu (500 v. Chr.) sowie aus dem Strategielehrbuch "Vom Kriege" (1830) von Carl P.G. von Clausewitz durch Drill geschult. Letztlich folgt Hubbard aber der kybernetischen Strategietheorie, deren Grundlagen die mathematische Spieltheorie ist. Zentraler Begriff der Lehre Hubbards ist deshalb der des strategischen Spiels. Die Lehrschrift "Executive Directive" des OSA enthält gleichzeitig eine Auflistung aller "HCO PLs" über die Diagnose und den Umgang mit "Unterdrückerischen Personen". Die große Anzahl der dort aufgeführten einschlägigen Richtlinienbriefe zeigt, dass die Überwachung und Korrektur von für Scientology missliebigen Personen ein Schwerpunkt der Aktivitäten der Organisation ist.
2.6.4 Das Konzept der Spionageabwehr
Um den größtmöglichen Anreiz für die Abwehr systemschädigender Handlungen seitens mutmaßlicher Störer zu schaffen, ist im HCO PL vom 01.09.1969 R, rev. 24.09.1983: "Counterespionage", abgedruckt sowohl im Band des "Organisationsführungskurses für die Führungsabteilung (Abteilung 7)" als auch im Band für das "Hubbard-Kommunikationsbüro (Abteilung 1)", für die Ergreifung und Überführung solcher Störer eine Belohnung von 1.000 US-Dollars ausgesetzt. Als schädigende Handlungen sind dabei aufgeführt:
1. jeder Diebstahl von Dokumenten und Material,
2. die Erteilung von Befehlen und Anordnungen, die ein zerstörerisches Ergebnis haben,
3. jedes Inunordnungbringen von Akten, Rechnungen und Adressen,
4. das Erteilen von falschen Berichten, falschen Ratschlägen an Kunden oder Mitarbeiter oder die Verbreitung von Defätismus,
5. die vorsätzliche Korrumpierung von Tech (= vorsätzlich falsche Anwendung von Organisations-, Ausbildung- und Prozessingvorschriften)
Das Aussetzen einer hohen Belohnung z. B. für denunziatorische Anzeigen erinnert an die Verfolgungspraxis totalitärer Staaten. Auch die übrigen Schädigungstatbestände unter Nrn. 2, 4 und 5 sind derart vage, dass missliebige Mitarbeiter, aber auch Dritte, die Nichtscientologen sind, jederzeit willkürlich zu "Unterdrückerischen Personen" erklärt und der Verfolgung ausgesetzt werden können. Es handelt sich um eine heute noch gültige Organisations-Regel. Die Wichtigkeit dieser Regel ergibt sich daraus, dass sie jeweils in den Organisationshandbüchern der beiden Führungsabteilungen abgedruckt ist.
2.6.5 Systematische Tarnung der Aktionen und Ableugnung der Verfolgung von Abweichlern und Kritikern
Die Organisation versucht, durch Propaganda ihre "Technologie" zur Erzielung von Willfährigkeit ihrer Kunden, des Personals, aber auch ihrer Kritiker hinter einer pseudoreligiösen Propagandafassade zu verstecken.
Die Technik der Selbstdarstellung und die hierbei geübte systematische Bagatellisierung im Rahmen einer ausdrücklich von totalitären Systemen kopierten Propagandalehre hat Hubbard Redefinitiontechnik genannt. Die systematische Sprach- und damit Wahrheitsmanipulation der Organisation bis hin zum Lügendrill aufgrund dieser Propagandatechnologie, wie sie in der vom BayStMI herausgegebenen Broschüre "Das System Scientology" dargelegt und bewiesen wurde (vgl. Nr. 17, 18 und 19), ist ein konstituierendes Prinzip des Gesamtsystems Scientology.
3. Versuch einer human-wissenschaftlichen Einordnung von Scientology
Der dauernde Konfliktzustand, in dem demokratische Rechtsordnungen mit der Organisation Scientology weltweit stehen, beruht gerade darauf, dass sie ihre zwangspädagogische technizistische Kontroll- und Korrekturmacht im Rahmen ihrer autoritären Organisations- und Managementtechnologie ohne Rücksicht auf die demokratische Wertordnung sowohl nach innen als auch nach außen mit Nachdruck durchzusetzen versucht. Jeder Störer der Funktionsfähigkeit der Organisation, gleich ob Außenstehender, Kunde oder Mitarbeiter, wird deshalb als (potenzieller) Schädiger betrachtet, bei schwereren Störungen als Feind ("Unterdrückerische Person") qualifiziert. Dessen schädigendes Handeln wird nach der Executive Directive und dem "Manual of Justice" mit allen Mitteln abzuwehren versucht. Dabei richtet sich der Modus operandi nicht nur theoretisch, sondern auch in der Praxis weltweit am Vorbild einer Art eines äußerst flexibel geführten Kalten Krieges, wie er von Geheimdiensten totalitärer Staaten gegen ihre Feinde geführt zu werden pflegt. Nicht in die Organisation integrierte Kunden erfahren hierüber nichts.
Grundlagen für Hubbards Lehre und Technik ist das biotechnologische Menschenbild der Ingenieurkybernetik, wie sie in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts von Naturwissenschaftlern in Ost und West entwickelt worden ist. Der Mensch wird hiernach mit einem strategisch agierenden biologischen Automaten gleichgesetzt, der durch „Programmierung“ (Konditioniertes Lernen) "optimiert" werden soll.[32]
Dementsprechend werden auch Organisationen nach dem Modell einer nach kybernetischen Gesetzen funktionierenden (Bio-)Maschine behandelt. Wenn auch dieses Modell der frühen Kybernetik in der Organisationswissenschaft heute durch ein Netzwerkmodell ersetzt worden ist, hat dieses (Bio-)Maschinenmodell letztlich nichts an seiner Aktualität verloren, da es neben dem Netzwerkmodell ein gleichwertiges Beispiel für die Beschreibung eines lebendigen, d. h. durch sogenannten Input- und Output mit seiner Umwelt in stofflicher, energetischer und informationeller Beziehung stehenden Systems ist.
L. Ron Hubbards frühkybernetische Organisations- und Managementtechnologie, deren letzte Feinheiten und Funktionsweise nur die Spitzenfunktionäre (hier: höchste Org-Execs, oberste Befehlshaber einer Org bzw. Sea Org) kennen und beherrschen dürften, steht allerdings auch in unmittelbarer Tradition des Reglements für den Staatsleviathan, d. h. den autoritären Maschinenstaat von Thomas Hobbes. Die Idee zur kybernetischen Fortentwicklung dieses machinalen Organisationsmodells von Hobbes zum "Cyberleviathan" dürfte keine eigene Erfindung Hubbards sein. Die Idee hierzu findet sich bereits in den Schriften des Entdeckers der kybernetischen Organisationsgesetze, des Mathematikers Norbert Wiener. In seinem 1949 in den USA erschienen Buch "The Human use of Human Beings (Cybernetics and Society), das in Deutschland 1952 in Frankfurt a.Main unter dem Titel "Mensch und Menschmaschine" erschienen ist, erörtert Wiener die Möglichkeit mit Hilfe der von ihm entdeckten naturwissenschaftlichen Gesetzen der Kybernetik den Staat und die Gesellschaft nach Art einer "in ein kriegerisches Gewand gehüllten Schachspielmaschine (maschine à gouverner)" zu konstruieren und zu beherrschen (S. 188 ff.). Er nimmt dort übrigens ausdrücklich auch auf Thomas Hobbes' Leviathan Bezug (S. 190):
"Das ist eine harte Lektion nüchterner Mathematik. Aber sie wirft einiges Licht auf das Abenteuer unseres Jahrhunderts: Das Schwanken zwischen dem völligen Durcheinander menschlicher Verhältnisse und den Aufstieg eines ungeheuren Leviathans. Im Vergleich mit ihm war Hobbes' Leviathan nur ein harmloser Spaß. Wir sind heute in der Gefahr, einen großen Weltstaat aufzubauen... eine Welt, die für jeden klaren Geist schlimmer als die Hölle ist."
Hubbard hat sich, wie er selbst in seinen Frühschriften an mehreren Stellen ausführt, die kybernetische Lehre von Norbert Wiener zu eigen gemacht. Das 1976 von Hubbard herausgegebene Organisations- und Managementlexikon ("Modern Management Technology Defined") mit über 13.200 Definitionen und hunderten von Abkürzungen enthält das strategisch organisatorische Know-how und die ingenieurtechnischen Regeln (Algorithmen), mit dessen Hilfe er zunächst alle gesellschaftlichen Organisationen, letztlich aber auch den Staat und die ganze Gesellschaft nach Art der totalitären kybernetischen Maschine Norbert Wieners neu organisieren und sich unterwerfen wollte. Der Einzelne wäre in einem solchen System ein total kontrolliertes Funktionselement einer maschinenähnlichen Technokratie ohne eigene Freiheit.
Organisationswissenschaftliche Untersuchungen darüber, ob und inwieweit mit diesem Reglement sich das von Hubbard angestrebte antidemokratische Ziel ganz oder teilweise verwirklichen lassen könnte - sieht man von den Erkenntnissen der deutschen Verfassungsschutzbehörden und den Berichten ausgestiegener Spitzenfunktionäre der Organisation (oberste Befehlshaber einer Org bzw. Sea Org) und einfacher Mitglieder einmal ab - fehlen bis heute.
Die bisherige sozialwissenschaftliche Einordnung von Scientology durch Psychologen und Religionswissenschaftlicher als sogenannte "Psychogruppe" oder Psychosekte" erweist sich als ungenügend. Denn dieses Erklärungsmodell ist nicht in der Lage, das von Scientology benutzte organisationstechnologische Instrumentarium zu sehen, zu beschreiben, wissenschaftlich einzuordnen und dessen Funktionsweise zu begreifen.
Die von Medienwissenschaftlern zur Kennzeichnung für den Kern- und Führungsbereich der Scientology-Organisation vorgeschlagene - allerdings polemisierende und übertreibende - Kurzbezeichnung: "Cybersekte" scheint deshalb das Charakteristische von Scientology bei weitem besser zu treffen. Es besteht allerdings bei Verwendung dieser Bezeichnung die Gefahr, dass die Organisation, wie bisher, als das fantastische Produkt des Science-fiction-Schriftstellers Hubbard außerhalb des Forschungsinteresses der Organisationswissenschaft bleibt und damit in ihrer Gefährlichkeit nicht richtig bewertet werden kann.
Die praktischen Auswirkungen der angewandten Organisationstechnologie bedürfen weiterer organisationswissenschaftlicher Untersuchung.
Copyrights und Trademarks:
Modern Management Technology Defined, 1976, Church of Scientology of California; © 1949 - 1976 by L. Ron Hubbard; ISBN 0-88404-040-2
Technical Dictionary, 1975, Church of Scientology of California; © 1949 - 1975 by L. Ron Hubbard; ISBN 0-88404-037-2
Einführung in die Ethik der Scientology, 1989, NEW ERA Publications International Aps; © 1989 L. Ron Hubbard Library[6]; ISBN 87-7336-592-0
Scientology 0-8, 1990, NEW ERA Publications International Aps; © 1989, 1990 L. Ron Hubbard Library; ISBN 87-7336-724-9
Dianetik Der Leitfaden für den menschlichen Verstand, 1995, NEW ERA Publications International Aps; © 1989, 1995 L. Ron Hubbard Library; ISBN 87-7336-622-6
Die Trademarks für die Scientology-Frontgruppen ABLE (Association For Better Living And Education) und deren Ableger Applied Scholastics (Studiertech, Nachhilfe), The Way to Happiness Foundation (Der Weg zum Glücklichsein - Hubbards "moralischer" Kodex für die breite Öffentlichkeit ist reine Propaganda), Narconon (Reinigungsrundown, TRs etc.), Criminon ("Rehabilitierungsprogramm" für Häftlinge) sind im Besitz des Scientology-Konzerns.
Das Trademark für WISE (World Institute of Scientology Enterprises) ist im Besitz des Scientology-Konzerns. WISE will als "säkularer" Zweig von Scientology die Verwaltungs-, Ethik- und Justiztechnologie Hubbards in Firmen und Regierungen einsetzen.
[1] Funktionär: Beauftragter eines Verbandes, einer Partei, einer Gewerkschaft. Die Verwendung des Begriffs "Funktionär" weicht den harten Charakter des militärisch einzustufenden "Execs" völlig auf. Natürlich gibt es auch in Scientology Funktionäre, wie z.B. die "Präsidenten der 'Church' of Scientology", die Leiter der "sozialen Scientology-Verbesserungsprogramme" ("social betterment programs"), die Sprecher der Scientology-Kampforganisation KVPM (Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte) usf. Solche Funktionäre sind jedoch keine Org-Execs.
[2] Modern Management Technology Defined: "ETHICS PRESENCE, 1. ethics presence is an "X" quality made up partly of symbology, partly of force, some "now we're supposed to's" and endurance. Endurance asserts the truth of unkillability."("Ethikpräsenz" besteht aus einer Überzeugungskraft, die Pflichterfüllung, Ausdauer und "Nichtgetötetwerdenkönnen" suggeriert. Der Exec ist ein Symbol für Hubbard-Tech, für Durchsetzungsvermögen, für Härte und für ethisches Verhalten - gemeint ist die Scientology-Ethik. Ethikpräsenz wäre vergleichbar mir der starken Wirkung, die z.B. ein Rommel auf seine Soldaten hatte.)
[3] Ein typisches Hubbardsches Kunstwort: Im wirklichen Leben positiv geladen, bedeutet es in Scientology, dass man keine Führungsqualitäten hat. Modern Management Technology: "REASONABLENESS, 3. a staff member or executive can be reasonable and accept reasons why something cannot be done..." Vgl. als Anwendungsbeispiel Admin Know-How Series 18: "Being reasonable about their [stats] being down should be regarded as AGREEMENT WITH THEIR BEING DOWN. Which is of course suppressive."
[4] Command Intention: die absolute Befehlsabsicht des oberen Managements (Miscavige), die in Form von Befehlen, Richtlinien, Bulletins über die Command Lines an alle Scientology-Orgs und Scientologen weitergegeben wird. Der Command Intention muss schnellstens nachgekommen werden. So verlangt z.B. der "Kodex eines Sea-Org-Members": "I promise to uphold, forward and carry out Command Intention."
[5] Command Comm Cycle: "... He who gives the order gets an answer! Compliance reports are never routed off the lines before they reach the originator of the order. ... A compliance report ... is a cycle completed and reported back to the originator as done so that the command comm cycle is completed." Modern Management Technology Defined
[6] Werbung aus OEC, Grundlegender Mitarbeiter-Hut, Band 0
[7] aaO, S. 328
[8] aaO, S. 365
[9] aaO, S. 325
[10] aaO, S. 313
[11] aaO, S. 259
[12] aaO, S. 294
[13] aaO, S. 121
[14] aaO, S. 107
[15] aaO, S. 309
[16] aaO, S. 27
[17] aaO, S. 596
[18] aaO, S. 581
[19] aaO, S. 602
[20] aaO, S. 234
[21] aaO, S. 687
[22] aaO, S. 703
[23] aaO, S. 712
[24] aaO, S. 705
[25] aaO, S. 82
[26] aaO, S. 603
[27] aaO, S. 307
[28] aaO, S. 437
[29] aaO, S. 765
[30] aaO, S. 765
[31] Paul Watzlawick/John H. Weakland (Hg), Interaktion. Menschliche Probleme und Familientherapie, München, Zürich 1990 (Serie Piper)
[32] Georg Klaus, Wörterbuch der Kybernetik, 2. Band, Fischerbücherei 1969, Stichwort: Roboter