Wozu Schule?

Schulen werden eingerichtet und geführt, um Kindern und Jugendlichen individuell nützliche und gesellschaftlich brauchbare Quallfikationen sowie Einstellungen und Haltungen zu vermitteln, sodaß sie als Erwachsene ein weitgehend selbständiges Leben führen können und zugleich der gesellschaftliche Bedarf an Arbeitsmarktqualifikationen gedeckt ist. Schulen sind also "Institutionen der gesellschaftlich kontrollierten und veranstalteten Sozialisation".

Mit der Erfüllung dieser Vermittlungsaufgabe leistet die Schule die Doppelfunktion des Sozialisationsprozesses, nämlich den Aufbau und die Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes oder Jugendlichen und die fortlaufende Reproduktion der bestehenden Gesellschaft. Als schulische Sozialisation wird dann jener Prozeß bezeichnet, durch den gleichzeitig die Persönlichkeit der Heranwachsenden konstituiert und gesellschaftliche Verhältnisse reproduziert werden." Schule erzeugt in den Heranwachsenden jene Merkmale, "ohne die das Individuum nicht handlungsfähig und die Gesellschaft in der bestehenden oder in veränderter Form nicht überlebensfähig wäre. Schulsysteme sind somit subsidläre Einrichtungen; sie entstehen überall dort, wo die bloße Teilnahme am sozialen Leben der Familie und der Sippe nicht mehr genügt, um all das zu lemen" was zur jeweiligen historischen Reproduktion der Gesellschaft erforderlich ist." (Fend, 1980, 6).

In Hinblick darauf lassen sich drei Funktionen von Schule unterscheiden:

Die Qualifikationsfunktion der Schule bezieht sich auf die Reproduktion des kulturellen Systems. Sie geschieht insbesondere durch die Vermittlung grundlegender Symbolsysteme wie Sprache und Schrift sowie durch die Tradition technisch-beruflichen Wissens, die in Form beruflich verwertbarer Quallfikationen an die Heranwachsenenden vermittelt werden und diese dadurch befähigen, vorstrukturierte Berufspositionen innerhalb der Gesellschaft einzunehmen. Die so vermittelten Fertigkeiten und Kenntnisse ermöglichen es, Arbeiten auszuüben und am gesellschafltlchen Leben tellzuhaben. Einen zweiten Bereich schulisch vermittelter Quallfikationen bilden die Arbeitshaltungen und Arbeitstugenden (Fleiß, Ordentlichkeit, Sauberkeit, Pünktlichkeit, Arbeitsrhythmus usw.), die für sich genommen inhaltsleer, wegen ihres instrumentellen Wertes für die meisten Arbeitstatigkeiten jedoch eine berufliche Basisqualifikation darstellen.

Die Selektionsfunktion bezieht sich auf die Rolle der Schule als "Zuteilungsagentur für Sozialchancen" (Schelsky). Dies wird daran sichtbar, daß der Zugang zu hoheren gesellschaftlIchen Positionen meist an den Erwerb formaler Qualifikationen (Matura, Absolvierung

werden konnen. Ahnliches gilt jedoch auch für den Zugang zu niedrigen beruflichen PosItionen-, Untersuchungen zur Berufseinmundung Jugendlicher zeigen, daß Mißerfolg bei der Berufswahl (Arbeitslosigkeit, EInmundung in ungelernte Tatigkeiten) bei solchen Jugendlichen haufiger ste die die Schule nicht abgeschlossen haben oder niedrige sc..ulische Leistungen au eisen. Diese Regelung des Zugangs zu den gesellschaftlichen Positionen erfolgt jedoch nicht ausschließlich nach der erreichten schulischen Qualifikation, sondern haufig schichtspezlfisch, d. h. daß Angehörige der Mittel- und Oberschicht eine bessere Zugangschance bzw. eine erhöhte

Wahrschelnllchkeit vorfinden in begunst'igte gesellschaftliche Positionen einzutreten. Dies geschieht vor allem, indem sie bereits beim Erwerb von Qualifikationen durch den "Mittelschichtcharakter" der Schule und durch starkere soziale Unterstützung in einem eher bildungsorientierten Elternhaus gegenüber (gleichbefähigten) Angehörigen niederer sozialer Schichten begünstigt sind. Auf diese Weise wird nicht nur die Gesellschaft als Ganzes reproduziert, indem für freiwerdende Positionen entsprechend qualifizierte Nachfolger ausgebildet und ausgewä'hlt werden, sondern teilweise auch ihre Struktur und Schichtung.

Die Legimitationsfunktion und Integrationsfunktion der Schule bezieht sich auf die tragende Rolle des Erziehungssystems für die Aufrechterhaltung Stabilisierung und Rechtfertigung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung. Zentrale Probleme sind hier die Rechtfertigung der ungleichen Verteilung der materiellen Güter in einer Gesellschaft sowie die Absicherung der politischen Herrschaft. Letzeres erfolgt in der Schule auf dii--ekte (z. B. sozial- und gesellschaftskundlicher Unterricht,; Einführung von Zusammenarbeitsprinzipien in der Schule, die nach der Struktur des politischen Systems organisiert sind, z. B. formelle Mitbestimmungsmöglichkeiten und Mitbestimmungsinstitutionen auch für Schüler; Bilder von politischen Führem in Schulklassen) und indirekte Weise (z. B. durch die Einbindung der Schule in ein hierarchisch geordnetes Vei-waltungssystem, das alle Handlungen von Schülem und Lehrern der Kontrolle durch das bestehende politische und administrative System unterwirft; dies macht bereits den Schüler zu einem Mitglied des staatlichen Systems, das für bestimmte Krisensituationen (z. B. bei Einsprüchen gegen Noten) an der Existenz einer übergeordneten staatlichen Stelle interessiert sein muß.

Die Rechtfertigung von Ungleichheit in der Verteilung der gesellschaftlichen Güter geschieht auf dem Umweg uber die Vermittlung des Leistungsdenkens und einer grundlegenden Leistungshaltung. In einer meritokratischen Gesellschaft besteht Anspruch auf Privilegien nicht aufgrund von Vererbung, sondern nach Maßgabe der individuellen Leistung, die sich im erreichten Qualifikations- und Bildungsniveau ausdruckt. Im Erziehungssystem werden die grundlegenden Elemente dieser Leistungsideologie vermittelt; die entscheidenden Erfahrungen resultieren aus der Allgegenwärtigkeit von Leistungsüberprüfungen sowie aus der Kopplung von Leistung und positiven Sanktionen (Noten; individuelle Hervorhebungen und Belohnungen für gute Schüler; Berechtigungen u. ä.).

Literatur

Fend, H. (1980). Theorie der Schule. München: Urban & Schwarzenberg.

Klatki, W. (1985). Konturen eines neues Allgemeinbildungskonzepts. In W. Klatki (Hrsg.). Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Weinheim und Basel: Beltz, S. 12-30.