Blicke in dein Inneres! Da drinnen ist eine Quelle des Guten, die niemals aufhört zu sprudeln, solange du nicht aufhörst, danach zu graben. (Mark Aurel)
Wir nehmen sie nicht immer wahr, doch jeder Einzelne von uns ist umgeben von einer universellen Kraft. Einer Energie, die alles zusammenhält, die uns innere Stärke und Harmonie schenkt. Woher kommt der Begriff „Chi“ und wie können Sie auf leichte Weise das innere Chi aufbauen? Erfahren Sie alles über die universelle Lebensenergie, ihren Ursprung und ihre Bedeutung in der fernöstlichen Welt.
Was für die Inder das „Prana“ ist, was Japaner das „Ki“ nennen und was man in Tibet unter „Lung“ versteht, wird in China als „Chi“ oder auch „Qi“ bezeichnet. Chi wird gerne mit „Lebenshauch“ übersetzt. Für die Besonderheit des Chi liegt die Erklärung auf der Hand. Das Chi ist die Kraft des Lebens, die nie versiegende Quelle jeder Bewegung im Universum, die Lebensenergie des Menschen. Unser inneres Chi ist Maßstab unseres Wohlbefindens. Wird das innere Chi blockiert, fühlen wir uns müde, erschöpft und wie gehemmt. Ist das Chi hingegen im Fluss, kann die Chi-Energie ungehindert fließen – und sie wirkt sich vitalisierend, ausgleichend und harmonisierend auf unsere physische und psychische Konstitution aus.
Im Daoismus nimmt der Begriff „Chi“ die wohl wichtigste Rolle ein. Bereits im Grundlagenwerk des Daoismus, dem Tao Te King, wird von Chi – wenn auch nicht direkt – gesprochen im Kapitel 42 zu lesen.
Im Daoismus geht man davon aus, dass alles mit Chi durchdrungen sei. Der gesamte Kosmos besteht demnach aus Chi. Nun ist Chi aber keine messbare Größe, sondern ein abstrakter Begriff, der der Beschreibung und Erklärung von Zusammenhängen dient. Die Traditionelle Chinesischen Medizin (TCM) ist beispielsweise ein medizinisches Paradigma, in welchem der Chi-Begriff verwendet wird, um Krankheiten und Konstitutionen beschreiben zu können. In den Kampfkünsten heißt es, dass man mit Chi arbeiten solle statt mit roher Muskelkraft.
Chi existiert immer und überall. Das ist die Grundannahme, wovon weiter gedacht werden kann. Chi ist sozusagen die Grundenergie, durch die alles, was ist, sein kann. Das betrifft sowohl materielle als auch geistige Bereiche. Man atmet dank Chi, man bewegt sich dank Chi, man denkt dank Chi. Die Blumen blühen dank Chi, die Tiere fressen dank Chi. Die Sonne scheint dank Chi. Und der Mond scheint dank Chi. Chi ist also eine umfassende „Substanz“, die dem Ganzen Leben schenkt. Darum findet man auch Übersetzungen, wie zum Beispiel „Lebenskraft“, „göttliche Energie“, „Weltgeist“ oder „göttlicher Atem“. Man kann den Begriff nur metaphorisch nehmen, um etwas zu beschreiben, das mit anderen Worten nicht erklärt werden kann. In der christlichen Mystik wird hier gerne der Begriff „Gott“ genommen, um diese letztgültige Energie zu benennen. Dabei handelt es sich aber tatsächlich nur um eine Benennung. Es ist nicht mehr. Denn bei Chi geht es um etwas, was man nur erfahren, nicht aber in Worte fassen kann. Deswegen wird schon im ersten Kapitel des Tao Te King vor einer genauen Begriffsbestimmung gewarnt:
„Könnten wir weisen den Weg,
Es wäre kein ewiger Weg.
Könnten wir nennen den Namen,
Es wäre kein ewiger Name.“
Das Chi ist eine Größe, die immer existiert, und durch die alle Erscheinungen möglich sind. Die gesamte Wirklichkeit, einschließlich ihrer Veränderungen und ihres Potentials für Veränderungen, ist von Chi durchdrungen. Im Daoismus glaubt man, dass die Welt aus einem ursprünglichen Chi heraus entstanden sei. Dieses Chi wird als Yuanqi bezeichnet. Hier waren die Gegensätze, so wie sie die Menschen erfahren, noch miteinander vermischt. Yin und Yang gehörten also zusammen. Dann kam die Trennung des Einen und es folgte die Spaltung zwischen Yin und Yang. Yuanqi spaltete sich in Yangqi und in Yinqi. Yangqi ist hell, aufsteigend und der Himmel. Yinqi ist dunkel, sinkend und die Erde. Und zwischen diesen Polen steht der Mensch als Mitte. Der Kosmos gilt im daoistischen Denken als belebt. Das heißt, dass Himmel und Erde, genau wie der Mensch, atmen. Himmel und Erde leben in Zyklen. Das Einatmen ist rein. Das Ausatmen ist verbraucht. Zwischen Mitternacht und Mittag atmen Himmel und Erde ein. Zwischen Mittag und Mitternacht atmen sie aus.
Nach daoistischer Auffassung ist der Atem nicht nur der Lebenserhaltung dienlich, sondern er dient auch der Gesundheit und der Verbundenheit eines Menschen mit dem „großen Ganzen“. Das ist auch der Grund, weshalb es im Daoismus vielfältige Atemübungen gibt. Außerdem versinnbildlicht der Atem die Idee der wechselwirkenden Gegensätze: Das Einatmen bedarf des Ausatmens – und umgekehrt. Der Mensch kann nicht immer nur einatmen. Irgendwann kommt der Punkt, wo er ausatmen muss. Genauso ist es umgekehrt: Um ausatmen zu können, muss zuvor eingeatmet worden sein. Durch die Zyklen der Atmung kann Chi erfahrbar werden. Chi wird nicht umsonst mit „Luft“ übersetzt. Bleibt man bei der funktionalen Atmung, so erkennt man rasch, dass diese von selbst geschieht. Der Mensch geht nicht durch die Welt und denkt ständig daran, ein- und auszuatmen. Die Atmung geschieht beiläufig, ohne dass der Mensch groß etwas daran ändern könnte. Genauso hat er auch keinen besonderen Einfluss auf sein Herz. Es schlägt einfach. Seine Ausscheidungsfunktion funktioniert genauso absichtslos – sie geschieht. Und um für diese Dinge eine Erklärung zu finden, wird auf den Chi-Begriff zurückgegriffen. Gewiss sind auch Beschreibungen und Erklärungen ohne „Chi“ möglich. Dies zeigt sich im westlichen Kulturkreis besonders in den Wissenschaften. Dennoch erlaubt der Chi-Begriff Rückschlüsse auf natürliche und an für sich simple Vorgänge (Atmung, Luft). Damit zeigt er den Menschen nicht nur, dass alle Dinge auf einem einfachen Prinzip beruhen, sondern auch dass gerade diese Einfachheit nicht begreifbar gemacht werden kann. Zwar kann man erklären, dass die Atmung aufgrund der Lungenaktivität etc. beruhe, aber warum der Mensch atmet und warum sein Herz schlägt, das kann nicht beantwortet werden. Der Mensch lebt einfach. So wie alles einfach lebt.