Sonntagsgedanken (1991)

Sonntagsgedanken (1991)

Die Trennung von Glauben und Wissen ist die Grundlage für die moderne Wissenschaft geworden. Erst als die Theologie nicht mehr Königin der Wissenschaften und die Philosophie ihre Magd hieß, war der Weg frei zu einem neuen Herangehen an die Welt um uns herum.

Doch sprechen wir weiter von Glaubensgewißheit oder von Gewissen als handle es sich um ein Wissen. Wir zweifeln am Wissen und nennen es Hypothesen, die wir nur glauben können.

Gilbert Ryle unterscheidet Glauben und Wissen grundsätzlich von ihrer unterschiedlichen Motivation her: Glauben ist für ihn eine Form des Wollens, deshalb kann man Glauben ablehnen oder befürworten, sich im Glauben mit anderen vereinen, den Glauben zum Gegenstand eines Kultus machen. Wissen hingegen kann man oder kann man nicht, jedenfalls ist es nicht der Disposition des Willens unterworfen, man kann Wissen nicht verehren, ablehnen oder befürworten.

Die Gegenüberstellung von Glauben und Wissen darf also nicht außer Acht lassen, daß dabei Begriffe aus verschiedenen Lebensbereichen, verschiedener Kategorien miteinander verglichen werden. Deshalb ist es auch eigentlich falsch den Glauben als eine docta ignorantia, als Erkenntnis des Nichtwissens hinzustellen, wenn der Glauben einen Sprung darstellt, dann einen Sprung in eine andere Kategorie, in eine andere Welt, in der es Wissen nicht gibt.

Dennoch ist der Zusammenhang zwischen Glauben und Wissen nicht so schnell abgetan. Glauben und giloban - geloben haben eine Wurzel, der Glauben ist ein Vertrauen auf etwas, das nicht mehr Fragen nach Antwort, sondern Suchen nach Halt ist.

Wizzan - die Wurzel von Wissen, Gewissen, Bewußtsein, Witz und einer ganzen Klasse von Wörtern meint eine Gewißheit auf Grund der Kriterien, die in unserer Welt Gewißheit verschaffen. Woher aber nehmen wir diese Kriterien ? - Sie sind ein Produkt unserer Erziehung und unserer Erfahrung.

Die große Entdeckung des Skeptikers Hume war, daß wir alle unsere Gewißheit aus der Erfahrung haben. Er sagte: alles Wissen - das geht vielleicht zu weit, denn Gewißheit ist Grundlage des Wissens nicht schon das Wissen selbst.

Gewißheit und Vertrauen stehen nun in einem engen Zusammenhang. Vertrauen kann zunächst Selbstvertrauen sein - Cartesius, der durch seine Zweifel zu der Überzeugung kommt, daß er an sich selbst als res cogitans nicht zweifeln kann, drückt damit zuerst einmal sein Selbstvertrauen aus. Nicht ohne Zuhilfenahme des Gottvertrauens - Gott ist kein Betrüger - leitet er daraus dann das Vertrauen in die Realität der Außenwelt ab.

Realitas, die Dinghaftigkeit dessen, was außer uns selbst ist, Descartes sieht sie als res extensa, die wir clare et distincte in ihrer Evidenz erkennen können. William von Ockham hat schon das Subjekt des Wissens, den Intellekt, von seinem Objekt, nämlich Propositionen - Aussagen - getrennt, die die Dinge supponieren, die uns zuhanden sind.

Realität: das Sein - substantivierte Form nur mit dem Zweck über das Wort "ist" nachzudenken. Die Begriffe richtigstellen, fordert schon Konfuzius, sonst geht alles in Unordnung über. Aber 2000 Jahre lang ist das "Sein" dem "ist" davongeflogen wie Ikarus seinem Vater Dädalus.

Das Sein supponiert nichts anderes als die Absicht über den Gebrauch des Wortes "ist" in der Sprache nach-zu-denken, nach-denken deshalb, weil es vorgängig zu unserer lebendigen Sprache gehört und schon verwendet wird ohne das viel darüber gedacht wird. Die Überwindung dieses gedanken-losen Umgangs mit Sprache ist die Philosophie. Und das Wort  'einai'  hat schon die alten Griechen beschäftigt. Als Substantiv wird es aufbereitet zum Ding, zum Gegen-Stand des Denkens. 'To on' begründet die Ontologie, brachte Unruhe in unser Denken, die bis heute anhält.

Die Vorsokratiker waren die ersten großen Vereinfacher und Verallgemeinerungen waren ihre Entdeckung. Die Suche nach 'arche', nach dem einen Urprinzip, bestimmte ihr Denken. Damit wurde das Wörtchen 'ist' mit einem Bedeutungsinhalt angefüllt, der alles umfassen konnte und damit die Grenze der Sprache und des Denkens erreichte. Mit der Überschreitung dieser Grenze wird in der philosophischen Klassik - manifest bei Aristoteles - die 'Meta ta fysika', die Metaphysik geboren.

Aristoteles zählt die verschiedenen Bedeutungen des "sein"-Verbs im Buch I der Metaphysik auf. Wir können inzwischen die Verwendungsarten noch erweitern um die Formen, die sich im Laufe der Geschichte der Nutzung dieses Wortes entwickelt haben.

Wenn wir glauben und wenn wir wissen, so richten wir uns auf ein Sein. Das ist nicht notwendigerweise so, sondern ein Ergebnis der abendländischen Geistesgeschichte. Damit richten wir unsere Aufmerksamkeit also auf das Wort "ist" in einem propositionalen Satz, der außer dem "ist" noch weitere Wörter enthält, damit er sinnvoll gebraucht werden kann.

Der propositionale Satz, die Aussage über etwas, ist eine Mit-Teilung, wir teilen also mit anderen etwas. Wir können dieses Teilen aber nur vornehmen, wenn wir schon vorher etwas Teilen, nämlich die gemeinsame Sprache. Teilen darf hier nicht mißverstanden werden: es ist ein gemeinsam haben, nicht ein aufteilen in disparate Stücke. Das Ergebnis der Mitteilung kann schon wieder unterschiedlich sein, denn die Übertragung zwischen Sender und Empfänger ist nie frei von Verzerrungen und Verlusten. Aber ein gewisser Grad an Überdeckung muß vorhanden sein, damit Verständigung möglich wird.

Ähnlich ist es mit dem Glauben: auch er ist Mit-Teilung im Sinne eines gemeinsamen Habens. Das gemeinsame Erlebnis des Vertrauens auf Gott oder andere Erscheinungen religiösen Erlebens macht auch das Sprechen über den Glauben erst möglich.

Unsere Sprache ist durch und durch metaphorisch. Die tatsächlichen sinnlichen Eindrücke sind nur wenige, zusammengefaßt durch den "sensus communis", die integrative Kraft des Intellektes oder die Vereinheitlichung in der Mannigfaltigkeit der Eindrücke.

Was sagte ich ? - Glauben und Wissen seien gleichermaßen Dichtung, weil sie mit Metaphern umgehen müssen ? - Hat nicht Aristoteles es schon erkannt, daß alles was ist, zunächst in der Möglichkeitsebene existiert, die den Stoff darbietet, der nach der Form sucht. Ist nicht Sprache die Form, die wir dem Stoff geben, der uns umgibt. Sind wir nicht selbst die Schnittstelle: Stoff und Form in einem ? Das V. Kapitel der Metaphysik deucht mir höchst modern.

Die freie Kunst des Umgangs mit Metaphern ist die Dichtung, die strenge Kunst des Umgangs mit Metaphern ist die Philosophie. Beide sind in der Sprache und stoßen an die Grenzen der Sprache, manchmal erweitern sie die Sprache um Neues, aber soweit es nicht um neue Dinge geht, die von Menschen geschaffen werden, was kann anders Neues sein in der Sprache als neue Metaphern. Diese neuen Metaphern verändern die Sichtweise, den Standpunkt, die Fragen, die wir stellen und damit das ganze Herangehen an das, was wir selbst sind und was außer uns ist.

Am Anfang war das Wort - und das Wort wurde Fleisch. Der ANFANG selbst schon eine Metapher, denn wir kennen jeder viele Anfänge, aber keinen Anfang an sich. DER ANFANG als erstes Bewegtes, erstes Beginnendes, der All-Anfang ist eine Extrapolation in die Zeit vor der Zeit, ein Universale, das unser Geist schafft. DER ANFANG ist auch das, das alles Begründet und damit Grund für alles, das "ist". !Prima causa", bei dem der unendliche Regreß des "warum" abbricht, den wir Menschen als fragende Kinder beginnen. Nicht zufällig verlegt Dante den Zustand der Frag-Losigkeit ins Paradies.

DAS WORT, auch ein Universale - die Wörter zusammenfassend und erst damit sinn-stiftend. Das Wort als Erweiterung der Wörter, zugleich als Grund und Bestandteil der Sätze. Übrigens aller Arten von Sätzen, nicht nur der propositionalen, sondern - gerade auch in der Heiligen Schrift - der Imperative und - nicht zu vergessen - der Fragen, des verzweifelten Suchens und des Vertrauens der Kreatur, des sich als geschaffenes, durch das WORT erst als geschaffen empfindendes Wesens. Und das Wort wurde FLEISCH: exemplarisch in Jesus Christus, täglich in jedem neugeborenen Kind, in jedem Mitmenschen. Das Wort materialisiert sich, das Universale wird zum Individuum, das Nomen zum Reale.

Das Licht ist uns vertraut von dem Moment an, an dem wir das Licht der Welt erblicken - aber was ist mit den Blinden, die nie das Licht erblickten - was ist mit der inneren Erleuchtung, den göttlichen Funken, den die Gnostiker in jedem Menschen vermuten. Sind das Metaphern ? - wenn ja, was sagen sie dem Blinden ? Ist nicht auch das Licht etwas, was wir nicht bei der Geburt erblicken, sondern welches uns erst bewußt wird, wenn wir nicht nur sehen, sondern etwas sehen?

Muß nicht erst ein LICHT in diese unsere Welt kommen, damit wir das Licht sehen - und nicht nur erblicken?  Das, was uns zuhanden ist, uns von Anfang an in der Umwelt, in die wir geworfen sind, umgibt, kommt uns überwiegend über den Gesichtssinn ins Blickfeld. Bleiben wir beim "theorein", beim Betrachten aus der Distanz, dann verarbeiten wir das Licht, das von dem Gegenstand ausgeht. Gehen wir mit dem Gegenstand um, dann automatisiert sich bald dieser Umgang zur Routine - wir können blind damit umgehen - blind schreiben - das geht, aber blind betrachten oder blind lesen - das geht nicht.

Oder doch ? - Die Existenz einer Blindenschrift zeigt, daß die Umstellung vom Gesichtssinn auf einen anderen Sinn durchaus möglich ist.

Doch das Licht ist mehr als eine Metapher, es ist der Grenzfall dessen, was ist. Was uns von den Dingen erscheint ist der Reflex des Lichtes an Teilen der Dinge. Das Licht selbst aber ist das Photon mit der Masse Null, die Welle, die Zeit erst definiert, selbst aber zeitlos oder besser außerhalb der Zeit "ist".

Unser Wissen ist überwiegend eine Menge propositionaler Aussagen, in deren Richtigkeit und Wahrheit wir vertrauen, weil "das Verfahren" - Konfuzius würde sagen "die Riten" - für ihre Begründung eingehalten wurden. Diese Riten sind historischer Natur und also veränderlich. Das heißt nicht, daß sie beliebig sind, denn der Fortschritt im Wissen geschieht ja gerade dadurch, daß das Vertrauen in manche Verfahren enttäuscht wurde und zur Verwerfung solcher Verfahren geführt hat, während bisher erfolgreiche "Riten" beibehalten werden, es sei denn konkurrierende, auf das gleiche Ziel hinstrebende Riten sind noch erfolgreicher.

Der Begründungsritus für einen religiösen Glauben ist ganz anderer Natur als der für das Wissen angewendete. Ebenso wie das Wissen wird er im Zuge der Sozialisation eingeübt, durch Überzeugung und Überredung vermittelt und weitergegeben und verändert sich im Spannungsfeld zwischen Tradition und Neuerung. Zugleich setzt er Vertrauen darin, daß uns der Weg schon gegeben ist, auf dem wir fahren müssen, damit wir gut fahren

Wir wissen, daß Rom eine große Stadt ist, weil wir darin vertrauen, daß unsere Lehrer - und zwar alle: Eltern, Schullehrer, Bücher, Freunde usw. - keine Betrüger sind. Waren sie es doch einmal, ist tiefes Mißtrauen in alles Wissen die Folge. Wir halten die Verfahren ein, wenn wir uns an die herrschende Lehre halten - seien es die Mehrheit der Lehrer oder sei es die Autorität des einen oder der wenigen Berufenen. Das moderne Verfahren schreibt vor, daß Gründe genannt werden, daß also die Einwohnerzahl Roms genannt wird - Zahlen gelten als besonders überzeugend.

Die Existenz einer Stadt namens Rom wird dabei vorausgesetzt. Der Zweifel bleibt formal möglich, die Probe aufs Exempel aber bleibt vielen verwehrt.

Die Bibel ist Dichtung. Sie ist Allegorie. Sie ist aufgebaut aus Metaphern. So spricht sie über Gott. Das was Menschen fassen können sind Bilder, Worte sind nur Ersatz dafür. Es ist wohl kein Zufall, daß die bilderverbietende Religion des Islam so eine bilderreiche Sprache für Himmel, Paradies und Hölle hat wie kaum Dante sie hätte besser erfinden können.

Unser Wissen ist ebenfalls Dichtung. Es ist Produkt des Intellekts, der sich der Metaphorik bedient um analoge Verhaltensweisen hervorzurufen. Was ist Energie, was Kraft - die wissenschaftlichen Begriffe davon sind Abstraktionen alltäglicher Erfahrungen. Daß Masse und Energie äquivalent sind, das ist keine Erfahrung, sondern ein Bild, das erklären soll, damit bestimmte Erfahrungen verständlich werden.

Theologie und Philosophie

Der Fragesatz - oder "der Kaiser ist ja nackt!"


Fragen wir richtig ? - Die Wende zur Richtigstellung der Begriffe ist  von Konfuzius bis Wittgenstein eine entscheidende Wende zu neuen Fragen. Der Paradigmenwechsel, von dem Kuhn spricht, was ist er anderes als ein neues Herangehen an die Probleme, ein neues Fragen ?

Wenn über lange Zeiträume die Antworten gesucht und ausprobiert worden sind, die auf die gestellten Fragen "im Gestell", das wir immer schon vorfinden, antworten, dann kommt fast zwangsläufig einmal der Moment, wo wir innehalten und feststellen müssen: die Frage ist ja ganz falsch gestellt. Das ist so wie in dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern: "der Kaiser ist ja nackt!" - ruft ein naives kleines Kind aus, denn die Großen sind zu dessen unbefangenen Blick nicht mehr in der Lage. Sie haben sich in ihrer ganzen Sozialisation daran gewöhnt, mit bestimmten Fragen zu leben, und in vielen Dingen auch mit fertigen nicht mehr reflektierten Antworten.

Deshalb ist die Analyse des Fragesatzes aufschlußreich für unser Denken und Handeln. Sokrates war der große Frager. Die Antworten holte er mit seiner Hebammenkunst, der Maieutik, aus den Dialogpartnern heraus. Antworten, die Jahrtausende Bestand hatten, aber auch Antworten auf falsche Fragen. 

Kant stellte an den Anfang der Philosophie drei Fragen:

Was können wir wissen ?  -  was sollen wir tun?   -  was können wir hoffen ?

Kant sagt: WIR. Die Intersubjektivität der Fragen setzt Kant zu Recht voraus, denn sagen kann ich etwas allein, aber Fragen richte ich immer an einen anderen. Und richte ich eine Frage introspektiv an mich selbst, dann an ein Selbst, das ich mir gegenüber objektiviere und in dem sich meine gesellschaftliche Sozialisation spiegelt. WIR, das sind wir als menschliche Gemeinschaft. Kant stellt diesem WIR keine anderen, kein nicht-WIR gegenüber, es ist ein umfassendes WIR, das niemanden ausschließt.

WAS: Das Fragewort Was fragt nach einem Et-was, einem Gegen-stand, etwas das ist und nicht nicht-ist.  Es gehört zu dem Verb, das die Frage näher qualifiziert und ist für sich allein nur eine Partikel ohne vollständige Bedeutung.

Zur Frage nach dem WISSEN gehört das KÖNNEN: Auch das Können beginnt mit dem Aufwachsen in einer Gemeinschaft. Es ist das Ausmessen des Raumes meiner Möglichkeiten, das Ertasten der Grenzen meiner Kräfte, und es umfaßt in der WIR-Form die Energien, die erst durch die Gemeinsamkeit mit anderen freigesetzt werden.

WISSEN: das heißt immer etwas wissen. Dieses etwas sind Antworten auf Fragen. Dabei kann das Wissen in fast schon automatischen Handlungsabläufen bestehen oder in Assoziationsketten des Denkens. Um Wissenschaft zu sein, sollte es immer in die Form von Antworten auf Fragen gekleidet werden können. Das Wissen ist geborenes oder erworbenes Wissen, also immer ein Rückgriff auf die Vergangenheit. Wenn das Wissen erworben wird ist es noch ein Tun, dann wenn es bleibt, wird es zu Wissen. Doch wir können nicht alles wissen - um die Grenzen dessen, was wir wissen können, geht es Kant.

Zur Frage nach dem TUN gehört das SOLLEN: Hier ist für Kant ein Imperativ im Spiel. Er meint nicht das Sollen im Gegensatz zum Müssen. Es ist ein sollen im Sinne einer richtigen Entscheidung in Erfüllung der Pflicht zu einem Guten.

WAS also sollen wir TUN: hier geht es um das bewußte Handeln aus freiem Willen. Etwas tun kann auch das nicht-tun umfassen. Das Tun, das dem Sollen unterliegt ist der Vorgang der Wahl, der Wahl für den weiteren Handlungsablauf.  Das Tun ist die Gegenwart, die nicht einholbar ist und damit zu einer ständig erneuerten Aufgabe des Lebensvollzuges wird.

Zum HOFFEN gehört das DÜRFEN: Damit wird die Hoffnung in den Zusammenhang mit der Freiheit gestellt. Wir können etwas wissen, sollen etwas tun, aber das Hoffen ist uns erlaubt - wir dürfen, aber wir müssen es nicht.

WAS HOFFEN: Die Ziel der Hoffnung ist das Noch-nicht, sie ist in die Zukunft gerichtet, auf einen Zustand oder eine Handlungsabfolge, jedenfalls auf beschreibbare Tatsachen, die in der Zukunft liegen.

Wie lernen wir das Fragen ? - Die Frage "WARUM" ist die Vollendung der menschlichen Neugierde. Die Frage "IST ES SO ?" klärt Sachverhalte, sucht die Bestätigung JA/NEIN für einen Aussagesatz.

(Zusatz am 7.5.1994)

Der zentrale Begriff jeglicher Religiosität ist die DEMUT. Der Mensch neigt dazu, seine Grenzen nur als störend zu erleben und sich über sich selbst zu erheben. Das zieht die Verachtung anderer Menschen nach sich.

Demut heißt, anzuerkennen, daß man selbst nicht in der Mitte steht, daß etwas anderes höher ist als unsere Ziele und unsere Person. In dieser Demut erniedrigt sich das Individuum selbst, aber es wird erhöht in seiner Menschenwürde, die erst in dieser Demut wirklich erlebt wird.

Das Streben nach Macht, Geltung und Reichtum ist nicht auf Ewiges gerichtet, vergänglich ist der Ruhm, die Macht zerrinnt in den Händen und die Geltung stößt schnell an Grenzen, im Tode sind alle wieder gleich arm. Die Liebe aber ist in jedem Augenblick ein Funke der Ewigkeit.

Was ist GOTT ? - Die christliche Welt glaubt an den einen GOTT - nicht an die Vielheit der Götter wie es die Griechen und Römer einst taten. Aber die Vielheit ist aufgehoben in der Einheit - in dem Einen ist alles enthalten,  alles Tun und alles Leiden und alles Sein. Der Schöpfer, der Vater genannt wird, der sah, daß er gut getan hatte, der Menschensohn, der das Kreuz auf sich genommen hatte und der Heilige Geist, der war, ist und immer sein wird. 

Wer im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes taufr, der betet für den Täufling zu dem einen GOTT als demjenigen, der getan hat und tun wird, der gelitten hat und das Leiden für alle aufheben wird, der mit seinem Geist belebt und erfüllt.  Persona ist im Lateinischen nicht Individuum in unserem modernen Sinne. GOTT als Person ist eher der archetypische Charakter in einem antiken Theaterstück (einst ja auch eine religiöse Veranstaltung) und die Dreieinigkeit ist die Manifestation der drei Aspekte ein und desselben Charakters.

Woher nehmen Christen die Sicherheit im Glauben ? - Weil GOTT die gesammelte Erfahrung der Menschheit ist, die Natur, die uns nährt und kleidet, die Menschen um uns herum, unter denen in historischer Zeit einer war, der gelitten hat, weil er als Menschensohn auf Erden wandelte, die Welt der Gedanken und Ideen, die die Welt erfüllen, ohne materiell zu sein und doch gebunden an die Existenz der Schöpfung und der Menschen hier und heute.


Das Geschlecht der Engel oder Thomas von Aquin und das Mysterium Christi

In der "Summa contra Gentiles" setzt sich Thomas von Aquin ausführlich mit den Häretikern auseinander, die von dem Wege abzweigen, den die katholische Kirche bis zu seiner Zeit gegangen ist.  Thomas ist ein Vorbote des aufkeimenden Rationalismus - auch wenn er sich in den Formen der Scholastik hält. Seine Thesen wollen vom Verstand und durch die Vernunft begriffen sein, für Mysterien hat er wenig Verständnis. Nicht 'credo quia absurdum', sondern klare und deutliche logisch konsistente Ableitungen in wenn-dann-Konstruktionen sollen den Glauben stützen. 

Dabei stellt Thomas natürlich nicht das Christentum als solches infrage, sondern seine Deduktionen bewegen sich innerhalb des einmal gesetzten Systems von Glaubensssätzen, die durch Kirchenväter, Konzilien, päpstliche Autorität und schließlich auch auf Grund der Heiligen Schrift fixiert sind. Und weil diese Autoritäten nicht selbst infragegestellt werden können, ist die Kritik des Thomas eine immanente Kritik, die bedeutungslos wird, wenn ihre Grundlagen nicht als geltend angenommen werden. Das Sakramentum wird Teil eines in sich logischen und folgerichtigen Systems, das keine inneren Widersprüche zuläßt. Die Garantie für die richtige Art der religio liegt in der Widerspruchsfreiheit des Systems.

Die Ostkirchen sprechen bis heute nicht von "Sakramenten", sondern von "Mysterien" des Christentums, griechisch mystherion, also Geheimnissen, die aufzuklären die ratio nicht in der Lage ist. Damit ist ihnen auch das Räsonnement Thomas von Aquins fremd, das beispielsweise zu begründen sucht, wann genau welche Art von Wandlung in der Eucharistie eintritt. Die Orthodoxie stellt diese Frage gar nicht, sondern hält sie für unfromm. Im richtigen Vollzug der Liturgie liegt die Garantie für den religiösen Weg, nicht in logisch rationaler Deutung.

Westlichem Denken ist diese Haltung fremd geworden. Unsere Auffassung von Wissenschaften läßt Pluralität der Ansätze durchaus zu, verlangt aber zur Begründung des Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit die Widerspruchsfreiheit eines wissenschaftlichen Systems. Religion und Theologie fallen für uns auseinander, weil Theologie Wissenschaft sein will - jedenfalls die des Thomas und seiner Nachfolger bis auf den heutigen Tag.

Gehen wir zurück auf die Zeit vor der Rationalisierung der Theologie, zu den naiven, heute noch volkstümlichen Formen der Religiosität, dann werden uns manche der Häretiker vielleicht näherstehen als wir es auf den ersten Blick vermuten.

Dort, wo die Theologie Naturwissenschaft sein wollte, also Welterklärung für die uns unmittelbar umgebende Welt bot, dort ist sie zeitgebunden. Die Welt der Bibel und der Antike ist eine Scheibe, sie staunt den Himmel an und spürt die Hölle oder den Hades unter den Füßen. Die natürliche Umgebung ist angefüllt von Engeln und Dämonen und vielerlei Geistern und die Götter Griechenlands und Roms konkurrieren mit vielen neuen Himmelsfürsten, darunter auch der eine Gott Israels, der sein Volk aus Ägyptenland geführt hatte.

Dort wo Theologie Philosophie ist, also eine Erklärung unserer Lebensfragen geben will, ist sie zeitgebunden. Die Welt der Antike und des Hellenismus ist eine andere Realität, als wir sie heute sehen. Vieles ist uns fremd geworden. Die Erscheinung von überirdischen Wesen ist selten geworden, die moderne Analyse der Sprache macht uns bewußt, wo wir reden ohne etwas zu sagen.

Vielleicht sollte Theologie Religion sein ? Also auch eine Form der Liturgie und des Gebetes. Eine neue Theologie, die unsere heutige Naturwissenschaft und Philosophie einbezieht und nicht ausgrenzt, aber durch und durch religio - also Rückbindung an das, was außer uns ist und uns selbst erst von der Subjektivität befreit.

Warum gerade die Häretiker befragen, wie eine neue Theologie aussehen könnte ? - Deshalb, weil sie durch ihre abweichenden Fragen vielleicht auf die offenen - zeitgebundenen - Probleme hingewiesen haben, die die Amtskirche aus Gründen der Glaubenseinheit dogmatisch gelöst oder umgangen hat. Sind nicht viel zu oft die Fragen verworfen worden und nicht erst die Antworten ?

Die Evangelien selbst sind offensichtlich aus sehr unterschiedlichen Blickwinkeln geschrieben worden. Das Johannesevangelium wird gelegentlich sogar als gnostisches Evangelium bezeichnet und nicht zu Unrecht. So sehen wir uns zuerst die Fragen der Gnostiker an:

Die WAHRHEIT hat viele Symbole. Das Wort kann aus vielen Mündern kommen. Es heißt ganz richtig, daß in jeder Religion ein Funken der Wahrheit ist. Unsere Generation baut auf 2000 Jahren Christentum auf und es hieße unsere Wurzeln verleugnen, wenn wir uns nicht auf die religiösen Ausdrucksformen besinnen würden, die sich bei uns in diesen zwei Jahrtausenden herausgebildet haben. Ausdrucksformen die ebenso historisch sind wie Jesus Christus auch ein Sohn seiner Zeit war und die Gottessohnschaft damals ein Ausdruck war, der vielleicht nicht ganz das bedeutet, was er für uns heutige bedeutet.

Aber auch die FALSCHHEIT hat viele Formen und keine ausgeübte Religion ist davon freigeblieben, denn sie wird von Menschen ausgeübt, nicht von Göttern oder Engeln. "An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen", sprach der Herr und verurteilte die Frömmsten, die sich über ihre Mitmenschen erhoben hatten und auf sie herabsahen.

Religion ist daher auch permanente Reformation, wenn sie in der Wahrheit bleiben will, die einmal gewonnen auch wieder verloren gehen kann. Der freie Protestant sucht die Wahrheit nicht in den historischen in den Jahrhunderten verfestigten menschlichen Strukturen, sondern im  Wort allein, in der gesprochenen, in der geschriebenen Sprache, so wie sie überliefert ist. 

Die Sprache aber selbst ist Menschenwerk, wenn auch vielleicht das Göttlichste im Menschen. Sie ist vieldeutig und verwirrend. Wieviel Metaphysik ist nur eine Folge sprachlicher Mißverständnisse ! -  Diese Schranke kann der Mensch nicht überschreiten, denn selbst in die unio mystica führt ohne Sprache kein rechter Weg hinein und ohne Mitteilbarkeit kein Weg hinaus.

Deshalb kann Religion immer nur Allegorie, Symbol sein. Die Poesie führt oft näher an die Wahrheit als haarspalterisches Raisonnieren. Dort wo die Allegorie religiöse Erfahrung vermittelt, dort erst beginnt Wahrheit. Diese Erfahrung aber muß aktiv gesucht werden. Kirche als Heilsanstalt hilft diese religiöse Erfahrung aus dem Kanon zu schöpfen, der in der jeweiligen Religion überliefert ist.  

Aber auch Kirche bleibt eine von irrenden Menschen gestaltete Unternehmung.  Irrend verstehe ich hier als im Wege irrend, damit suchend fortschreitend. So ist auch das Wort nur Anlaß und nicht einfach Inhalt der Religion. Deshalb ist der Streit um Worte auch vordergründig und sinnlos. Denn es können gleiche Inhalte und Taten dahinterstehen.

Die Hölle  - klassisch und modern


Die neue Hölle hat nur einen Kreis, sie ist demokratisch geworden. Der Teufel hat sich dem allgemeinen Pantheismus angepaßt und ist pandiabolisch.

Was haben die Leute eigentlich an, wenn sie in der Hölle braten ? - Dem Klima angemessen, sollten sie nackt sein oder zumindest leichte Baumwollbekleidung  tragen. Die Hitze scheint ja letzlich doch noch begrenzt, denn die Verurteilten braten zwar lange - ja ewig -  aber sie garen nicht.

Bei Hieronymus Bosch ist die Hölle den mittelalterlichen Folterkammern nachempfunden, alles das ist abgeschmackt seit wir die Erfahrung modernerer Höllen haben.

Lassen wir nun die Hölle - davon sind auf Erden genug. Gehen wir über zum Limbo, dem Zwischenraum zwischen Hölle und Leben. Auch den suchen wir am besten auf Erden.

Philosophengeschwätz im Limbus

Philonous: Ist es nicht so, Sokrates, daß alles was ist, letztlich unsichtbar ist und das das was wir sehen nicht ist ?

Sokrates: So ist es.

Philonous: Und ist es nicht so, daß wir das Unsichtbare als Masse und Energie auffassen können.

Sokrates: So ist es.

Philonous: Dann können wir aber sagen, daß alles ist und auch nicht ist, denn es ist, wenn wir allem den Namen Masse oder Energie geben, es ist aber nicht, wenn wir es fassen wollen. Es ist unfaßbar. Es ist ein Nichts.

Harmodios: Was redest Du von Nichts, wenn Du mit uns hier sprichst. Harmodios liebt Aristogeiton und Aristogeiton liebt Harmodios, wie soll da die Rede von Nichts gelten ?

Aristogeiton: Und wenn es auch Nichts wäre, so ist es doch faßbar. Denn wir fassen uns gegenseitig bei der Hand und wissen umeinander.

Parmenides: Das Nichts ist nicht, alles ist nur Sein. Und es ist nur eines und das ist das Sein, das in sich ruht.

Heidegger: Das Nichts nichtet.

Schopenhauer: Windbeutel!

Nietzsche: Gehst Du zum Philosophen, vergiß die Peitsche nicht!

Sokrates: Ich weiß, daß ich nichts weiß.

Philonous: Eben deshalb weißt du alles, o Sokrates, weil du das Nichts erkannt hast.

Berkeley: Esse est percipi. Non esse est non esse est non esse est non esse,....

Russell: Hör auf mit dem unendlichen Regreß, steig auf die Metaebene.

Wittgenstein: Und wirf dann die Leiter weg auf der Du aufgestiegen bist.

Berkeley: Es ist nichts, was außer meinem Geist und dem Geist Gottes ist,

Wittgenstein: deine Beulen, die du dir beim Anrennen gegen deine Sprache geholt hast, eitern schon.

Hippokrates: Dann hilf ihm doch !

Wittgenstein: Worüber man nicht reden kann, da soll man schweigen.

Boethius: Der Trost liegt im Schweigen.

Buddha: IM NIRWANA

Johannes: Am Anfang war das Wort.

Aristoteles: Der Logos erst macht uns zu Menschen.

Hegel: Und der Logos kam zu sich selbst, ging von sich aus und kehrte in sich zurück.

Schopenhauer: Windbeutel!

Marx: Nicht Wille und nicht Vorstellung ist die Welt, sondern das Sein, das das Bewußtsein bestimmt.

Gott: Ende der Vorstellung - mein Wille geschehe!