Seit den Kindestagen unserer Vorväter erklären die Geschichtsbücher Noreia, jenen Schmelztiegel des steirischen Keltentums, zur Hauptstadt Noricums. Etymologisch gibt der Name nicht viel her, so bedeutet er lediglich etwas wie „die Norische“ und es scheint sich um eine heimische Gottheit zu handeln. Der Ort Noreia findet Erwähnung in einigen antiken Quellen, wie etwa in Caesars gallischem Krieg oder in der Naturgeschichte des Plinius. Abseits der schriftlichen Hinterlassenschaften begegnet uns Noreia auf einer spätantiken Straßenkarte, der Tabula Peutingeriana. Die Präsenz des Ortes auf jener Karte tut der Kontroverse um seine Lokalisierung keinen Abbruch, so hat die Tabula eher die Gestalt eines geographisch inspirierten Wandteppichs, als die Eigenschaften einer Landkarte zu Orientierungszwecken.
Das vermeintlich einschneidendeste Erlebnis für die „Hauptstadt Noricums“ ereignete sich im Jahre 113 v.Chr., als der römische Konsul Gnaeus Papirius Carbo von den germanischen Kimbern und Teutonen nahe der Stadt geschlagen wurde. Diese barbarischen Heerhaufen waren, fortgescheucht aus ihrer dänischen Heimat von großflächigen Überschwemmungen, in Richtung der Alpen und Italiens gezogen um sich dort an den anmutigen Hügeln und warmen Gewässern zu erfreuen.
Walter Schmid mit dem Grabungsteam am Bubenberg im Jahr 1936. Quelle: Universalmuseum Joanneum, AArchMk, Ortsakten, BH Leibnitz, Gem. Spielfeld, „Bubenberg“
Der steirische Landesarchäologe Walter Schmid schrieb es sich sodann in den politisch turbulenten 1930er-Jahren auf die Fahnen, den Ort dieser Geschehnisse, das steirische Noreia, aufzuspüren und Halleluja! Es gelang. Zwischen den nebelumwundenen Gipfeln des Neumarkter Hochtales entdeckte er etwas: Reich mit Funden durchsetzte Siedlungsterrassen mit Scherben, Fibeln und anderem archäologischen Material, ja er entdeckte gar die Lagerfeuer der Kimbern und Teutonen im Gebiet von Aich nahe St. Margarethen. In Noreia selbst grub er, unbesudelt vom Erdreich in dem die Einheimischen für ihn wühlten, die trapezförmigen Überreste der Königsresidenz nebst zahlreicher Kultstätten und Siedlungsbauten aus. So lautet zumindest die Schmid’sche Theorie der 1930er-Jahre. Erfasst vom archäologischen Arbeitseifer des fleißigen Mannes wurde sogleich die Bevölkerung mitgerissen, welche ihr Dorf, das schöne St. Magarethen am Silberberg, in Noreia umbenannte.
Walter Schmid am Bubenberg beim Vermessen von „Haus 3“ im Jahr 1936. Quelle: Universalmuseum Joanneum, AArchMk, Ortsakten, BH Leibnitz, Gem. Spielfeld, „Bubenberg“
Eine andere Theorie besagt, dass Schmid seine Grabungen zugunsten einer schönen Talbewohnerin in St. Margarethen unternahm. Reichen Nährboden erhielt diese Theorie in den 1990er-Jahren, als sich erwies, dass es sich bei Schmids „Noreia“ tatsächlich um eine mittelalterliche Siedlung handelte. Es wäre nicht legitim, Schmid in dieser Angelegenheit Inkompetenz zu unterstellen, womit sich die Frage stellt, warum er vorsätzlich mittelalterliche Überreste als keltische deklarierte. Wieso also, sollen es nicht Angelegenheiten des Herzens gewesen sein, die den archäologischen Patriarchen davon überzeugten, dass Noreia sich hier befinden musste?
Was das Dörfchen des heutigen Tages anbetrifft, so trägt es noch immer den Namen Noreia und ein kleines Stück außerhalb des Ortes zwischen Viehweiden, findet sich die Schmid’sche Rekonstruktion der „Königsresidenz“. Zudem gibt es ein Museum in welchem unter anderem die Geschichte von Schmid’s Grabungstätigkeit beschrieben wird. All dies wird vom „Verein keltisches Noreia“, unter der Leitung von Walter Pogatschnigg betreut und vorgestellt, der, trotz bescheidener Mittel, die ihm von Einheimischen zugetragenen Funde aufarbeiten und katalogisieren lässt.
Noreia: Ende des Steinwalles, Palisade mit den Türmen. Quelle: G. Hinterhofer
Die Anwohner beharren nicht darauf, ihren Ort weiterhin als die Urhauptstadt der keltischen Steiermark zu betrachten, sondern haben die historischen Wahrheiten anerkannt und die Neuerkenntnisse der 90er Jahre akzeptiert. Zwar hatten ältere Bewohner, die zum Teil noch mit Schmid gegraben hatten, eine kurze Periode des Verlustschmerzes zu durchleiden, doch schlussendlich konnten sich die Gemüter beruhigen. Die identitätsstiftende Wirkung solcher großen Entdeckungen war freilich ein zentrales Element archäologischer Tätigkeit des letzten Jahrhunderts, in dem die Gesellschaft in den Ruinen der Vergangenheit nach ihrer nationalen Identität suchte, ein Zugang von dem wir uns allmählich lösen sollten. In Wahrheit ist es nicht von Bedeutung wo die einstige Königsstadt wahrhaftig liegt. So sind Funde aus jedweder Epoche bedeutungsvoll, unabhängig davon, ob sie mit einem konkreten historischen Label versehen werden können oder nicht.
Neben Schatzsuchern und Hobbyarchäologen erwiesen sich in den vergangenen Jahren, vor allem keltische, Fundstätten als Magnet für mit Räucherstäbchen gerüstete Esoteriker, welche dort Opfer darbieten. Im Sturm auf allerhand Steinkreise und Kultstätten zeigt sich das gewandelte Keltenbild der neuen Generationen: Was früher keulenschwingende Wilde mit Mord im Herzen waren, sind heute baumschmusende Pazifisten, die Naturkosmetik herstellen und mit den Kreaturen des Waldes konversieren. Seien es Neopagane oder Christen, Noreia empfängt sie alle zweifellos gern.
Interview mit Walter Pogatschnigg zur Rekonstruktion des Königshauses
Bei Noreia handelt es sich um eine Siedlungsstelle im Murtal, bei welcher bisher Funde aus der Urnenfelderzeit (1300 v.Chr. - 800 v.Chr.), der Römerzeit (Provinz Noricum 15 v.Chr. - 5. Jh. n.Chr.) und dem Mittelalter (1180 – 1500) getätigt wurden.
Im Herbst 1929 führte W. Schmid erste Ausgrabungen durch in Zuge derer er u.a. Steinsockel fand. Laut ihm handle es sich um das größte Haus auf der sogenannten "Königsterrasse", "das Haus des Königs". Aufgrund seiner Funde datierte er dieses in das 2. und 1. Jh. v.Chr.
Bis Ende 1933 wurden 37 Häuser (u.a. Wohnhäuser und Schmiedewerkstätten) und ein Heiligtum aus dem 3. Jh. v.Chr. gefunden.
Im August 1992 wurde eine Nachuntersuchung im Bereich des sog. "Königshauses" von Noreia durchgeführt. Resultat dieser Nachgrabungen war die Erkenntnis, dass es in diesem Bereich keine römische, keltische oder ältere Siedlung gegeben hat.
Dem BDA Steiermark zufolge handelt es sich um eine bäuerliche Siedlung, die erstmals im 14. Jh. urkundlich genannt wurde. Der ursprüngliche Name der Siedlung stammte vom Geschlecht der Silberberger - Burg Silberberg an der steirisch-kärnterischen Landesgrenze.
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Text: M. Scholler und P. Raggam