Zum Geleit

Ich widme dieses Buch unseren Kindern, unseren Enkeln und unserer kurdischen Familie, ebenso meinen iranischen Freunden, Kurden und Nicht-Kurden. Sie alle werden, so hoffe ich, einen Teil ihrer Geschichte darin finden.

HELENE KRULICH

Wenn ein Weiser unter Dummköpfen das Wort nicht ergreifen darf,

ist das nicht erstaunlich.

Denn der Klang der Laute geht unter im Getöse der Trommeln,

und der Gestank des Knoblauchs verschlingt den Duft des Bernsteins.

Der Rosengarten

von Scheich Mosleheddin Sa'adi Schirazi

Danksagungen

Meiner Freundin Juliette Minces, zugleich Lektorin dieses Buches, bin ich unendlich dankbar. Sie hat mich beim Redigieren unterstützt, und ohne sie läge das Produkt nicht in dieser Form vor.

Meine Dankbarkeit gilt auch Gérard Chaliand, der nie müde wurde, mich beim Schreiben zu ermutigen, und mich angesichts aller damit verbundenen Schwierigkeiten nie aufgeben ließ.

HK

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!

Mit meiner Erzählung möchte ich über Menschen berichten, die zu Revolutionären wurden, weil sie den festen Willen hatten, sich gegen Ungerechtigkeit zu wehren.

Die Bereitschaft, über ein Leben zu schreiben, birgt immer das Risiko, nicht auf dem Niveau historischer Gerechtigkeit zu sein. Man muss einen Mittelweg zwischen Straffung und Weitschweifigkeit finden und bei den Geschehnissen sowie den Zeitläufen Kürzungen vornehmen. Die Wirren und die Komplexität der Wege im Leben eines Mannes oder einer Frau vereinfachen die Aufgabe keineswegs. Jedes Leben stellt ein buntes Mosaik dar. Der Verlauf wird ständig durch unerwartete Episoden unterbrochen, und so ist es nicht möglich, diese Leben in einer klaren Linie durchzuziehen. Auch Abdul Rahmans und mein Leben waren äußerst vielschichtig und bunt.

Personen, deren Ziel es ist, „die Menschen vom Joch zu befreien“ (Aimé Césaire), ziehen es vor zu irren statt passiv zu bleiben. Ihr Leben ähnelt dem Treibsand. Sie müssen standhalten, um aufrecht zu bleiben. Abdul Rahman und ich sind aus völlig unterschiedlichen Regionen der Welt gekommen – beide von „Treibsand“ getragen.

Leute, die wie Abdul Rahman die üblichen Pfade verlassen, werden von ihren Bewunderern ebenso wie von ihren Gegnern genau beobachtet, was ihre Handlungen und ihre Persönlichkeit betrifft. Diese Beobachter machen sich dann je nach ihren eigenen intellektuellen und psychischen Kapazitäten und auch nach den jeweiligen Wünschen daraus ihr eigenes Bild. Das kann dem Zweck dienen, diese Personen mehr zu schätzen und zu lieben oder aber sie herabzuwürdigen und bedeutungslos erscheinen zu lassen.

Das geschieht auch im Fall von Abdul Rahman und damit uns beide betreffend. Das war einer der Gründe, der mich zum Schreiben gebracht hat. Die Erinnerung schwindet mit der Zeit. Es bleibt nur das, was in den Überlebenden fortbesteht. Wenn man diese Erinnerung der Interpretation durch andere überlässt, kann die Wahrheit darunter leiden.

Mit meiner Erzählung möchte ich der Leserschaft die Realität unserer Leben vermitteln. Ich habe mich bemüht, dem wahren Charakter Abdul Rahmans gerecht zu werden. Das bedeutet auch, dass ich einige seiner negativen Eigenschaften nicht verborgen habe. Abdul Rahman war ein Mensch, kein Engel oder Übermensch. Es kommt auf das an, was jemand hinterlässt – als einen Weg, den nachfolgende Generationen weitergehen können. Unbestreitbar ist, dass Abdul Rahman die Mentalität seiner Landsleute und deren Sicht der Welt positiv beeinflusst hat.

Er hat deren Kampfgeist und den Willen geweckt, in Freiheit zu leben. Das ist das Erbe, das von ihm bleibt und bleiben wird.

In meiner Erzählung findet sich das, was wir erlebt haben – keine Ergebnisse historischer Recherchen. Dennoch war ich Zeuge einer Zeit, in der gesellschaftliche Entwicklungen immer schneller voranzuschreiten begannen. Ich war mitbeteiligt an Untergrundkämpfen in der iranischen Monarchie der Pahlevis und während des Kriegs gegen die Armee Khomeinis. Ich erfuhr auch von Spaltungen innerhalb der „Demokratischen Partei Kurdistans im Iran“ (DPKI), aber ich reflektiere hier die internen Auseinandersetzungen nicht. Der Hauptgrund dafür ist, dass man mich von diesen Problemen ferngehalten hat. Ich könnte mich dazu somit nicht kompetent äußern.

Im Gegensatz dazu habe ich sehr wohl Kompetenz erworben, über das Elend der Völker dieser Region zu berichten – insbesondere über das unglückliche Schicksal der Frauen und die Ungerechtigkeit, der sie ausgesetzt sind. Überall in dieser Gegend bin ich auf die erbarmungslose Einstellung den Frauen gegenüber gestoßen, gleichgültig, ob sie iranischer, irakischer, türkischer oder anderer Nationalität waren. Die kurdischen Frauen waren davon mitbetroffen. Ich gebe Zeugnis davon, wie wenig sie in dieser frauenfeindlichen Gesellschaft und im Koran wert sind. Was die Armut und das Elend sowie den Status der Frau betrifft, gibt es genug Anlass, dagegen zu revoltieren.

Abdul Rahman war im Innersten davon überzeugt gewesen, dass Krieg letztlich nichts lösen würde, und dass man sich irgendwann an einen Tisch setzen müssen werde, um offen zu reden und eine Lösung zu finden. Deshalb hatte er die Einladung der Regierung des Iran zu Verhandlungen angenommen. Gemäß dem angekündigten Programm sollte über das Ende des Krieges zwischen den damaligen Gegnern Iran und Irak und auch über eine Autonomie für Kurdistan gesprochen werden.

Abdul Rahman hatte stets um eine Lösung zur Linderung des Elends der Kurden gerungen. Vielleicht war es dieses Bemühen, das ihm den Blick getrübt und ihn vergessen hatte lassen, dass die aus dem islamischen Klerus stammenden Terroristen zuerst verführen und dann vernichten. Obwohl er scharfsinnig und politisch weitsichtig war, glaubte er, das Denken der Mullahs verändern zu können. – Das hat ihn das Leben gekostet.

Durch die Ermordung Abdul Rahmans wurde ein ganzes Volk beraubt. Aber sie haben einen Menschen getötet und nicht die Idee der Freiheit, und sie haben auch nicht die Geschichte dieses Mannes an der Spitze der DPKI ausgelöscht.

Viele Bücher wurden im Laufe der Jahre über die Kurden und Kurdistan veröffentlicht. Einige davon sind von hoher Qualität.

Nach der Ermordung Abdul Rahman Ghassemlous haben andere Werke die Geschichte der DPKI präsentiert oder die Person von deren Generalsekretär beschrieben. Das war auch der Grund, warum ich lange Zeit gezögert habe, meine Erinnerungen zu schreiben, obwohl viele meiner Freunde mich dringend gebeten haben, es zu tun. Verständlicherweise erweckt eine Europäerin eine gewisse Neugier, wenn sie mit einem Orientalen verheiratet war, der noch dazu ein bekannter Politiker wurde. Memoiren niederzuschreiben, bedeutete nichtsdestoweniger darüber hinaus auch die Geschichte des iranischen Kurdistan einzubeziehen und ebenso jene der politischen Partei – dies umso mehr, wenn die Schreiberin wie in diesem Fall an deren Kampf teilgehabt hat. Aber ich hatte gemeint, dass diese Arbeit bereits von anderen Autoren geleistet worden wäre, die all diese Aspekte besser kennen als ich.

Ich habe mich dennoch entschlossen zu erzählen, was ich erlebt habe, nachdem mir bewusst geworden war, dass unser Leben auch Anlass zu vielen Missverständnissen gegeben hat. Manche Berichte waren verleumderisch, andere schwärmerisch. In beiden Fällen mangelte es an Objektivität. Um einen möglichst objektiven Blick auf meine Familie und mich selbst quasi von außen zu ermöglichen, habe ich mich entschieden, in der dritten Person zu erzählen und mich Lena zu nennen – was tatsächlich eine Abkürzung meiner vier Vornamen ist.

Streng genommen sind dies somit auch keine Memoiren, sondern eher eine autobiographische Erzählung, der ich hinzugefügt habe, was mir andere berichtet haben. Ich bin mir wohl bewusst, dass in dieser Erzählung auch Irrtümer enthalten sein können, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass sowohl Akteure als auch Zuseher und Zeugen eines Ereignisses häufig unterschiedliche Sichtweisen darauf haben. Aber ich habe mich auf meine umfangreichen Notizen und auf das Gedächtnis jener meiner Gesprächspartner verlassen, die ich für die vertrauenswürdigsten halte.

Das Leben von Freiheitskämpfern besteht aus Zeiten der Gefahr, aber auch aus Augenblicken persönlichen Glücks oder auch Unglücks sowie aus alltäglichen Banalitäten. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, mich nicht zu intensiv mit der Geschichte unserer Bewegung zu befassen, die anderswo ausführlich behandelt wird, sondern mehr darüber zu erzählen, was uns dieses Leben brachte. Manchmal mag es scheinen, dass eine Anekdote in keiner Beziehung zur vorangegangenen steht. Aber dennoch gehört sie zu jenem logischen, roten Faden, der das Webmuster eines Lebens bestimmt... Viele Geschichten in dieser Erzählung hätten, jede für sich, Thema eines ganzen Buches sein können. Aber ich wollte in meinem Bericht nur einen Eindruck davon vermitteln, wie im größeren Zusammenhang unser Leben im Kampf wie im Alltag verlief.

HELENE KRULICH