Die Yogalehrer-Ausbildung

Im Herbst 1991 reiste Nils für ein paar Tage zu seiner Schwester Inge nach Berlin. In einem Stadtteilzentrum wurde ein Sivananda Yoga Kurs angeboten. Nils ging dorthin, um vielleicht noch etwas dazuzulernen. Er fragte den Yogalehrer, ob er eine Probestunde mitmachen könnte. Damit war der Lehrer einverstanden. Plötzlich wurde Nils von einer starken Energie erfasst. Diese Energie kam weder von der Gruppe noch von dem Yogalehrer. Nils vermutet, dass Swami Shivananda selbst ihm diese Energie gesandt hatte, weil er Nils in seine Yoga-Familie aufnehmen wollte. Dafür spricht auch, dass er Nils später mehrmals in Träumen erschien und ihm auf seinem Yogaweg half. Nils fühlte sich daraufhin mit der Sivananda Organisation sehr verbunden. Er rief bei der Zentrale in München an und bekam einen Prospekt über eine Yogalehrer-Ausbildung zugeschickt. Die Ausbildung sollte im Sommer 1992 im Hauptashram in Kanada stattfinden und vier Wochen dauern. Vom Preis und von der Zeit her sagte die Ausbildung Nils zu. Er meldete sich sofort an. Die Sivananda Yoga Organisation wurde 1969 von Swami Vishnudevananda, einem der Hauptschüler von Swami Shivananda, gegründet. Ihr Ziel ist die weltweite Verbreitung des Hatha-Yoga. Sie besitzt inzwischen in allen Erdteilen Yogagruppen und bildet in vielen Ländern Yogalehrer aus. 53 Swami Vishnudevananda hatte eine große Vision. Er wünschte eine Welt des Friedens, der Liebe und der Spiritualität. Alle Religionen und alle unterschiedlichen Yogarichtungen sollten für das große Ziel einer glücklichen Welt zusammenarbeiten. Im Juli 1992 flog Nils mit dem Flugzeug nach Montreal. Mit einem Ashram Auto wurden die zukünftigen Yogalehrer vom Flugplatz abgeholt und zum Ashram in den Kanadischen Bergen gebracht. Nils suchte sich einen Zeltplatz, baute sein Zelt auf und die Ausbildung konnte beginnen. Morgens um 5.30 Uhr wurden alle Teilnehmer mit einer großen Glocke geweckt. Dann begann ein strenger Tagesablauf, der bis 23 Uhr abends andauerte. Es wurden Mantras gesungen, Vorträge gehalten, Yoga praktiziert und viel meditiert. Etwa 150 Teilnehmer aus allen Erdteilen kämpften sich vier Wochen lang durch ein umfangreiches Programm. Die meisten Teilnehmer kamen aus den USA und aus Kanada. Die deutsche Gruppe bestand aus etwa 20 Männern und Frauen aller Altersstufen. Die Hauptausbilderin der deutschen Gruppe war Durgananda. Sie war eine echte Powerfrau. Mit eiserner Disziplin führte sie die angehenden Yogalehrer durch die Yogaausbildung. Jeden Tag gab es vier Stunden Hatha-Yoga mit Durgananda. Jeder Schüler wurde genau kontrolliert. Jede YogaStellung musste 100 % richtig gemacht werden. Mit ihrer autoritären Art ernte Durgananda bei den eher antiautoritären westlichen Yogis viel Widerstand. Insbesondere einige Männer ließen sich von ihr nichts befehlen und reagierten mit aggressiver Kritik. Die positive Grundstimmung in der Yogagruppe drohte öfter zu kippen. Dann intervenierte der kleine Yogi Nils mit einigen positiven Bemerkungen und rettete Durgananda. Dafür war ihm Durgananda sehr dankbar. Ansonsten war Nils aber nicht gerade ein artiger Schüler. Es reizte ihn sehr Durganandas strengen Stil mit einem undogmatischen Gegenprogramm zu durchkreuzen. Oft machte er die Übungen anders als von Durgananda angesagt. Er probierte aus, was ihm persönlich gut tat. Manchmal bemerkte es Durgananda und manchmal nicht. Nils versuchte sie nicht zu sehr zu reizen. Und gleichzeitig doch seiner eigenen Linie treu zu bleiben. Durch diese Strategie brachte ihm die Ausbildung viel Spaß. Gut in Kanada war das Essen. Es wurde von den Teilnehmern selbst zubereitet. Jeden Tag gab es zweimal ein großes Büfett, an dem sich jeder sein persönliches Menü zusammenstellen konnte. Morgens erhielten alle Obst, Brot oder ein Müsli. Und abends um 18 Uhr fand das große gemeinsame Hauptessen statt. Das Hauptessen war rein vegetarisch. Das gefiel Nils. Er hatte sich das Fleischessen seit seinem Yogileben konsequent abgewöhnt. Statt Fleisch gab es im Ashram leckere indische Reisgerichte, viel Salat und als Nachtisch Süßspeisen. Nils war seit seiner Kindheit ein Fan von Süßigkeiten. In Kanada war er derjenige, der sich am häufigsten Nachschlag holte. Einmal schmeckte ihm der Nachtisch besonders gut. Er stellte sich so oft in der Schlange beim Essentisch an, dass er zum Schluss die ganze Schüssel zum Auskratzen bekam. Nils ließ sich vier Wochen lang richtig verwöhnen. Und vermisste dann zuhause die YogaFrauen, die so gut kochen konnten. Durgananda wurde später eine der Nachfolgerinnen von Swami Vishnudevananda, der 1993 starb. Sie fand bereits im Alter von 12 Jahren zum spirituellen Weg. Als junge Frau reiste sie auf der Suche 54 nach einem spirituellen Lehrer ein Jahr durch Indien. Sie lernte Yoga in verschiedenen Ashrams unter verschiedenen Meistern. 1973 traf sie in den USA auf Swami Vishnudevananda. Sie war begeistert von seiner spirituellen Ausstrahlung und wurde Mitglied in seiner Yoga-Organisation. Sie bekam den Namen Swami Durgananda. Durga ist die Power-Göttin im Yoga. Sie reitet auf einem Tiger und schwingt wild viele Waffen um ihren Kopf herum. Ananda bedeutet inneres Glück. Durga-Ananda gelangt durch ihre große Selbstdisziplin (den Tiger in ihr) und durch das geschickte spirituelle Üben (viele Waffen) zum inneren Glück. Sie lebt als Mutter aller Wesen (Karma-Yogi) und verwandelt so sich und die Welt. Nils hätte gerne etwas von der großen Kraft von Swami Durgananda. Sie übersteht ihre spirituellen Krisen mit ihrer Selbstdisziplin. Ihr Motto ist: "Yoga ist eine große Herausforderung. In der Praxis fällt einem nichts in den Schoß. Die Selbstdisziplin muss immer wieder neu aktiviert werden. Ein Kind, das laufen lernt, fällt oft hin. Wer immer wieder aufsteht, siegt!" Karma-Yoga Karma-Yoga ist der Weg der umfassenden Liebe. Auf diesem Weg gelangt man zur Erleuchtung, indem man das Glück seiner Mitmenschen wichtiger nimmt als sein eigenes Glück. Man lebt im Schwerpunkt nicht für seinen eigenen Genuss, sondern für das große Ziel einer glücklichen Welt. Bei der Yogalehrer-Ausbildung wurde unter Karma-Yoga der Dienst für die Gemeinschaft verstanden. Alle Aufgaben im Ashram wurden per Los auf die einzelnen Teilnehmer verteilt. Nils wurde zu handwerklichen Arbeiten eingeteilt. Das konnte er gut und das brachte ihm Spaß. Eine Frau musste vier Wochen lang die Toiletten putzen. Das gefiel ihr gar nicht. Sie protestierte laut gegen diese Aufgabe. Aber es nützte ihr nichts. Irgendeiner musste ja die Klos machen. Und sie genau war diese Irgendeine. Karma-Yoga muss nicht immer leicht und angenehm sein. Gerade die Aufgaben, bei denen innere Widerstände auftauchen, sind ein optimaler Weg zur Erleuchtung. Erleuchtung bedeutet Egoauflösung. Und wie soll sich ein Ego auflösen, wenn der Karma-Yoga immer Spaß bringt? Ein Mensch wächst gerade an seinen inneren Widerständen. Gott liebt Opfer. Wer jeden Tag sein Ego opfert, in dem beginnt eines Tages das innere Glück zu fließen. Das Opfern ist aber eine große Kunst. Wer zu viel opfert, verspannt sich innerlich. Und wer zu wenig opfert, löst seinen Egoismus nicht auf. Das tägliche Opfern auf dem Yogaweg muss sensibel dosiert sein. Insbesondere müssen wir klug mit unseren Gedanken umgehen. Wir müssen alle Ablehnungsverspannungen immer wieder auflösen. Das geschieht durch positive Gedanken. Solche Gedanken können sein: „Ich nehme meine Situation an. Ich fließe positiv mit den Dingen. Ich lebe als Sieger. Ich sehe das durch die Arbeit bewirkte Glück bei meinen Mitmenschen. Ich begreife mich als erleuchteten Buddha, der für das Ziel einer glücklichen Welt arbeitet.“ Das Problem in Kanada war, dass keine konkrete Anleitung zum positiven Denken gegeben wurde. So versackte die arme Klofrau in ihrer eigenen Negativität. Hätte sie klug das positive Denken geübt, dann hätte das Kloreinigen zu einem echten Durchbruch ins Licht werden können. 55 Am Ende der Ausbildung musste jeder eine Yogagruppe leiten. Alle waren sehr aufgeregt. Sie bereiteten sich intensiv auf ihre Lehrproben vor. Nils erfuhr wie stark sich die Persönlichkeit eines Yogalehrers auf den Unterricht auswirkt. Man kann sagen, dass etwa 50 % der Wirkung einer Yogastunde durch die Art des Yogalehrers und 50 % durch die jeweiligen Yogaübungen entsteht. Ein kraftvoller Yogalehrer stärkt die Gruppenteilnehmer in ihrer Kraft. Eine liebevolle Yogalehrerin bringt sie in die Energie der Liebe. Ein Yogalehrer muss genau überlegen, was er in seinen Gruppen bewirken will. Am wichtigsten ist, dass er Yoga authentisch vermittelt. Er muss die Energien von Wahrheit, Liebe, Frieden, Freude und Kraft auf seine persönliche Art in die Gruppe bringen. Nach den Lehrproben wurden die angehenden Yogalehrer in einer schriftlichen Prüfung in ihrem Yogawissen getestet. Sie mussten Fragen zur Yogaphilosophie und zu den Yogaübungen beantworten. Die meisten Schüler bestanden die Prüfung. Nach den Prüfungen fand eine große Feier statt. Alle Yogalehrer versammelten sich und erhielten von ihren Ausbildern das Yogalehrer-Zertifikat. Jeder Yogalehrer wurde einzeln aufgerufen. Auch Nils hatte die Yogalehrer-Prüfung bestanden. Er ging auf das Podium und erhielt von Durgananda die von Swami Vishnudevananda unterschriebene Urkunde.