Die Wortstellung im Detail

Der einfachste Satz

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Um die mannigfaltigen Möglichkeiten der Ausdrucksweise besser zu begreifen, die durch die fast freie Wortstellung im Ungarischen geboten werden, ist es am besten, sich einmal vor Augen zu führen, wie ein Satz schrittweise entsteht. Wenn man dann noch die Hauptaussage des Satzes leicht variiert, bekommt man gleich ein Gefühl für die richtige Reihenfolge der Satzteile.

Wir fangen also ganz klein bei einem Verb an, in dem wir es als Aussage, Frage und Aufforderung benutzen, sowie es mit einem Hilfsverb versehen, um später daraus eine allgemeine Regel abzuleiten. Jeden dieser Fälle werden wir auch gleich negieren, damit wir sehen, was dann mit der Wortstellung passiert.

In allen nachfolgenden Tabellen benutzen wir diese Konventionen:

    • PräpositionVerbPostposition;
    • wichtig – weniger wichtig.

In den bejahenden Sätzen 1 bis 3 steht das Verb allein, und bildet damit den wichtigsten (und einzigen) Teil der Aussage. Dies entspricht auch trivialerweise der Fokusregel, genauso wie die Tatsache, dass in den verneinten Varianten das Adverb vor dem Verb steht, da die Verneinung wohl wichtiger ist, als die Grundaussage.

Dank der agglutinierenden Logik des Ungarischen verhält sich das Hilfsverb im bejahenden Satz Nr. 4 als eine Art Postposition, d.h. es wird einfach an das Hauptverb angehängt. Da jedoch jetzt das Hilfsverb das verbale Element des so entstandenen Prädikats geworden ist, muss es nun selber das verneinende Adverb bekommen, das damit wiederum dem Grundverb den Platz nimmt – dieses muss also ohne Zweifel zur Postposition des Hilfsverbs werden, damit die Einheit des gesamten Prädikats gewahrt bleibt.

Ein Subjekt zum Erweitern des Prädikats

Als erstes fügen wir unserem Verb – das im obigen Beispiel das alleinige Prädikat darstellt – einen Subjekt hinzu:

Die adverbiale Ergänzung des Verbs

Paprika Jancsi

Aus dem vorherigen Abschnitt wissen wir, dass das wichtigere immer zuerst kommt, daher steht der Subjekt meistens vor dem Verb. Es ist eigentlich nur dann nicht der Fall, wenn die Tätigkeit selber im Vordergrund steht, so wie in den bejahenden Sätzen 3 und 6. Diese Wichtigkeitsregel ist in Wahrheit der Hauptgrund für die relativ ungebundene Wortfolge. Sie ergibt sich automatisch aus der agglutinierenden Bauweise – man sagt schließlich Könyv-ek-ből tanul (Er lernt aus Büchern), wobei die Reihenfolge im deklinierten Hauptwort die abnehmende Aussagekraft der grammatikalischen Komponenten Wortstamm, Pluralzeichen und Elativendung wiederspiegelt. Diese Regel wird sehr konsequent eingehalten, so dass zum Beispiel auch die fallende Satzmelodie der Sprache diesem Prinzip folgt. Weiterhin liefert diese Regel eine ganz einfache logische Erklärung dafür, dass der Familienname, der im Deutschen nicht von ungefähr Nachname heißt, wie in Beispiel 5 vor dem Vornamen steht. Das gilt auch für jede Art von Attributen, da sie zur Unterscheidung von anderen, ähnlichen Objekten ein wesentliches Merkmal herausstellen:(Paprika Jancsi) a nevét a piros orráról kapta Er (Hans [der] Paprika) hat seinen Namen wegen seiner roten Nase bekommen.

Als nächstes modifizieren wir die grundlegende Aussage durch ein Umstandswort, um endlich zu erfahren, was Hans eigentlich so lernt: Wie wir sehen, wird das direkte Objekt des deutschen Satzes Nr. 1 auf ungarisch mit einem Adverb wiedergegeben, so dass wir ruhigen Gewissens sagen können, die bejahende Ausführung desselben stelle die natürliche Wortfolge im Ungarischen dar, in der der Subjekt vor der Ergänzung – sei sie nun ein Akkusativobjekt oder eine Adverbialbestimmung – steht, die schließlich vom Verb gefolgt wird.

Dabei ist zu beachten, dass magyarul zwar wegen der Fokusregel die Hauptaussage des Satzes bildet, der Subjekt aber dennoch (relativ) wichtiger ist als das Prädikat – genauso wie im deutschen Satz –, weil er ja noch vorher erwähnt wird. Vielleicht erfasst folgende umständliche Übersetzung den genauen Sinn am besten: Es ist Ungarisch, das von Hans gelernt wird.

In Satz 4 bewirkt dieses eingefügte Adverb den selben Effekt, den bis jetzt nur die negierenden Adverbien hervorgerufen haben (siehe den ersten Abschnitt): das Hauptverb wird zur Postposition des Hilfsverbs. Es passiert das selbe mit der Ergänzung, wenn diese nun selber in Beispiel 5 erweitert und dann als Ganzes verneint wird – was logischerweise der sekundären Verneinung in Nr. 6 gleichkommt.

Wenn die Ergänzung am wichtigsten ist

Wenn wir es ganz klar stellen wollen, dass Hans tatsächlich Ungarisch lernt, dann ziehen wir das entsprechende Wort einfach nach vorne:

Hierbei kommt es nur bei der Verneinung des 5. Satzes zu einer Änderung der Wortfolge. Diese ist jedoch genauso begründet wie beim entsprechenden Satz des vorigen Abschnitts: durch das Verneinen wird die Erweiterung der Ergänzung selbst zur Hauptergänzung des Verbs, so dass die ursprüngliche Adverbialbestimmung nur als Postposition desselben ihre relative Wichtigkeit kundtun kann.

Wenn es hauptsächlich auf die Tätigkeit ankommt

Sollten wir darüber staunen, dass Hans überhaupt was macht, dann drücken wir dies am Besten mit dem Verb am Anfang des Satzes aus:

Beim ersten Satz liegt die Betonung auf der Tätigkeit des Lernens, wohingegen der letzte den Schwerpunkt auf Ungarisch lernen legt.

Die Beispiele 4 und 5 zeigen außerdem, dass Infinitive (z.B. tanulnia) und Verbalpräfixe (z.B. meg- als perfektives Präfix) sich eigentlich genauso verhalten wie bisher die normalen adverbialen Ergänzungen eines Verbs: sie fungieren nur solange als Präpositionen beziehungsweise Präfixe, bis eine Negierung des Verbs oder eine Fokusänderung, wie bei einer Frage oder Aufforderung, eintritt.

Verbalpräfixe, die keine sind

Hans ist ja Hänsel, was seine Schwierigkeiten beim Lernen erklärt – er denkt allzu oft an Gretel. Wie er das tut, sehen wir in der folgenden Tabelle:

Das ist also das wesentliche über die ungarischen Verbalpräfixe: es sind prinzipiell keine Präfixe, sondern einfach nur Adverbien an der Stelle einer Postposition hinter einem Verb, die eher zufällig zu Präfixen wurden, nur um Sätze wie die folgenden auseinander halten zu können:

    • Az ablakon át néz Durchs Fenster guckt er.
    • Az ablakon átnéz Er guckt durchs Fenster (hindurch).

Solch ein Adverb verschmilzt also mit dem Verb nur dann, wenn es wie in Beispiel 1 (d.h. die einfache Aussage) selbst den Fokus des Satzes bildet. Für diese Wortart wäre also die Bezeichnung Verbalaffix viel richtiger, da sie nicht suggerieren würde, dass die Position so unabänderlich festgelegt sei – das würde jedem das Lernen der Sprache bestimmt erleichtern.

Die allgemeine Wortfolge

Auch im Deutschen gibt es eine bevorzugte Position für den Fokus eines Satzes, nämlich die Stelle vor dem Verb. Sie kann allerdings auch von längeren, zusammenhängenden Satzteilen (wie im ersten Satz dieses Absatzes) eingenommen werden, was ihren Einsatz für die Modulation der Aussage etwas einschränkt.

Dafür gilt aber immer, dass das wichtigere immer zum Schluß kommt, so dass wir in einem deutschen Satz in Bezug auf die Wichtigkeit der Satzteile eine Reihenfolge (1), 2, …, 5, 4, 3 haben, wobei die zweite Position fest für das Verb reserviert ist.

Im Ungarischen dagegen ist die Stelle des Verbs nicht vorgegeben, wodurch eine relative Gewichtung der Worte gegeneinander sowie gegenüber der Prädikativgruppe ermöglicht wird (siehe Satzbau). Innerhalb der Prädikativgruppe ist die Reihenfolge jedoch festgelegt, und hängt gemäß der in den obigen Tabellen angeführten Beispielen vom Vorhandensein der folgenden Komponenten ab: verneinendes Adverb (0), Verbalpräposition (1), Verb (2) und Verbalpostposition (3). Die Positionen (1) und (3) können – wie wir es weiter oben gesehen haben – von herkömmlichen Adverbien, Infinitiven oder Verbalaffixen, aber auch von anderen Wortarten wie z.B. ein direktes Objekt im Akkusativ eingenommen werden.

Das gilt natürlich auch für das (eventuell mehrteilige) Prädikativ einer Kopula:

    • Jancsi, te paprikajancsi vagy [1, 2]? Hans, bist du ein Kasperle?
    • Nem, én nem vagyok paprikajancsi [0, 2, 3]! – válaszol Jancsi »Nein, ich bin kein Kasperle!«, antwortet Hans.

Die unzähligen Variationen eines ungarischen Satzes kommen also nur deswegen zustande, weil diese Prädikativgruppe genauso vom Anfang bis zum Ende verschoben werden kann und darf, wie jede andere Wortgruppe auch:

Die auf den ersten Blick ungemein komplex erscheinende Wortfolge der ungarischen Sprache genügt alles in allem drei äußerst einfachen Prämissen:

    1. Das wichtigere kommt immer zuerst (Wichtigkeitsregel), so dass die einzelnen Wortgruppen im Satz nach abnehmender Wichtigkeit sortiert werden;
    2. Für die Aussage des Satzes am allerwichtigsten ist das, was unmittelbar vor dem Verb steht – oder das Verb selber, wenn diese Position leer ist – (Fokusregel);
    3. Da das verneinende Adverb auch unmittelbar vor dem verneinten Wort stehen muß (Negationsregel), wird innerhalb der Prädikatgruppe bei der Verneinung – oder bei einer anderen, ähnlich vorgenommenen Fokusänderung – eine eventuell vorhandene Verbalpräposition zu einer Postposition des Verbs.

Die Auswirkungen dieser Grundsätze sind an den Beispielen in den obigen Tabellen abzulesen.

Erweiterte Verbalpräpositionen

Verbalpräpositionen sind natürlich nicht unbedingt an ihre Position vor dem Verb (1) gebunden. Dies wird besonders deutlich, wenn wir sie so erweitern, dass sie wichtiger werden, als die Prädikativgruppe selber:

Diese Beispiele muss man so verstehen, dass die so erweiterten Verbalpräpositionen praktisch – und auch sinngemäß – von der ursprünglichen Prädikativgruppe abgetrennt werden, so dass sie nicht mehr an Stelle (3) hinter das Verb gesetzt werden müssen.

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