Kapitel 1 Wie alles anfing

Einfach alles trennte diese beiden jungen Leute, ihre Kindheit, ihre Ausbildung, ihre Familien.

Abdul Rahman war in einer reichen, feudalen Familie groß geworden. Der Vater, ein aufgeklärter Kurde, besaß mehrere Dörfer sowie ein fruchtbares Tal im iranischen Kurdistan und war eine Zeit lang Berater des Kronprinzen gewesen. Er hatte mit Strenge und Wohlwollen die Erziehung seiner Söhne überwacht. Abdul Rahman war von einer Familie umgeben, die ihn liebte und mit der er sich gut verstand.

Er hatte fast seine gesamte Schulzeit in der Schule der Stadt zugebracht, in der er geboren war. Nur einmal wechselte er den Unterrichtsort, als er für das Abschlussjahr des Gymnasiums in die Hauptstadt geschickt wurde. Er war ein ausgezeichneter Schüler, liebte das Fußballspielen und das Klettern in den Bergen der Umgebung. Aber im allgemeinen interessierte ihn der Sport nicht so sehr, obwohl er ein sehr kräftiger Bursche war. Während seiner gesamten, frühen Jugend hatte er ein angenehmes Leben gehabt, ohne Reibereien, vergleichbar einem Fluss, der langsam dem Meer zustrebt.

Noch als Heranwachsender (er war gerade 14 Jahre alt) hatte er sich – im Namen des Kommunismus – in den Reihen der Freiheitskämpfer seines Volkes engagiert. Als sein Vater davon erfuhr, der sich eben aus dem politischen Leben zurückzuziehen begann, teilte er dem Sohn seine Missbilligung mit. Am Ende des Gesprächs allerdings sagte er zu ihm: „Da es nun einmal so ist, muss ich dir nur sagen, dass du das, was du dich entschieden hast zu tun, auch gut machen musst und dich niemals von deinem gewählten Weg abbringen lassen darfst.“ Aber dieser Konflikt war vermutlich der Grund dafür, dass der Vater den Junior in die Hauptstadt in ein sehr strenges Internat schickte. Dort würde der Sohn sich, so hoffte er, nicht um Politik kümmern können.

Nichts Vergleichbares gab es bei Lena. Sie war in der großen Krise der 1930er Jahre in der tschechoslowakischen Hauptstadt Prag geboren. Die Eltern ließen sich rasch scheiden. Im Alter von sechs Jahren verlor sie die Mutter. Als Waisenkind ohne Geschwister war sie in einem durch den Zweiten Weltkrieg verwüsteten Europa alleine aufgewachsen. Sie war von Leuten aufgezogen worden, die sie kaum oder gar nicht kannte, und es gab niemanden, der ihre Ausbildung überwacht hätte. Nur einige ihrer Lehrer zeigten Interesse an ihr, ermutigten sie vielfach und gaben ihr das Selbstvertrauen wieder. Während ihrer gesamten Kindheit und des Heranwachsens war sie ständig von einer Stadt in die nächste und von einer Schule in die andere befördert worden. Auf diese Weise hatte sie während der Zeit der Grundschule und der Sekundarstufe elf Mal die Anstalten gewechselt. Sie hatte niemanden, der sie unterstützte, und musste den Gymnasialabschluss durch Abendkurse nachholen. Um leben zu können, war sie gezwungen zu arbeiten. Sie war in unterschiedlichen Berufen tätig gewesen, oft unter sehr harten Bedingungen. Als Arbeiterin musste sie die Späne aufsammeln, die von den Werkzeugmaschinen fielen. Sie musste in einer Gießerei Flüssigblei für industrielle Proben herstellen. Sie war außerdem Telefonistin, Schreiberin in einer Buchhaltung und industrielle Zeichnerin. Zum sportlichen Ausgleich ging sie schwimmen und liebte lange Fußmärsche. Aber ihre Gesundheit war empfindlich – eine Folge der Entbehrungen während ihrer Kindheit und ihres chaotischen Lebens.

Trotz aller großen Unterschiede ihrer Bildungswege hatten die beiden jungen Leute einige, wichtige Dinge gemein. Beide hatten den Willen zu lernen, beide liebten in gleicher Weise die Freiheit und hatten das Verlangen, für diese auch zu kämpfen. Zudem waren sie sehr jung – als sie einander in Prag trafen, war er 20 Jahre alt und sie 16. Er stand vor seinem Studienabschluss. Sie arbeitete tagsüber als Industriezeichnerin und bereitete sich in Abendkursen für die Aufnahme an der Universität vor.

Abdul Rahman war Anhänger der kommunistischen Partei im Iran (Tudeh) gewesen und hatte den Marxismus-Leninismus studiert. Er wollte sein Leben dem Kampf für sein Volk widmen. Lena war Mitglied der Organisation der tschechoslowakischen Jugend gewesen und in der kommunistischen Ideologie wenig bewandert. Aber sie war fest entschlossen, dem Mann, den sie liebte, bei dessen Kampf für die Kurden zu helfen. Gleichzeitig träumte sie von einer großen Familie mit hohem Zusammengehörigkeitsgefühl (was ihr so sehr gefehlt hatte) und war sich ganz offensichtlich nicht bewusst, dass genau dies mit dem Leben eines Freiheitskämpfers unvereinbar war.

Bei ihrer Begegnung hatte es die beiden wie ein Blitzschlag getroffen, aus dem eine große Liebe entstand. Diese Liebe vereinte sie trotz aller Belastungen für 37 Jahre. Sie haben Hand in Hand einen Weg angetreten, der sie in stürmische und oft tödliche Gefilde führen sollte.

Abdul Rahman und seine Familie

Im Jahr 1930 in Rezajeh (dem heutigen Urmia) geboren, war Abdul Rahman der jüngste Sohn der Familie Ghassemlou. Sein Vater Mohammed war sunnitischer Kurde und seine Mutter Naneh assyrische Christin. Um zu heiraten, musste sie zum Islam übertreten und erhielt den Namen Fatima. Vater Wussuq-e Divan (dieser Titel eines Würdenträgers war ihm vom Schah zuerkannt worden) hatte mehrere Frauen. Nach seinen Angaben waren es neun, Khanom Naneh sprach von 25. Aber nur drei von ihnen hatten ihm Nachkommen geboren.

Die zahlreichen Zweige dieser Familie erstreckten sich vom südlichen Kurdistan im Iran bis nach Istanbul in der Türkei. Es scheint nicht übertrieben zu sagen, dass sie insgesamt mehrere hundert Mitglieder umfasste. Dennoch sprach Abdul Rahman wenig über sie, und so gibt es nur bruchstückhafte Informationen. Was die Familie der Mutter ihres Mannes betrifft, weiß Lena trotz ihrer Recherchen noch weniger.

Mohammed trug den königlichen Titel „Wussuq-e Divan“ und wurde Wussuq Agha genannt. Gegen Ende der 1890er Jahre hatte ihn der Schah seinem Sohn und Thronfolger Mohammed Ali zur Seite gestellt, der das Königreich in der aserbaidschanischen Stadt Täbris repräsentierte. Abdul Rahmans Vater war dort für die Stallungen und die Pferde des Kronprinzen verantwortlich.

Die Kurden sind seit jeher für ihre Liebe zu Pferden und ihre Geschicklichkeit als Reiter bekannt, und Wussuq Agha, also Mohammed Khan, war ein echter Kurde. Der Prinz liebte die Jagd, und Mohammed Khan begleitete ihn. Nach und nach entdeckte der Prinz das Wissen seines Untergebenen, lernte es zu schätzen und machte ihn zu seinem Berater. Das sollte jenen teuer zu stehen kommen.

Der Prinz verteilte gerne Rätselaufgaben, und es machte ihm Freude, andere zu hänseln und zu verunsichern. Eines Tages fragte er bei einer gemeinsamen Jagd seinen Berater: „Was ist das – die Hunde fressen es nicht, wohl aber essen es die Sunniten?“

Nun waren die Angehörigen der königlichen Familie Schiiten, die Kurden hingegen mehrheitlich Sunniten. Abdul Rahmans Vater, der damals bereits den Titel des Wussuq-e Divan trug, antwortete ohne zu zögern: „Das ist der Wildhase, Sir. Wir essen ihn, aber die Hunde fressen ihn nicht.“ (Damit waren auch die Schiiten impliziert).

Das war eine schwere Beleidigung, aber war das nicht die vorangegangene Frage auch schon gewesen? Der Prinz ließ seinen Berater sofort verhaften, und dieser wurde nach Urmia, 400 km von Täbris entfernt, gebracht. Der dortige Präfekt ließ ihn mit Ketten an den Beinen ins Gefängnis werfen. Aber der reiche Wussuq-e Divan sollte es dank etlicher Krüge Wein bald verlassen. Ziemlich rasch war er auch dem Prinzen abgegangen. Er sandte Boten aus, die ihn suchen und auf den Platz an seiner Seite zurückbringen sollten. Wussuq-e Divan empfing die Gesandten großzügig und ließ sie ausruhen, wie es der kurdischen Tradition der Gastfreundschaft entspricht. Dann mussten sie unverrichteter Dinge nach Täbris zurückreisen. Nie mehr kehrte der Kurde zum Kronprinzen oder an den Hof zurück. Trotzdem wurde ihm sein Ehrentitel nie aberkannt.

Wussuq-e Divans Persönlichkeit war außergewöhnlich. Im Jahr 1875 geboren, war er für seine Zeit ein aufgeklärter Mann, belesen und stolz darauf, Kurde zu sein. Er war ein tiefgläubiger Sunnit, reicher Erbe von etwa sieben Dörfern und des Ghassemlou-Tales – dessen Namen er annahm, als die Zentralverwaltung Familiennamen einführte. Er liebte das Leben und wusste alles zu genießen, was ihm dieses an Gutem und Schönem bieten konnte. Er legte großen Wert auf seine Ehre und die seiner Familie, und sorgte dafür, dass seine Söhne eine gesicherte Zukunft haben sowie ihren Beitrag dazu leisten sollten, dass der Name weiterhin geachtet würde. Sehr früh, nämlich noch im Vorschulalter, wurden ihnen durch ihn Gedichte, Sprichwörter und Lebensregeln beigebracht, ebenso Spiele wie etwa Schach. Er lehrte sie auch zu reiten.

Als die Buben mit der Schule begannen, sprachen sie bereits Azerisch und Kurdisch (Abdul Rahman allerdings beherrschte eher das Assyrische, das ihm seine Mutter im Geheimen beigebracht hatte). Persisch war und ist jedoch die Pflichtsprache in allen Schulen des Iran. Deshalb muss ein Kind mit sechs Jahren, das einer nationalen Minderheit angehört, so schnell wie möglich Persisch lernen, wenn es im Unterricht Erfolg haben möchte. Darüber hinaus musste eine „Weltsprache“ gelernt werden. Abdul Rahman hatte sich für Französisch entschieden. Daneben besuchten die Burschen noch für zwei Jahre eine Koranschule, in der sie das Arabisch des Koran lernten. So beherrschten die Brüder Ghassemlou vor dem Abschluss der Sekundarstufe bereits fünf oder sechs Sprachen.

Wie später auch die Islamische Republik hatte schon die iranische Monarchie nie das Recht ihrer Minderheiten auf deren eigene Kultur und insbesondere deren Muttersprachen anerkannt. Das war eine Methode, um diese Menschen als Analphabeten unter dem Joch gefügig zu halten. Nichtsdestoweniger wurden gerade durch die Auswirkung dieser Gesetze zur Diskriminierung der Minderheiten jene nicht-persischen Kinder polyglott, die in die Schule gehen und sie erfolgreich besuchen konnten.

Im Laufe des Zweiten Weltkriegs beteiligte sich Wussuq-e Divan an der Gründung der kommunistischen Partei (Tudeh) in Rezajeh. Als Mitglied des Wahlkomitees der Partei wurde er als einer der Delegierten nach Baku in die Sowjetunion entsandt, um unter anderem die Probleme um den Status der Kurden im Iran zu diskutieren. (Zu jener Zeit war der Norden des Iran von der Roten Armee besetzt.) Kurz nach der Rückkehr gab er aber alle seine politischen Funktionen auf, ohne dass irgendjemand den Grund dafür wusste. Von da an widmete er sich nur noch der Verwaltung seiner Dörfer und Gebiete sowie seiner Rolle als „rishe sepi“ der Region, als „Weißbart“ oder weiser Alter. Auch das war ein Titel, den er zur gleichen Zeit wie jenen eines Wussuq-e Divan von Mussafar Al-Din Schah (1896-1907) aus der Dynastie der Khadschar erhalten hatte.

Er starb im Alter von 98 Jahren. Abdul Rahmans Mutter starb, siebzigjährig, zwei Jahre später.

Die Mutter Abdul Rahmans

Weil sie als einzige der Ehefrauen Buben zur Welt gebracht hatte, war Khanom Naneh die wahre Chefin der Hausgemeinschaft und die Hauptfrau des Herren im Haus geworden (Khanom ist eine höfliche Anrede und bedeutet etwa „gnädige Frau“). Ursprünglich Christin, aber zum Islam übergetreten, hatte sie ihren christlichen Gott nie vergessen. Heimlich besuchte sie die orthodoxe Kirche im Dorf und nahm dabei manchmal den kleinen Abdul Rahman mit. Diese gemeinsame „Verfehlung“ war beider Geheimnis. Das Kind wusste es zu bewahren und lernte gleichzeitig, dass es andere Glaubensgemeinschaften gab, die zu respektieren waren. Diese aufgeschlossene Einstellung stellte er sein Leben lang unter Beweis.

Khanom Naneh zufolge war ihr jüngster Sohn im Sommer geboren, und sie nannte Details: „Es war sehr heiß, und die Fliegen störten mich“; aber nach den Angaben eines der Cousins soll Babosch (so nannten die nächsten Verwandten den kleinen Abdul Rahman) im Winter zur Welt gekommen sein. Der Cousin behielt die Oberhand, und Khanom Naneh musste ihre Unterlegenheit akzeptieren. So wurde der 22. Dezember als Geburtsdatum gewählt, und man wird nie wissen, ob er damit um sechs Monate jünger oder älter gemacht worden war. (Hier muss angemerkt werden, dass zivilrechtliche Erfassung von Personendaten im Iran erst 1925 eingeführt worden war und lange für die praktische Umsetzung brauchte, weil die Menschen dem wenig Bedeutung beimaßen. Ihnen genügte es zu wissen, dass es eine Geburt als für sie wichtiges Ereignis gegeben hatte.)

Die Kindheit des kleinen „Babosch“

Abdul Rahman hat einen großen Teil seiner frühen Kindheit mit seinen Eltern in dieser so weit verzweigten Familie auf dem Land verbracht, sei es im Dorf und im Tal Ghassemlou oder in anderen Dörfern des iranischen Kurdistan. Nachdem er mit der Schule begonnen hatte, kam er während der Ferien immer wieder dorthin zurück. Er kannte somit das Leben der bäuerlichen Bevölkerung; er teilte die Spiele und die Freuden mit den Dorfkindern, aber er entdeckte dabei auch die Armut und das große Elend des kurdischen Landlebens.

Für ihn waren es gleichzeitig glückliche Jahre, aber auch eine Lehrzeit darüber, was die Lebenswirklichkeit seines Volkes bestimmte. Er war mit den Landleuten eng verbunden und verstand ihre Sprache. Außerdem hatte er sich perfekte Ortskenntnisse erworben. Einige der Freunde aus dieser Zeit sollten ihm treu bleiben. Das, was er hier als Kind und als Heranwachsender gelernt hatte, hat sich in seinem Kampf als nützlich erwiesen und hat ihm sogar, viel später, das Leben gerettet.

Wie seine Spielkameraden lernte er, sich gegen wilde und auch gefährliche Tiere zu verteidigen – mit nur einem einfachen Stein in der Hand. Er entwickelte dabei große Geschicklichkeit und wurde nur ein einziges Mal verletzt, als ihn ein Skorpion ins Gesäß stach. Die Wunde entzündete sich und begann zu eitern. Eine große Narbe sollte zurückbleiben.

Mit drei oder vier Jahren spielte Abdul Rahman bereits Schach und zitierte klassische, iranische Gedichte auswendig. All das ließ ihn zu einem ausgezeichneten Schüler werden, der seinen Klassenkameraden voraus war. Sein Vater versprach ihm übrigens ein Fahrrad, um ihn weiter anzuspornen. Er erneuerte dieses Versprechen jedes Jahr, aber Abdul Rahman bekam das Rad nie. Anscheinend hatte der Vater das Versprechen immer wieder vergessen. Wenn Abdul Rahman später diese Geschichte erzählte, gab er vor, in jenem Alter schon keinen Wert mehr auf solche Dinge gelegt zu haben.

Was seine Brüder betrifft, so schildern sie lachend seine Wutanfälle, wenn ihm etwas verweigert wurde, das er wollte. Er griff dann nach einem Stein, und jene machten sich aus dem Staub – wohl wissend, dass er nie daneben traf.

Die Frauen im Haus, darunter seine Schwestern – die daheim häuslichen Beschäftigungen nachgingen und auf einen Ehemann warteten – mochten dieses Kind sehr und verwöhnten es ganz besonders. Sie gaben allen seinen Launen nach, und das wahrscheinlich nicht nur wegen ihres Respekts vor den Regeln des Koran, nach denen sich die Frauen den Männern welchen Alters auch immer, also auch Buben, unterzuordnen haben. Sein Charme und seine Ausstrahlung, die sich bereits sehr früh zeigten, spielten hier zweifellos eine Rolle.

Für seine Mutter war er deren Augenlicht.

Es ist wahrscheinlich, dass diese bedingungslose Liebe der Frauen seiner Familie und die gefühlvolle, traditionelle Erziehung mit ausschlaggebend dafür waren, dass der Erwachsene stets herzliche Beziehungen zu Frauen hatte.

Kurzlebige Kurdenrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg

Als Abdul Rahman gerade 13 Jahre alt war, gab ihm einer seiner Professoren am Gymnasium Lenins „Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ zu lesen. Diese Lektüre wurde zu einem bestimmenden Faktor für ihn, dem seine Mutter die Toleranz und sein Vater den Sinn für Pflichterfüllung, Konkurrenzkampf und Gerechtigkeit beigebracht hatten. Er empfand die Notwendigkeit, sich zu engagieren, eine Art Verpflichtung, für sein Volk zu kämpfen. Es war die Zeit, zu der die Freiheitskämpfer den Kommunismus als Synonym für Demokratie betrachteten. Die im Norden des Iran stationierte Rote Armee hatte dort einen Freiraum geschaffen, in dem sich die kommunistischen Ideen sehr rasch verbreiteten und sich die subversiven, antimonarchistischen Aktivitäten entfalten konnten.

1944, mit 14 Jahren, war Abdul Rahman Mitglied der kommunistischen Jugend.

Die Anwesenheit der Roten Armee resultierte daher, dass der Iran große Sympathien für Nazi-Deutschland gezeigt hatte und von den Alliierten besetzt worden war. Die britischen Truppen standen im Süden, die Sowjetunion im Norden. Mit Kriegsende zogen sich die Briten entsprechend den von den Alliierten unterzeichneten Abkommen zurück. Die Sowjets hingegen zögerten. Unter ihrem Schirm hatte die aserbaidschanische, kommunistische Partei mit Dschafar Pischavari an der Spitze 1945 die Autonome Republik von Aserbaidschan (Iran) gegründet und war 1946 die Republik Mahabad im iranischen Kurdistan unter dem nationalistischen, kurdischen Rechtsanwalt Qazi Mohammed als ihrem Präsidenten entstanden. Auf Langzeitstrategie ausgerichtet, drängten die Sowjets auf eine Vereinigung dieser beiden autonomen Republiken in ihrer Nachbarschaft. Dadurch hätten sie ein Tauschpfand für den Zugang zu bestimmten Erdölfeldern des Iran und zum Meer im Süden erhalten. Sie scheiterten. Das iranische Parlament, Madschlis, hatte nach Diskussionen dagegen gestimmt.

Dieser Rückschlag sowie der Druck der UNO, der Briten und der USA brachten à la longue die Sowjets zum Rückzug. Mit einem Schlag waren die autonomen Republiken von Aserbaidschan und von Mahabad auf sich selbst gestellt.

Der junge Schah Reza Pahlevi entsandte umgehend seine Armee in die aufständischen Republiken. Noch viele Jahre später, als Lena in der Region ankam, erinnerten sich die Menschen an die Gräuel und das Blutbad, das diese Armee angerichtet hatte. Tausende waren massakriert worden, ihre Häuser und die Ernte verbrannt... Das war das Ende der beiden selbständigen Republiken. Jene von Mahabad hatte gerade elf Monate lang existiert.

Dschafar Pischavari, seine Regierung und seine Leute flohen in die UdSSR und verteilten sich auf die verschiedenen Sowjetrepubliken.

Qazi Mohammed weigerte sich, ins sowjetische Asyl zu gehen, wie es ihm die Sowjets angeboten hatten. „Ich will bei meinem Volk bleiben und mein Schicksal mit ihm teilen“, erklärte er. Qazi Mohammed und die Mitglieder seiner Regierung wurden ins Gefängnis gebracht, zum Tode verurteilt und am Tag nach dem Urteil im Morgengrauen im März 1947 in Mahabad, der Hauptstadt ihrer Republik, gehängt.

Während dieser qualvollen Zeiten hielt sich keiner der vier Söhne Ghassemlou in Kurdistan auf. Hussein, studierte Architektur in der Türkei. Ahmed war Student der Mathematik in Paris und Ali machte seine medizinische Ausbildung an der Universität Täbris. Abdul Rahman stand vor dem Abschluss der Sekundarstufe in einem Internat in Teheran. Aber sie alle hatten die Ereignisse verfolgt und waren davon tief betroffen. Für Abdul Rahman waren die Vorgänge die Bestätigung für die Ideen von Marx und Lenin. Es war ihm gelungen, die strengen Regeln des Internats zu umgehen und sich im Kampf gegen das Pahlevi-Regime zu engagieren.

Unmittelbar nach dem Schulabschluss wurde Abdul Rahman von seinem Vater Wussuq-e Divan zu seinem ältesten Bruder nach Paris geschickt, wo er die Polytechnische Hochschule besuchen sollte. Er war bereits 17 Jahre alt. In Paris fand er eine Freiheit, wie er sie nie zuvor gekannt hatte, und stürzte sich mit all seiner für ihn so typischen Energie in den Kampf gegen den Schah. Es stand ihm ein Jahr zu, um Französisch zu lernen, aber da er es bereits sehr gut sprach, blieb ihm viel Zeit für seine politischen Aktivitäten.

Zu jener Zeit gestattete es der Iran Familien, deren Kinder im Ausland studierten, diesen Unterhalt zu leisten, sofern letztere sich verpflichteten, nicht politisch tätig zu sein. Es kam, wie es kommen musste: Noch bevor Abdul Rahman an der Universität aufgenommen wurde, verlor er die finanzielle Unterstützung von daheim.

Abdul Rahman in Prag

Mit Hilfe der Tudeh-Partei konnte er unmittelbar, nachdem die Tschechoslowakei 1948 eine „Volksdemokratie“ (heißt: kommunistisch) geworden war, ein Fremden-Stipendium in Prag erhalten. Abdul Rahman war 18. Er änderte die Wahl seines Studienfachs und inskribierte an der Hochschule für Politische und Wirtschaftliche Studien, die er 1952 mit einem „Roten Diplom“, das bedeutet mit Auszeichnung, abschloss.

In jenen Nachkriegsjahren gab es gerade eine Handvoll ausländischer Studenten im Land, darunter eine winzige Zahl an Iranern. Abdul Rahman war der einzige Kurde aus dem Iran.

In Paris und im demokratischen Frankreich konnten sich alle Ausländer politisch betätigen, und vor allem die Studenten hielten sich damit nicht zurück. In der Tschechoslowakei war alles anders.

Die aus den Wahlen vom Februar 1948 als Sieger hervorgegangenen Kommunisten wollten nicht, dass die ausländischen Studenten auf den Straßen Kundgebungen organisierten, obwohl deren fortschrittliche Ideen im Einklang mit der Politik des eben installierten Regimes standen. Zum Ausgleich luden sie die Studenten zur Teilnahme an Aufmärschen unter ihrem nationalen Banner ein, etwa am 1. Mai. In seiner kurdischen Nationaltracht nahm Abdul Rahman daran gerne teil, umso mehr als diese Aufmärsche freundlich, fröhlich und friedlich waren sowie keine Gegenleistungen von den Beteiligten verlangten. Man tanzte, sang, marschierte, alle duzten einander und man skandierte vorbereitete Parolen.

Als Student musste Abdul Rahman seine politischen Aktivitäten einschränken und seine Zeit für das Studium aufwenden. Er arbeitete jeden Tag bis 16.00 Uhr. Untergebracht war er im Universitätsviertel Opletalova im Zentrum von Prag, wo er ein Zimmer mit Adib, einem christlichen, arabischen Studenten aus Bagdad, und Karel, einem tschechischen Kollegen, teilte, dessen Eltern im Nordosten Böhmens lebten. Abdul Rahman und Karel wurde gute Kameraden, und beide verbrachten die Ferien und besondere Feste bei Karels Eltern. Mit seinem beachtlichen Sprachtalent lernte Abdul Rahman schnell Tschechisch, wobei er dank Karels Hilfe fast akzentfrei sprach.

Neue Staaten waren entstanden – aber nicht für Kurden

Die Vorfahren Abdul Rahmans und Lenas hatten ihre Welt zu Bruche gehen gesehen, in Europa ebenso wie im Mittleren Osten. Es gab Grenzänderungen und die Schaffung neuer Staaten. Der Fall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zog die Entstehung unabhängiger, demokratischer Nationalrepubliken nach sich, darunter 1918 der Tschechoslowakei.

Nach dem Ende des Osmanischen Reichs entstanden im Mittleren Osten ebenfalls neue Staaten. Aus diesen Veränderungen schöpften die Kurden Hoffnung, dass auch sie ihre Unabhängigkeit erreichen könnten. Aber diese Hoffnung wurde schnell erstickt. Die Enttäuschung war für Wussuq-e Divan enorm.

Lenas Großvater seinerseits hatte geglaubt, dass der Kommunismus Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle bringen würde. Auch seine Hoffnung wurde verraten und verhöhnt.

Ihre Kinder folgten den Spuren der Vorfahren und scheiterten ebenfalls.

Der Weg zu einer gerechten Welt ist weit.