Jürgen Keltsch
Erstveröffentlichung in DSWR 1985 1/2
Computer können rechnen, sie können speichern und vergleichen. Computer können aber weder selbständig Vergleichsmuster erweitern, noch sind sie fähig, den Sachverhalt eines komplexen Falles festzustellen. Der Alptraum eines Rechtsprechungsroboters kann deshalb in absehbarer Zeit nicht Wirklichkeit werden.
Wer als technischer Laie die Entwicklung der Computer am Rande mitverfolgt, kommt aus dem Staunen nicht heraus. Komplizierteste Rechenergebnisse erscheinen als bunte Graphik auf dem Bildschirm. Auf einen Blick kann diese Graphik zeigen, was als Daten und Ziffern ausgedruckt ein ganzes Buch füllen würde. Aber nicht nur das Bild zaubert der Computer auf den Monitor, er führt sogar Experimente durch, die auf dem Bildschirm anschaulich mitverfolgt werden können. Wie sich beispielsweise an einem neuen Flugzeugrumpf Druck und Unterdruck verteilen, wird auf dem Monitor in verschiedenfarbigen Ringen abgebildet. Der Konstrukteur kann die Eigenschaften seines Modells nach Belieben ändern und schließlich nur die besten auswählen1.
Der Jurist (oder Steuerberater), der gerade über der Entscheidung eines Grenzfalles brütet und hierbei vergeblich nach einem Präjudiz in den Kommentaren sucht, fragt sich nachdenklich, ob ihm der Computer jemals in ähnlicher Weise helfen können wird. Der amerikanische Computerexperte Weizenbaum, der mit der Entwicklung des psychiatrischen Dialogcomputers ELIZA Aufsehen erregte, behauptet, Computer könnten nicht nur psychiatrische, sondern auch juristische Entscheidungen fällen2. Er stellt dies allerdings mit Bedauern fest und warnt entschieden vor solcher Anwendung. Gibt es wirklich bereits den vollautomatischen Rechtscomputer, der von der Sachverhaltsfeststellung bis zum Rechtsfolgenausspruch alles kann? Falls nicht, wird es ihn jemals geben? Wir wollen versuchen, einige der Hauptprobleme, die sich bei der vollautomatischen Rechtsfindung ergeben, zu skizzieren3. Hierbei wird sich alsbald zeigen, dass die eigentliche Problematik nicht im technischen, sondern im erkenntnistheoretischen Bereich liegt.
Ein einfacher Fall aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht soll dabei als Orientierungshilfe dienen. Nach § 125 OWiG handelt ordnungswidrig, wer unbefugt das Wahrzeichen des Roten Kreuzes auf weißem Grund oder die Bezeichnung «Rotes Kreuz» benutzt. Nach Absatz 3 stehen diesem Wahrzeichen und dieser Bezeichnung solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
Nach Einspruch gegen einen Bußgeldbescheid hat Richter R darüber zu entscheiden, ob Herr A missbräuchlich das Wahrzeichen des Roten Kreuzes für seinen Rettungsdienst verwendet hat. Richter R hat in den Akten als Vergleichsmuster ein Originalsignet des Roten Kreuzes (Abb. 1) und ein Exemplar des inkriminierten Zeichens (Abb. 2).
Richter R erinnert sich, als er die beiden Zeichen miteinander vergleicht, an einen Besuch in einem Datenverarbeitungszentrum, in dem ein vollautomatischer Belegleser mit atemberaubender Geschwindigkeit Berge von Belegen mit handgeschriebenen Ziffern ordnete. Die Vergleichsmuster der Ziffern waren dieser Lesemaschine, die mittels eines Sensors die Ziffern abtastete, einprogrammiert. Innerhalb einer gewissen Toleranzbreite konnte die Maschine sogar Varianten des Grundmusters der jeweiligen Ziffer erkennen. Richter R stellt fest, dass sich sein Rechtsfindungsprozess im Prinzip nicht vom Vorgehen des automatischen Beleglesers unterscheidet. Nach weiterem Nachdenken meint Richter R, dass jeder gesetzliche Tatbestand eigentlich nichts anderes als ein derartiges Vergleichsmuster sei. Da eine Deckungsgleichheit der beiden Kreuze ersichtlich nicht gegeben ist, verneint Richter R die Anwendung des ersten Absatzes von § 125 OWiG. Ob nun aber Absatz 2 erfüllt ist, die beiden Zeichen sich zum Verwechseln ähnlich sind, bereitet Richter R erhebliches Kopfzerbrechen.
Bei jedem neuen, d. h. noch nie vorher entschiedenen Fall ergibt sich bei der Rechtsfindung ganz allgemein dieses Entscheidungsproblem, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Sachverhalt - wie meist - schriftlich oder wie hier - bildlich fixiert ist. Dass der Computer zu einer mechanischen Wiederholung einer Entscheidung fähig ist, bedarf keiner näheren Begründung. Ob er aber auch eine neue Entscheidung fällen kann, ist das eigentliche Problem der automatischen Rechtsfindung, für dessen Lösung zunächst eine Bestimmung des Verhältnisses zwischen automatischer Datenverarbeitung und Rechtsanwendung erforderlich ist.
Zwischen beiden scheint eine natürliche Affinität zu bestehen. Gesetze und festgestellte Sachverhalte sind in aller Regel schriftlich fixiert, d. h. es handelt sich um Zeichenfolgen, die bei der Rechtsfindung miteinander in Beziehung gesetzt werden. Nach DIN 44300 (Informationsverarbeitung) sind aber Computerdaten Zeichen oder kontinuierliche Funktionen, die zum Zweck der Verarbeitung Informationen aufgrund bekannter oder unterstellter Abmachungen darstellen. Da die überwiegende Mehrzahl der Lebenssachverhalte, die der Jurist zu beurteilen hat, nicht in zeichenhafter Form gegeben ist - man denke z. B. an eine Sachbeschädigung -, so bedarf es, um den Computer für die Rechtsfindung überhaupt einsetzen zu können, einer Transformation des Sachverhalts in Zeichen, die zumeist Wörter aus der Umgangssprache sind. In der Sprechweise der Nachrichtentheorie heißt diese Transformation Codierung. Entsprechend kann auch der Text des gesetzlichen Tatbestandes als Codierung eines vom Gesetzgeber gemeinten Lebenssachverhalts aufgefasst werden4. Erst durch diese Codierung werden die Daten geschaffen, welche dem Computer zur Verarbeitung eingegeben werden können. Muss man demnach das Bild (Abb. 1) erst in das Wortpaar «Rotes Kreuz» umformen, damit es vom Computer verarbeitet werden kann? Wie vereinbart sich dies mit der Beschreibung des automatischen Beleglesers? Dieser verschafft sich durch sein Wahrnehmungsorgan, den Sensor, seine Daten durch Abtasten des Bildes selbst, während dem Computer ohne Sensor die Daten erst vom Menschen eingegeben werden müssen. Der scheinbare Unterschied zwischen den beiden Datenarten, den Zeichen einerseits und den elektrischen Impulsen aus dem Sensor andererseits, lässt sich auflösen. Die Zeichen sind nämlich auch nichts anderes als physikalische Ereignisse, die erst aufgrund von Abmachungen zu Informations- bzw. Bedeutungsträgern werden. Dieser für den Menschen so fundamentale Unterschied zwischen intuitiver und symbolischer Erkenntnis- und Ausdrucksart ist dem Computer fremd. Er kümmert sich nicht um Bedeutungen. Wurde er auf Sprachverarbeitung programmiert, ist das Vergleichsmuster das in die Maschinensprache übersetzte physikalische (Zeichen-)Ereignis «Rotes Kreuz» und nicht dessen Bedeutung (Abb. 1), es sei denn es gibt wie bei den zu Beginn beschriebenen Konstruktionscomputern eine maschinelle Übersetzungsregel. Die Maschine versteht nämlich im Prinzip nur eins und null, d. h. elektrische Ladung auf dem Speicherplatz oder keine. Hieraus folgt, dass der Computer zwei bedeutungsidentische Texte, auch wenn sie nur in einem Wort variieren, als verschieden einstuft. Das «Erkennen» bzw. das «Entscheiden» der Maschine ist demnach nichts anderes als die Herstellung oder die Verneinung einer Isomorphierelation zwischen zwei physikalischen Ereignissen.
Von Texten, die juristische Entscheidungen enthalten - z. B. einem Strafurteil -, wissen wir, dass zwischen der Sachverhaltsdarstellung «Kotflügeleinbeulung» und dem angewendeten gesetzlichen Tatbestand «Sachbeschädigung» keine Wortgleichheit besteht. Die durch die Subsumtion festgestellte Gleichheit zwischen Gesetz und Sachverhalt liegt in der Identität der Bedeutung der verwendeten Sprachzeichen. Um eine juristische Entscheidung fällen zu können, muss der Computer demnach so programmiert werden, dass er unterschiedliche Zeichen, die bedeutungsidentisch sind, gleichsetzt. Es kann so eine Übersetzungskonvention geschaffen werden, durch die die Maschine in die Lage versetzt wird, auch das Erkennen von Bedeutungen zu simulieren.
Die automatische Rechtsfindung ist demnach weniger eine technische als eine erkenntnistheoretische Herausforderung. Zwei Fragen müssen hier beantwortet werden:
Gibt es eine allgemeine Übersetzungsregel, die es erlaubt, beliebige wortverschiedene umgangssprachliche Texte, die denselben Sachverhalt wie ein Mustertext beinhalten, in diesen zu übersetzen?
Ist es möglich, dass ein im Computer gespeichertes Vergleichsmuster sich selbständig erweitert?
Aus den bisherigen Ausführungen dürfte es hinreichend deutlich geworden sein, dass das Gesetz im Computer lediglich die Rolle eines sprachlichen Vergleichsmusters spielt. Die Änderung dieses Musters steht somit für Fortbildung oder Wandel des Rechts.
Um es gleich vorwegzunehmen: Eine derartige Übersetzungsregel ist eine Utopie, die sich auch nicht annähernd verwirklichen lässt. Einige der Gründe seien hier skizziert. Die Abbildung 3 soll hierbei Argumentationshilfe leisten:
Darstellung Nr. 1 verkörpert einen beliebigen Gegenstand, mit dem wir durch unsere Sinne - hier durch Augenschein - Bekanntschaft5 schließen. Wir sind nun in der Lage, von diesem Gegenstand Stellvertreter zu schaffen, indem wir von ihm ein Abbild Nr. 2 herstellen oder ihn durch ein Zeichen Z1 bzw. eine Zeichenfolge Z2 repräsentieren. Von den Zeichen Z kann je nach Bedarf wieder zu einem Abbild Nr. 3 übergegangen werden. Die Relation, die zwischen Gegenstand und Z1 hergestellt wird, heißt Benennung; Z1 ist der Name des Gegenstandes. Die Umkehrrelation ergibt die Bedeutung von Z1. Die Relation zwischen Gegenstand und Z2 bezeichnen wir als Beschreibung, wobei diese nichts anderes als die namentliche Aufzählung von Eigenschaften des Gegenstandes ist. Die Verwendung der Zeichen unter Einhaltung der festgelegten Bedeutung heißt Sprachgebrauch. Sofern der Gegenstand und seine bildlichen und zeichenhaften Stellvertreter noch vorhanden sind, können sie durch Umkehr wieder aufgesucht werden, andernfalls bleibt nur die Erinnerung. Geht diese bezüglich des Gegenstandes oder seines Abbildes verloren, ist der Gegenstand untergegangen6.
Um die gewünschte Übersetzung durchführen zu können, müsste es eine feste Beziehung zwischen den Gegenständen einerseits und ihren Namen und Beschreibungen andererseits geben. Eine derartige Beziehung existiert jedoch in der Umgangssprache nicht. Wenn gemeinsame Bekanntschaft mit den Gegenständen besteht, so können die Gesprächspartner sich es erlauben, ihren eigenen Sprachgebrauch zu bestimmen, was im Alltagsleben tagtäglich geschieht. Dem steht nicht entgegen, dass Wortschatz und Grammatik in einer Sprachgemeinschaft festgelegt sind. An dieser syntaktischen Beziehung ändert sich nämlich nichts, wenn in der semantischen Beziehung, dem Verhältnis zwischen Zeichen und Gegenstand, neue Festlegungen getroffen werden, wobei die Bestimmung einer neuen Bedeutung nicht völlig frei, sondern unter Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes erfolgen muss. Die Lebendigkeit der Umgangssprache liegt gerade in diesen neuen, oftmals nur minimalen Bedeutungsverschiebungen durch gemeinsame aufzeigende Definition, die oft unbewusst erfolgt.
Dieses aus der willkürlichen Bedeutungsfestlegung erwachsene Übersetzungsproblem ist prinzipiell dadurch lösbar, dass man zur Sachverhaltsfeststellung eine eindeutige computergerechte Sprache vorschreibt. Tut man dies, so ist bei der Sachverhaltsfeststellung diese Sprache beengende Richtschnur. Je geringer der allgemeine Wortschatz des Computers, desto schablonenhafter und damit unwahrer wird die Sachverhaltsfeststellung. Die Suche nach dem computergerechten Wort enthält damit bereits eine Art Vorsubsumtion außerhalb der Maschine, handelt es sich doch um eine Übersetzung aus der Umgangs- in die Computersprache. Diese Schwierigkeit ist durch die Schaffung einer differenzierten Computersprache grundsätzlich zu beheben.
Ein weiteres Übersetzungsproblem ergibt sich aus der unterschiedlichen Länge der Sachverhaltsdarstellung gegenüber dem Gesetzestext. Wie kann der offensichtlich bedeutungsreichere Text des Sachverhalts dem bedeutungsärmeren des gesetzlichen Tatbestandes inhaltsgleich sein? Hier muss zweierlei auseinandergehalten werden, einerseits der konventionale Aspekt bei der Herstellung der Stellvertreterbeziehung zwischen Gegenstand und Zeichen, andererseits der Aspekt der Teilidentität zwischen Vergleichsmuster und Fall.
Ist der Mensch mit den Dingen bekannt, so ist es möglich, dass bereits ein einziges Wort eine Vielheit von Gegenständen darstellt. Man denke nur daran, was für einen Kenner Albrecht Altdorfers das Stichwort «Alexanderschlacht» bedeutet. Die Anzahl der verwendeten Wörter sagt demnach grundsätzlich nichts über den dahinterstehenden Bedeutungsreichtum aus. Diesen Unterschied in der Mitteilungsform bezüglich eines angesprochenen Gegenstandes machen wir üblicherweise durch die Ausdrücke «Namensnennung» einerseits und «Beschreibung» andererseits kenntlich. Entsprechend gelten ein zu definierender Ausdruck und seine Definition trotz unterschiedlicher Textlänge als bedeutungsgleich.
Die Übersetzung des Sachverhaltstextes in den des gesetzlichen Tatbestandes ist aber nicht ausschließlich eine Frage der sprachlichen Konvention, sondern vor allem ein sachliches Problem. Spätestens an dieser Stelle müssen wir das von Philosophen und Juristen viel benutzte und doch in seinem Wesen immer noch rätselhafte Denkinstrument «Begriff»7 bemühen. Nur mit ihm gelingt es, das Verfahren der Bedeutungsreduktion unter gleichzeitiger Identitätswahrung zu erklären. Die Gleichsetzung von Sachverhaltsdarstellung und Gesetzestext ist nämlich nur dann möglich, wenn man durch Abstraktion den Sachverhalt an das gesetzliche Vergleichsmuster anpasst. Gibt es hierfür ein computergerechtes Verfahren?
Da die Entwicklung des Gedankenganges im einzelnen den Umfang des Aufsatzes sprengen würde, sei hier nur das Ergebnis skizziert: Eine computergerechte Erklärung des Begriffes darf in ihm keinen Gegenstand in einem platonischen Ideenreich oder eine Vorstellung im Kopf der Menschen sehen. Auch die heute herrschende wissenschaftstheoretische Erklärung eines Begriffs als Bedeutung eines Ausdrucks führt nicht weiter8. Hierdurch wird lediglich der oben geschilderte Symbolcharakter der Zeichen erfasst. Die Differenzierung zwischen Signans (Zeichen), Signifikans (Bedeutung/Begriff) und Signifikat (Gegenstand)9 gibt auch nur Vorschriften über den Zeichengebrauch wieder, die sicherstellen sollen, man über denselben Gegenstand spricht, wenn keine gemeinsame Bekanntschaft mit ihm besteht. Dasselbe gilt schließlich auch von der Sprechweise der modernen Logik über den Begriff. Er wird dort als Aussagefunktion behandelt, z. B. als einstelliges Prädikat Fx, aus dem durch Einsetzung von Namen eines Individuums (Gegenstands) oder einer Klasse Aussagen gewonnen werden. F steht hierbei für die Eigenschaft eines Individuums oder einer Klasse, x verkörpert die Stelle, an der ein beliebiger Fall mit der Eigenschaft F oder die Klasse, die diesen beliebigen Fall enthält, eingesetzt werden muss10.
Nach der hier vertretenen konzeptualistischen Auffassung ist der Begriff ein in seinem Wesen nicht an Sprache gebundenes Ordnungsinstrument. Er ist die Fähigkeit des Menschen oder auch einer Maschine, (teil-)gleiche Gegenstände aufgrund eines vorgegebenen Vergleichsgegenstandes zu einer Klasse zusammenzufassen. Wir verstehen unter einem Begriff demnach weder einen Namen noch sonst ein Ding, sondern die Möglichkeit, Ereignisse und Gegenstände der Innen- und Außenwelt in bestimmter wiederholbarer Weise nach ihrer Ähnlichkeit zu ordnen. Der Begriff ist demnach ein Handlungs- oder Verfahrensmuster11, vergleichbar dem, was man im Maschinenbereich einen Algorithmus nennt. Dass die Entflechtung des menschlichen Begreifens in eine Benennungs- und Ordnungsfunktion keine künstliche Unterscheidung ist, zeigen die Forschungsergebnisse der Genfer Schule Piagets und seiner Mitarbeiter12, die nachgewiesen haben, dass die Begriffs- und Sprachentwicklung beim Kind sich zwar aufeinander abstützen, jene aber dieser vorausgeht. Entsprechend fand die biologische Forschung Ansätze der Konzeptbildung auch im Tierreich13.
Wie lässt sich die Reduktion des bedeutungsreicheren Sachverhaltstextes auf den des bedeutungsärmeren des Gesetzes im einzelnen bewerkstelligen? Die Lösung liegt darin, dass man Teilidentität wie Gesamtidentität behandelt. So wird bei der Zusammenfassung von teilgleichen Gegenständen (Fällen) von ihrer Teilverschiedenheit abgesehen, d. h. abstrahiert und jeder teilgleiche Gegenstand in die gemeinsame Sammlung aufgenommen. Die so gebildete Klasse erhält einen Namen; die gemeinsamen Merkmale werden benannt und gelten von nun an als Definition der neuen Klasse, die durch Abstraktion gewonnen wurde. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Klasse nicht der Begriff, sondern lediglich das Produkt seiner Anwendung. Jeder reale Fall und alle realen Fallsammlungen sind jeweils Repräsentanten dieses neuen Begriffs. Jeder beliebige Fall aus der Klasse kann als Vergleichsmuster für die Zuordnung weiterer gleicher Kandidaten fungieren. So verkörpert ein beliebiges Element aus einer Klasse sowohl ihre Intension als auch einen selbständigen Teil ihrer Extension. Unter dem extensionalen Aspekt stellt der zum Vergleichsmuster erhobene Fall ein Exemplar der Klasse (des Begriffes) dar. Unter dem intensionalen Aspekt ist der Fall Träger der Merkmale der Klasse (des Begriffes). Der Text des gesetzlichen Tatbestandes lässt sich hiernach als die Beschreibung oder Codierung einer Klasse gleicher Fälle oder eines Musterfalles interpretieren. Der Unterschied zwischen Fall- und Gesetzesrecht, der in der Rechtstheorie so viele Probleme aufwirft14, löst sich bei diesem Ansatz auf und wird zum Scheinproblem. Es ergibt sich weiter, dass der Justizsyllogismus (T ---» R. S = T. T ---» R.)15, auf dessen Durchleuchtung unendlich viel Scharfsinn verwendet wurde16, für den Computer zunächst Zuordnung eines Falles S zum Musterfall T bedeutet17. Die Ausgabe der Rechtsfolge R durch die Maschine nach der Subsumtion ist ein vergleichsweise harmloses Problem18, das wir hier ausklammern. Durch die Zuordnung des Falles zum Musterfall wird, wenn sich die beiden Fälle in allen Teilen gleichen, eine Isomorphierelation gebildet. Lässt sich Übereinstimmung nur in einigen Teilen - manchmal sind es gerade nur die Tatbestandsmerkmale - erzielen, handelt es sich um eine Homomorphierelation, die unter dem abstrahierenden gesetzlichen Blickwinkel zur Isomorphie wird. Dass erkenntnistheoretisch gesehen Isomorphierelationen Fiktionen sind, weil bei genauer Betrachtung zwischen den Dingen meist nur Typusähnlichkeit festgestellt werden kann, hindert uns nicht daran, eine derartige Identitätsbeziehung als Ordnungsinstrument zu benutzen. Wie oben bereits dargelegt wurde, gründen sich die gesamten Fähigkeiten des Computers darauf, Isomorphierelationen zu bejahen oder zu verneinen. Entsprechend können beliebig viele klassifikatorisch geordnete Vergleichsmusterfälle, die über die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale hinaus in zahlreiche Unterklassen hierarchisch aufgliederbar sind, als Gesetzesrepräsentanten in die Maschine eingespeichert werden. Das Minimum an Gemeinsamkeit dieser verschiedenen Fälle ist die Übereinstimmung in den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen, durch die die (Teil-)Identität zwischen ihnen hergestellt wird.
Die Möglichkeit, die Anpassung des Sachverhalts an das Gesetz logisch zu beherrschen, hat uns der praktischen Übersetzung keinen Schritt nähergebracht. So erweist es sich rasch als Trugschluss, man brauche die Wörter des Sachverhalts, die den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen nicht entsprechen, einfach wegzustreichen und den Rest mittels eines Lexikons für Synonyme in den Tatbestandstext zu transformieren. Diese Ansicht wäre richtig, wenn die Wörter eines Textes den Elementen des Lebenssachverhaltes wie die Steine eines Puzzles entsprächen. Trotz der Redewendung, Sprache bilde die Wirklichkeit ab, existiert zwischen den Wörtern eines Textes und den durch sie gemeinten Gegenständen keine durchgehende Isomorphie19. So werden beispielsweise auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale eines Gesetzes in aller Regel durch mehrere Wörter ausgedrückt oder durch ungeschriebene ergänzt.
Eine echte Abbildbeziehung besteht nur zwischen dem Sachverhalt und der entsprechenden bildlichen Vorstellung, die der Leser (Hörer) je nach Bedarf durch Decodierung der Sprachzeichen in sich auslösen kann. Einer Decodierung im Sinne eines bewussten Überganges von Z1 zu Z2 oder zu einer Abbildvorstellung bedarf es hierbei nur ausnahmsweise. Sprache wird nämlich, wenn die Bedeutung der Worte bekannt ist, wohl unmittelbar und nicht auf dem Umweg einer sprachlichen oder bildlichen Decodierung verstanden. Wäre es anders, so müsste man mit Schopenhauer sagen: «Welch ein Tumult wäre in unserem Kopf!»20.
Nur durch die Schaffung von Kunstsprachen ist es möglich, die syntaktische der semantischen Struktur anzupassen, d. h. Zeichen und Sachverhaltselemente im Sinne eines Puzzles aufeinander abzustimmen21. Aber auch dann, wenn der Gesetzes- und Sachverhaltstext in einer entsprechenden Kunstsprache ausgedrückt wären, ergäben sich weitere unüberwindliche Schwierigkeiten für eine maschinelle Übersetzung.
Geht man von der banalen Tatsache aus, dass die Darstellung des Sachverhaltes, mit dem wir bekannt sind, wesentlich durch diesen selbst bestimmt wird, käme es trotz Verwendung einer Kunstsprache zu unterschiedlichen Sachverhaltsfeststellungen. Dies liegt nicht etwa daran, dass die nach Chomsky im Menschen wirkende generative Grammatik, die die Sprache erzeugt, etwa Unregelmäßigkeiten aufwiese, sondern an dem oft übersehenen Umstand, dass es keine Sachverhaltsfeststellung schlechthin, sondern immer nur eine solche aus einem bestimmten Blickwinkel und Abstand des Beschreibers zum Gegenstand gibt22. Wenn auch zwischen dem Gegenstand und seiner sprachlichen Darstellung keine echte Abbildbeziehung besteht, lässt sich der Vorgang der Beschreibung mit der Herstellung einer Filmaufnahme vergleichen. Auch der gefilmte Sachverhaltsausschnitt ist vom Standpunkt der Kamera und deren Führung abhängig.
Die Parallele ist nicht zufällig. Die Möglichkeit zu dieser Gleichsetzung liefert die Informationstheorie. So gewinnt der Mensch mittels seiner Sinnesorgane (natürliche Sensoren), vor allem durch die Augen, die man als Filmkamera (künstlicher optischer Sensor) betrachten kann, von der Umwelt ästhetische Information, die nach Bedarf durch die menschliche Sprachfähigkeit in semantische Information transformiert wird23. Die semantische Information stützt sich als sekundäres Erkenntnismittel hierbei letztlich - sei es direkt oder indirekt - auf der ästhetischen Information ab. Die Beziehung des Menschen zu den Dingen mag man sie als Realität, Erscheinung oder Konstrukt interpretieren - bleibt hierbei im Prinzip immer dieselbe, gleichgültig ob er die Dinge durch ein inneres Vorstellungsbild, das Wort, eine Graphik oder einen Film fixiert.
Allerdings ist der bildliche Ausdruck schon wegen seiner mehrdimensionalen Darstellungsform der eindimensionalen Sprachäußerung an Informationsreichtum überlegen. Während das Bild «selbstverständlich» ist, setzt das Verstehen von Sprachzeichen immer ein Vorwissen voraus.
Aufgrund der Bekanntschaft mit den Dingen sind wir meist in der Lage, mittels des beschriebenen Sachverhaltsausschnittes nicht genannte Teile zu erschließen und so trotz lückenhafter Darstellung ein Ganzes zu rekonstruieren. Deshalb kann ein durchschnittlich gebildeter Mensch ohne Schwierigkeiten in dem von Quine gebildeten Beispiel die sinnverschiedenen Ausdrücke «Zweibeiner mit Herz» und «Zweibeiner mit Leber» als «Mensch» verstehen. Anders als bei fremdsprachlichen Übersetzungen, die vor allem Sprachwissen voraussetzen, müsste die Maschine über echtes Sachwissen verfügen, um derartige Textvarianten, die Produkte verschiedener Intentionen, d. h. Blickwinkel sind, ausgleichen zu können.
Solche Aspektverschiebungen lassen sich grundsätzlich vermeiden, wenn die Blickrichtung des Beschreibers auf den Sachverhalt durch das Gesetz ausgerichtet ist. Dieses liefert nämlich gewissermaßen die Regieanweisung dafür, auf welche Punkte des Falles der Beschreiber sein Augenmerk bei der Sachverhaltsfeststellung zu lenken hat. Unser Bemühen um eine computergerechte Sachverhaltsfixierung führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass sich hierbei die Rechtsfindung bereits praktisch außerhalb der Maschine vollzieht24.
So verlangt nämlich das Abtasten des Gesamtsachverhalts gemäß der «Regieanweisung» des Gesetzes sowie die sprachliche Festlegung der maßgeblichen Teile aus dem Sachverhaltsganzen vom Feststellenden präzise Rechtskenntnisse. Die von der Maschine anschließend durchzuführende Subsumtion wäre für einen derartigen Experten entsprechend der Sentenz Goethes: «Blick ist Urteil!» eine Kleinigkeit, für die er maschinelle Hilfe nicht benötigte.
Gegen diese Theorie der visuellen Rechtsfindung kann eingewendet werden, dass die Sachverhaltsfeststellung in den allermeisten Fällen nicht über den Augenschein, sondern über Zeugenaussagen, also sprachliche Beweismittel, erfolgt, die meist ohne eine Decodierung zum Vorstellungsbild verstanden werden. Dass die Sachverhaltsfeststellung durch den Richter auch in diesen Fällen einen visuellen Hintergrund hat, lässt sich durch folgende Erfahrungstatsache beweisen: Scheinbar widersprüchliche Zeugenaussagen ergänzen sich oftmals sinnvoll, wenn der Richter die Zeugen Skizzen fertigen lässt, aus denen sich ihr Standpunkt zum Tatgeschehen ergibt. Die Forderung Kants, es sei ebenso notwendig, Begriffe sinnlich zu machen, d. h. ihnen den Gegenstand in der Anschauung beizufügen, als seine Anschauung sich verständlich zu machen, d. h. sie unter Begriffe zu bringen, hat demnach trotz der linguistischen Wende in der Erkenntnistheorie an Aktualität nichts verloren. So knüpft auch die Computer-Vision-Forschung an das Verhältnis Zeichen-Bild an, wenn sie die «Vision» als «... the construction of efficient symbolic descriptions from images of the world» (David Marr) definiert, wobei man hier unter Bildern keine psychischen Phänomene, sondern einen zweidimensionalen Ausschnitt der dreidimensionalen Umwelt versteht25.
Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die Maschine einen Sachverhaltstext nur dann subsumieren kann, wenn ein entsprechendes vollständiges sprachliches Vergleichsmuster vorher eingespeichert wurde. Als Muster können hierbei alle bereits klassifikatorisch geordneten Fälle dienen.
Diesem Zwischenergebnis scheinen die neueren Modellversuche über automatische Rechtsfindung an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen zu widersprechen. So lassen Haft26 und Ringwald27 durch den Computer die «angemessene Wartezeit» im Straftatbestand der Verkehrsunfallflucht (§ 142 StGB) berechnen. Da die Angemessenheit der Wartezeit von den gesamten konkreten Umständen des Unfalles abhängt, scheint eine maschinelle Bearbeitung nach Eingabe dieser Umstände, auch wenn sie in geordneter Form nach Schadenshöhe, Tageszeit etc. erfolgen muss, der Quadratur des Kreises gleichzukommen.
Wie soll hier ein einziges Vergleichsmuster oder eine Klasse solcher gebildet werden können?
Dass der Ausdruck «angemessen» Ergebnis eines Werturteils über eine bestimmte Wartezeit ist, bedarf keiner weiteren Begründung. Eine Werteigenschaft ist aber nicht mit natürlichen, d. h. physikalisch erfassbaren Eigenschaften einer Sache wie Länge, Farbe etc. vergleichbar, sie ist eine vom Menschen willkürlich geschaffene Beziehung zwischen ihm und einer Sache. Es wäre deshalb Begriffsmetaphysik, wenn man der Eigenschaft «angemessen» eine Wirkung beilegte, welche die je nach Unfall verschiedenen Wartezeiten zu einer Einheit, dem klassiflkatorischen Begriff «angemessene Wartezeit», verschmelzen würde. Ist man deshalb gezwungen, unendlich viele «angemessene Wartezeiten» als Vergleichsmuster zu postulieren? Das Problem ist offensichtlich mit dem Instrumentarium des klassifikatorischen Begriffs nicht lösbar. Hier hilft eine andere Ordnungsmethode. Dieses Verfahren knüpft nicht mehr an eine Äquivalenz -, sondern an eine Ordnungsrelation an. Ihr Repräsentant ist die Reihe, durch die die Gegenstände entsprechend ihrer wachsenden bzw. abnehmenden Größe geordnet werden28. Mehrere derartige Reihen können miteinander in Beziehung gesetzt werden. Gelingt es, eine gemeinsame Regel zu finden, durch welche die Entstehung der einen Reihe durch die andere beschrieben werden kann, spricht man von einem funktionalen Zusammenhang, der durch Gleichungen in der Art y = f (x) ausgedrückt wird. Durch eine Funktion lassen sich zwei und mehr Mengen von Gegenständen, die Einzelexemplare der jeweiligen Reihen, z. B. die Schadenshöhen und die Wartezeiten, in bestimmter fester Weise miteinander verbinden. Die Gemeinsamkeit der so einander zugeordneten Gegenstände, die untereinander verschieden sind, besteht somit in einer Zuordnungsregel. Nach dem Tübinger Modell ist die «Angemessenheit» der Wartezeit eine derartige Zuordnungsregel, durch welche alle wesentlichen, immer wiederkehrenden Unfallumstände mit der Wartezeit korreliert werden. Die Reihenbildung und ihre Verknüpfung untereinander ist entweder das Resultat wertender Setzung oder das Ergebnis der Auswertung der Rechtsprechung.
Wenn auch die von der Maschine aufgrund einer Funktionsgleichung bestimmte Wartezeit noch der Feinkorrektur bedarf, da von ihr nur solche Umstände berücksichtigt werden können, die skalierbar sind, d. h. in einem Mehr oder Weniger ausgedrückt werden können, ist die Benutzung einer solchen Funktionsgleichung weitaus gerechter, weil hierdurch der Gleichbehandlungsgrundsatz besser als durch die übliche Methode der dezisionistischen Einzelfallentscheidung verwirklicht wird.
So elegant die von Haft und Ringwald entwickelte Methode ist, sie wird sich in der juristischen Praxis leider nur selten anwenden lassen, da es nur wenige vergleichbare gesetzliche Bestimmungen gibt. Die meisten Normtatbestände sind einfache Beschreibungen des Falles und enthalten keine genetischen Definitionen, wie sie dem Tübinger Modell zugrundeliegen. Ein in etwa vergleichbarer Fall ist die von der Rechtsprechung geschaffene Verbindung zwischen der Blutalkoholkonzentration und dem Ordnungsbegriff der absoluten Fahruntüchtigkeit, die ab 1,3% BAK beginnt29. Da das Tübinger Entscheidungsmodell der maschinellen Bearbeitung von genetisch definierten Ordnungsbegriffen dient, steht es mit der Vergleichsmustertheorie, die der klassifikatorischen Ordnung untersteht, nicht in Widerspruch.
Die letzte noch offene Frage nach der rechtsschöpferischen Fähigkeit des Computers, ist rasch beantwortet. So hängt es vom Sprachgebrauch ab, ob man den aufgrund einer Funktionsgleichung von der Maschine entschiedenen neuen Fall des § 142 StGB als rechtsschöpferische Leistung auffasst oder nicht. Da durch die Gleichung alle möglichen Fälle der Verkehrsunfallflucht bereits abstrakt erfasst sind, erscheint es nicht sinnvoll, diese Leistung als rechtsschöpferisch zu bezeichnen.
In Ermangelung einer allgemeinen Übersetzungsregel, durch die bedeutungsgleiche, aber wortverschiedene Textvarianten transformiert werden können, besteht keine Möglichkeit, dass der Computer eine Klasse von Vergleichsmustern selbständig erweitert. Entsprechendes gilt für die Funktionsgleichung. Die Tatsache, dass durch die Steinbuchsche Lernmatrize30 eine Musterneubildung technisch realisiert werden kann, steht dem nicht entgegen. Was hilft die technische Möglichkeit, wenn das Programm, d. h. die Übersetzungsregel nicht erstellt werden kann!
Bei der Entscheidung eines neuen Falles vermag der Computer daher grundsätzlich keine unmittelbare Hilfe zu leisten; er kann dem Rechtsanwender als Dialogpartner einerseits Normen und hierarchisch geordnete Auslegungen dieser, andererseits Entscheidungen zur Verfügung stellen, und ihm so die Rechtsfindung erleichtern, wobei diese Hilfe, wenn die Entscheidung erst nach der Anwendung einer ganzen Normkette fällt, nicht unterschätzt werden sollte.
Der neue Fall steht der Klasse der bereits entschiedenen in einer engeren oder weiteren Ähnlichkeitsbeziehung gegenüber. Diese bleibt bestehen, auch wenn der Fall schließlich nicht als Element der Klasse eingeordnet wird. Der Repräsentant dieser Ähnlichkeitsbeziehung ist die Reihe, der wir beim Tübinger Entscheidungsmodell zur Abstufung von Quantität bereits begegnet sind. Durch Reihung ist es auch möglich, Dinge, die sich nicht ohne weiteres klassifikatorisch ordnen lassen, in eine typologische31 Beziehung zu setzen, die Wittgenstein sehr anschaulich «Familienähnlichkeit» genannt hat32. So ist beim neuen Fall in der Regel eine typologische Ähnlichkeit rasch zu bejahen. Die klassifikatorische Einordnung macht dagegen oftmals Schwierigkeiten, wenn das Vorliegen eines bestimmten Tatbestandsmerkmales nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein zu beantworten ist. Man denke beispielsweise an die fließenden Übergänge, die zwischen Vorbereitung, Versuch, Vollendung und Beendung einer strafbaren Handlung liegen. Die glatte klassifikatorische Ordnung unserer Rechtssprache, die durch die zweiwertige Logik bestimmt ist, zwingt uns aber immer eine Entscheidung auch des Grenzfalles zu treffen. Der Zweifel hierbei kann schließlich nur durch eine dezisionistische Entscheidung im Sinne Carl Schmitts33 überwunden werden, die rechtsschöpferischen Charakter hat.
Man könnte nun daran denken, zur Entscheidungserleichterung typologisch geordnete Fallsammlungen aufzustellen und diese in den Computer einzuspeichern. Dies wird wohl trotz grundsätzlicher logischer Beherrschbarkeit34 nur in manchen Fällen möglich sein, da unsere durch die zweiwertige Logik geprägte natürliche Sprache kaum in der Lage ist, derart differenzierte Unterschiede ausreichend darzustellen. Der fließende Übergang zwischen den Dingen kann zwar wahrgenommen und vorgestellt, sprachlich aber nur sehr unzureichend ausgedrückt werden. Bei gleichförmigen Änderungen sind Beschreibungen mittels mathematischer Formeln möglich. Das Problem lässt sich durch die in der Abbildung 4 dargestellte Dreieckschablone veranschaulichen.
Alle Dreiecke, deren Spitzen in die drei Aussparungen passen, gehören zur Klasse, die durch den Gebrauch der Schablone erzeugt wird, sind aber auch typologisch ordenbar, da sie untereinander entsprechend den durch die Größe der Aussparungen vorgegebenen Spielräumen variieren. Die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale lassen sich mit diesen Aussparungen vergleichen. Im Gegensatz zu diesen liegen jedoch die Grenzen jener nicht greifbar fest, sodass die Entscheidung eines Grenzfalles immer auch Neubestimmung der Grenzen des Gesetzes ist. Ob ein dem Roten Kreuz gleichendes Kennzeichen diesem zum Verwechseln ähnlich ist, erweist sich damit als typologisches Problem, das nur durch menschliche Dezision, nicht aber durch maschinelle Subsumtion lösbar ist.
Da der Computer als Hilfe nur dann eingesetzt werden kann, wenn wir ein Problem außerhalb der Maschine sprachlich beherrschen, wird uns die Maschine hier wohl kaum durchgreifend helfen können. Selbst wenn eine typologische Ordnung der Fälle mittels Symbolen, durch die eine tatsächliche Reihe nachgeahmt würde, geschaffen werden könnte, bliebe immer das Entscheidungsproblem des Grenzfalles, das durch die Kenntnis ähnlicher Fälle niemals aufhebbar ist.
Da die Entscheidung eines Grenzfalles kein sprachliches Problem ist, kann es durch die Verfeinerung der sprachlichen Mittel nicht gelöst werden. Auch der Übergang von der eindimensionalen zur mehrdimensionalen bildhaften Sprachform, die sowohl bei der Erstellung von Computerprogrammen in Form von Netz-, Datenfluss- und Programmablaufplänen als auch neuerdings bei der Computerbenützung35 Anwendung findet, kann hier nicht helfen, da ein Wechsel der Ausdrucksform die ontologische Grundfrage, ob zwei Dinge gleich oder nur ähnlich sind, nicht aufhebt. Es darf insoweit an das Beispiel der Dreiecksschablone erinnert werden.
Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der Alptraum eines Rechtsprechungsroboters nicht verwirklichbar ist. Die Maschine ist lediglich ein nützlicher Handlanger. Sie leistet im juristischen Massengeschäft mit seinen isomorphen Sachverhalten gute Dienste und sie kann bei noch nicht entschiedenen Fällen dem Rechtsanwender gewissermaßen als Denkverstärker zur Seite stehen. Die eigentliche Entscheidungsfindung bleibt hier jedoch immer dem Menschen überlassen. Die Ängste Weizenbaums vor dem Einsatz des Computers bei der Rechtsfindung sind deshalb nur dann begründet, wenn aus Bequemlichkeit der maschinelle Entscheidungsvorschlag als Entscheidung benutzt wird. Solange eine Rechtsordnung für Urteile eine Begründung vorschreibt, ist diese Gefahr des Missbrauchs jedoch gering.
Sollte die Begründung jedoch nur in einer formelhaften Bezugnahme auf ein im Computer gespeichertes Präjudiz erfolgen, was Zitscher für möglich hält36, wäre dies der Beginn des Untergangs unserer Rechtskultur, die in Zukunft ohnehin mit einem Überangebot gespeicherter juristischer Information zu kämpfen haben wird37.
1 J. Brickmann/W. Knapp, Der Computer ersetzt das Labor, in: bild der wissenschaft 3 (1984), S. 38-42.
2 J. Weizenbaum, Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt a. M. 1977, S. 299.
3 Zu Modellversuchen im In- und Ausland vgl. F Haft, Elektronische Datenverarbeitung, Berlin 1970, S.85-94. ders., Einführung in die Rechtsinformatik, Freiburg/München 1977, S. 94-100.
4 E. Bund, Juristische Logik und Argumentation, Freiburg 1983, S. 169.
5 Vgl. B. Russell, Erkenntnis durch Bekanntschaft und Erkenntnis durch Beschreibung; ders., Über die Natur der Bekanntschaft; Je in: Die Philosophie des Logischen Atomismus, München 1976, S. 66-82 u. S. 130-177.
6 Vgl. L. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt a. M. 1967, Nr. 57.
7 Zum sprachphilosophischen Diskussionsstand vgl. H. J. Koch/H. Rüßmann, Juristische Begründungslehre, München 1982,S.126-163.
8 W. Stegmüller, Begriff, in: J. Speck (Ed.): Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe, Bd. 1, Göttingen 1980, S. 61.
9 E. Bund, aa0., S. 14 m. w. N.
10 G. Klaus (Ed.), Begriffsbildung, in: Wörterbuch der Kybernetik, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1969, S. 90.
11 J. Klüver, Operationalismus, in: Handbuch usf., Bd. 2, S. 465. J. Piaget, Die Entwicklung des Erkennens I, Bd. 1, Das mathematische Denken, Stuttgart 1975, S. 68-70.
12 H. Sinclair, Erkenntnislehre und die Untersuchung der Sprache, in: Von der Kinderwelt zur Erkenntis der Welt; Wiesbaden 1978, S. 241-245.
13 R. Riedl, Biologie der Erkenntnis, Berlin/Hamburg 1980, S. 125.
14 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, Heidelberg 1953, S.183-192.
15 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, Berlin usf. 1979, S. 256.
16 Vgl. zuletzt H. J. Koch/H. Rüßmann, aa0., S. 14-30.
17 Engisch sieht in der Subsumtion die Einordnung eines Falles in die Klasse der durch den Rechtsbegriff bzw. durch den abstrakten Tatbestand des Rechtssatzes bezeichneten Fälle (Einführung in das juristische Denken, B. Aufl., S. 56).
18 Anders bei Rechtsfolgen, für deren Ausgestaltung ein weiter Ermessensspielraum besteht wie z. B. im Strafrecht.
19 K. Th. Schuon, Abbildtheorie, in: Handbuch usf., Bd. 1, SA-2.
20 Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. 1, § 9.
21 F. v. Kutschera, Formalisierung, in: Handbuch usf., Bd. 234-235.
22 K. R. Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1976, S.374-376.
23 A. A. Moles, Informationstheorie und ästhetische Wahrnehmung, Köln 1971; G. Vollmer, Evolutionäre Erkenntnistheorie, Stuttgart 1975, S. 123; A. D. Baddeley, Die Psychologie des Gedächtnisses, Stuttgart 1979, S. 264.
24 Zur Strukturverschlingung von Tatsachenfeststellung und Subsumtion vgl. K. Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., Heidelberg 1963, S. 82ff (91).
25 Quelle: H. S. Stiehl in: Süddeutsche Zeitung v. 11. 7. 1984, S. 41.
26 F. Haft, Von der Datenverarbeitung zur Problemverarbeitung, DSWR 1983, S. 279-283.
27 G. Ringwald, Automatisierte Subsumtion, DSWR 1984, S. 29-33.
28 W. Stegmüller, Begriffsbildung, in: Handbuch usf., Bd. 1, S.28-29.
29 BGHSt 21, 157; J. Keltsch, Über die Zulässigkeit rückwirkender Änderung von Rechtssätzen des Strafverfahrensrechts, Diss., München 1970, S. 96ff.
30 Vgl. H. J. Flechtner, Grundbegriffe der Kybernetik, 5. Aufl., Stuttgart, S. 259ff.
31 K. Engisch, [14] S. 242-244; H. J. Koch/H. Rüßmann, aa0., S.73-77.
32 Wittgenstein, aa0., Nrn. 66-71.
33 C. Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, Hamburg 1934, S. 25.
34 L. Reisinger, Juristische Begriffstheorie und Theorie unscharfer Mengen (Fuzzy Sets Theory), in: Winkler/Antoniolli (Ed.), Rechtsphilosophie und Gesetzgebung, Wien usf. 1976, S. 130ff.
35 Die hierbei auf dem Bildschirm sichtbaren bildlichen Symbole heißen <Fenster> und <Menü>. In verschiedenen Fenstern lassen sich gleichzeitig verschiedene Vorgänge, z. B. hierarchisch geordnete juristische Begriffe darstellen. Die Menüs präsentieren mögliche nächste Schritte. Ein Lokalisierer, die <Maus>, wird betätigt, um mit einem beweglichen Zeiger auf dem Schirm bestimmte Fenster, Menüangebote oder andere Bildsymbole auszuwählen (A. Kay, Software, in: Spectrum der Wissenschaft 11 (1984), S. 36; L. G. Tesler, Programmiersprachen, aa0., S.75). Für die (juristische) Didaktik eröffnen sich hier neue Perspektiven.
36 W. Zitscher, Neuere technische Randbedingungen für die Rechtspflege und einige ihrer Probleme, NJW 1984, S. 2377 (2381).
37 B. Großfeld, Computer und Recht, JZ 1984, 696ff.