Mein Verhältnis zum MfS

Ich habe von 1980 bis 1986 in Kontakt zu Mitarbeitern des MfS gestanden und habe mit ihnen kooperiert. Diese Phase ist mir von diesen Mitarbeitern als Anwerbe- und Ausbildungsvorgang für die HVA dargestellt worden. Die Treffen mit diesen Mitarbeitern fanden in unterschiedlichen konspirativen Wohnungen in Leipzig, nach 1985 auch zwei, drei Mal in Berlin statt.

In diesem Zeitraum – auf jeden Fall vor 1985 – wurde ich aufgefordert, eine Verpflichtungserklärung als Inoffizieller Mitarbeiter abzugeben und diese Erklärung handschriftlich auszufertigen. Der entscheidende Punkt in diesem Text war nach meiner damaligen wie heutigen Einschätzung die Bereitschaft, jeden Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit auszuführen. Ich war nicht bereit, eine solche Verpflichtung abzugeben. Ich ersetzte diesen Passus durch eine Formulierung, wonach ich Auftrage des MfS nur nach Maßgabe meines Gewissens übernehmen und ausführen würde. Der anwesende Vorgesetzte („Heinz-Peter“) meines damaligen MfS-Gesprächspartners („Klaus“) erklärte verärgert, mit dieser Veränderung sei die Verpflichtungserklärung wertlos; der Vorgang müsse später noch einmal wiederholt werden. Dazu ist es nicht gekommen. Was nach Mitteilung der beiden MfS-Offiziere blieb, waren eine Geheimhaltungsverpflichtung und ein Deckname („Alfred“).

Inhalt der Treffen und der Kooperation waren:

– Ausführliche Verständigungen zur allgemeinen politischen Lage

– Darin eingefügte Ausführungen über Aufgaben, Erfolge und Arbeitsweise der HVA

– Ergebnisse meiner Arbeit an der Karl-Marx-Universtität Leipzig (Forschungsgegenstand: Auseinandersetzung von Hörfunk und Fernsehen der Bundesrepublik und Westberlins mit der DDR; bürgerlicher Journalismus allgemein)

– Kontaktaufnahme (mit dem Ziel der Anwerbung) eines befreundeten Paares aus der linken Szene der Bundesrepublik incl. persönliche Treffen, gemeinsame Reisen (1x Polen/1x Ungarn) und Vermittlung einer Begegnung mit „Heinz-Peter“

– Eine Reise mit falscher Identität für einige Tage zur Grünen Woche in West-Berlin ohne konkreten Auftrag

Bei der versuchten Anwerbung des westdeutschen Freundespaares habe ich konspirative Arbeitsmethoden kennengelernt. Im Kern lief das auf aktiven Vertrauensmissbrauch hinaus. Damit war für mich eine Scheidelinie erreicht. Ich habe mich dem nicht frühzeitig genug verweigert, dennoch aber die Schlussfolgerung gezogen, eine solche Arbeit nicht weiter zu tun. Der Anwerbevorgang wurde nach meiner Erinnerung auf meine Veranlassung hin abgebrochen. Gelegentlicher freundschaftlicher Kontakt zu den Betroffenen bestand bis in die 90er Jahre hinein; zuletzt seltener. Dass es sich bei „Heinz-Peter“ & Co. um einen Kontakt mit Stasi-Hintergrund handelte, war unter uns bereits bei unseren Treffen in den frühen 80er Jahren klar.

Die Reise nach Westberlin habe ich mir aus einer gewissen Neugier auf den Westen heraus damals nicht entgehen lassen wollen, zumal damit keine Aufträge verbunden waren. Durch einen gezielten Verstoß gegen die Vorgaben (Rückkehr über einen anderen als den vereinbarten Grenzübergang Friedrichstraße, versuchte Einfuhr von unerwünschten westlichen Zeitschriften und Schallplatten) hatte ich versucht, weitere Reisen mit mehr Brisanz auszuschließen. Zu solchen Reisen ist es dann auch nicht mehr gekommen.

Nach Unterbrechungen der Kontakte (z.B. nach Einberufung zur NVA, infolge beruflicher Turbulenzen und politischer Anschuldigungen an der Universität) kam es 1986 zu einem letzten Versuch meiner Einbindung in das MfS. Zwei MfS-Mitarbeiter aus Berlin wollten mich überzeugen, den DDR-Hörfunk-Korrespondenten in Bukarest abzulösen und unter dieser Legende Kontakte zur reformorientierten Opposition innerhalb der Rumänischen Kommunistischen Partei aufzunehmen. Ich stand vor der Frage, ob ich persönliche Erwägungen (kleines Kind, keine Arbeitsmöglichkeiten für meine Frau) vorschützen oder politische Gründe geltend machen sollte. Ich entschied mich für letzteres und stellte den beiden Offizieren die Frage, ob sie mir denn garantieren könnten, dass meine Liste von Kontakten zu „Gorbatschowianern“ in Rumänien nicht beim nächsten Staatsbesuch Erich Honeckers als Gastgeschenk an Nicolae Ceaucescu gehen und damit den Betroffenen erheblicher Schaden drohen würde. Man bat sich Bedenkzeit aus und teilte mir beim nächsten, abschließenden Treffen mit, eine solche Garantie könne man mir nicht geben. Damit endete die Zusammenarbeit. Ich wurde lediglich noch gebeten, meine Daten als Legendierung für eine konspirative Wohnung in einem Leipziger Messehaus bereit zu stellen. Zur Begründung hieß es, das diene meiner persönlichen Absicherung nach dem Ende der Zusammenarbeit.

Ich habe in der Art, wie ich mich auf das MfS eingelassen haben, gegen den massiven Rat meiner Eltern verstoßen. Mein Vater hatte mir empfohlen, bei einem solchen Anwerbevorgang zwar ideologisch aufgeschlossen zu reagieren, aber immer auch zu betonen, dass man einen solchen politischen Auftrag nicht ohne Einbeziehung seines Parteisekretärs übernehmen könne – was wiederum einer Dekonspiration gleichgekommen wäre und die Zusammenarbeit beendet hätte, bevor sie begonnen hat.

Leider fand sich an meiner damaligen Arbeitsstätte – Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig – damals aus meiner Sicht kein Parteisekretär, den ich in diesem Zusammenhang hätte ins Spiel bringen wollen. Ich bin in den MfS-Kontakt hinein gestolpert, weil ich von einem sofortigen Nein in jeder Hinsicht Nachteile befürchtete. Zudem glaubte ich mich sicherer, wenn ich mich über meine kritischen Sichten auf die DDR und die SED gegenüber dem MfS authentisch äußern und damit auch Denunziationen Dritter begegnen könnte. Schließlich hielt ich es für geschickter, das unabwendbare Nein auf einen für mich beruflich günstigeren Zeitpunkt zu verschieben und dabei zugleich auf gemachte eigene Erfahrungen verweisen zu können, die meine Nichteignung für diese Art von Arbeit belegen würden.

Das alles war aus heutiger Sicht nicht klug und der Preis dafür – der genannte aktive Vertrauensbruch – zu hoch. Richtig war die Entscheidung, die Beziehung 1986 abzubrechen und offen – ohne geheimdienstliche Tricks, wohl aber noch innerhalb der SED – für einen demokratischen Wandel in der DDR zu kämpfen.

Ich habe über den Anwerbe- und Ausbildungsvorgang für die HVA nach 1990 stets offen gesprochen und jeden Arbeitgeber, meine politischen Partner wie auch meine Kollegen und Freunde darüber wie über meine Schlussfolgerungen daraus informiert.

Einen Antrag auf Akteneinsicht habe ich nie gestellt. Was meine Arbeit für das MfS anbelangt, so brauche ich nicht die Akten, um kritisch mit mir zu Gericht zu gehen. Ich akzeptierte, dass die Öffentlichkeit Menschen mit Stasi-Verstrickungen nicht in öffentlichen Ämtern, Parlamenten etc. sehen möchte und werde weder der Öffentlichkeit noch mir selbst eine Debatte darüber zumuten, was an meiner Tätigkeit vor über 25 Jahren mehr oder weniger schlecht war. Sie war alles in allem so, dass ich sie beenden musste und nicht weiter fortsetzen konnte, wenn ich meinen politischen und menschlichen Grundüberzeugungen treu bleiben wollte.

Nach 1989/90 haben mehrere Menschen mit mir darüber gesprochen, dass sie ihrerseits über mich – vor allem in der zweiten Hälfte der 80er Jahre – Berichte angefertigt haben, die mit meinem politschen Engagement für Glasnost und Perestroika, für eine wahrheitsgemäße Nachrichtengebung der DDR-Rundfunks, für eine Reform der SED und der DDR zu tun hatten. Einsicht in diese Akten haben ich ebenfalls nicht beantragt. Über politisch-moralisches Versagen in meiner Umgebung habe ich in den 90er Jahren auch ohne Einsicht eine Menge erfahren. Mein Erkenntnisbedarf in dieser Hinsicht ist gedeckt.