reich-drnv

{s. 01 (14-7)}

Die Rivalität zwischen England und Deutschland erscheint als eine Hauptfrage der Weltgeschichte unserer Zeit, und unvermeidlich wird diese Rivalität zu einem Krieg führen, dessen Ausgang für den Besiegten wahrscheinlich tödlich sein wird. Der maßen unversöhnlich erscheinen die Interessen dieser zwei Nationen und also auch ihr Nebeneinanderbestehen als Großmächte.

Einerseits sehen wir einen Inselstaat, dessen Macht und Einfluß sich auf eine mächtige Flotte, auf Welthandel und auf unzählige Kolonien gründet. Auf der anderen Seite erscheint ein mächtiges kontinentales Reich, dessen Landbesitz seiner stark angewachsenen Bevölkerung nicht mehr genügt. Auch hat die letztere frei und offen erklärt, ihre Zukunft liege auf den Meeren und hat mit fabelhafter Schnelligkeit einen großartigen Welthandel entwickelt, zu dessen Verteidigung eine starke Kriegsflotte erbaut wurde, während durch ihre berühmte Weltmarke „made in Germany” dem industriellen Wirken des Gegners eine tödliche Gefahr ins Leben gerufen wurde.

England wird sich natürlich ohne Kampf nicht fügen, und deshalb ist zwischen ihm und Deutschland ein Krieg auf Leben und Tod unvermeidlich. Dieser bevorstehende Konflikt kann aber keinesfalls als ein Zweikampf zwischen England und Deutschland losbrechen. Dazu wären ihre Kräfte zu ungleich und außerdem könnten sie einander nicht genügend fassen.

{s. 02 (14-8)}

Für Deutschland wäre es zwar möglich, Volksaufstände in Indien, Südamerika und Irland hervorzurufen, mittels Kaperung und Unterseebooten den englischen Seehandel zu paralysieren und dadurch für Großbritannien Lebensmittelschwierigkeiten zu verursachen. Aber bei aller ihrer Tapferkeit würden sich doch die deutschen Heerführer kaum zu einer Laudung in England erdreisten können, wenn ihnen nicht vor läufig ein besonderes Glück zur Vernichtung der englischen Kriegsflotte verhelfen könnte.

Was England betrifft, so ist für dasselbe Deutschland völlig unangreifbar. Alles, was England selbständig durchführen könnte, wäre die Annektion der deutschen Kolonien, die Annullierung des deutschen Seehandels und im besten Falle die Vernichtung der deutschen Kriegsflotte. Aber alles dieses wäre nicht genügend, um den Feind zum Frieden zu zwingen. Unzweifelhaft wird sich England deshalb bemühen, schon früher erprobte Mittel zu ergreifen: es wird sich zu einer Kriegserklärung nicht früher entscheiden, bevor es sich nicht den Beistand anderer kriegsfähiger Mächte gesichert hat; und da auch Deutschland gewiß nicht isoliert austreten wird, so wird sich der künftige englisch-deutsche Krieg zu einem bewaffneten Konflikt der europäischen Mächte gestalten, von denen die einen englisch, die anderen deutsch gestimmt sein werden.

Bis zum russisch-japanischen Krieg war die russische Politik frei von beiden Einflüssen. Seit der Regierung des Kaisers Alexander III. stand Rußland mit Frankreich in einem Defensivbündnis, welches stark genug war, nun beide Mächte in dem Falle, daß eine von beiden überfallen würde, zu einem gemeinsamen Austreten zu bringen, daß aber andererseits keinem von den Verbündeten zur Pflicht machte, alle möglichen politischen Wagestücke des anderen zu unterstützen.

Zur selben Zeit unterhielt der russische kaiserliche Hof die auf Verwandtschaft gegründeten traditioneller freundschaftlichen Beziehungen mit Berlin. Dank eben dieser politischen Konjunktur wurde jahrelang der Friede in Europa aufrecht erhalten, obwohl es zu allen Zeiten an allerlei Brennstoff in Europa nicht fehlte.

Das Bündnis mit Rußland gab Frankreich die Sicherheit vor einem Überfall durch Deutschland. Rußlands erprobte Friedensliebe und freundliche Stimmung gaben Deutschland die Sicherheit vor französischen Revancheaufwallungen, und Rußland fand die Sicherheit vor zu heftigem Auftreten Osterreichs auf der Balkanhalbinsel durch die Notwendigkeit für Deutschland, mit Rußland gute Nachbarschaft zu pflegen.

Dabei blieb England gänzlich isoliert und fühlte sich deshalb gezwungen, ruhig zu bleiben. Zu der Rivalität zwischen Rußland und England in Persien und zu der für die englische Diplomatie traditionellen Befürchtung eines russischen Dranges nach Indien kam noch ein nach dem Zwischenfall von Faschoda höchst gespanntes Verhältnis mit Frankreich. Und dabei mußte England mit großer Unruhe die Stärkung der deutschen Seemacht beobachten, ohne sich jedoch zu einem aktiven Auftreten zu entscheiden.

Der russisch-japanische Krieg veränderte völlig die gegenseitigen Beziehungen aller europäischen Mächte und gab England die Möglichkeit, aus seiner isolierten Lage herauszutreten.

Wie bekannt, haben England und Amerika während des russisch-japanischen Krieges gegenüber Japan eine wohlwollende Neutralität beobachtet, was zu gleicher Zeit durch Frankreich und Deutschland Rußland gegenüber geschah. Wie es scheint, konnte dies als Grundlage einer natürlichen politischen Kombination für die Zukunft bleiben. Leider aber nahm unsere Diplomatie nach dem Krieg einen ganz entgegengesetzten Kurs und entschied sich für eine Annäherung an England. Frankreich wurde hinzu-gezogen, und so bildete sich unter dem Einfluß Englands ein Bündnis der drei Mächte, und ein Zusammenstoß mit den mit Deutschland verbündeten Staaten wurde früh oder später unvermeidlich.

Natürlich ergibt sich die Frage: was haben wir gewonnen oder was können wir gewinnen durch einen solchen Verzicht auf unser traditionelles Mißtrauen gegen England und auf unser, wenn nicht freundliches, so doch wenigstens gut nachbarliches Zusammenleben mit Deutschland.

Wenn wir alle Ereignisse, die dem Friedensvertrage von Portsmouth folgten, analysieren, fällt es uns schwer, irgend welche realen Vorteile zu verzeichnen, welche wir unserer Annäherung an England zu verdanken hätten. Den einzigen Vorteil — unsere verbesserten Beziehungen mit Japan — kann man kaum als Folge des russisch-englischen Verständnisses betrachten. Eigentlich scheinen uns Rußland und Japan zu gemeinschaftlichem Frieden geschaffen, da sie nichts zu teilen haben. Alle richtig verstandenen Aufgaben Rußlands im fernen Osten stimmen mit den Interessen Japans völlig überein und sind außerdem an und für sich sehr mäßig.

Ein beiderseitiges Mißverständnis gab den Anstoß zum Kriege: einerseits ein fantastisches und taktloses Auftreten seitens der russischen Beamten, welches keiner wirklichen Staatsnotwendigkeit entsprach, andererseits eine übertriebene Nervosität und Reizbarkeit der Japaner, welche irrtümlicherweise in dieser faulen Wirtschaft einen gefährlichen Eroberungsplan sehen wollten. Dies führte zu einem Kriege, den zu vermeiden eine geschicktere Diplomatie gewiß Mittel gefunden hätte.

Rußland braucht weder Korea noch Port-Arthur zu besitzen. Ein Ausgang ins offene Meer ist jedenfalls nützlich, aber das Meer ist nicht ein Marktplatz, sondern nur ein billiges Transportmittel für Waren zu entfernteren Marktplätzen. Wir aber besitzen im fernen Osten keine solchen Waren, deren Export ins Ausland uns großen Vorteil bringen könnte, während die naheliegenden Verkaufsplätze uns nicht günstig sind.

Unsere Waren würden überall auf eine für sie ungünstigere Konkurrenz stoßen, sei es in Amerika mit dessen glänzend entwickeltem Fabrikwesen und Landwirt-

{s. 03 (14-9)}

schaft, oder in dem zwar nicht reichen aber industriell sehr vorgeschrittenen Japan.

Unsern Handelsverkehr erscheint nur China günstig, an das wir auf festem Lande grenzen. Also würde ein offener Hafen mehr den Import fremder Waren, als den Export russischer Waren fördern. Andererseits aber wollen wir trotz dem Gesagten behaupten, daß Japan unsere fern-östlichen Gebiete nicht bedroht. Die Japaner sind ein südliches Volk, und das rauhe Klima unserer östlichen Gebiete kann sie nicht anlocken. Wie bekannt, ist in Japan selbst der nördliche Teil der Insel Jaffo schwach bevölkert, und ebenso schwach entwickelt sich die Kolonisation des südlichen Teiles der Insel Sachalin, welcher nach dem Friedensvertrag von Portsmouth an Japan übergegangen ist.

Einmal in den Besitz von Korea und Formosa gelangt, wird Japan wahrscheinlich nicht nördlicher vordringen, und sein Erweiterungsstreben wäre eher in der Richtung der Philippinischen Inseln, Javas, Sumatras und Borneos vorauszusetzen. Das äußerste wäre vielleicht für Japan, sich im Handelsinteresse einer weiteren Strecke der Mandschureibahn zu bemächtigen.

Also sind wir der Meinung, das nicht nur ein friedliches Zusammenleben zwischen Rußland und Japan, sondern auch ein engeres Bündnis ohne jegliche Bemühung Englands naturgemäß zustandekommen könnte. Die Grundlagen zu einem solchen Bündnis liegen klar auf der Hand. Japan ist kein reiches Land, und deswegen fällt es ihm schwer, eine starke Armee und eine mächtige Flotte zu gleicher Zeit zu unterhalten. Ein Bündnis mit Rußland würde Japan die Möglichkeit geben, in Aussicht auf die schon ausgehende Rivalität mit Amerika alle seine Aufmerksamkeit der Flotte zu widmen und die Verteidigung seiner Interessen auf festem Lande Rußland zu überlassen.

Wir aber könnten für uns auf das Streben nach dem Besitz einer eigenen Kriegsflotte im fernen Osten verzichten, da wir unsere Küste durch die japanische Flotte gut verteidigt wüßten. Auf diese Weise hat, was unser Verhältnis zu Japan anbetrifft, uns eine Annäherung an England gar keine realen Vorteile gebracht. Ebensowenig hat sie zur Stärkung unserer Lage in der Mandschurei, in Mongolien und Uranchai genützt.

Wenn also in diesen Angelegenheiten unsere Diplomatie in dem Einverständnis mit England keine Wirkungsfreiheit gefunden hat, so ist im Gegenteil unser Versuch, mit Tibet Beziehungen anzuknüpfen, auf einen scharfen Widerstand Englands gestoßen. Nicht zum Besseren hat sich auch seitdem unsere Lage in Persien gestaltet. Ist es nicht merkwürdig, sich zu erinnern, das unser Einfluß in diesem Lande sich am stärksten unter der Regierung des Schahs Nassr eddin bewährte, also gerade zur Zeit der größten Spannung unserer Beziehungen mit England?

Seitdem aber sahen wir uns gezwungen, uns gegen über dem persischen Volk an der Aufbauung einer ihm ganz unnützen konstitutionellen Verfassung zu beteiligen und endgültig noch zum Gefallen unseres Erbfeindes den Rußland gegenüber freundlich gestimmten Monarchen zu stürzen. Kurz gesagt, wir haben dabei nichts gewonnen, sondern wir haben im Gegenteil an der ganzen Front verloren, indem wir fremden Interessen unser Prestige, viele Millionen und selbst das kostbare Blut russischer Soldaten geopfert haben.

Unsere Annäherung an England und infolge davon die Entfremdung mit Deutschland hat für uns die schlimmsten Folgen auf der Balkanhalbinsel mit sich gebracht. Wie bekannt, gebrauchte noch Bismarck das geflügelte Wort, daß für Deutschland die Balkanfrage nicht die Knochen eines einzigen pommerschen Soldaten wert sei.

Später wurden zwar die balkanischen Verwickelungen zum Gegenstand eines größeren Interesses für die deutsche Diplomatie, welche sich des „kranken Mannes” annahm; auch dann aber schien es noch lange, dass Deutschland keine Lust hatte, sein Verhältnis zu Rußland wegen der Balkanfrage zu verderben.

Nichts war für Osterreich leichter, als während des Russisch-Japanischen Krieges und der darauf folgenden Unruhen seine langjährigen Ansprüche auf der Balkanhalbinsel zu bestätigen. Zu der Zeit hatte Rußland sein Schicksal noch nicht mit England verbunden, und Österreich-Ungarn sah sich gezwungen, die gegebene günstige Gelegenheit nicht zu benutzen.

Kaum aber hatten wir den Weg eines näheren Verständnisses mit England eingeschlagen, als sofort seitens Österreich die Annektion von Bosnien und der Herzegowina erfolgte.

Bald nachdem entstand die albanische Frage und die Kombination mit dem Prinzen Wied. Zwar versuchte diesmal die russische Diplomatie den österreichischen Intrigen ein Bündnis der Balkanstaaten entgegenzustellen. Diese Kombination erwies sich aber, wie es zu erwarten war, als unzulänglich. Seiner Idee nach gegen Österreich gebildet, lehrte sich sofort dieses Bündnis gegen die Türkei und zerfiel im gegenseitigen Zwist bei Teilung der Kriegsbeute.

Endgültig führte alles dieses nur zu einer entschiedenen Fesselung der Türkei an Deutschland, in welchen sie richtigerweise ihren einzigen Beschützer sah. Anders konnte es auch nicht sein, da einerseits ein freundliches Verhältnis zwischen Rußland und England augenscheinlich bedeutete, daß England auf seine traditionelle Politik der Versperrung der Dardanellen verzichtete, und andererseits sich die Bildung eines balkanischen Bündnisses unter russischen Protektorat als eine direkte Bedrohung der weiteren Existenz der Türkei als europäischer Staat erwies.

{s. 04 (15-9)}

Also hat uns das englisch-russische Einverständnis bis jetzt nichts Reales und Nützliches gebracht. In der Zukunft führt es uns unvermeidlich einem Kriege mit Deutschland entgegen. Unter welchen Umständen wird sich dieser Krieg gestalten und welches werden wahrscheinlich seine Folgen sein?

Der Zusammenhang der Mächte im künftigen Krieg ist unzweifelhaft; einerseits sind das Rußland, Frankreich und England, andererseits Deutschland, Österreich und die Türkei. Wahrscheinlich ist, daß sich an dem Krieg, je nach dem er sich entwickeln wird, auch andere Staaten beteiligen werden.

Welcher nähere Vorwand zum Kriege entstehen könnte, sei es ein Konflikt feindlicher Interessen auf der Balkanhalbinsel oder ein Kolonialzwischenfall, wie das in Algeciras der Fall war, der Zusammenhang der kämpfenden Mächte bleibt sicher derselbe.

Italien wird, wenn es seine Interessen nur einiger maßen richtig beurteilt, nicht als Verbündeter Deutschlands austreten. Kraft politischer und ökonomischer Ursachen strebt Italien unzweifelhaft zur Erweiterung seines Landbesitzes. Eine solche Erweiterung aber könnte nur auf Kosten Österreichs und der Türkei erfolgen. Natürlich ist es also, daß Italien nicht auf derjenigen Seite austreten wird, welche als Verteidiger Österreichs und der Türkei mit den Annektionsbestrebungen Italiens im Widerspruche steht.

Vielmehr ist es zu erwarten, daß Italien sich der Koalition gegen Deutschland anschließen wird, wenn der Verlauf des Krieges Italien zu einer vorteilhaften Beteiligung günstig erscheinen wird. In dieser Hinsicht ist Italiens Lage ähnlich der von Rumänien, welches vermutlich neutral bleiben wird, bis sich die Wagschale des Kriegsglückes auf die eine oder andere Seite neigen wird. Dann aber wird sich Rumänien im Bewußtsein eines gesunden politischen Egoismus der siegenden Partei anschließen, um eine Entschädigung entweder auf Kosten Österreichs oder auf Kosten Rußlands zu erhalten.

Von den übrigen Balkanstaaten werden Serbien und Montenegro unzweifelhaft gegen Österreich die Waffen ziehen. Bulgarien aber und Albanien, falls letzteres zu der Zeit sich zu einem Staate ausbilden wird, werden Serbien gegenüber feindlich austreten. Griechenland wird wahrscheinlich neutral bleiben oder sich der Türkei gegenüber nur dann am Kriege beteiligen, wenn sich dessen Ausgang schon mehr oder weniger voraussagen lassen wird.

Zufälligerweise könnte noch die Mitwirkung anderer Staaten hinzukommen, und dabei hätten wir die Möglichkeit, dem Auftreten Schwedens, selbstverständlich in der Reihe unserer Feinde, entgegenzusehen.

Unter diesen Umständen wird ein Krieg mit Deutschland uns die größten Schwierigkeiten bieten und von uns unzählbare Opfer fordern. Der Krieg wird unsere Gegner nicht überraschen und seine Bereitfchaft zu demselben wird selbst unsere übertriebensten Erwartungen bei weitem über treffen.

Wir denken nicht, daß solch eine Kriegsbereitschaft auf eigene Kriegslust Deutschlands hindeutet. Deutschland hätte den Krieg gern vermieden, wenn es ohne denselben sein Ziel — die Beseitigung der Alleinherrschaft Englands auf den Meere — erreichen könnte. Wenn es aber dabei auf Widerstand von Seiten der Koalition stößt, so wird Deutschland nicht nur von dem Krieg nicht zurücktreten, sondern wird ihn in einem womöglichst günstigen Moment selbst provozieren.

Ohne Zweifel wird aus uns die Hauptlast des Krieges drücken, da England zu einem breiten Anteil an einem Kriege auf festem Lande nicht fähig ist, Frankreich aber wegen Armut an Kontingeuten und in Aussicht der kolossalen Verluste, welche die Kriegstechnik unserer Zeit herbeiführen muß, sich wahrscheinlich auf eine streng defensive Taktik beschränken wird. Wir werden als Sturmbock wirken müssen, welcher die Kraft der deutschen Defensive zu durchbrechen hat, und dabei werden uns viele Nebenangelegenheiten widerstehen und viel Anstrengung und Ansmerksamteit werden sie unsererseits in Anspruch nehmen.

Von diesen ungünstigen Nebenangelegenheiten ist die Besorgnis um unseren fernöstlichen Besitz zu streichen. Amerika und Japan sind beide Deutschland gegenüber feindlich gesinnt, und es ist nicht zu erwarten, daß sie sich Deutschland im Kriege anschließen könnten.

Außerdem wird der Krieg, abgesehen von seinem Ausgange, Russland beträchtlich schwächen und die Aufmerksamkeit dem Westen zuwenden, was jedenfalls mit den Interessen sowohl der Japaner als auch der Amerikaner übereinstimmt.

Deswegen scheint uns unser Stücken im fernen Osten genügend gesichert, und das Höchste wäre, daß sie als Entschädigung für eine wohlwollende Neutralität etwaige ökonomische Abtretungen verlangen könnte.

Vielmehr bleibt die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß Amerika oder Japan feindlich gegen Deutschland ans treten, gewiß aber nur, um sich etlicher schwach verteidigter Kolonien zu bemächtigen.

Dagegen aber bedroht uns gewiß ein heftiges Auflodern des Hasses in Persien, unter den Muselmännern im Kaukasus, in Turkestan, Übersälle seitens Afghanistan; ebenfalls müssen wir auf sehr unangenehme Komplikationen in Polen und Finnland vorbereitet sein.

In dem Falle, daß Schweden auch in den Krieg gegen uns verwickelt wird, ist ein Volksaufstand in Finnland unvermeidlich. Was Polen aubetrifft, so ist zu er warten, daß wir nicht in der Lage sein werden, es wäh-

{s. 05 (15-10)}

rend der ganzen Kriegszeit zu bewahren, und dann, wenn Polen von den Feinden erobert wird, werden diese gewiß versuchen, einen Ausstand herbeizuführen. Obgleich solch ein Ausstand uns nicht besonders gefährlich scheint, muß das doch als eine ungünstige Konjunktur betrachtet werden, desto mehr, als der Einfluß unserer Bundesgenossen uns in unserem Verhalten gegenüber Polen zu solchen Schritten verleiten kann, welche sich für uns schlimmer als ein offener Ausstand erweisen können.

Können wir sagen, das wir zu solch einem hartnäckigen Kampf aller Völkerschaften Europas gut vorbereitet dastehen? Diese Frage können wir leider nicht anders als entschieden verneinend beantworten.

Keinesfalls sind wir nicht geneigt, das Viele, was seit dem, Japanischen Kriege zur Stärkung unserer Kriegsfähigkeit geschaffen worden, zu unterschätzen. Und doch ist dieses Viele gänzlich unzulänglich, wenn man sich den unvorhergesehenen und unerhörten Maßstab des künftigen Krieges vorstellt.

Die Mangelhaftigkeit unserer Kriegsrüstung muß größtenteils unseren jungen gesetzgebenden Kammern zur Schuld angerechnet werden, da sie sich bloß dilettantisch der Frage der Kriegsrüstung annahmen, in keiner Weise aber der ernsten Lage gewachsen waren, die sich infolge der vom Ministerium des Auswärtigen eingeschlagenen und von den Kammern unterstützten neuen politischen Richtung als eine nahe und drohende Kriegsgefahr gestaltete.

Als Beweis dafür könnte eine große Anzahl unerledigter Gesetzentwürfe des Kriegs- und Marine-Ministeriums dienen, unter anderem ein noch von dem Staatssekretär Stolypin vorgelegter Plan der Organisation unserer Kriegsrüstung. In der Einübung der Armee sind nach Zeugnis von Spezialisten im Vergleich mit den Zeiten vor dem Japanischen Kriege unstreitbar wesentliche Fortschritte erreicht worden. Dieselben Spezialisten beträftigen, daß unsere Feldartillerie nichts besseres wünschen läßt, daß das Infanteriegewehr genügend und die Ausrüstung bequem und praktisch seien.

Unbesireitbar aber leidet die Organisation unserer Kriegsrüstung an wesentlicher Mängeln. In dieser Hinsicht könnte in erster Reihe eine Mangelhaftigkeit an Kriegsvorräten notiert werden, was keinesfalls zur Schuld des Kriegsministeriums angerechnet werden dürfte, da die Bestellungen wegen der ungenügenden Produktivität der Fabriken noch bei weitem nicht erfüllt werden konnten.

Desto ernster erscheint solch ein Mangel an Kriegs vorräten, da wir wegen der höchst schwachen Entwicklung unseres Fabrikwesens nicht im Stande sein werden, während des Krieges das Mangelnde mit eigenen Kräften zu schaffen und ferner wegen der Sperrung des Schwarzen und des Baltischen Meeres keine Möglichkeit haben werden, es aus dein Auslande zu beziehen.

Als ein für unsere Kriegssührung ungünstiges Moment erweist sich ihre im allgemeinen zu große Abhängigkeit von der ausländischen Industrie, was uns in der Kriegszeit wegen der Sperre aller Kommunikationen schwer überwindliche Schwierigkeiten verursachen wird.

Sehr mangelhaft ist die Anzahl der schweren Geschütze, deren Notwendigkeit sich im Japanischen Kriege erwiesen hat. Sehr wenig Maschinengewehre. Die Organisation unseres Festungssystems ist kaum begonnen, und bis jetzt unvollendet bleibt die Festung Reval, die zur Deckung der Hauptstadt gebaut wird. Das strategische Eisenbahnneß ist unvollkommen, und die Anzahl der Eisenbahnwagen, welche dem Betriebe in normaler Zeit vielleicht genügen würde, wird sich gegenüber den kolossalen Anforderungen der Kriegszeit als völlig unzureichend erweisen.

Endlich müssen wir in Betracht ziehen, daß sich in dem bevorstehenden Kriege die kulturell und technisch höchst entwickelten Nationen beteiligen werden. Bis jetzt hat jeder Krieg neue Schassungen auf dem Gebiete der Kriegstechnik hervorgerufen, was unseren Gegnern große Vorteile bieten wird, da wir mit unserer technisch schwach entwickelten Industrie nicht in der Lage sein werden, die neuen Kriegserfindungen auszunntzen.

Aller dieser Schwierigkeiten scheint sich unsere Diplomatie nicht bewußt zu sein, und ihr Verhalten gegenüber Deutschland hat einen einigermaßen aggressiven Charakter, was den Ausdruck dieses wegen englischer Einflüsse eigentlich unvermeidlichen Krieges unerwartet beschleunigen kann.

Es bleibt aber fraglich, ob solch eine politische Richtung nicht irreführt und ob sie uns, selbst im Falle eines günstigen Ausganges des Krieges solche Vorteile verspricht, welche imstande wären, alle Bemühungen und Opfer eines außergewöhnlich schweren Krieges zu vergelten.

Die Lebensinteressen Deutschlands und Rußlands stoßen nirgends gegeneinander, und nichts liegt einem friedlichen Zusammenleben beider Staaten im Wege. Die Zukunft Deutschlands liegt auf den Meeren, also da, wo Rußland als das von allen Großmächten am meisten kontinentale Land gar keine Interessen verfolgt. Wir besitzen keine überseeischen Kolonien und werden wahrscheinlich nie solche besitzen, und was den Verkehr im Innern des Reiches betrifft, so ist er leichter aus festem Lande.

An Überschuß der Bevölkerung, der eine Erweiterung unseres Landbesitzes erfordern könnte, leiden wir nicht. Wenn es sich jedoch abgesehen hiervon um Eroberungen handelte, was kann uns ein Sieg über Deutschland geben? Posen, Ostpreußen. Wozu aber brauchen wir diese Provinzen mit einer dichten polnischen Bevölkerung, wenn es uns schwer genug fällt, die russischen Polen zu regieren?

Wozu wollen wir den im russischen Polen noch bis jetzt nicht erloschenen Separatismus von neuem schüren, indem wir dem russischen Reich die unruhigen posenschen und ostpreußischen Polen einverleiben wollten, deren

{s. 06 (15-11)}

nationale Bestrebungen zu unterdrücken selbst das dem russischen an Zähigkeit weit überlegene deutsche Regierungssystem nicht imstande ist?

Ganz dieselben Betrachtungen gelten auch für Galizien. Es wäre ja höchst unvorteilhaft, im Namen eines nationalen Sentimentalismus unserem Vaterland eine Provinz einzufügen, welche schon längst von ihm geschieden ist und jegliche lebendige Verbindung mit ihm verloren hat. Die russisch gestimmten Galizier bilden dort eine kleine Gruppe im Vergleich mit den dort ansässigen Polen, Juden und ukrainischen Uniaten.

Augenblicllich sind die sogenannten ukrainischen und massowischen Bewegungen nicht fürchterlich, aber man sollte sie doch nicht durch den Hirnzusatz unruhiger ukrainischer Elemente fördern, da der in diesen Bewegungen verborgene höchst gefährliche Keim eines klein russischen Separatismus sich unter günstigen Umständen in ganz unerwartetem Maße entwickeln kann.

Wenn wir annehmen, daß unsere Diplomatie durch eine Annäherung an England freien Durchgang durch die Meerengen erzielte, so meinen wir, daß die Erreichung dieses Zieles einen Krieg mit Deutschland nicht unbedingt nötig machte.

Nicht Deutschland, sondern England hat uns den Ausgang aus dem Meere versperrt. Deutschlands Beistand hatten wir es zu verdanken, daß wir im Jahre 1871 uns von den erniedrigenden Beschränkungen, welche uns von England laut des Pariser Friedens vertrages auferlegt waren, befreien konnten. Es ist anzunehmen, daß die Deutschen eher als die Engländer uns in der Frage der Meerengen entgegenkommen würden, da sie dabei wenig interessiert sind und um diesen Preis gern ein Bündnis mit uns getauft hätten.

Außerdem sollten wir nicht übertriebene Erwartungen auf den Besitz der Meerengen gründen. Der Besitz derselben bringt uns den Vorteil mit, daß wir den Ausgang aus dem Schwarzen Meere sperren können und es wie eine geschlossene See vor feindlichen Überfällen gesichert wird. Der Besitz der Meerengen würde uns aber nicht den Ausgang ins offene Meer gestatten, da die Dardanellenstraße in den Archipelagus mündet, wo zahlreich verstreute Inseln der englischen Flotte die Möglichkeit geben würden, abgesehen von den Dardanellen uns alle Ausgänge zu versperren.

Deshalb könnte Rußland eine Kombination als willkommen betrachten, die, ohne daß uns die Dardanellen übergeben würden, uns gewisse Garantien gegen das Eindringen einer feindlichen Flotte ins Schwarze Meer sichern könnte. Solch eine unter günstigen Umständen auf friedlichem Wege ganz erreichbare Kombination hätte in sich noch den Vorzug, die Interessen der Balkanstaaten nicht zu beeinträchtigen, während die Inbesitznahme der Dardanellen durch uns bei ihnen natürlicherweise Sorge und Verdacht erwecken würden.

Unser Besitz in Kaukasien könnte im Eroberungs weg nur südwärts auf Kosten der armenischen Provinzen erweitert werden. Es ist aber fraglich, ob wir daran zu gewinnen hätten im Angesicht der armenischen revolutionären Stimmungen und der Ansprüche aus ein Groß-Armenien.

{s. 07 (16-7)}

In jedem Fall ist anzunehmen, daß noch weniger als England uns Deutschland daran hindern würde, wenn wir mit ihm im Bündnis ständen.

Im Gegenteil, diejenigen territorialen Zusätze, die für uns von großem politischen und ökonomischen Wert sein könnten, sind alle in den Weltteilen gelegen, wo nicht Deutschland, sondern England uns entgegenstehen würde. Persien, Pamie, Kuldscha, Kaschgarien, Dsungarien, Mongolei, Uranschai, alles das sind Gegenden, wo sich die Interessen Rußlands und Deutschlands gegenseitig nicht widerstreben, wo dagegen die Interessen Englands und Rußlands einander schon mehrfach feindlich gegenüberstanden.

In derselben Lage gegenüber Rußland befindet sich auch Deutschland, welches im Falle eines siegreichen Krieges nur solche Provinzen annektieren könnte, die ihm nicht von großem Nutzen sein würden, da sie wegen ihrer dichten Bevölkerung nicht zum Ausgang der Kolonisation dienen könnten. Das wären nämlich das russische Polen und die Ostseeprovinzen deren polnische, litanische, lettische und esthnische Bevölkerung sich feindlich und aufrührerisch gegen Deutschland benehmen würde.

Es kann hiergegen eingewendet werden, daß zu unserer Zeit im Leben der Völker territoriale Eroberungen viel weniger Kraft haben als ökonomische Interessen Aber auch auf diesem Gebiet stehen die russischen Interessen den deutschen gegenüber nicht in einem, wie man es gewöhnt ist zu meinen, unversöhnlichen Widerspruch.

Gewiß sind die jetzt geltenden russisch-deutschen Handelsverträge unserer Landwirtschaft ungünstig während sie der deutschen aber günstig erscheinen. Dabei wäre es aber kaum vichtig, dieses Ergebnis der Feindkseligkeit und der Arglist DeutschIands zuzuschreiben. Erstens muß gesagt werden, daß in vielen Teilen diese Handelsverträge unvorteilhchast für die deutsche Industrie und dagegen für die unsrige vorteilhaft sind.

Die russischen Delegierten, welche seinerzeit diese Verträge ausarbeiteten, waren überzeugte Anhänger der Notwendigkeit der Entwickelung unserer Industrie um jeden Preis, weshalb sie mit Wissen und Willen die Interessen der russischen Landwirtschaftlich denen der russischen Industrie gewissermaßen zum Opfer brachten.

Weiter muß in Betracht gezogen werden, das Deutschland die Produkte unseres landwirtschaftlichen Exports größtenteils nicht selbst konsumiert. Betreffs des größten Teiles der Erzeugnisse unserer Landwirtschaft wirkt Deutschland nur als Vermittler, es würde uns also und den laufenden Marktplätzen freistehen,

{s. 08 (16-8)}

unmittelbare Beziehungen anzuknüpfen und auf diese Weise die teure deutsche Vermittlung zu vermeiden.

Zuletzt muß in Betracht gezogen werden, daß die Bedingungen des Handelsverkehrs sich gründlich verändern können, je nachdem sich die politischen Verhältnisse der vertragschließenden Staaten gestalten, da selbstverständlich die ökonomische Schwächung eines Bundesgenossen unvorteilhaft ist, wie dagegen der Verfall eines politischen Gegners vorteilhaft erscheint.

Kurz gesagt: obgleich es unzweifelhaft ist, daß die zur Zeit noch geltenden russisch-deutschen Handelsverträge für uns unvorteilhaft sind, und daß Deutschland bei ihrem Abschluß die damaligen politischen Zustände gut auszunutzen verstand, und uns, einfach gesagt, gequetscht hat, so sind wir doch der Meinung, daß solch ein Verfahren nicht als "casus foederis" betrachtet werden kann; vielmehr erscheint es uns als eine Äußerung eines gesunden und unserer Nachahmung werten nationalen Egoismus, den wir seitens Deutschlands voraussetzen mußten und mit dem wir zu rechnen hatten.

In jedem Falle zeigt uns das Beispiel Osterreichs einen landwirtschaftlichen Staat, dessen ökonomische Abhängigkeit von Deutschland weit stärker ist, als die unsrige, ungeachtet dessen hat Osterreich auf dem Gebiete der Landwirtschaft Erfolge errungen, von denen es uns noch nicht geträumt hat.

Aus allem diesen erscheint sich zu ergeben, daß zum Abschluß eines für Rußland annehmbaren Handelsvertrages mit Deutschland eine vorläufige Niederlage Deutschlands nicht notwendig erscheint. Vielmehr wären dazu folgende Bedingungen notwendig: gute nachbarliche Beziehungen, eingehende Abschätzung der volkswirtschaftlichen Interessen und hartnäckig lange Verhandlungen mit den deutschen Delegierten, die selbstverständlich nicht da sein werden, um die Interessen unseres Vaterlandes, sondern diejenigen ihres eigenen zu vertreten.

Vielmehr wäre für unsern Handelsverkehr eine Niederlage Deutschlands unvorteilhaft, da dann ein Friede eintreten würde, welcher ausschließlich den Interessen Englands entsprechen könnte. England wird seinen Sieg bis aufs äußerste ausnutzen, und dann wird Deutschland nach dem Verlust seiner Kolonien uns nicht nur keinen Markt zum Verkauf unserer Waren bieten, sondern dagegen den unsrigen mit seinen keinen anderen Ausgang findenden Waren überschwemmen.

In betreff der ökonomischen Zukunft Deutschlands stehen die Interessen Rußlands und Englands in vollem Gegensatz. Für England wäre es vorteilhaft, den Seehandel Deutschlands zu vernichten und es in ein armes, von Ackerbau lebendes Land zu verwandeln. Für uns dagegen wäre vorteilhaft, eine weitere Entwickelung des deutschen Seehandels und der in die weiteren Weltteile exportierenden Industrie, da dann eine zahlreiche deutsche Arbeiterbevölkerung einen lebhaften Verkauf der Erzeugnisse unserer Landwirtschaft erfordern wird.

Abgesehen von den Handelsverträgen ist es allgemein verbreitet, die Leiden des russischen ökonomischen Lebens unter deutschem Joch zu beklagen, ebenso wie die systematische Ausbreitung der deutschen Kolonisation, welche vermeintlich das russische Reich mit großer Gefahr bedroht. Wir denken aber, daß derartige Befürchtungen höchst übertrieben sind. Der berühmte "Drang nach Osten" war seinerzeit natürlich und verständlich, als Deutschland zu eng für seine Bevöllerung wurde und deren überschutz nach dem leicht erreichbaren und schwach bevölkerten nachbarschaftlichen Lande hinströmte.

Die deutsche Regierung war gezwungen, mit dieser Bewegung zu rechnen, ohne sie jedoch seinen Interessen entsprechend anerkennen zu können. Auf diese Weise traten aus dem Gebiete der deutschen Reichsangehörigkeit deutsche Leute heraus und die Lebenskraft des Landes wurde geschwächt. Die deutsche Regierung, in ihrem Bemühen, die Verbindung der Kolonisten mit ihrem früheren Vaterlande zu erhalten, erfand selbst eine höchst eigenartige Maßregel in einer doppelten Staatsangehörigkeit.

Und doch erwies sich unzweifelhaft, daß ein großer Teil der deutschen Auswanderer sich dem neuen Wohnorte fest anschloß und jegliche Verbindung mit der früheren Heimat abbrach. Diese in keiner Weise den Interessen Deutschlands entsprechende Wendung wurde einer der Beweggründe für eine Deutschland bis dahin fremde Kolonialpolitik und für die Entwickelung des Seehandels.

Schon jetzt konnte man beobachten, daß entsprechend der Ausbreitung der deutschen Kolonien und der mit ihr eng verbundenen Entwickelung der Industrie und des Seehandels die Kolonialbewegung schwächer wird, und vielleicht naht schon der Tag, an dem der "Drang nach dem Osten" ins Gebiet der geschichtlichen Erinnerungen übergehen wird.

In jedem Fall muß der deutschen Kolonisation, als unseren Staatsinteressen widersprechend, ein Ende gemacht werden, und zu diesem Zweck würden freundliche Beziehungen zu Deutschland sehr nützen.

Eine Annäherung an Deutschland sollte in keiner Weise in eine Vasallenschaft übergehen und ein freundliches, nachbarsehaftliches Verhältnis mit Deutschland dürfte nicht zu dem Preis einer Opferung unserer Staatsinteressen zustandekommen. Deutschland wird unsere Bemühungen, einer weiteren deutschen Kolonisation in Rußland vorzubeugen, nicht bekämpfen, da es Deutschland selbst vorteilhafter ist, die Kolonisationsbevegung nach seinen eigenen Kolonien zu lenken.

So hat die deutsche Regierung sich nicht für berechtigt gehalten, gegen die von der Regierung des Kaisers Alexander III. ergriffenen Maßregeln zur Beschränkung der ausländischen Kolonisation Protest einzulegen, obgleich damals Deutschland noch keine Kolonien besaß und die deutsche Industrie noch schwach entwickelt war.

{s. 09 (17-8)}

Was die Klagen über ein vermeintliches deutsches Joch betrifft, so glauben wir, das diese Frage eines richtigen Verständnisses bedarf. Rußland ist zu arm an Kapitalien und an industrieller Initiative, um ohne einen breiten Zuschuß ausländischer Kapitalien wirken zu können.

Dadurch entsteht für uns eine gewisse Abhängigkeit vom ausländischen Kapital bis zu der Zeit, wo die Unternehmumgslust und die materiellen Mittel des russischen Volkes sich so weit entwickelt haben, daß sie uns die Möglichkeit geben, gänzlich auf die Beihilfe ausländischer Unternehmer und ihres Kapitals zu verzichten. So lange wir aber dieses brauchen, ist für uns das deutsche Kapital von allen das vorteilhafteste. Vor allem ist es das billigste und begnügt sich mit dem niedrigsten Prozentsatz als Unternehmergewinn.

Dies erklärt zum größten Teil die verhältnismäßige Billigkeit der Erzeugnisse der deutschen Fabriken und Gewerbe und ihren allmählichen Sieg über englische Waren auf dem Weltmarkt.

Die mäßigen Forderungen der Rentabilität des deutschen Kapitals haben zur Folge, daß dieses Kapital auch solchen Gewerben dient, in die wegen ihres niedrigen Gewinnes Kapitalien anderer Länder nicht hineingesteckt werden.

Diese verhäItnismäßige Billigkeit des deutschen Kapitals hat für Rußland noch die guten Folgen, daß im Vergleich mit französischen oder englischen Unternehmungen bei den deutschen geringere Summen russischen Geldes als Unternehmergewinn aus dem Land abströmen Außerdem ergibt es sich, daß ein großer Teil des Ge-

{s. 10 (17-9)}

winnes der mit deutschen Kapital arbeitenden Fabriken von uns gar nicht abfließt, sondern in Rußland verbraucht wird.

Im Unterschied zu den englischen und französischen Unternehmern machen es die deutschen Kapitalisten zum größten Teil mit ihrem Kapital selbst nach Rußland übersiedeln. Deshalb sehen wir im Vergleich zu englischen und französischen so viele deutsche Gewerbeleute und Fabrikanten in Rußland. Die Franzosen und Engländer bleiben in Ausland und pumpen ihren Gewinn bis zur letzten Kopeke aus ihren Unternehmungen heraus, die deutschen Unternehmer dagegen weilen lange in Rußland und bleiben dort auf immer. Die Deutschen unterscheiden sich von den anderen Ausländern dadurch, daß sie sich bald an Rußland gewöhnen. Jeder von uns hat Franzosen und Engländer gesehen, die ihr Leben lang in Rußland verbracht haben und doch kein Wort russisch sprechen. Im Gegensatz hierzu ist es schwer, einem Deutschen zu begegnen, der, wenn auch mit einer fehlerhaften Aussprache und in gebrochener Form, sich doch nicht russisch verständigen konnte.

Oft begegnen wir echt russischen Leuten, die der griechisch-katholischen Kirche angehören, in politischen Fragen russisch denken und dabei nur in erster oder zweiter Generation von deutschen Auswanderernabftammen.

Endlich ist es nicht zu vergessen, das Deutschland einigermaßen selbst an unserem ökonomischen Wohl stand interessiert ist. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Deutschland vorteilhaft von den übrigen Staaten, weIche sich ausschließlich für ein möglichst großes Ein kommen ans ihren im Geschäft angelegten Kapitalien interessieren, auch wenn dies dem ganzen Lande zum Schaden sein würde, Deutschland dagegen ist ein beständiger, wenn anch nicht uneigennütziger Vermittler unseres Exporthandels und ist für das Gedeihen der schaffenden Kräfte Rußlands interessiert als an einer Quelle ihrer vorteilhaften Vermittelungsoperationen.

In jedem Falle, das man bei anerkannter Notwendigkeit einer völligen Ausrottung des deutschen Einflusses aus unserm ökonomischen Leben zu dein Zwecke eine völlige Verbannung des deutschen Kapitals aus der russischen Industrie zustandebringen wollte, könnten, wie es scheint, die nötigen Maßregeln auch ohne einen Krieg mit Deutshland ergriffen werden.

Dieser Krieg wird so riesig große Ausgaben erfordern, welche die fraglichen Vorteile aus der Vernichtung des deutschen ökonomischen Joches um ein Viel saches übertreffen werden. Als Folge des Krieges wird sich eine solche ökonomische Lage einstellen, im Vergleich zu der der Druck des deutschen Kapitals leicht erscheinen wird.

Es ist unzweifelhast, daß die Auslagen, welche der Krieg von uns erfordern wird, bei weitem die finanziellen Kräfte übersteigen werden. Wir werden zu Anleihen sei den Verbündeten und NeutraIen gezwungen sein, was uns gewiß sehr teuer werden wird. Es lohnt sich nicht selbst darüber zu sprechen, was geschehen wird im Fall, daß der Krieg für uns ein schlechtes Ende nehmen würde.

Die finanziellen und ökonomischen Folgen einer Niederlage können weder gezählt noch im Voraus berechtet werden und werden sich wahrscheinlich als ein allgemeiner Verfall unserer ganzen Volkswirtschaft erweisen.

Aber selbst ein Sieg stellt uns vor höchst ungünstige finanzielle Aussichten. Deutschland wird sich in einem Zustande eines vollen Versalles befinden und wird nicht imstande sein, uns unsere Kriegskosten zu vergelten.

Der Friedensvertrag wird ausschließlich zum Besten Englands diktiert werden und wird Deutschland nicht die Möglichkeit geben, sich dermaßen zu erholen um eben später unsere Kriegsaugaben zu decken. Das Wenige, was uns von Deutschland zu erhalten gelinzen könnte, werden wir mit den Bundesgenossen teilen müssen, sodaß unser Anteil im Vergleich mit den Kriegskosten ganz gering sein wird.

Unterdessen aber werden uns Zahlungen aus den Kriegsanleihen obliegen infolge strenger Forderungen unserer früheren Bundesgenossen, denen wir nach kein Umsturz der deutschen Macht nicht mehr nötig sein werden.

Möglich ist es eben, daß, da infolge des Sieges unsere politische Macht steigen wird, die Bundesgenossen sich bemühen werden, uns wenigstens ökonomisch zu schwächen. Und dann erst, eben nach einem siegveichen Krieg, werden wir unvermeidlich unter ein solches finanzielles Joch unserer Gläubiger konnten, im Vergleich zu dem unsere jetzige Abhängigkeit von dem deutschen Kapital uns federleicht erscheinen wird.

Wie traurig auch die ökonomischen Aussichten uns erscheinen können, die als Resultat eines Bündnisses mit England und infolgedessen eines Krieges mit Deutschland uns bevorstehen, so werden sie immer doch in den Hintergrund treten gegenüber zu den Folgen dieses wesentlich unnatürlichen Bündnisses.

Es muß in Rücksicht gezogen werden, das Rußland und Deutschland als Vertreter der konservativen Idee in der zivilisierten Welt erscheinen, im Gegenfaß zu dem demokratischen Prinzip, das in England, und viel schwächer in Frankreich verkörpert ist.

Es ist sehr sonderbar, das England, das zu Hause bei sich bis aufs Mark monarchisch und konservativ gestimmt erscheint, dagegen in seinen äußeren Bezie hungen immer als Beschüßer der äußersten demokratischen Bestrebungen auftritt und als Helfer bei allen Volksbeivegungen, welche den Umsturz der Monarchie und der geseßlichen Ordnung bezwecken.

Von diesem Standpunkte aus betrachtei, erscheint ein Kampf zwischen Deutschland und Rußland, abgesehen von seinem Ausgange, für beide Seins höchst unerwünscht als ein böses Mittel zur Schwächung des konservativen Weltprinzips, als dessen einzige zuverlässige Stützen diese beiden Großmächte erscheinen.

{s. 11 (17-10)}

Außerdem wird dieser bei ganz besonderen Umständen nahende Krieg wie Rußland so auch Deutschland mit tödlicher Sicherheit bedrohen.

Ein vieljähriges und fleißiges Studium aller antisozialen Strömungen unserer Zeit überzeugt uns, daß in dem besiegten Lande eine soziale Revolution unvermeidlich ist, welche sich natürlicherweise nachher auch auf das Gebiet der Sieger verbreiten wird.

Beide Länder sind während ihres vieljährigen, friedlichen Zusammenlebens auf so viele Weisen miteinander verbunden, daß die sozialen Erschütterungen des einen notwendig in dem anderen einen starken Widerhall hervorrufen müssen. Es ist unzweifelhaft, daß nicht nur in Rußland, sondern auch in Deutschland diese Erschütterungen nicht einen politischen, sondern einen sozialen Charakter haben werden.

Rußland bietet einen besonders günstigen Boden für soziale Erschütterungen, da seine Bolksmassen von den Prinzipien eines unbewuszten Sozialismus durchdrungen sind. Ungeachtet der regierungsseindlichen Stimmung der russischen Gesellschaft, die ebenso unbewußt ist, wie der Sozialismus in den breiteren Volkschichten, ist eine politische Revolution in Rußland unmöglich, und jede revolutionäre Bewegung wird sich unvermeidlich in eine sozialistische verwandeln. Hinter unserer Opposition steht niemand und sie hat keine Stützen im Volke, welches keinen Unterschied zwischen einem Regierungsbeamien und einem Vertreter der ,,Intelligenz" bietet.

Der russische Bauer ebenso wie der russische Arbeiter verlangen nicht nach politischen Rechten, welche ihnen unnüß und unbegreiflich sind. Der Bauer sehnt sich nach fremden Land und der Arbeiter träumt von der übergabe des ganzen Kapitals und Gewinns des Fabrikanten an ihn, und weiter das gehen ihre Wünsche nicht.

Es handelt sich nur um eine weite Verbreitung dieser Lösungsworte im Volke und darum, daß dabei die Regierungsgewalt solch eine Agitation frei walten läßt — dann werden in Rußland alsbald anarchische Zustände eintreten, wie solche schon in der denkwürdigen Periode der Unruhen 1905—1906 erlebt wurden.

Der Krieg mit Deutschland wird besonders günstige Umstände zu solch einer Agitation schaffen. Wie schon oben gesagt ist, verspricht uns dieser Krieg die grötzten Schwierigkeiten und kann sich nicht zu einem Siegeseinzug in Berlin gestalten. Der Krieg wird unvermeidlich auch unglückliche Wendungen — wir wollen hoffen, nur zeitweilige — mit sich bringen, und unsere Kriegsgeräte können sich mangelhaft erweisen.

All dergleichen wird unsere intelligente Gesellschaft wegen ihrer Nervosität sehr übertreiben und wegen ihrer regierungsfeindlichen Stimmung ausschließlich auf Schuld der Regierung setzen.

Es wäre noch gut, wenn die Regierung nicht nachgeben würde und mit der festen Erklärung, daß in Kriegszeiten keine Kritik der Regierung erlaubt ist, jegliches regierungsfeindliche Auftreten unterdrücken würde.

Da die Opposition keine tiefen Wurzeln im Volke hat, so wäre damit der Bewegung ein Ende gemacht. Wie das Volk gegenüber der aufrührerischen Proklamation von Wiborg taub geblieben ist, so wird es sich auch jetzt verhalten. Es kann aber auch Schlimmeres geschehen: Die Regierung wirdnachgebend versuchen, mit der Opposition übereinzukommen, und wird sich dadurch im Moment des Auftretens der sozialistischen Elemente schwächen.

Es mag paradox klingen, aber es ist so, daß in Rußland ein Vergleich mit der Opposition die Regierung unbedingt schwächt. Unsere Opposition will nicht damit rechnen, da sie gar keine reale Kraft darstellt. Die russische Opposition zählt nur Vertreter der Intelligenz in ihren Reihen, und darin liegt ihre Schwäche, da zwischen der Intelligenz und dem Volke eine tiefe Kluft gegenseitigen Mißtrauens und Mißverstehens liegt.

Man brauchte ein ganz künstlich gebautes Wahlgesetz und dabei noch eine unmittelbare Einwirkung der Regierung, um die Wahl zur Reichsduma selbst den feurigsten Verteidigern der Volksrechte möglich zu machen. Wäre dieses nicht geschehen und hätte die Regierung die Wahlen ihrem natürlichen Laufe überlassen, so hätten die Kammern in ihren Wänden keinen einzigen Intelligenten gesehen, mit Ausnahme vielleicht einiger demagogischer Aufwiegler.

Es mögen die Mitglieder der Kammern von dem Vertrauen des Volkes, das sie genießen, reden, soviel sie wollen, tatsächlich steht es damit ganz anders: ein Bauer wird eher einem besitzlosen Kronsbeamten glauben als einem in der Diana sitzenden, oktobristisch gesinnten Gutsbesitzer, und ein Arbeiter wird größeres Vertrauen einem von der Krone besoldeten Fabrikinspektor erweisen, als dem Fabrikanten, mag dieser als Abgeordneter und Gesetzgeber alle Prinzipien der Kadettenpartei öffentlich bekennen.

Unter solchen Umständen wäre es höchst sonderbar, von der Regierung zu verlangen, daß sie damit rechnen sollte, daß die Opposition ihretwegen von ihrer Aufgabe einer unparteiischen Regulierung der sozialen Verhältniffe abstehen sollte und vor den Volksmengen nur als ein gehorsames Werkzeug in den Händen einer intelligenten Minorität auftrete.

Wenn diese die Regierung vor der Klassenvertretung verantwortlich machen will und von der Regierung verlangt, sie solle sich gehorsam gegenüber dem von ihr selbst geschaffenen Parlament benehinen, so fordert die Opposition von der Regierung die Psichologie eines Wilden, der eigenhändig ein Götzenlbild anfertigt und es nachher inbrünstig anbetet.

Im Falle einer siegreichen Beendigung des Krieges wird die Bezwingung der sozialistischen Bewegung endgültig kaum unüberwindliche Schwierigkeiten bieten. Es werden agrarische Unruhen entstehen infolge einer Agitation für Abfindung der Soldaten durch ein Landverteilung. Arbeiter

{s. 12 (17-11)}

werden sich empören bei dem Übergang von dem uner hörten Arbeitslohn der Kriegszeit zu normalen Preisen, und es kann vielleicht nicht weitergehen, wenn nur die Wellen der deutschen sozialen Revolution nicht bis zu uns herüberkommen.

Aber im Falle einer Niederlage, deren Möglichkeit in einem Kriege mit solch einem Gegner wie Deutschland immer vorausgesetzt werden muß, ist bei uns eine soziale Revolution in ihren äußersten Formen unvermeidlich. Wie schon früher gesagt, es wird damit beginnen, daß alle Unfälle ausschließlich zur Schuld der Regierung gerechnet werden und gegen dieselbe im Parlament eine wütende Hetzelosbrechen wird und daß infolge davon im ganzen Lande sich revolutionäre Austritte verbreiten werden.

Die revolutionären Aufwiegler werden sofort mit den sozialistischen Lösungsworten austreten, als den einzigen, welche imstande sind, breite Volksschichten revolutionär und einig zu stimmen.

Zuerst wird es sich um eine neue Verteilung aller Ländereien handeln, nachher um eine allgemeine Teilung aller Wertsachen und eines jeden Besitzes.

Die geschlagene Armee, welche noch dazu während des Krieges ihre besten Bestandteile verloren haben wird, völlig demoralisiert durch ein mit der Bauernschaft gemeinsames Verlangen nach Land, wird nicht mehr zur Stütze der Ordnung und Gesetzlichkeit taugen.

Das Parlament und die regierungsfeindlichen Politischen Parteien, welche in den Augen des Volkes gar keine reale Autorität besitzen, werden nicht im Stande sein, die von ihnen selbst ausgewühlten Wellen zu hemmen, und Rußland wird sich in eine unabsehbare Schlucht der Anarchie geworfen sehen.

Nicht minder soziale Erschütterungen im Falle einer Niederlage zu erleben, steht auch Deutschland bevor, obgleich dieses mit Rücksicht auf die außerordentliche Fähigkeit der deutschen Nation uns auf den ersten Blick sonderbar vorkommen könnte. Ein unglücklicher Krieg wird so schwer auf das Volk drücken, daß alle die jetzt tief verborgenen anarchischen Bestrebungen aus Licht kommen werden.

Die eigenartige Staatsordnung Deutschlands beruht auf dem eigentlich dominierenden Einfluß der Agrarier, des preußischen Junkertums und der Land besitzenden Bauern. Diese Elemente erscheinen als Stützen der streng konservativen Staatsordnung Deutschlands unter der Führung Preußens. Die Interessen der bezeichneten Klassen erfordern einen strengen Protektionismus zum Besten der Landwirtschaft, Zölle auf eingeführtes Getreide und hohe Preise für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse.

Deutschland aber hat sich, wegen eines Uferschusses seiner Bevölkerung im Verhältnis zu seinem Landbesitz schon seit Jahren aus einem von Ackerbau lebenden Land e in ein industrielles verwandelt, und deswegen ist eine Protektion der Landwirtschaft nichts anderes als eine Belastung des größten Teils der Bevölkerung mit Steuern zum Besten der Minorität.

Zur Entschädigung der belasteten Majorität dient eine stark entwickelte Ausfuhr der industriellen Produkte, damit der auf diese Weise erzielte Gewinn den Gewerbes Leuten und den Arbeitern die Möglichkeit verschafft, erhöhte Preise für die örtlichen landwirtschaftlichen Produkte aus zuzahlen.

Deutschland wird infolge seiner Niederlage alle seine Weltmarktplätze und seinen Seehandel ein büßen, da das einzige Ziel des Krieges seitens seines wahren Stifters, Englands, die Vernichtung der deutschen Konkurrenz war.

Wenn einmal dieses Ziel erreicht ist und die deutsche Industrie völlig lahmgelegt sein wird, wodurch die Arbeiter nicht nur den erhöhten, sondern jeglichen Lohn verlieren, werden die während der Kriegszeit erbitterten und jetzt aufs äußerste erbosten Arbeitermassen einen günstigen Boden für eine antisoziale Propaganda der sozialistischen Parteien bieten.

Diese letzteren werden sich darauf verstehen, die gekränkten patriotischen Gefühle des Volkes und die bei ihm infolge der Niederlage eingeiretene Erbitterung gegen den Militarismus und feudalbürgerliche Staatsordnung auszunutzen, und werden von dem bis jetzt verfolgten Wege einer friedlichen Evolution abstehen, um in echt revolutionärer Weise aufzutreten.

Die in Deutschland zahlreiche Klasse der landwirtschaftlichen Tagelöhner wird sich dabei tätig erweisen, besonders wenn in Rußland agrarische Unruhen ausbrechen werden. Dann ist auch zu erwarten, der bis jetzt verborgene Separatismus Süddeutschlands und die Feindseligkeit Bayerns gegenüber Preußen wieder ans Licht kommen werden.

Kurz gesagt, können in Deutschland den in Rußland waltenden ganz ähnliche Zustände eintreten. Altes früher Erwählte drängt uns die Überzeugung auf, das eine Annäherung an England uns nichts Gutes verspricht und daß die englische Orientierung unserer Diplomatie wesentlich fehlerhaft ist. Mit England können wir nicht gleichen Schrittes gehen; es muß seinem eigenen Schicksal überlassen werden, und wegen England dürfen wir uns nicht mit Deutschland verfeinden.

Das dreifache Bündnis ist eine künstlich herbeigeführte Kombination, es ist nicht auf gemeinsame Interessen gegründet, und die Zukunft gehört nicht ihm, sondern einem eigen Bündnis zwischen Rußland, Deutschland, dem mit letzterem versöhnten Frankreich und dem mit Rußland in einem streng defensiven Bündnis stehenden Japan.

Solch eine politische Kombination, welcher jegliche Streitsucht gegenüber anderen Staaten fremd wäre, könnte auf lange Jahre den Weltfrieden sichern, da denselben nicht, wie es sich die englische Diplomatie zu beweisen bemüht der deutsche Militarismus bedroht

{s. 13 (18-12)}

sondern ein ganz natürliches Bestreben Englands, seine bestrittene Alleinherrschaft auf den Meeren um jeden Preis zu erhalten.

In dieser Richtung und nicht in fruchtlosern Suchen nach einem unseren Staatsinteressen entgegengesetzten Bündnis mit England sollten alle Bestrebungen unserer Diplomatie hinwirken.

Dabei versteht sich aber von selbst, daß auch Deutschland unseren Bestrebungen zur Wiederherstellung eines, freundlichen Bundesgenossenschaft entgegenkommen sollte und die dazu nötigen Bedingungen im Übereinkommen mit uns ausarbeiten wollte:

Entnommen wäre damit ein Grund zu einer antideutschen Agitation seitens unserer konstitutionellen liberalen Parteien, welche naturgemäß nicht der deutsch-konservativen, sondern der englisch-liberalen Gesinnung anhängen.

Februar 1914.

(gez.) P. N. Durnowo.