Dualität des Subjektiv-Objektiven

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Eine der auffälligsten Eigenschaften des Ungarischen ist die scharfe Unterscheidung der subjektivistischen und objektivistischen Betrachtungsweise im Falle von Tätigkeitsbeschreibungen.

Dabei ist der subjektive Standpunkt derjenige, der das Subjekt selber in den Fokus der Betrachtung stellt. Dem gegenüber steht der objektive Standpunkt, für den das Objekt der Tätigkeit an sich wichtiger ist.

Bei den ungarischen Verben umfasst diese Dualität nun drei Ebenen:

    • das Bezugssystem der Tätigkeit;
    • die Art der Verben selber;
    • die Konjugation.

Bezugssysteme

Das subjektive Paradigma der ik-Verben (ikes igék) ist nur im Ungarischen anzutreffen*. Diese Verben werden so genannt, weil sie in der 3. Person Singular die Endung -ik aufweisen, z.B. fürdik baden. Diese Endung kennzeichnet einen auf das Subjekt der Handlung gerichteten Selbstbezug, gleichsam „ik tue etwas” (siehe Ein Werkzeug zum Hervorheben).

Alle anderen Verben nehmen Bezug auf die vom Subjekt unabhängigen Objekte: fürdet (jemanden) baden. Der Unterschied zwischen diesem objektiven und dem subjektiven Bezugssystem ist also nur der fehlende Selbstbezug, wie man sich es anhand des folgenden Beispiels noch einmal verdeutlichen kann: eltör zerbrechen ≠ eltörik (von selbst) zerbrechen. Egy váza vagy eltörik, vagy valaki eltöri Entweder wird eine Vase von jemanden zerbrochen, oder sie geht von selber kaputt.

Auch wenn ein Verb nur im subjektiven Bezugssystem benutzt wird, ist der Grund hierfür die Betonung des Selbstbezuges:

vad das Wild;

vadász derjenige, der sich mit dem Erlegen von Wild beschäftigt = Jäger;

vadászik die Tätigkeit, die von einem Jäger (und nur von ihm) ausgeübt wird = jagen.

Als urtümliches ik-Verb ist dieses noch intransitiv:

A vadász vadra vadászik Der Jäger jagt Wild (macht Jagd auf das Wild).

Andere ik-Verben sind es nicht mehr: Almát eszem (eszik) Ich esse (einen) Apfel.

Subjektive und objektive Verben

Auch wenn man davon ausgeht, daß das objektive Bezugssystem als ganzes den herkömmlichen Tätigkeitswörtern in den indoeuropäischen Sprachen entspricht, muss man dennoch zwischen subjektiven und objektiven ungarischen Verben unterscheiden. Ein objektives Verb trägt nämlich immer eine aktive Bedeutung, unabhängig davon, innerhalb welches Bezugssystems es benutzt wird: repít werfen, mosakodik sich waschen.

Das zweite Beispiel zeigt insbesondere, daß solche objektive ik-Verben immer reflexiv sind, auch wenn sie im Ungarischen intransitiv verwendet werden. Normale, ansonsten objektive Verben müssen auch nicht automatisch transitiv sein: Mit csinál a lányod? Was macht deine Tochter? Tanít Sie ist Lehrerin (sie lehrt etwas). Ein solches objektives Verb kann sich aber im objektiven Bezugssystem auch als Faktitiv zeigen (mit -at, -et, usw.): csináltat machen lassen. Ist dies dagegen bei einem ik-Verb der Fall, dann handelt es sich um die alte passive Form: születik geboren werden.

Eine passive, genauer mediale Diathese haben auch intransitive subjektive Verben im objektiven Bezugssystem, z.B.: megmozdul sich bewegen, repül fliegen. Letzteres lässt erkennen, daß sein weiter oben erwähntes Gegenstück repít auch mit „fliegen lassen” erklärt werden kann.

Subjektive Verben kennzeichnen also diejenigen Tätigkeiten, die das Subjekt von sich aus, also ohne Einwirkung von außen, ausführt. Solche Verben müssen jedoch auch im objektiven Paradigma nicht zwingend intransitiv sein: A fiam fizikát tanul Mein Sohn studiert Physik.

Die Konjugationen

Zu guter Letzt können alle aufgeführten Arten von Tätigkeitswörtern (mit Ausnahme der intransitiven Verben) sowohl subjektiv als auch objektiv konjugiert werden.

Wenn das Objekt ein Personalpronomen ist, umfasst der subjektive Kontext die 1. und 2. Person, während die 3. Person schon zum objektiven Kontext gehört, da sie bei der Kommunikation weder Sprecher noch Angesprochene ist:

hallasz engem du hörst mich, lát téged er¦sie sieht dich, fogadnak minket sie empfangen uns, várunk titeket wir erwarten euch.

Aber:

hallod őt du hörst ihn¦sie, látják önmagukat sie sehen sich selber, fogadják önt sie empfangen Sie, várjuk önöket wir erwarten Sie.

Abgesehen davon wird die objektive Konjugation benötigt, wenn das Objekt bestimmt ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Akkusativobjekt aus einem Eigennamen besteht oder von einem bestimmten Artikel angeführt wird: 1. A gonosz boszorkány elvarázsolta Hófehérkét Die böse Hexe hatte Schneewittchen verhext.

2. Hófehérke megette a mérgezett almát Schneewittchen hat vom vergifteten Apfel gegessen.

Interrogativpronomina auf -ik oder Demonstrativpronomina bedingen auch die objektive Konjugation:3. Az almák közül melyiket ette meg Hófehérke? Welche von den Äpfeln hat Schneewittchen gegessen?

4. Ezeket itt nem is látta? Hat sie diese hier nicht mal gesehen?

Darüber hinaus muss das Verb objektiv gebeugt werden, wenn das Objekt mit einem Nebensatz ausgedrückt wird:5. A törpék nem tudják, hogy Hófehérke még fel fog ébredni Die Zwerge wissen nicht, daß Schneewittchen noch erwachen wird.

Dagegen wird normal, daß heißt subjektiv konjugiert, wenn kein oder ein unbestimmtes Objekt verwendet wird. Das Objekt gilt auch dann als unbestimmt, wenn normale (nicht auf -ik endende) Interrogativpronomina oder Indefinitivpronomina eingesetzt werden:

    1. Hófehérke csak alszik Schneewittchen schläft nur.
    2. Előtte almát evett Vorher hatte sie (einen) Apfel gegessen.
      1. a. Sajnos egy mérgezettet választott Sie hatte leider einen vergifteten (Apfel) erwischt.
    3. Kit siratnak a törpék? Wen beweinen die Zwerge?
    4. Miért búsulnak? Warum trauern sie?
      1. b. Mert mást nem tehetnek Weil sie nichts anderes tun können.

Das folgende Bild stellt das oben gesagte grafisch strukturiert dar. Die im Bild benutzten Abkürzungen haben diese Bedeutungen:

    • subj: subjektives Bezugssystem, Verb oder Konjugation;
    • objt: objektives Bezugssystem, Verb oder Konjugation;
    • ikes: ik-Verb;
    • ver: normales Verb;
    • perf: Perfektiv, die Vollendung einer Tätigkeit, markiert mit einem Verbalpräfix, meistens meg-;
    • efct: Effikativ, Freiheit oder Möglichkeit zur Einwirkung, gebildet mit -hat, -het;
    • fact: Faktitiv, bewirkende Form, gebildet mit -t, -at, -et, usw.;
    • refl: Reflexiv, ein Verb, dessen Subjekt gleichzeitig das Objekt ist.
Schneewittchen
Dualparadigma

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* Anmerkung:

Andere uralische Sprachen haben eine spezielle reflexiv-mediale Konjugation (hun), die sich jedoch nicht mit der Gruppe der ik-Verben deckt.

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