Das Tao und die Lebenshilfe
Die Philosophie vom Tao i s t Lebenshilfe, soviel steht fest. Aber was hier gelehrt wird, hat wenig Ähnlichkeit mit Lebensratgebern, die auf östlichen Lehren basieren. Zum Beispiel der Zen-Buddhismus enthält eine Überfülle von Ratschlägen, belehrenden Anekdoten und Hinweisen für ein schwereloses Leben. Ich sympathisiere mit vielen dieser alten Texte und es gibt immer wieder einen Bezug zum Tao, der mit den Schriften von Laotse oder Chuang-tzu harmoniert. Der Dichter Han Shan stand dem Zen näher als dem eigentlichen Taoismus, aber in vielen seiner Verse schimmert die Weisheit der alten Chinesen durch. Wenn ich das Tao mit Lebenshilfe in Verbindung bringe, entsteht automatisch der Irrtum, oder sagen wir, die Erwartung, dass daraus eine wahre Kette von Ratschlägen und Hinweisen für ein besseres, gelungenes Leben hervor strömt.
Aber hier beginnt der Irrtum: Im Gegensatz zu allen anderen mir bekannten Systemen gibt es im Taoismus keine Verhaltensregeln oder Denkmodelle zu übernehmen. In diesem Sinne fehlt dem Tao sogar dieser emotionale Halt, der von vielen der östlich beeinflussten Lebens Ratgebern ausgeht. Der Taoismus wirft den Hilfe und Rat suchenden Menschen auf sich selbst zurück. Den Halt, der gesucht wird, kommt nicht von außen, er kommt von keiner Methode oder Lehre – er kommt von innen! Also aus dem Geist des Betroffenen selbst. Das Tao lehrt, dass alle jene Energie, die wir zur Besserung unserer Lebenslage brauchen, in uns selber wohnt und ergo nirgendwo draußen gesucht zu werden braucht.
Ich werde in meiner Mailpost öfter mal gefragt, wie man denn erreicht, dass man das Tao in seinem Leben verwirklicht. Das Schwierige an einer Antwort darauf ist der Umstand, dass wir, egal, was wir fühlen oder glauben, allezeit das Tao realisieren, weil etwas anderes gar nicht stattfindet. Die Lebenskunst verbirgt sich einzig und allein in der Erkenntnis, dass genau dies so ist. Wer zu begreifen beginnt, dass in ihm das gesamte Potenzial schöpferischer Energie schlummert, aus der Tag für Tag seine Welt und sein Leben hervorgehen, der wird seine Probleme und Sorgen bald mit anderen Augen sehen. Das Gefühl zeitweiliger Ohnmacht den Verhältnissen und Dingen gegenüber weicht einer Zuversicht, welche zugleich die Quelle des Nichthandelns ist. Alles Wissen, alle Erfahrung weichen ins zweite Glied unseres Bewusstseins zurück und im Vordergrund übernimmt die Ruhe und Gelassenheit puren Lebens, puren Erlebens die Regie. Und in diesem Gewahrsein gibt es die ideelle Trennung von Geschöpf und Schöpfung nicht mehr. Gut, es wird dann noch immer den Kontrast der Gegensätze geben, dem Höhenflug werden Wege durchs Tal folgen. Aber in letzter Konsequenz wird der Mensch, dessen Geist seine Identität mit dem Tao realisiert, ein größeres Maß an Gelingen erfahren, als seine technisch hoch trainierten Mitmenschen.