https://sites.google.com/site/juergenkeltsch/das-menschenbild-in-modernen-management--und-organisationssystemen
Dr. Jürgen Keltsch
Vortrag auf einem Rotariertreffen vom 2. Februar 2011
Es freut mich sehr, dass Sie, als einem tätigen Humanismus verpflichtete Rotarier, mich eingeladen haben, über das Menschenbild in modernen Management- und Organisationssystemen zu Ihnen zu sprechen. Die Manager unter Ihnen werden sich sicher zweifelnd gefragt haben, was denn ein Staatsanwalt und Richter, ohne praktische Erfahrung in der Führung eines Unternehmens zu haben, Ihnen zu diesem Thema wohl zu sagen habe. Ziehen doch Manager bei der Entscheidung über die Art der Organisation und Führung ihres Unternehmens gewöhnlich nicht Richter zu Rate. Nach ihrer Pensionierung finden Richter allenfalls Platz in der Ethikkommission eines Unternehmens, etwa wie der BGH-Präsident Günter Hirsch, der unlängst die Ethikkommission der unter Korruptionsverdacht stehenden FIFA grollend verlassen hat. Ich bitte daher von vornherein um Nachsicht.
Zunächst will ich die Frage klären, was ich unter einem Manager verstehe. Spricht man von einem Manager denkt man in der Regel an den Leiter eines Wirtschaftsunternehmens, der nicht nur Betriebswirtschaft studiert, sondern zum Erwerb von strategischem Know-how auch eine Businessschule absolviert hat und den Master of Business Administration (MBA) besitzt, um nach seinem Abschluss die Belegschaft des ihm anvertrauten Unternehmens im Wettbewerb „gut aufstellen“ und dieses „vor feindlicher Übernahme“ oder Insolvenz schützen zu können. Oder man hat an eine Person vor Augen, die einen wirtschaftlichen Wettbewerb, einen Markt, eine Messe oder eine Börse zu organisieren versteht, wobei sie sich mit anderen Marktorganisatoren ebenfalls wieder im Wettbewerb befindet. Der Begriff des Managers wird jedoch nicht nur im ökonomischen Bereich als Bezeichnung für eine Person in leitender Stellung, sondern auch im Sport, genau genommen im Wettkampfsport benutzt. Denken Sie etwa an Joseph S. Blatter, den Präsidenten der FIFA, oder den Formel-1-Boss Bernie Ecclestone. Angesichts der Causa Ecclestone/Gribkowsky könnte man auf die Idee kommen, dass zwischen Wirtschafts- und Sportmanager letztlich gar kein Unterschied bestehe. Hinter einem Sportmanager verberge sich in Wirklichkeit eigentlich nur ein profitorientierter Wirtschaftsboss. Dem ist zu widersprechen. Denn auch im nicht wirtschaftlich ausgerichteten Amateursport heißen die leitenden Organisatoren Manager. Es muss deshalb eine andere Gemeinsamkeit bestehen und die gibt es tatsächlich. Sie liegt in dem Umstand, dass Sportmanager Wettbewerbe veranstalten und zusammen mit den Trainern/Coachs sich um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Athleten kümmern, um deren gutes Abschneiden zu sichern. Nun kann man einwenden, dass die Bezeichnung Manager auch für die Agenten von Künstlern allgemein gebräuchlich ist. Nach kurzer Überlegung stellt man fest, dass auch diese Agenten letztlich nichts anderes tun, als die Künstler im Wettbewerb auf dem Künstlermarkt zu unterstützen, die erwünschte Rolle zu bekommen.
Manager sind demnach Akteure, die an und in Wettbewerben organisatorisch mitwirken, wobei sie das Ziel verfolgen, dass die von ihnen betreute Person oder Gruppe einen möglichst guten Platz belegt. Dieses Streben soll angeblich auf einen dem Menschen angeborenen agonistischen Trieb zurückgehen (Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche). Johan Huizinga vermutete im Menschen einen angeborenen Spieltrieb, der sich vor allem in Wettspielen zeige; Huizinga führte das Entstehen der gesamten Kultur auf diesen Trieb zurück und charakterisierte den Menschen deshalb als Homo ludens. Wie ist die heutige Sichtweise?
Ein Sieg im Wettbewerb löst bekanntlich Glücksgefühle aus. Wie wir heute wissen, kann das Streben, sich in einem Wettbewerb hervorzutun, durch sog. Incentives, d.h. Anreize in der Form von Belohnungen, Preisgelder, Boni, hohe Ertragsaussichten, Prestigegewinn erheblich gesteigert werden. Die wissenschaftliche Erforschung von Anreizsystemen zur Erhaltung und Optimierung der Leistungs-, d.h. Wettbewerbsfähigkeit im sog. Scientific Management (wissenschaftliche Betriebsführung) und im Leistungssport durch Organisations- und Motivationspsychologen boomt. Die Anreizpsychologen erhalten hierbei tatkräftige Unterstützung durch die Neurowissenschaft. Unsere Neurowissenschaftler haben unlängst herausgefunden, dass es im Gehirn ein Belohnungszentrum gibt, das im Moment des Sieges Glückshormone erzeugt. Antrieb, immer wieder Gewinner zu werden, liegt daher in dem Verlangen, dieses Erleben möglichst oft zu wiederholen. Es gibt somit eine neurophysiologische Grundlage dafür, immer wieder einen Sieg zu erringen. Dieses Verlangen kann auch zur Sucht werden. Findige Marketingexperten haben übrigens das Einkaufen mit der Wettspielidee verknüpft und honorieren den Kauf mit Bonuspunkten. Wenn die hierdurch gewonnenen Vorteile in aller Regel auch minimal sind, vermitteln sie doch momentan ein kleines Gewinngefühl. Dieses reicht in der Regel für die Herstellung und Aufrechterhaltung der damit beabsichtigten Kundenbindung merkwürdigerweise aus.
In seiner Untersuchung „Die unheiligen Spiele“ (1991) hat Karl-Wilhelm Weeber einen historischen Beleg dafür geliefert, dass bereits die alten Griechen anders, als man bis vor kurzem angenommen hatte, hervorragende Incentivespezialisten gewesen sind. So ging es bei den Olympischen Spielen und den vielen anderen in Griechenland parallel hierzu abgehaltenen Wettbewerben keinesfalls nur um den Gewinn eines Lorbeerkranzes oder die Ehre, dabei gewesen zu sein. Denn die Sieger erhielten von ihren Heimatstädten in aller Regel erhebliche materielle und ideelle Zuwendungen. Sie brauchten sich nach einem Sieg gewöhnlich nicht mehr um ihren Lebensunterhalt zu kümmern und genossen darüber hinaus viele Privilegien. Es gab übrigens damals ganz wie bei uns heute bereits ein ausgeprägtes von Managern betreutes Berufsathletentum.
Nach der Explizierung meines Managerbildes, das ich durch ein ausgeprägtes nutzenorientiertes Wettbewerbsstreben gekennzeichnet sehe, möchte ich im zweiten Teil des Referates einige moderne Management- und Organisationsmethoden darstellen und kritisch unter die Lupe nehmen. Auch diese sind, wie nicht anders zu erwarten, ganz am Wettbewerb ausgerichtet. Bei all diesen Methoden geht es ähnlich wie im alten Scientific Management des Taylorismus um die Optimierung von Produktionsabläufen, um im Wettbewerb als bester abzuschneiden. Das Scientific Management beruhte bekanntlich auf der Erfindung, die Produktivität der Arbeitsleistung messtechnisch zu analysieren und die Arbeitsleistung mit der höchsten Produktivität als den gefundenen „besten Weg“ zur Arbeitsnorm zu erheben. Auch im modernen Management geht es nach wie vor um die Optimierung von Arbeitsprozessen. An der Messidee wurde selbstverständlich festgehalten. Die Messungen, die wir für die moderne Betriebssteuerung (Controlling) benötigen, wurden jedoch unglaublich verfeinert. Gemessen wird nun nicht mehr nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Herstellungsprozesse und der Produkte (Total-Quality-Management). Die Messergebnisse werden in sog. Leistungskennzahlen fixiert, wobei die Kennzahlen der Besten einer Branche (Best Practice) als Richtschnur für die Steuerung eines Betriebes gelten (Benchmarking). Die überaus hoch geschätzten Leistungskennzahlen sind der Spiegel, d.h. der Ausweis für die Leistungsfähigkeit eines Betriebes. Sie fragen sicherlich, warum denn dieser betriebswissenschaftliche Exkurs? Er war notwendig, um Ihnen das gemeinsame aus der Betriebswissenschaft kommende Prinzip aufzuzeigen, das heute allen modernen Organisations- und Managementmethoden zugrunde liegt: Messung der Leistungsfähigkeit zur Optimierung der Wettbewerbsfähigkeit. Wendet man die in Tests ermittelte beste Praxis in seinem Betrieb an, kann man sich dies heute durch Zertifizierung bestätigen lassen. Es gibt bereits einen ganzen neuen Dienstleistungszweig, der nichts anderes als Zertifizierungen liefert. Auffällig ist hierbei, dass dieses in der Wirtschaft entwickelte Prinzip die gesamte Organisationskultur der modernen Gesellschaften mehr und mehr zu beherrschen beginnt. So findet dieses etwa auch bei den Verbesserungsbemühungen in Schulen (Pisa- Prozess) und Universitäten (Bologna-Prozess, Exzellenzinitiative) Anwendung. Manche sprechen daher von einer schleichenden Verbetriebswissenschaftlichung unserer ganzen Kultur.
Die nachfolgende Skizzierung der wichtigsten modernen Organisations- und Managementmethoden – sie heißen in der Sprache der Manager: Werkzeuge oder Tools - habe ich unter die ironische Devise gestellt: „Vom Pflichtmenschen zum high potential network-man“. Anstelle des dem New-Economy-Speak entnommenen Begriffes high potential – es gibt bei der Suchmaschine Google hierzu sage und schreibe über 2 130 000 Einträge – kann man auch die Wendung „strategic“ oder „always winning“ verwenden. Beim strategischen Netzwerkmann handelt es sich um die Hardcore-Version des high potential. In der weichen Version wird dieser regelmäßig als ein Überflieger und Tausendsassa unter den Managern beschrieben. Dessen wesentlichste Eigenschaft, immer gewinnen zu können, wird dabei in der Regel verschwiegen. Was üblicherweise überhaupt nicht in die Definition des high potential eingeht, ist der Umstand, dass er die Entscheidungs- und die aus dieser entwickelten Spieltheorie meisterhaft beherrscht und diese auch perfekt praktisch zu nutzen versteht, also nicht nur ein ausgezeichneter Potential, sondern auch ein exzellenter Performer (Vollzieher) ist.
Aufbauend auf dem 1944 in den USA erschienenen Buch „Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten“, verfasst von dem Mathematiker John von Neumann und dem Wirtschaftswissenschaftler Oskar Morgenstern, haben Spieltheoretiker aus strategischen Spielen, wie Schach, Mühle usf. auf der Grundlage rationaler Entscheidung untersucht und praktisch modelliert, mit welcher planmäßigen Vorgehensweise generell ein strategisches Spiel zu gewinnen ist, selbst wenn der Gegenspieler sich mit höchster Raffinesse zur Wehr setzt. Die Art dieses planmäßigen Vorgehens, das je nach Verhalten des Gegners auch abgeändert werden darf, wird Strategie genannt. Dieses Vorgehen lässt sich Schritt für Schritt, besser Zug für Gegenzug entweder mittels eines Spielbaumes – es wird jeder Zug in zeitlicher Reihenfolge durch das Zeichnen eines Striches dokumentiert, wodurch nach und nach ein Gebilde entsteht, das an eine Baumkrone erinnert - oder durch eine als Matrix bezeichnete Tabelle (in der Sprache des Alltags: Punkte- oder Scorecard) repräsentieren. Hierbei wird für jeden Zug und Gegenzug ein durch eine Zahl ausgedrückter Gewinnwert, das Payoff (Auszahlung), als Zwischenergebnis ermittelt und in der Tabelle notiert. Der Verlauf strategischer Spiele lässt sich hierdurch vollständig durchsichtig, d.h. nachvollziehbar machen. Die Spielstärke jedes Spielers und Gegenspielers, die sich aus den Payoffs ablesen lässt, wird hierdurch mess- und damit ausrechenbar gemacht. Der Weg zum Gewinn/Verlust oder zum Gleichstand (Win-Win-Stellung) lässt sich auch in einer abstrakten symbolischen Notation ausdrücken. Es besteht somit die Möglichkeit, den Spielgang gänzlich zu formalisieren, d.h. ihn in in eine mathematische Formel zu übersetzen. Diese kann schließlich auch in ein Computerprogramm umgesetzt (algorithmisiert) werden, das heute als meist überlegener Gegenspieler gegen den Menschen antreten und diesen meist besiegen kann.
Unterschieden wird die auszahlungsorientierte kooperative von der strategiebestimmten nicht-kooperativen Spieltheorie. Paradigmatischer Ausgangspunkt für letztere ist ein absolut egoistischer, völlig rücksichtslos operierender Spieler. Das Forschungsinteresse liegt derzeit auf letzterer. Die Spieltheorie ist weniger eine zusammenhängende Theorie, als ein Satz von Analyseinstrumenten (Tools) für einen bestimmten Typ konfligierender Interessensituationen, die im Operations Research, den Wirtschaftswissenschaften, der ökonomischen Analyse des Rechts, in der Politikwissenschaft, in der Militärwissenschaft, in der Soziologie, Psychologie, Informatik, aber auch in der Biologie auftreten können. Unter dem Paradigma „Spiele gegen die Natur“ dient die Spieltheorie sogar dazu, die Methode naturwissenschaftlicher Forschung allgemein zu erklären.
Einigkeit besteht darüber, dass aus der Spieltheorie, obwohl sie eine mathematische Disziplin ist, auch praktische Lösungsvorschläge für die Interessenkonflikte des Lebens ableitbar sein sollen. Der Weg aus der Theorie in die Lebenspraxis verlangt jedoch erhebliche Abstriche an ihrer Grundbedingung eines immer äußerst rational handelnden Spielers. Irrationales Handeln entzieht sich nun einmal einer Berechenbarkeit. Inwieweit die Spieltheorie daher überhaupt geeignet ist, brauchbare, d.h. sozialverträgliche Lösungsmuster für die Interessenkonflikte des persönlichen und gesellschaftlichen Alltags zu liefern, ist daher bis heute stark umstritten. Vom Boden des Rechts aus beurteilt, gehört die Spieltheorie zum sog. Rezeptwissen, d.h. zu den Gebrauchsanweisungen und Werkzeugen; sie liefert Anleitungen für die Berechnung der Erfolgswahrscheinlichkeit von Handlungen und schreibt keine Handlungen vor. Sie stellt Prognosen auf und gibt Handlungsempfehlungen. Sie ist daher rein nützlichkeits-, aber nicht gerechtigkeitsorientiert. Als eine Lehre, die für die Bewertung von Wirkungsbeziehungen immer an eine Messung anknüpft, gehört sie in den Bereich der Sozialtechnologien. Mit der Frage, ob es recht und billig ist, das anvisierte Spielziel zu erreichen und zu diesem Zweck eine bestimmte Folge von Spielzügen zu machen oder etwa einen unmoralischen Zug zu unterlassen, beschäftigt sie sich nicht. Sie ist deshalb nicht etwa unmoralisch, sondern schlicht amoralisch. Denn sie zeigt für eine Konkurrenzsituation nur den planmäßigen Weg und das hierbei einzusetzende Mittel auf, um einen wahrscheinlichen Erfolg zu erreichen. Zu untersuchen, ob dieser Weg aus Sittlichkeits- oder Gerechtigkeitsgründen nicht einzuschlagen ist, gehört nicht zu ihren Aufgaben. Die Entscheidung dieser Frage überlässt sie Moral, Ethik und Recht.
Dies ist allerdings dann nicht der Fall, wenn die Spieltheorie als eine Art des Steins der Weisen für eine Letztbegründung der Gesellschaft missverstanden wird. Die von den Spieltheoretikern derzeit favorisierte nicht-kooperative Spieltheorie hat bei strikter Anwendung keinerlei Platz für Sozialbindung, Rücksichtnahme und Kooperation. (Bei dem berühmten Strategiespiel „Gefangenendilemma“ entspringt die zur Optimierung des Spielausganges gezeigte Rücksichtnahme gegenüber dem Mitspieler allein dem Egoismus und nicht dem Altruismus. Dies darf nicht verkannt werden.) Die nicht- kooperative Spieltheorie ist daher als praktische Anleitung für eine Vorgehensweise in einer Konkurrenzsituation des täglichen Lebens im demokratischen Rechtsstaat letztlich nicht geeignet. Aus rechtsstaatlicher Sicht ist sie bei einer radikalen Umsetzung in die Lebenspraxis, Steigbügelhalterin für soziale Kälte und Sozialdarwinismus, wie die derzeitige Finanzmarktkrise zeigt. Ihre allein auf äußerste Gewinnmaximierung ausgerichtete Wertelehre ist „Strathetik“, nicht aber Sozialethik. Dies wird von den auf reines Kalküldenken fixierten in ihrer konstruierten rationalistischen Spielwelt operierenden Spieltheoretikern derzeit grundsätzlich weder wahrgenommen noch thematisiert.
Ganz anders sieht dies jedoch bei einigen nachdenklichen Ökonomen aus, die das aus der Spieltheorie abgeleitete derzeitige Game-Management der die äußerste Gewinnmaximierung anstrebenden Global Player mit Recht als einen menschenverachtenden sozialtechnischen Mechanismus kritisieren (z.B. Gunter Dueck, Karl-Heinz Brodbeck, Ulrich Thielemann). Eine besonders riskante Spielart des Game-Managements des Homo oeconomicus ist der Abschluss von Wetten auf den Ausgang von Börsen-Spielen (z.B. Hedge Fonds). Bei der Beteiligung an derartigen suchterzeugenden Glücksspielen gibt es, wie wir seit kurzem wissen, neben dem Risiko des persönlichen Verlustes auch das, einen Weltmarkt zu zerstören und damit die Weltgesellschaft nachhaltig zu schädigen.
Wenig bekannt und untersucht ist, dass die Spieltheorie mit ihrer letztlich simplen Wettkampflogik bereits viele unmittelbare und mittelbare Spuren in unserer heutigen Alltagssprache hinterlassen hat. Der heute ubiquitäre Gebrauch der Wendungen „Strategie“ und „strategisch“, die früher einmal im militärischen Bereich zur Kennzeichnung der Feldherrnkunst dienten und heute auch problemlos für nichtmilitärische Sachverhalte – meist mit Wettbewerbscharakter - im Sport, in der Wirtschaft und der Politik zur Anwendung gelangen, geht sehr wahrscheinlich auf die Spieltheorie zurück (Hans Paul Bahrdt). Wir sprechen ganz selbstverständlich von Win-Win-Situationen oder vom Nullsummenspiel, wenn Gewinne und Verluste zusammen null ergeben. Um einen Erfolg anzuzeigen, sagen wir, jemand punkte oder score. Aus der Sprache des Wettkampfsportes ist diese Wendung in die der Wirtschaft, aber auch in die der Politik gewandert. Genauso selbstverständlich geht es uns von den Lippen, wenn wir jemand Wettbewerbsfähigkeit attestieren wollen, zu sagen, er sei „gut aufgestellt“. Auch diese aus der Militär - bzw. Kampfsportsprache stammende Ausdrucksweise ist heute in Wirtschaft und Politik gang und gäbe. (Bei Google gibt es hierfür 1 670 000 Einträge !) Um die besondere Leistungsfähigkeit eines Bundeslandes hervorzuheben, rühmen sich manche Politiker damit, man spiele in der Champions League. Wir sprechen von Ranking, wenn wir einer Person oder einem Produkt (Auto,Wertpapier usf.) nach einem der heutzutage nicht nur im Sport und in der Wirtschaft tagtäglich stattfindenden Wettbewerbe oder Tests je nach Abschneiden einen Platz in einer Rangfolge zuweisen. Mit dem Klischee Winner/Loser pflegen wir meist ganz locker und nicht selten diskriminierend die Welt - manche auch sich selbst - in Gewinner und Verlierer zu teilen. Wir veranstalten nicht nur ständig Wettbewerbe, sondern wir verfügen offenbar bereits über eine äußerst komplexe Sprache des Wettbewerbs, die uns unabhängig von unseren mit Boni lockenden Anreizsystemen, die permanent zur Teilnahme an Wettbewerben zu mobilisieren versuchen, wohl auch unbewusst anleiten dürfte, uns in Wettbewerben zu engagieren und die Welt nach Wettbewerbskategorien zu ordnen. Werden an den Gewinn eines Ranges Privilegien gebunden (z.B. Studienplatz, Beförderung usf.), kann es bekanntlich zu erbitterten Auseinandersetzungen über die Korrektheit des Rankingverfahrens kommen. Dass in einer ausufernden Wettbewerbsgesellschaft unser demokratisches Prinzip der Gleichberechtigung ganz erheblich unter Druck geriete, liegt auf der Hand. Jeder mag für sich beantworten, ob dies nicht heute bereits der Fall sein könnte. Woher kommt es wohl, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden? So viel über die Anwendung der Spieltheorie und deren Auswirkung in den multiplen Wettbewerben unseres demokratischen Rechtsstaats.
Ich will Ihnen nun erklären, wie ich zu meiner Devise vom strategischen Netzwerk-Mann gekommen bin. Ausgangspunkt für dieses Konzept ist die sarkastische Abrechnung mit den modernen Organisations- und Managementmethoden, die Gunter Dueck - er ist übrigens der deutsche Technologiechef bei IBM - in seinem Buch „Supramanie. Vom Pflichtmenschen zum Score-Man“ 2004 der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Er geißelt in dem Buch in äußerst spöttischer Weise die Übung, mittels statistischer Messung und Berechnung wahrscheinliche Chancen- und Risikoprofile hinsichtlich gewisser Eigenschaften für ein menschliches Kollektiv auszurechnen und den gefundenen Zahlenwert (Score) einem Individuum aus dem Kollektiv einfach anzuheften und ihn hiernach zu beurteilen. In dem Bemühen, diesen Zahlenwert in seinem Sinne zu verbessern, sei der Score-Man von einem nie ganz zu befriedigenden Optimierungstrieb befallen. Er spiele hierbei ein nie endendes Spiel gegen sich selbst.
Gängiges Beispiel für Scoring liefert die Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung (SCHUFA). So hat beispielsweise jeder von uns bei der SCHUFA einen Scorewert hinsichtlich seiner Bonität, mit dem die Wahrscheinlichkeit gemessen wird, dass er einen ihm gewährten Kredit zurückzahlen kann. Bei jeder Kreditvergabe ruft die kreditgebende Bank diesen Scorewert ab. Von diesem hängt es ab, ob man überhaupt einen Kredit und zu welchen Bedingungen erhält. Entsprechend arbeiten übrigens auch Ratingagenturen bei der Einschätzung der Bonität von Banken, die als Emittenten von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt auftreten. Auch Versicherungen benutzen dieses Verfahren. So bilden Autoversicherungen Risikoklassen; von diesen hängt die Höhe des Versicherungsbetrages ab, den der Versicherte in seiner Risikoklasse zu zahlen hat. Nach der Novellierung des BDSG (§ 34) kann man übrigens seit 1.4.2010 einmal im Jahr und zwar kostenlos bonitätsrelevante Einträge bei der SCHUFA auf Richtigkeit kontrollieren und damit seinen Bonitätsscore gegebenenfalls korrigieren.
Es gibt übrigens kein menschliches Verhalten, das nicht auf diese Weise gescort werden könnte. Damit steht unser high potential vor der riesigen Aufgabe, angeblich zum Nutzen der Menschheit allüberall Risikoprofile zu errechnen. Für den Fall der Verwirklichung des Risikos kann man dann vielleicht eine Versicherung abschließen. Für die Versicherungen öffnet sich damit ein ständig wachsendes Geschäftsfeld; sie gehen paradiesischen Zeiten entgegen, falls sie das Publikum von ihrer Versicherungsnovität überzeugen können. Wie ich später zeigen werde, ist mein strategischer Netzwerkmann lediglich eine Steigerung von Duecks Score-Man. Denn er überflügelt ihn in puncto Messfähigkeit und Messlust, unterstützt von den modernsten Computernetzwerken, bei weitem. Er ist der nicht mehr übertreffbare Meisterscorer und -profiler. Unserem high potential stehen heute jedoch noch andere Mess- und Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung, um sein Unternehmen zum Winner zu trimmen.
Im Wege der Zielvereinbarung kann er ein zu erreichendes Produktions- oder Verkaufsziel festlegen, an dem der Erfolg des Mitarbeiters gemessen wird. Belohnt er die Zielerreichung mit einem Bonus, wird es in der Regel keiner Ermahnungen des Vorgesetzten mehr bedürfen, doch fleißiger zu sein. Derartige Zielvorgaben können in autoritär geführten Unternehmen auch einseitig bestimmt werden. Nicht immer werden hierbei sozialverträgliche Richtwerte benutzt. Mitarbeiter können, wie dies aus dem Finanzdienstleistungssektor unlängst bekannt geworden ist, damit gnadenlos unter Druck gesetzt werden. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn das Fixgehalt sehr niedrig bemessen ist. Folge davon können psychosomatische Beschwerden bis hin zum behandlungsbedürftigen Burnout sein.Verdi-Chef Bsirske plant daher bekanntlich, zum Gesundheitsschutz von Bankmitarbeitern eine entsprechende Tarifvereinbarung abzuschließen. Dass eine von unserem high potential auf diese Weise erzeugte Drucksituation beim Verkauf von Wertpapieren die Beratungsqualität gegenüber den Kunden erheblich in Frage stellt, haben wir bitter erfahren müssen. Dies wird daher zu Recht von allen Verbraucherschützern angeprangert. Würde unser high potential allerdings die Methode der Balanced Scorecard benützen, bei der auch die Mitarbeiterzufriedenheit gemessen wird, dann hätte sich die Situation wohl nie so zugespitzt.
Unter high potentials ist es aber auch sehr beliebt, innerbetriebliche Wettbewerbe zu veranstalten. Wer verkauft die meisten Wertpapiere, Versicherungen? Der Scorewert wird in sog. Rennlisten eingetragen, die nicht selten im Betrieb öffentlich - warum wohl? - ausgehängt werden. Für den Sieger ist eine Belohnung ausgelobt, etwa eine Weltreise. Von einem ranghohen, sehr erfolgreichen Versicherungsvertreter wurde mir unlängst mit Stolz erzählt, dass er eine solche gewonnen habe.
Unser high potential ist aber auch Meister des höchst umstrittenen Zeitmanagements. Da der Erfolg eines Unternehmens auch davon abhängt, dass das vorgegebene Produktionsergebnis möglichst schnell erreicht wird, werden alle Betriebsabläufe aufs Genaueste zeitlich gemessen und Zeitlimits vorgegeben. Der Einsatz des Computers erleichtert dies in perfekter Weise. Zu Zeiten des Taylorismus war es noch nicht möglich, die Büroarbeit qualitativ zu messen. Dies ist heute mit Hilfe des computergestützten Datenabgleichs und der hieraus folgenden Möglichkeit einer automatischen Kontrolle von vorher festgelegten Leistungsprofilen in perfekter Weise möglich geworden. Erleichtert wird dies durch die minutiöse Planung und Zerlegung der beruflichen Tätigkeit in sog. Projekte.
Besonders problematisch ist es, dass dieses minutiöse Zeitmanagement von unserem high potential auch im Pflegebereich aufs strikteste durchgeführt wird, wobei es Zeitvorgaben für jeden Handgriff am gebrechlichen Menschen gibt. Äußerst prekär ist dies, wenn Pflegeunternehmen als sog. Profitcenter organisiert sind. Letztlich tickt unser gesamtes Gesundheitswesen bereits im Takt der strikten Maßvorgaben des Homo oeconomicus mit der Folge, dass wir als Patienten durch unsere high potentials in der Regel nur noch als Produktionsfaktoren einer vollständig kommerzialisierten Gesundheitsindustrie wahrgenommen werden.
Ich will Ihnen jetzt die Frage beantworten, warum ich für die Kennzeichnung der modernen Managementmethoden nicht bei Duecks überaus plastischer Bezeichnung des Score-Man stehengeblieben bin. Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass Dueck in seinem Buch die „scoretechnologische Revolution“ unberücksichtigt gelassen hat. Denn jeder Bürger ist heute in die Lage, ohne dass er das Geringste von Statistik zu verstehen braucht, mit Hilfe der Suchmaschinen im Internet nach Herzenslust zu scoren und zu profilen. Wer von uns hat noch nicht unter Eingabe seines Namens eine Suchmaschine im Internet benützt, um nachzusehen, wie viele Einträge etwa bei Google über ihn zu welchen Themen zu finden sind, oder aber, ob beim Klick auf das Feld „Bilder“ bei Google sein Konterfei oder das seiner Familienangehörigen erscheint oder aber auf welchem Platz (Page Rank) sein wissenschaftlicher Aufsatz steht, ob er auf der Rangliste in der Zwischenzeit – erfreulicherweise - nach oben oder aber – betrüblicherweise - nach unten gerutscht ist?
Mit diesen meinen Ausführungen beschreibe ich die Möglichkeit einer sog. webometrischen Analyse mittels einer Suchmaschine. Es gibt heute einen ganzen Forschungszweig, der sich mit nichts anderem als mit der statistischen Untersuchung von Verweisungen/Zitationen in Medien auf andere Medien beschäftigt (Bibliometrie, Informetrie, Szientometrie Webometrie, Impact Factor). Hierdurch werden höchst aufregende sozialwissenschaftliche, aber auch geisteswissenschaftliche Zusammenhänge entdeckt. Bei der Webometrie handelt es sich um die Auswertung der Verlinkung einzelner Texte, d.h. der Auszählung der Zitationen in einem ins Internet gestellten Text auf einen anderen. Je häufiger auf einen Text in anderen verwiesen ist, desto höher ist seine Rangstellung im sog. Page Ranking, desto höher ist seine Popularität. Nebenbei bemerkt: Dieses Auszählen ist ein Messvorgang. Wir sehen hier wieder den roten Faden, der in in allen modernen Organisations- und Managementmethoden zu finden ist. Bei wissenschaftlichen Texten können mit der gebotenen Vorsicht hierbei auch Rückschlüsse auf seine wissenschaftliche Qualität gezogen werden. Dieses an sich simple Auszählprinzip liegt den Algorithmen, d.h. den Programmen aller Suchmaschinen zugrunde.
Die Erforschung und Anwendung der Webometrie ist jedoch nur ein kleiner Ausschnitt eines großen, gerade entstehenden interdisziplinären Wissenschaftszweigs, der Netzwerkforschung. Für sie sind schlichte schematische Zeichnungen als Abbilder von Flüssen, Straßen, Eisenbahnlinien, Elektrizitäts- und Datenübertragungsnetzen, Stammbäumen, Geschäfts-und Freundschaftskontakten usw. die Grundlage und der Ausgangspunkt der Forschung, die diese Netzwerke, ihre Entstehung und Veränderung beschreibt und bewertet, d.h. aus ihnen sozialwissenschaftliche Schlüsse zieht. Ihre logische und höchst anschauliche Basis findet die Netzwerkforschung in der sog. Graphentheorie, mit deren Hilfe die abgebildeten Netze sowohl beschrieben als auch ausgewertet werden. Ihre Basis sind die Verbindungslinien (Kanten) und ihre Kreuzungspunkte (Knoten) auf den schematischen Zeichnungen. Aus soziologischer Sicht gehört die Netzwerkforschung zur sog. Relationalen Soziologie. Denn ihr Forschungsgegenstand ist immer eine Beziehung zwischen mindestens zwei ins Auge gefassten Gegenständen. Einer ihrer Gründerväter ist der Soziologe Georg Simmel. Es gibt nahezu keinen herkömmlichen Wissenschaftszweig, auf den die Netzwerkforschung nicht angewendet werden kann. Zu trennen ist die beschreibende von der messenden Netzwerkforschung. Letztere ist eine mathematisch- technische Disziplin. Sie liefert übrigens die logische Grundlage für unser World Wide Web. Die Netzwerkforschung erlaubt es auch, den Begriff des Netzwerkes von dem des Systems besser abzugrenzen. So verschmelzen im Internet Mensch und Maschine zu einem sozio-technischen Hybridsystem, dessen Analyse Gegenstand der Technik-Soziologie ist. Naturwissenschaftler und Informatiker, d.h. die wachsende Gemeinde der Sozio-Techniker (Sozioniker), neigen manchmal dazu, den sozio-technischen Aspekt des Internets überzubetonen. Es besteht hierbei die Gefahr, den Menschen als Teil eines technischen Systems zu klassifizieren und ihn instrumentell oder wie einen künstlichen Aktanten zu behandeln. Demgegenüber pflegt der durchschnittliche Konsument den sozio-technischen Aspekt des Internets, in dem er sich fast spielerisch zu bewegen gelernt hat, in der Regel ganz auszuklammern. Das sozio-technische System ist vom sozialen Netzwerk zu unterscheiden, in dem personale Akteure ihre Positionen, auch über die Art der Betreibung des großen sozio-technischen Systems Internet aushandeln.
Dass der high potential nicht selten ein Anhänger des sozionischen Menschenbildes ist, liegt auf der Hand. Mit Hilfe der Netzwerkforschung ist es jedoch möglich, die Vorteile sozio-technologischer Modellbildung zu nutzen, ohne in eine menschenverachtende Sozialtechnologie abzugleiten. Die Sorge, dass es sich hierbei um eine nicht ungefährliche Gradwanderung handeln könnte, scheint nicht unberechtigt.
Wie sieht nun meine vorläufige Bewertung der modernen Organisations- und Managementmethoden aus? Es ist schwierig, hier ein ausgewogenes Urteil abzugeben. Unbestreitbar verdanken wir den neuen Organisations- und Managementmethoden eine bis vor kurzem nicht für vorstellbar gehaltene Lebenserleichterung. Neben dem Angenehmen gibt es jedoch auch erhebliche Risiken. Diese folgen aus der Benutzung der nicht-kooperativen Spieltheorie sowie der hoch geschätzten modernen Informationstechnologie. Denn diese kann wie jede Technologie sowohl zum Guten als auch Bösen eingesetzt werden. Ich sehe drei Gefahren:
1. Folgt der Homo oeconomicus wie bisher der amoralischen Form der nicht-kooperativen Spieltheorie, die keine Sozialbindung des Eigentums kennt und die dazu anhält, die Profitmaximierung zum alleinigen Lebensinhalt und Lebenszweck zu erheben, kommt es weiterhin zu erheblichen Konflikten mit der Gerechtigkeitsidee. Ein Trugschluss wäre es zu glauben, dieses Problem ließe sich etwa mit dem Strafrecht lösen. Auch ein Appell an Manager, sie möchten sich doch bitte moralisch verhalten, wird wenig fruchten; denn diese sind derzeit Gefangene des Wirtschaftssystems des homo oeconomicus, das ihnen ihr Verhalten diktiert.
Eine nicht zu unterschätzende Gefahr liegt in der derzeitigen Ausbildung von Jungmanagern an den Business-Schulen, die den Umfragen zufolge die Notwendigkeit eines Studienzweiges Ethik nicht für erforderlich halten. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Tests gezeigt haben, dass Wirtschaftsstudenten mehr zur Schummelei neigen, als andere. Ich glaube, dass eine Managererziehung, die allein an einer durch die Spieltheorie bedingten Nützlichkeitsethik ausgerichtet ist, die Verlustminimierung und Gewinnmaximierung unter den Leitideen von Effizienz und Effektivität zur ethischen Letztbegründung erhebt, letztlich mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Sich an die früher geltenden Grundsätze eines ehrbaren Kaufmannes zu halten, fällt unter der Herrschaft der Spieltheorie, vor allem wenn man ihrer nicht-kooperativen Form folgt, sicherlich erheblich schwerer als früher. Vor der Erfindung der Spieltheorie hielt man Krieg und Handel fein säuberlich auseinander und schrieb letzterem eine friedensstiftende Funktion zu. Dies ist heute leider nicht mehr möglich. So ist unter Ökonomen der „Handelskrieg“ ein ganz gängiges Konzept. Ich halte daher die Verknüpfung der Spieltheorie mit der Ökonomie keinesfalls für eine Sternstunde der Menschheit und würde deshalb an Spieltheoretiker, die die nicht-kooperative Spieltheorie favorisieren, keine Wirtschaftsnobelpreise mehr verleihen. Denn ein solcher Nobelpreis für Spieltheoretiker ist Anreiz, an dem falschen Wirtschaftssystem des Homo oeconomicus weiterhin festzuhalten. Es ist zu befürchten, dass es eine Umkehr nicht geben wird. Ob jemals ein Wirtschaftsnobelpreis für die Widerlegung oder Einschränkung der nicht-kooperativen Spieltheorie in der Ökonomie etwa unter Verweis auf eine Fairness-Begabung und ein Gerechtigkeitsverlangen des Menschen verliehen werden wird, erscheint mehr als fraglich. Ein Aspirant hierfür wäre für mich der deutsche Spieltheoretiker und experimentelle Erforscher wirtschaftlichen Verhaltens Axel Ockenfels.
Ich glaube, dass die verbreitete Zockermentalität, die wir im Finanzsektor erlebt haben und leider immer noch erleben, weniger mit Gier zu tun hat, als mit dem Thrill, den Global Player dabei empfinden, wenn sie im Business-Spiel mitspielen können, dem von Glückshormonen verursachten Glücksgefühl, wenn sie Gewinner geworden sind, und dem sich steigernden Verlangen nach Wiederholung (Sucht).
2. Wenn auch dank der Internet-Communities sich Völker in Afrika von autoritären Herrschaften befreien konnten, besteht keinesfalls Grund für eine uneingeschränkte Begeisterung über das Netz. Wird dieses mit einem Monitoring-Equipment ausgestattet, kann man mit dessen Hilfe punktuell den Menschen unter teilweiser oder gänzlicher Aufhebung seiner Autonomie durch Monitoring, System Positioning (GPS-Navigation, Ortung über das Handy, elektronische Fußfessel usf.), Computer Commanding (Verhaltenssteuerung durch Computerprogramme etwa beim Kontakt mit einem Callcenter,übrigens dem absoluten Lieblingsort des strategischen Netzwerkmannes) und durch sofortige Korrektur der Abweichung des Verhaltens mit maschinellem Feedback (Rückkopplung) so kontrollieren und programmiert steuern, wie es niemals vorher möglich gewesen ist. Der Mensch wird hierdurch - oftmals nur für kurze Zeit - im wahrsten Sinne des Wortes zur Marionette eines technischen Systems gemacht, also gänzlich instrumentalisiert. Wir nehmen dies, wenn es zu unserem Vorteil gereicht - etwa bei der Navigation – gerne hin, fühlen uns aber in den Warteschleifen von Callcentern meist misshandelt. Hinzu kommt die Möglichkeit einer computergesteuerten Sprach- und Denkkorrektur (inneres Monitoring) bis hin zur umstrittenen Lügendetektion durch die Messung von Neurosignalen mittels Gehirnscan. Nicht zu vergessen sind die sich ständig verfeinernden mechatronischen Steuerungsmöglichkeiten, die die Grenzen zwischen Lebewesen und Automat aufzulösen beginnen. Hinzu tritt die nicht selten unterschätzte automatische Protokollierung des Nutzerverhaltens im Netz und dessen Auswertung (Datenverarbeitung). Jene ist die Grundlage sowohl für das Profiling als auch das Scoring des Netzwerkmannes. Das Profiling knüpft hierbei an die vollständige Rekonstruierbarkeit des Verhaltens im Netz an und gleicht damit dem kriminalistischen Profiling. Beim Scoring werden die Daten zum Zwecke der Mustererkennung statistisch verarbeitet (Data Mining). Profiling und Scoring stehen dabei immer im Spannungsverhältnis zwischen Datenschutz zur Sicherung der Privatheit und deren Aufhebung (Gläserner Mensch). Da Personal-Datensätze inzwischen ein für das Data Mining sehr begehrtes Wirtschaftsgut geworden sind, unterminiert der heute schwunghafte Handel mit diesen den Datenschutz (vgl. z.B. den Streit der Kunden mit Facebook über die unangekündigte Änderung der AGB zu deren datenschutzrechtlichem Nachteil).
3. Eine besonders brisante Mischung ergibt sich, wenn der Homo oeconomicus sich der Überwachungsmöglichkeiten des Netzes in seinen Unternehmen bedient und dabei ein die Menschenwürde verletzendes Monitoring, Scoring und Profiling auszuüben bestrebt ist. Besondere Risiken für die Autonomie der Arbeitnehmer bestehen naturgemäß in Callcentern. Es erscheint aber auch nicht ausgeschlossen, dass bei Umgehung der arbeitsrechtlichen Vorschriften und des Datenschutzes in freien Gesellschaften punktuell so etwas wie betriebswirtschaftliche „Diktaturen“ entstehen könnten. Man denke etwa an Großkonzerne, die ihre Mitarbeiter, deren Angehörige und deren Kontaktpersonen bis in ihr Privatleben hinein – natürlich nur aus Fürsorge um ihr Wohlergehen – bespitzeln. Die Subkultur der Hacker thematisiert lautstark derartige Gefahren und versucht ihre Angriffe auf private und staatliche Datenbanken als einen notwendigen und legitimen Kampf zur Wiedergewinnung von Ethik und Freiheit in der Weltgesellschaft zu rechtfertigen (etwa WikiLeaks). Folgt man den Thesen des Politologen Colin Crouch in seiner Streitschrift „Postdemokratie“ handelt es sich bei den Angriffen auf die Autonomie durch unsere technologische Kultur nicht um einzelne Exzesse einer als Turbokapitalismus getadelten Ökonomie, sondern um eine allmähliche Transformation unserer Demokratien in einen von betriebswirtschaftlichen Regeln gesteuerten und einer Managerelite beherrschten riesigen Markt, auf dem nicht mehr Politiker, sondern Manager, die auch in die Rolle der Politiker schlüpfen, mit aggressiven, auf der Werbekraft von Medienimperien basierenden Marketingmethoden die Geschicke der Gesellschaft zu gestalten versuchen, wobei sie sich auf Urteile von Experten verlassen, die mittels statistischer Verfahren eine angeblich objektiv bestimmte beste Praxis errechnet haben. Man mag diese Szenarien für maßlos übertrieben halten. Wir sollten jedenfalls darauf hinwirken, so schnell wie möglich einen wirklich effizienten innerbetrieblichen Datenschutz aufzubauen, und arbeitsrechtliche Vorkehrungen dagegen treffen, dass das oben geschilderte Arsenal der Leistungsmesstools nicht als Folterschraube zum Abpressen von Höchstleistungen missbraucht werden kann. Der Staat hat die Pflicht, darauf hinzuwirken, dass menschenwürdige Richtwerte und Benchmarks für die Arbeit entwickelt und diese auch in allen Unternehmen wirklich als Standards zugrunde gelegt werden.
Die meisten deutschen Manager werden sicherlich entrüstet und mit Recht verneinen, zur Kategorie des high potential zu gehören, den ich bis jetzt idealtypisch als kalten gewinnmaximierenden Technokraten vorgestellt habe. Sie werden darauf hinweisen, dass man das Problem doch längst erkannt und auch gelöst habe. So gebe es für Aktiengesellschaften einen Corporate Governance Kodex und für andere Unternehmen das Konzept der Compliance (Regelkonformität). Man habe erkannt, wie wichtig die Beachtung der Gesetze und ethischen Richtlinien in Unternehmen sei.
Studieren wir jedoch den Compliance-Artikel bei Wikipedia und unterstellen einmal, dass die herrschende betriebswirtschaftliche Auffassung von Compliance dort richtig wiedergegeben ist, kommen einem Zweifel. Denn für Betriebswirte geht es bei der Einführung von Compliance im Unternehmen, die überraschenderweise als strategische Aufgabe definiert ist, offenbar in erster Linie um die Erzeugung betriebswirtschaftlicher Effekte. So heißt es dort: „Risikominimierung, Effizienzsteigerung und Effektivitätssteigerung sind die vorrangigen Ziele von Compliance“. Der eigentliche Zweck von Compliance, sozialverträgliche und menschenwürdige Arbeitsbedingungen durch Sicherstellung von rechtskonformem und ethischem Verhalten im Betrieb zu ermöglichen, ist hierbei völlig aus dem Blick geraten. Sozialverträglichkeit und Menschenwürde werden vom Homo oeconomicus bei der Organisation von Compliance offensichtlich in die Kategorie der betriebswirtschaftlichen Mittel eingeordnet.
Dabei ist die Darstellung in Wikipedia höchst scheinheilig, da die Betriebswirte, die diesen Artikel verfasst haben dürften, genau wissen, dass man sowohl durch unverhältnismäßigen Druck auf Mitarbeiter, durch Mogelei gegenüber Kunden – etwa beim Wertpapierverkauf – oder durch Korruption nicht nur die Effizienz, sondern auch die Effektivität eines Unternehmens auf Kosten regelkonform geführter enorm steigern kann.
Eine ebenfalls ambivalente Erscheinung ist der „Compliance Officer“, ein zertifizierbarer Betriebsfunktionär – auch „Compliance Manager“ genannt -, der für Regelkonformität zuständig ist. (Bei Google finden sich für Compliance Officer 8 100 000, für Compliance Manager 6 970 000 Einträge.) Für die einen ist er der Garant für eine der Gerechtigkeit und damit Menschlichkeit verpflichtete Betriebsführung, für den high potential ist er nichts anderes als ein auf das Unternehmen eingeschworener Sicherheitsfunktionär in der Verwaltung, eine Art Marshal, der in den USA im Bedarfsfall auch mit Hilfe des Lügendetektors seine Ermittlungen bei Verdacht eines Compliance-Verstoßes führt. Gefragt sind bei ihm neben administrativem und betriebswirtschaftlichem Know-how sowie gründlichen Rechtskenntnissen natürlich auch theoretisches und praktisches Wissen nachrichtendienstlicher Art zur Abwehr von Korruption und Betriebsspionage, die heute vermehrt über das Netz stattfindet. Bei Korruption in der Chefetage sitzt er gewöhnlich zwischen allen Stühlen. (Zeigt er, wozu er rechtlich verpflichtet ist, an oder treibt er Vogel-Strauß-Politik?). Versucht der Compliance Officer etwa im Rahmen von Selbstjustiz unter Berufung auf Notwehr oder Notstand angeblich gefährdete oder verletzte Compliance selbst wieder herzustellen, kann es zu massivem Gesetzesbruch kommen, etwa zu exzessiven Datenschutzverstößen, wie unlängst bei der Deutschen Telekom. Angebliche Compliance-Verstöße muss er manchmal auch erfinden, damit man sich von einer in Ungnade gefallenen Person leichter trennen kann (vgl. die Affäre bei der HSH Nordbank). Dass im Compliance-Management neuerdings auf anonyme Anzeigen gesetzt wird, ist eine weitere äußerst bedenkliche Entwicklung (anonymes Whistleblowing auf von Unternehmen eingerichteten firmeneigenen Internetportalen). Die Unternehmen zahlen hierfür einen hohen Preis. Um einen Korruptionsfall zu entdecken bzw. mit einer geringeren Strafe wegen eines solchen davonzukommen, fördern sie wissentlich ein Klima der Bespitzelung und Denunziation in ihren Betrieben. Die Schaffung eines Postens für Compliance-Management garantiert deshalb keinesfalls automatisch gesetzliche oder ethische Regelkonformität in einem Unternehmen, vor allem dann nicht, wenn die Unternehmensspitze die Compliance betriebswirtschaftlich instrumentalisiert. Von Arbeitsrechtlern, die sich für Compliance einsetzen, wird manchmal übersehen, dass diese immer im Spannungsfeld zwischen dem Ziel des Unternehmers, größtmöglichen Profit zu erwirtschaften und der manchmal als lästig empfundenen Pflicht, dies im Rahmen der Gesetze und ethischen Standards tun zu müssen, steht. Die Bereitschaft, diese Pflichten zu erfüllen, kann dabei in dem Maße sinken, wie ein Unternehmer eines der gesetzlichen Regelwerke, die in Überfülle von der Europäischen Union, der Bundesrepublik, den Ländern und Kommunen permanent produziert werden, für nicht verstehbar oder gar unsinnig hält. Die mantraartige Einforderung von Compliance in den vielen, vielen Compliance-Zeitschriften und – Artikeln im Internet kann dieses immer bestehende Spannungsverhältnis nie auflösen.
Eine linguistische Anmerkung: Die Bezeichnung des „Compliance Officer“ entstammt dem Wörterbuch des strategischem Handeln verpflichteten high potential, der bekanntlich das Führungspersonal seines Unternehmens als eine Art Offizierscorps ansieht und deshalb alle Vorstandsmitglieder als Offiziere klassifiziert (etwa Chief Executive Officer als Bezeichnung für das geschäftsführende Vorstandsmitglied). Um sprachlich kenntlich zu machen, dass Compliance vor allem ein dem Menschen und der Gerechtigkeit und nicht (nur) strategischem Effizienzstreben verpflichtetes Konzept ist, sollten wir den Compliance Manager bzw. Officer aus unserem Sprachgebrauch ganz streichen und ihn durch die zivile Bezeichnung „Compliance Beauftragter“ (bei Google leider nur 6 530 Einträge) ersetzen. Dass für die Entscheidung strittiger ethischer Fragen besser eine Ethikkommission als ein polizeiartiger Compliance Officer zuständig sein sollte, liegt auf der Hand.
Eine Veränderung der Sprechweise ist jedoch allein nicht ausreichend.
Erst wenn unser high potential (Homo oeconomicus) wenigstens bisweilen strategisch abrüstet und seine vielen der Betriebsoptimierung dienenden Messtools fallen lässt, um dem Produktionsfaktor Mensch mit Augenmaß, Fingerspitzengefühl und auch Herz als Mitmensch, d.h. als sozialer Netzwerkmann gegenüberzutreten, wird es eine harmonische Compliance und damit menschenfreundliche Arbeitsbedingungen in unseren Unternehmen, aber auch ein rücksichtsvolleres Gesamtklima in unserer Gesellschaft geben, die sich derzeit leider zur Abwehr von Cyberwar rüsten muss. Man braucht wohl nicht lange zu rätseln, wer wohl hinter diesen Attacken steht. Es ist sicherlich nicht der soziale Netzwerkmann (Soziales Netzwerk, Netzwerktherapie).
Netzverweise
Bei der Eingabe der kursiv gedruckten Wörter im Text in eine Suchmaschine finden sich bei Wikipedia weitere Erklärungen zu den benutzten Begriffen.
Unter www.projustiz.de sind einführende Texte des Verfassers zu den Themen: Scoring, Vorratsdatenspeicherung und Regulierung von Netzindustrien zu finden.
Medienverzeichnis
Brodbeck, Karl-Heinz, Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie: Eine philosophische Kritik der modernen Wirtschaftswissenschaften, Darmstadt, WBG (2009)
Crouch, Colin, Postdemokratie, edition suhrkamp (2008)
Dixit, Avinash K./Nalebuff, Barry J., Spieltheorie für Einsteiger: Strategisches Know-how für Gewinner, Stuttgart, Schäffer-Poeschel (1997)
Duden, Wörterbuch der New Economy, herausgegeben vom Trendbüro, Mannheim, Brockhaus (2001)
Dueck, Gunter, Supramanie: Vom Pflichtmenschen zum Score-Man, Berlin Heidelberg NewYork, Springer (2004)
--- , Abschied vom Homo oeconomicus: Warum wir eine neue ökonomische Vernunft brauchen, Frankfurt a.M., Eichborn (2008)
Frühwald Wolfgang, Die Autorität des Zweifels: Verantwortung, Messzahlen und Qualitätsurteile in der Wissenschaft, Göttinger Universitätsrede 2007, Wallstein
Malsch, Thomas (Hrsg.), Sozionik: Soziologische Ansichten über künstliche Sozialität, Berlin, Ed. Sigma (1998)
Stegbauer, Christian/Häußling, Roger (Hrsg.), Handbuch Netzwerkforschung, Wiesbaden, VS/ Springer (2010)
Tenbruck, Friedrich H., Zur Kritik der planenden Vernunft, Freiburg, Alber (1972)
Thielemann, Ulrich, System Error: Warum der freie Markt zur Unfreiheit führt, Frankfurt a.M., Westend (2009)
Weeber, Karl-Wilhelm, Die unheiligen Spiele: Das antike Olympia zwischen Legende und Wirklichkeit, Düsseldorf Zürich, Artemis Winkler (2000)