Günter Abel -Interpretationswelten

Günter Abel -Interpretationswelten
Eine Auseinandersetzung mit seinen Thesen


VON GBOOM · VERÖFFENTLICHT 30. JANUAR 2016 · AKTUALISIERT 17. SEPTEMBER 2023

Seite 14:… In diesem Buch wird offenkundig ein bestimmter Interpretationsbegriff verwendet. Er lässt sich wie folgt kennzeichnen.

Mithilfe des Grundwortes“ Interpretativität“ und als Interpretationsprozesse können diejenigen Vorgänge charakterisiert werden, in denen wir etwas als ein bestimmtes Etwas phänomenal diskriminieren, Identifikationen und Re-Identifikationen vornehmen, Prädikate und Kennzeichen applizieren, Zuschreibungen durchführen, Zusammenhänge konstruieren, durch Einteilungen klassifizieren und in Bezug auf so formierte Welten dann über Meinungen, Überzeugungen und auch über ein gerechtfertigtes Wissen verfügen.

Der Begriff der Interpretativität wird anschließend selten verwendet und es ist auch unklar, was damit gemeint ist. Es scheint, dass Abel „unserer Welt“ diese Eigenschaft der „Interpretativität“ zugestehen will, „Welten“ also für interpretierbar – und zugleich für immer schon interpretiert annimmt.

Die Interpretationsprozesse sind Vorgänge der Identifikation. Vorgänge sind Abläufe in der Zeit. Wir Menschen sind es, die identifizieren, indem sie phänomenal diskriminieren, also etwas von seiner Umgebung unterscheiden. Wir heben das Unterschiedene dann aus seiner Umgebung heraus und bestimmen es damit als ein „Etwas“, das zur Erkennung und Wiedererkennung, also zur Identifikation über die Zeit bestimmte Kennzeichnungen bekommt.

Das sind die genannten „Prädikate und Kennzeichen“, die „appliziert“ werden, in der Regel wohl symbolische und sprachliche Zeichen, mit denen dem „Etwas“ etwas zugeschrieben wird, es also Eigenschaften zugeordnet bekommt.

Zugleich liegen schon „Welten“ vor, die mit Hilfe von „Einteilungen“ die „Etwasse“ – man könnte sie auch Dinge oder Sachverhalte nennen – von anderen de-finieren, also abgrenzen und somit klassifizieren, also dem Ergebnis der Einteilungen Klassennamen geben. Damit bekommen die vorliegenden „Welten“ Strukturen und werden so zu „formierten Welten“.

In Bezug auf die so strukturierten Welten verfügen wir dann über Meinungen, Überzeugungen und auch gerechtfertigtes Wissen. Mit „in Bezug auf“ meint Abel wohl, dass die Gegenstände des Meinens oder Wissens die „Etwasse“, die Dinge und Sachverhalte in diesen interpretierten Welten sind, sich also darauf beziehen.

Was beschrieben wird, ist zunächst die IDENTIFIKATION von Etwas in einer vorgefundenen Welt durch phänomenale Diskriminierung und Zuordnung von Eigenschaften. Diese Identitifikations-Vorgänge selbst als INTERPRETATIONS-PROZESSE zu bezeichnen, scheint mir die Einführung eines überflüssigen Begriffs.

Die INTERPRETATION kommt ins Spiel, wenn die vorgefundenen Welten durch Einteilungen in Klassen von Dingen und Sachverhalten strukturiert, oder wie Abel sagt: „formiert“ werden. Denn diese Einteilungen können in unterschiedlicher Weise vorgenommen werden, ja es kann Einteilungen geben, die „andere Welten“ generieren. Die vorgefundenen Welten sind bereits interpretiert. Damit geht die Interpretation dieser Welten der Identitifikation voraus, die ja nur Dinge und Sachverhalte in bereits interpretierten Welten identifizieren kann.

Seite 14: heuristisch kann man zumindest drei Ebenen und drei Hinsichten des Interpretationsbegriffs unterscheiden, wie dieser im Interpretationismus und in dem vorliegenden Buch verwendet wird. Was die Ebenen betrifft, so können die ursprünglich-produktiven und sich in den kategorialisierenden Zeichenfunktionen selbst manifestierenden konstruktbildenden Komponenten, die in jeder Organisation von Erfahrung bereits vorausgesetzt und in Anspruch genommen sind, in “Interpretationen1“ genannt werden. Dagegen heißen die durch Gewohnheit verankerten und habituell gewordenen Gleichförmigkeitsmuster “Interpretationen2“ und die aneignenden Deutungen, zum Beispiel Vorgänge des Beschreibens, Theoriebildens, Erklärens, Begründens oder Rechtfertigens, werden im folgenden “Interpretationen3“ genannt.

 

Der Begriff der Interpretation ist seinerseits wieder Interpretationen zugänglich. Wollte man hier analysierend vorgehen, dann wäre man schnell in einen Zirkel von Interpretationen und Meta-Interpretationen verwickelt. Abel spricht daher richtigerweise nur von einer Heuristik der drei Ebenen und der drei Hinsichten.

Die Interpretationen2+3  sind im umgangssprachlichen Begriff der „Interpretation“ sicher in gewissem Umfang mit enthalten, aber für eine unmissverständliche Sprechweise haben wir ja genügend präzisere Begriffe wie: Beschreiben, Theorien bilden, Erklären, Begründen, Rechtfertigen, Traditionen und Gewohnheiten annehmen und der Gewohnheit folgend handeln.

Warum sollte man hier den Begriff der Interpretation so weit zu einer – wenn auch heuristisch definierten – umfassenden Klasse ausweiten anstatt, was in Abels Buch „Interpretationswelten“ ja mit seltenen Ausnahmen auch geschieht, den Begriff für den Zweck der Untersuchung auf Interpretation1 zu beschränken.

Seite 33: Strawson sieht den tiefen Punkt der skeptischen Folgerungen von Denkern Humescher Prägung darin, dass diese nur dann mit Sicherheit von einer durchgehenden Identität physikalischer Dinge glauben sprechen zu dürfen, wenn eine kontinuierliche Beobachtung dieser Dinge vorliegt. Da dies aber faktisch nicht der Fall ist, kommen diese Philosophen zu dem Schluss, dass Identität etwas „feigned or illusory or at best doubtful“ sei.

 

Das ist sicher eine überholte Position, da es zur Zeit Humes physikalische Vorgänge als etwas angesehen wurden, das ausschließlich in einem Kontinuum stattfindet. Da Beobachtungen aber oft diskrete, punktuelle Beobachtungen, sind, die natürlich auch nicht von der gleichen Person ständig festgestellt werden, lässt sich daran kein Begriff einer kontinuierlichen Identität festmachen.

Hier kommt es aber eher auf die Wiederholbarkeit von Beobachtungen, speziell auf die Wiederholbarkeit von Experimenten, an. Jede Identität steht unter dem Vorbehalt, dass sie in einem raumzeitlich strukturierten Vektorraum ständig ihren Standort wechselt. Es bedarf also „identifizierbarer“ Eigenschaften, die sich experimentell an verschiedenen Stellen von Raum und Zeit wiederholen, also erneut identifizieren lassen.

Seite 38 f.: Sodann ist zu bedenken, dass für das erfolgreiche Funktionieren unseres sprach-und grundbegrifflichen Systems und unserer Sprachspiele ein Wissen (um numerische Identität) im strengen Sinne subjektiver und objektiver Verbindlichkeit nicht gefordert und ein glaubendes, d.h. subjektiv verbindliches (und vom bloßen Meinen, das weder subjektiv noch objektiv verbindlich ist, unterschiedenes) Fürwahrhalten zureichend ist.

 

Im Grunde kann die Aussage auf unsere Lebenswelt insgesamt bezogen werden: nicht nur das sprachliche, symbolische System, sondern auch das In-der-Welt-Sein wird in „glaubendem Fürwahrhalten“ angenommen. Wissen, Fürwahrhalten und Meinen sind tägliche Verhaltensweisen bei der Bewältigung unserer Lebenswelt. Das glaubende Fürwahrhalten dürfte alle anderen Herangehensweisen überragen, glaubend in Vertrauen auf Eltern und Erzieher, auf Lehrer und Professoren, religiösen und anderen Autoritäten.

Seite 40: Zum anderen ist daran zu erinnern dass weder die Bedeutung noch die Referenz unserer natürlichen Ausdrücke etwas zeitlos Fest-Stehendes sind.

… Es ist abhängig von der Funktion, in der die Ausdrücke in Äußerungen, Sätzen, Kontext, Zeit und Situation eingesetzt und gelesen werden. Die Fixierung von Bedeutung und Referenz ist pragmatisch verankert und wird letztlich unter praktischen Einschränkungen vorgenommen.

… Ein Grenzfall ist, dass die (mit propositionalen Einstellungen, Interessen und Relevanzen verwobene) Bedeutung eines Ausdrucks sogar beim Einsatz durch ein und denselben Sprecher in zwei zeitlich unterschiedenen Situationen nicht absolut identisch ist.

 

Bedeutung und Referenz stehen also auf schwankendem Boden und werden jeweils im konkreten Fall pragmatisch verankert. Sogar die gleiche Person kann zu verschiedenen Zeiten mit gleichen Ausdrücken anderes meinen.

Seite 47: Unser Begriffssystem scheint uns auf eine Ding-Ontologie zu verpflichten. Demgegenüber kann man aber zeigen, dass nicht nur Ergebnisse der Wissenschaften, sondern vor allem die logische Analyse von Kausalprozessen sowie von Handlungssätzen dazu führen, eine Prozess- und Ereignis-Ontologie zumindest gleichrangig zu behandeln, wenn nicht gar ihr den Vorzug zu geben.

 

Hier geht es um die anfangs genannten Welten, die durch verschiedene Einteilungen in Dinge und Sachverhalte zustandekommen. Abel meint, dass die Einteilung in Dinge nicht unbedingt vorrangig wäre. Prozesse und Ereignisse  beschreiben, wie sich Sachverhalte in der Zeit verändern.

Seite 51: Und dies läuft darauf hinaus, dass wir es auch im Wissen stets mit Interpretationswelten zu tun haben. Für endliche Geister ist zudem kennzeichnend, dass es für sie keinen Standort außerhalb des Netzwerks ihrer Interpretationen geben kann, dass dieses Netzwerk im ganzen nicht überschaut, nicht distanziert, nicht hintergangen und auf keine Weise operational oder willentlich (etwa durch Ratschlüsse, Argumente oder wissenschaftliche Methoden) hergestellt werden kann.

Wenn wir etwas über das Wissen aussagen, z.B. dass wir es dabei stets mit Interpretationswelten zu tun haben, dann kann auch dies nicht von einem Standort außerhalb des Netzwerks der Interpretationen getan werden. Das bedeutet aber, dass wir uns auf jeden Fall innerhalb eines Zirkels befinden – ob man ihn nun als hermeneutischen Zirkel bezeichnet oder sich einer interpretationstheoretischen Sprache bedient. Das Netzwerk als Ganzes ist eben nicht hintergehbar.

Abel glaubt offenbar, dass innerhalb der jeweiligen Interpretationswelten durchaus Wissen, Fürwahrhalten und Meinen organisiert werden können, was ihn zu einer Kohärenztheorie der Wahrheit führt. Allerdings ist die Zirkularität von Sprache und Denken, Meinen und Wissen so fundamental, dass ein sicherer Grund auch bei perfekter Kohärenz nicht konstruiert werden kann. Es ist eben doch möglich, dass unsere jeweilige private und gesellschaftliche in sich kohärente Interpretationswelt komplett und fundamental ein falscher Wahn ist. Es ist ja geradezu ein Kennzeichen von Fanatikern, dass sie sich in solche Welten einspinnen, die uns von außen skurill oder ver-rückt erscheinen, für den Betroffenen oder auch eine ganze Gruppe von Sektierern aber völlig einleuchtend bleibt.

Seite 51: aus der großen Anzahl unserer Fürwahrhaltungen diejenigen zu benennen, die gerechtfertigte und wahre Fürwahrhaltungen genannt und in diesem Sinne als Wissen angesprochen werden können, ist selbst keine Deskription mehr, sondern ein Auszeichnen, Bevorzugen, Hierarchisieren, Sortieren und Auswählen, mithin ein komplexer normativer Vorgang.

 

Eine wichtige Aussage: denn es ist eine Sache deskriptiv einen Katalog der Fürwahrhaltungen aufzustellen, aber eine ganz andere diese Fürwahrhaltungen zu bewerten, also beispielsweise als „wahr“, „falsch“, „unentscheidbar“, „unbekannt“, „relevant“ oder „irrelevant“ zu kennzeichnen.

Vor allem aber ist es ein normativer Vorgang, festzulegen, welche Kriterien für solche Kennzeichnungen gelten sollen und auf Grundwelcher Regeln argumentiert werden kann oder nicht, soll oder nicht , darf oder nicht.

Seite 55: die Rede von „meinen eigenen“ Bewusstseinszuständen oder von „meinem eigenen“ Fall wird überhaupt erst durch die kontrastive Einbeziehung der Zustände auch anderer Personen sinnvoll möglich. Umgekehrt verfüge ich erst dann über die Fähigkeit, einer anderen, fremden Person Bewusstseinszustände zuzuschreiben, wenn ich in der Lage bin, gegebenenfalls auch mir selbst solche Zustände zu attestieren.

 

Das ist die auch in anderen Theorien wichtige Zurückweisung des Solipsismus. Ich lerne als Kind mir etwas zuzuschreiben, indem andere es mir explizieren: durch Vorbild, Vormachen, in Worten oder Gesten, vor allem auch durch emotionale Signale. Das Selbstbewusstsein ist genauso ein sozial entstandenes Phänomen wie das Fremdbewusstsein, also die Identifikation der Bewusstseinszustände anderer. Allerdings haben wir auf der Grund der auch hier wieder auftretenden Zirkularität: etwas über mein eigenes oder fremdes Bewusstsein auszusagen setzt Bewusstsein und dessen Aktivität bereits voraus.

So sehr es stimmt, dass Bewusstsein das Produkt von sozialer Erziehung ist, nehme ich doch an, dass es eine Art wachsenden „Alters-Solipsismus“ gibt, wenn ich selbst die in mir vorhandenen sozial vermittelten Erfahrungen intern weiterentwickle.

Seite 61: die Idee der Übereinstimmung gerät auch aufgrund anderer Überlegungen in Schwierigkeiten. So müsste man zum Beispiel vorab bereits einen Begriff von Realität und von Sprache (in der die P-Prädizierungen erfolgen) sowie einen zeichen- und sprachunabhängigen Zugang zu beiden haben, d.h. man müsste um beide sowie um die Entscheidbarkeit zwischen Übereinstimmung und Nichtübereinstimmung vorab bereits wissen. Ein solcher externer Standpunkt ist aber für endliche Geister nicht zu haben.

 

Abel ist skeptisch gegenüber der Korrespondenztheorie der Wahrheit – auch in der Fassung Tarskis. Der „externe Standpunkt“, der für „endliche Geister nicht zu haben“ ist, kennzeichnet genau das Problem der Zirkularität. Es ist erstaunlich wie viele Philosophen aus Furcht vor dem Skeptizismus ständig in eine petitio principii verfallen, in der das Ergebnis bereits Voraussetzung seiner selbst ist.

Ich sehe Tarskis Ansatz daher auch sehr skeptisch, ebenso die Abbildtheorie von Wittgenstein in seinem Tractatus. Der Weg über Metasprachen funktioniert nicht, weil auch Metasprachen wieder Sprachen sind und so bis zum unendlichen Regreß wiederum metasprachliche Beschreibungen benötigen würden.

Seite 68: wir haben uns als die endlichen Geister, die wir sind, mit pragmatisch und praktischen zureichenden Deutlichkeiten zufrieden zu geben. Mehr ist nicht möglich, aber, glücklicherweise, für ein korrektes Verwenden und Verstehen sprachlicher sowie nichtsprachlicher Zeichen auch gar nicht erforderlich.

 

Diese These vertrete ich seit Jahrzehnten: wir können nur eine hinreichende Übereinstimmung von Bedeutungen oder Referenz zwischen Sender und Empfänger, zwischen Sprecher und Hörer erreichen – und wir brauchen auch nicht mehr. Wir verstehen uns meistens, der Raum für Missverständnisse schrumpft aber nie auf Null.

Wenn zwei Menschen miteinander kommunizieren, dann verständigen sie sich auf Grund der zwischen beiden vermuteten bereits vorab bestehenden Konvention der öffentlichen Sprache. Interessant wird es erst, wenn die Verständigung hakt:  dann kommen Fachsprachen ins Spiel, die erlernt werden, um das gegenseitige Verstehen auf besonderen Fachgebieten zu ermöglichen. Wer diese Fachsprachen nicht kann, sagt: „davon verstehe ich nichts!“ –

Außerdem kommt es dann oft zu einem Versuch metasprachlicher Verständigung über das, was gemeint ist. Wenn es gelingt, die Bedeutungsfelder von problematischen Wörtern und Sätzen in größere Übereinstimmung (wieder nur hinreichend!) zu bringen, dann hat sich dieses Wortfeld für beide Sprecher verändert, beide haben also damit ihren Sprachschatz erweitert oder verändert.

Seite 69: die so gegebene Begrenztheit wird noch dadurch potenziert, dass ihr eigener Grund, d.h. der Grund eben dieser Begrenztheit, seinerseits nicht noch einmal deutlich gewusst und nicht klar dargestellt werden, mithin nicht adäquat erfasst werden kann.

 

Wie weit die jeweilige Klärung gehen kann, ist ebenfalls begrenzt, zumal wir nicht einmal in der Lage sind, diese Begrenztheit adäquat zu erfassen. Auch hier stecken wir im Zirkel zwischen der Begrenztheit jeden Ausdrucks einerseits und der Begrenztheit aller Möglichkeiten, diese Begrenztheit zu beschreiben.

Seite 70: Zufriedenstellende Deutlichkeit der Prädikate und Begriffe ist stets eine für uns zufriedenstellende, eine lebenspraktisch jeweils zureichende Deutlichkeit.

 

Was also hinreichend für eine Verständigung ist, das ist eine praktische Frage. Wenn ein Problem gelöst werden soll, dann ist das oft auch ohne ein volles Verständnis der Problemlage möglich. Wenn beide Partner den Eindruck haben, sich gegenseitig zu verstehen und alle Missverständnisse ausgeräumt zu haben, dann ist das hinreichend. Lebenspraktisch kann es sogar hilfreich sein, mit der Fiktion des gegenseitigen Verstehens zu arbeiten, wissend, dass manche Prädikate und Begriffe einfach als ungeklärt unter den Teppich gekehrt werden.

Seite 81: wir können Vorstellungen nicht vergleichen, da wir nicht über ein Kriterium der Gleichheit von Vorstellungen verfügen.

 

Ein Kernsatz: denn, wenn uns kein Kriterium für die Gleichkeit von Vorstellungen zur Verfügung steht, dann auch keines für die Gleichheit von Dingen und Sachverhalten, also den „Etwassen“, deren Identifikation im Rahmen unserer Interpretationswelten uns erst den Stoff gibt, über den wir sprechen und denken.

Seite 82 f.: Darüber hinaus ist zu betonen, dass bei diesen Übergängen nicht der buchstäbliche, sondern der metaphorische Gebrauch symbolisierender Zeichen die entscheidende Rolle spielt. Metaphorisch ist der Gebrauch eines Zeichens dann, wenn das Zeichen (genauer: das ganze Schema alternativer Kennzeichen, dem es zugehört, also zum Beispiel nicht bloß isoliert das Prädikat „kalt“, sondern das Schema der Temperaturprädikate) aus seinem heimatlichen Bereich gelöst und in einen anderen Bereich transferiert und dort zum Zwecke der Neu-oder Um-Organisation eingesetzt, zum Beispiel das Temperaturprädikat „kalt“ zur Kennzeichnung einer Farbe verwendet wird.

 

Ich bezweifle, dass es für den Gebrauch von Zeichen so etwas wie den „heimatlichen Bereich“ überhaupt gibt. Das Wort „kalt“ wird nicht erst Metapher, wenn es z.B. für eine farbe verwendet wird. Für den Physiologen steht es z.B. als Metapher für die Empfindungen von Menschen, die objektiv gesprochen taktilen Kontakt zu Gegenständen mit tiefen Temperaturen haben. Sprache ist aus meiner Sicht hoffnungslos metaphorisch, auch da, wo es angeblich um „wörtliche“ Bedetungen geht.

Seite 87: Wir sind in Theorie und Praxis so verwegen, auf relativ schmaler Basis umfassende Aussagen über die äußere Welt und deren Geschichte sowie, im Falle von personalen Fremdzuschreibungen, in ähnlicher Weise über die innere Welt einer anderen Person und deren Entwicklung zu machen.

Das trifft zu: unsere Denkgebäude und damit unsere Vorstellungen von der uns umgebenden Welt als die uns zugängliche Realität stehen auf ganz schwachen Fundamenten.

Seite 90: Sprachliche Ausdrücke sind in ihrer Referenz und Bedeutung zunächst allgemein. Zunehmende Bestimmtheit erhalten die Sätze, Prädikate und Ausdrücke stets erst durch Interpretationen2+3.

 

Dieser Satz ist möglicherweise banal: wenn Referenz und Bedeutung durch den praktischen Gebrauch in Sprache und Lebenswelt bestimmt werden, dann ist klar, dass alle die Formen des Gebrauchs, die am Anfang des Buches als Interpretationen2+3 bezeichnet werden, zur zunehmenden Bestimmtheit beitragen. Das ergibt sich sozusagen aus der Definition von Interpretation 2+3.

Seite 91: Der Zuwachs an Bestimmtheit und der korrelative Abbau der zunächst vorhandenen Allgemeinheit von Referenz und Bedeutung durch interpretatorische Schritte erreicht in der Praxis dann gewöhnlich einen pragmatisch (d.h. für einen bestimmten Zweck, zu gegebener Zeit und relativ auf Situation, Kontext und beteiligte Individuen) zufriedenstellenden Grad an Bestimmtheit.

 

Wie schon weiter oben bemerkt, erscheint mir die Erweiterung des Interpretationsbegriffs auf alle Tätigkeiten von Denken, Wissenschaft, und anderen Formen der Lebenspraxis nicht sehr vielversprechend. Es wird zu einem Begriff für beliebige Aktivitäten. Dass aber im lebenspraktischen Gebrauch Referenz und Bedeutung sich verändern und – hoffentlich – präzisieren lassen, das ist richtig.

Seite 106 f.: Der radikale philosophische Skeptizismus führt somit in die Interpretationsphilosophie. Und insofern in dieser dafür argumentiert wird, den Dualismus von Interpretation1 und Welt aufzugeben, mithin unsere Interpretationswelten als unsere Welten zu behandeln, kann erst in einer interpretationsphilosophischen Optik die These zurückgewiesen werden, wir könnten uns (nicht nur mit unseren Interpretationen2 und Interpretationen3, sondern) mit allen unseren fürwahrhaltenden Interpretationen, zugleich und im ganzen im Irrtum befinden.

 

Was für einen Dualismus meint Abel genau? Da die uns zur Verfügung stehenden Welten ja von vornherein interpretierte Welten waren, frage ich mich wo der zweite Aspekt des Dualismus ist: das könnte dann ja nur so etwas wie Kants „Ding-an-sich“ sein. Da dies aber nicht nur vom radikalen philosophischen Skeptizismus als unerkennbar und damit letztlich für unser Erkennen irrelevant erweist, braucht ein Dualismus gar nicht erst aufgegeben werden, er macht von Anfang an keinen Sinn. Die Interpretation1 ist also bereits die einzige Art von Welten, die wir als „unsere“ haben können. Mit der Zurückweisung der These, dass wir uns vielleicht im Ganzen im Irrtum befinden hat das wenig zu tun. Die radikale Skepsis wird dadurch nicht widerlegt.

 

… Die Dichotomie von wahrer und irrtümlicher Welt wird als solche zurückgelassen. Unsere Welten sind stets Interpretationswelten.

 

Wenn unsere Welten stets Interpretationswelten sind, dann fragt sich, ob es denn innerhalb dieser jeweiligen Interpretationswelten so etwas wie wahre und irrtümliche Welt-Anschauungen gibt, ob also trotz des fundamentalen Relativismus zwischen den vielen möglichen Welten, innerweltlich dennoch Wahres und Falsches gibt.

Seite 107: der Humesche Skeptizismus steht zum einen im Dienste der die Verbindung von Kausalität und Notwendigkeit leugnenden Grundthese, dass „all our reasonings concerning causes and effects are derived from nothing but custom“, und er wird zum anderen von dem Hintergrundmotiv bestimmt, zu einer Destruktion der Metaphysik des absoluten Wissens zu gelangen.

 

Humes Kritik ist nach wie vor gültig. Die Ketten von Ursache und Wirkung sind grundlegend für unser Denken, aber dennoch Folgen einer keineswegs zwingenden induktiven Logik: was immer so war, wird auch immer so sein. Es entspricht der Aussage Abels weiter oben, wo er davon spricht, wie gewagt unsere Theorien und Wissensgebäude sind und auf wie schwachen Fundamenten sie stehen.

Seite 114: Wittgensteins zentrale Denkfigur: „die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, kann interpretationsphilosophisch erweitert werden: die Grenzen meiner Interpretation bedeuten die Grenzen meiner Welt und meines Sinns. Denn über eine Sprache und über Sinn verfügen, heißt, immer schon über eine Interpretation-Praxis verfügen und diese in Anspruch nehmen.

 

Abel sagt damit, dass Sprache plus Sinn eine Interpretationspraxis ausmacht. Auch Wittgenstein versteht unter Sprache ja etwas, das seine Bedeutung aus der Lebenswelt bezieht, in die sie eingebettet ist, also etwas, das durchaus verschiedenen Interpretationen zugänglich ist, und die ja auch in sehr unterschiedliche Sprachspiele eingeht.

Der Satz über meine Sprache als Grenze meiner Welt reicht mir aus. Ich brauche nicht noch die Interpretationen hinzufügen, um die Erfahrung der Grenze zu erleben.  Wenn es dennoch richtig ist, dann würde ich sagen, die Grenzen meiner Interpretationen sind die Grenzen meiner Welten (beides im Plural), denn ich kann ja zugleich in mehreren Interpretationswelten leben: in der künstlerischen Lebenswelt, in der Geschäftswelt, in der Welt des täglichen Überlebens, in der Welt religiöser oder philosophischer Kontemplation.

Seite 117: es ist keine unverrückbare Grenzlinie angebbar zwischen “methodologischen“ Sätzen und Sätzen “innerhalb einer Methode“. Die mangelnde Schärfe hängt damit zusammen, dass zum “Fundament alles Operierens mit Gedanken (mit der Sprache)“ nicht nur Sätze der Logik, sondern auch Sätze von der Form der Erfahrungssätze gehören.

 

Das geht gegen die Unterscheidung, die Carnap vornimmt zwischen Protokollsätzen und den Sätzen der Normalsprache oder einer Metasprache. Ich verstehe den Unterschied wie folgt: Sätze innerhalb einer Methode setzen die Anerkennung der Methode voraus, methodologische Sätze stellen den Anspruch, eine bestimmte Methode zu akzeptieren.

Ich glaube deshalb, dass man den Unterschied zwischen beiden sehr wohl angeben kann. Allerdings trifft wohl zu, dass die Grenzlinie zwischen beiden nicht immer sehr klar beschrieben werden kann, weil es für diese Beschreibung wiederum der Einigung auf eine Methode bedürfte.

Seite 125: das, was wir als Wirklichkeit ansehen, ist abhängig von den Grenzen und Funktionen des sprach-und grundbegrifflichen Systems, dass wir verwenden. Dies ist ein systematisch wie historisch überaus zentraler Punkt. Die externalistische Betrachtungsweise ist bereits im Kritizismus Kants preisgegeben, wenn dieser betont, dass Gegenstand stets Gegenstand in der Erkenntnis ist. Bei Wittgenstein wird Wirklichkeit als eine Projektion unserer Grammatik betrachtet. Austin macht die Frage nach der Natur der Realität zu einer Frage der Analyse des Wortes „real“ und legt dar, dass keine allgemeinen Kriterien zur Unterscheidung des Realen vom Nichtrealen angegeben werden können.

 

Unsere Wirklichkeit kann nach dieser These nur begrifflich-sprachlich erfasst werden. Das, was wir jeweils als Wirklichkeit ansehen, ist davon abhängig wie wir sie interpretieren – also wie wir sie ins Dinge und Sachverhalte einteilen. Da zu jeder Wissenschaft und zu jeder Erkenntnis auch Klassifikation, Einteilung und Definitionen gehören, wird der Gegenstand der Erkentnis und der Wissenschaft sozusagen immanent in seiner Untersuchung auch zugleich konstituiert.

Ich untersuche zum Beispiel den Gegenstand, den ich naiv demokritisch als unteilbares Atom in meiner Welt definiert, also abgegrenzt habe und stelle dann fest, dass dieses aus Elementarteilchen zusammengesetzt ist und sich durch Neutronenbeschuss möglicherweise in mehrere Bruchstücke spalten oder bei unvorstellbaren Temperaturen durch Fusion zu neuen Elementen verschmelzen lässt. Mit allen diesen „Entdeckungen“ konstituiere ich einen neuen Atom-Begriff, der mit dem Ausgangsbegriff wenig mehr zu tun hat.

Über den neu-konstituierten Begriff kann ich vorerst nicht ohne weiteres kommunizieren, außer innerhalb der Forschergemeinschaft, die den Weg der begrifflichen Neu-Konstitution hinreichend deutlich mitgegangen ist. „Hinreichend“ reicht aber auch aus, denn jede Verständigung lässt auch weiterbestehenden Dissens über Bedeutungen und Referenzen zu. So konnten moderne Physiker sich durchaus gegenseitig verstehen, auch wenn der Dualismus von Wellenbeschreibung und Teilchenphysik sich nicht einfach auflösen ließ.

Seite 133 wir haben es stets nur mit gegebenen Vergangenheits-Interpretationen zu tun. Nicht aber ist Vergangenheit ein rein Gegebenes. Die Eine vorfabriziert fertige Vergangenheit und Die Eine Wahre Deskription der Vergangenheit sind nicht zu haben. Damit es eine bestimmte Vergangenheit für uns geben kann, ist es erforderlich, dass kategorialisierende und bestimmende Interpretationen1 ihr Werk immer schon getan haben.

 

Die Vergangenheits-Interpretationen sind das, was unsere „Erfahrung“ ausmacht. Empirie ist immer Auswertung der Vergangenheit. Wie uns die Vergangenheit gegeben ist, liegt erst fest, wenn wir sie interpretiert haben. Wir müssen Vergangenheit genauso erst einmal bestimmen und kategorisieren wie wir es mit anderen Gegenständen des Wissens tun. 

Seite 140: Zum einen wird jetzt in Sachen Beobachtung (die bei Hume für die durch Gewohnheit gebildeten bisherigen Regelmäßigkeiten zentral ist) akzentuiert, dass jede Beobachtung immer schon unter einem Interpretations-Horizont steht.

 

Tatsächlich kann ich nicht einmal etwas sehen, was ich nicht irgendwie schon weiß. Wenn ich etwas bisher unbekanntes sehe, packe ich es gleich in eine bereits bekannte Kategorie – mit dem Risiko falsch zu interpretieren.

Seite 141: Im Unterschied zur deduktiven Logik ist die induktive Logik nicht formal.

 

Die induktive Logik kann m.E. durchaus formalisiert werden. Nur fehlen ihr apodiktische Aussagen und Folgerungen.

 

Seite 147: Real sein bedeutet im wissenschaftlichen Sinne: ein Element des begrifflichen Systems zu sein; und dieses Konzept, so der entscheidende Punkt, „cannot be meaningfully applied to the system itself“. Die Fragen des Skeptizismus seien aber von genau der Art, dass sie diese Unmöglichkeit in Anspruch nehmen müssen, um überhaupt sinnvoll formuliert werden zu können.

 

Erneut holt uns der Zirkelschluss ein: wenn Realität sich aus einem bestimmten Begriffssystems ableitet, dann kann dieses Konzept von Realität nicht insgesamt aus diesem Begriffssystem expliziert werden.

 

Seite 148: Vor diesem Hintergrund betont Carnap, dass diejenigen, die nach der Realität der Dingwelt selbst fragen, nicht eine theoretische, sondern eine praktische Frage stellen, die Frage nämlich nach der Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Sprachstruktur. Dieser Aspekt ist festzuhalten. Carnap räumt damit die Möglichkeit der Wahl zwischen unterschiedlichen Sprach- und Bezugssystemen, mithin Alternativmöglichkeiten ein.

 

Man kann die Welt eben auch mit Hilfe der Sprache der Kunst beschreiben, dann sind Realitäten anders definiert als in den Wissenschaften – und auch zwischen den einzelnen Wissenschaften besteht der erste Unterschied im Jargon. Wenn man sich nur den Jargon einer Wissenschaft aneignet, lassen sich selbst andere Wissenschaftler manchmal davon täuschen und trauen einem ein Wissen zu, das am Ende die Probe auf wirkliches Verstehen nicht besteht.

Carnaps Antwort muss konsequenterweise lauten: „To accept the thing world means nothing more than to accept a certain form of language, in other words, to accept rules for forming statements and for testing, accepting, or rejecting them“.

 

Wenn ich mir Berkeleys Werk anschaue und seinen Kernsatz – esse est percipi –  analysiere, dann verwendet er allerdings eine Sprache, die sich von der üblichen durch Wissenschaftssprache ergänzten Umgangssprache kaum unterscheidet. Die Sprache ist also so flexibel, dass sich auch eine Theorie darin formulieren lässt, die gerade die Ding-Welt nicht akzeptiert. Ich habe daher den Verdacht, dass auch bei Akzeptanz der Ding-Welt die Sprache, die sich Carnap dafür dienstbar macht, weitgehend metaphorisch ist und deshalb auch für das Gegenteil fungibel bleibt.

Seite 149: Unter dem Einfluss Wittgensteins lehnte bereits der Wiener Kreis in diesem Sinne sowohl die These von der Realität der Außenwelt als auch die Gegenthese von der Irrealität der Außenwelt als Scheinprobleme ab

 

Scheinprobleme sind ja für den Wiener Kreis alle die Probleme, die sich prinzipiell durch rationale Überlegung nicht entscheiden lassen. Das Fragen nach unentscheidbaren Propositionen kann ja trotzdem sinnvoll sein, und sei es nur zur Explikation des spannenden Themas der Unentscheidbarkeit.

Ich würde nicht von Scheinproblemen reden, sondern von irrelevanten Problemen, die auf die Praxis in der Lebenswelt keinerlei Auswirkung haben.

Seite 153 f.: Urteile, Behauptungen und Ansprüche, die nicht auch in Zweifel gezogen werden können, können keine vernünftigen, sondern müssen dogmatische sein. Die Argumentationslasten liegen, sobald jemand auftritt und nach Gründen der Geltung fragt, vor allem auf Seiten dessen, der urteilt, behauptet und Anspruch erhebt, dass die Dinge so-und-so seien und⁄oder sein sollten.

 

Die Argumentationslasten sollten bei dem liegen, der Geltungsansprüche erhebt. Tatsächlich liegen sie dort oft nicht, sondern es wird vom aufgeklärten, rational argumentierenden Menschen durchaus mal verlangt zu beweisen, dass es falsch sei, dass es UFOs gibt oder dass Dämonen eine sinnvolle Erklärung von Krankheiten sind, obwohl er nur angefragt hatte, ob diejenigen, die so etwas behaupten, noch ganz bei Trost sind.

Abel weist zu Recht darauf hin, dass jede Behauptung bezweifelt werden kann und sich daher auch einer Überprüfung stellen muss.

Problematisch wird es, wenn die Gegenbehauptung als neue Behauptung aufgefasst wird, der Behaupter irrationaler Ansichten also beispielsweise als gleichberechtigt mit seinem rationalen Gegenüber betrachtet wird. Wenn man – wie Abel – am Ende kein Kriterium hat, mit dem zwischen irationalen und rationalen Fürwahrhaltungen zu unterscheiden, dann hilft am Ende wieder nur eine dogmatische Wert-Setzung als Anfangspunkt, nämlich die Forderung, intellektuell redlich zu sein und keine Behauptungen aufzustellen, die man nicht wenigstens prinzipiell testen kann. Dazu gehört auch, dass eine Beweisumkehr als Abwehrstrategie unredlich wäre und nicht sein soll.

Seite 155:…,dass selbst noch die direkten Beobachtungssätze unter Bedingungen der Interpretation stehen, d.h. nicht unmittelbar, sondern interpretationsbedingt und interpretationsbedürftig sind und bleiben.

 

Die direkten Beobachtungssätze sind ja Sätze, die etwas beschreiben, was auf unsere Wahrnehmung eingewirkt hat, sei es direkt über unsere Sinnesorgane, sei es über Instrumente in einem Experiment. Da ist in der Tat schon an vielen Stellen sowohl die gemessene „Realität“, als auch die „Messung“ als Verfahren, als auch die Identifikation dessen, was gemessen wird, interpretiert und auch interpretationsbedürftig.

Seite 156: Des weiteren ist auf den von Putnam betonten Umstand hinzuweisen, dass die Formen dessen, was als eine gültige und sichere Verifikation zugelassen wird, jeweils von institutionalisierten Normen und deren Anerkennung, auf die wir die Sicherheit unserer Wahrnehmungsurteile stützen, abhängig sind. Es sind diese öffentlichen, genauer: die mit der öffentlichen Praxis unseres Sprach- und Zeichengebrauchs verbundenen Normen, die (etwa auch gegenüber skeptischen Herausforderungen) eine Zustimmung zu bestimmten Aussagen verlangen. Verifikation ist mithin stets institutionalisierte Verifikation

 

Was als verifiziert anerkannt wird, also dem Test auf das Attribut „wahr“ besteht, richtet sich auch danach, wie das Verfahren der Verifikation gestaltet ist. Und dieses Verfahren ist in jeder Gesellschaft, aber auch in Subkulturen jeweils unterschiedlich institutionalisiert. Damit wird es zu einer Wertentscheidung.

Deshalb vertrete ich die Auffassung, dass in der Gesellschaft das politische Ziel verfolgt wird, durch Erziehung dafür zu sorgen, dass die Wertordnung der Aufklärung und der rationalen Diskurse zur Grundlage der Anerkennung von Geltungsansprüchen gemacht wird. Das ist eine parteiliche Dezision, für die ich gute Gründe, aber keine zwingenden Gründe auf meiner Seite habe.

Das wird problematisch, wenn es in einer Gesellschaft keine geteilte lebensweltliche Grundlage dafür gibt, welche institutionalisierten Regeln für die Anerkennung von Geltungsansprüchen gelten sollen. Bevor ein Diskurs nach habermas stattfinden kann, muss das Prinzip des diskurses überhaupt erst anerkannt werden – und das ist nicht einmal innerhalb der modernen Gesellschaften, und erst recht nicht im interkulturellen Dialog selbstverständlich.

Seite 163: das Verifikationsprinzip setzt diejenigen Data, an denen sich Bestätigung oder Nicht-Bestätigung entscheiden, als (von woher auch immer) vorfabriziert fertige Data voraus. Damit wird aber von einem philosophisch kardinalen Punkt abgesehen. Denn unbeachtet bleibt der ganze interpretatorisch-konstruktbildende Prozess, in dem aus einem zunächst vorhandenen „Gewühle“ von Empfindungen und Erscheinungen schließlich explizite Objekte und Ereignisse, die Bestimmtheit einer Erfahrung und die Beziehung unserer Erkenntnis auf Gegenstände zustande kommen.

 

Das ist ein ganz zentraler Punkt. Erst aus dem Chaos der Phänomene und Gefühle heraus entsteht eine strukturierte Erfahrung, deren Ordnung erst interpretatorisch konstruiert wird. Das heißt aber, dass die Erfahrungdaten selbst eben nicht „vorfabriziert“ sind, sondern nur im Zusammenhang mit der aus dem Chaos heraus konstruierten Welt Sinn bekommen.

Seite 166: Auch die objektiven Tatsachen besitzen mithin ihre Objektivität stets nur unter einer Interpretation1, deren Regeln sie instantiieren. Außerhalb eines Interpretation1-Systems und einer Interpretation1-Praxis sind sie nichts, und Objektivität selbst ist nicht wahrnehmbar.

 

Erinnerung an Seite 14: „Interpretation1“ werden genannt: die ursprünglich-produktiven und sich in den kategorialisierenden Zeichenfunktionen selbst manifestierenden konstruktbildenden Komponenten, die in jeder Organisation von Erfahrung bereits vorausgesetzt und in Anspruch genommen sind.

Wenn also eine Erfahrung dem individuellen Erfahrungsschatz hinzugefügt wird (wobei das sicher keine Additivität im mathematischen Sinne gibt), dann werden die „ursprünglich-produktiven“ Komponenten in Anspruch genommen. Wie aber identifiziere ich diese „Komponenten“ ? – Das Wort sagt ja nur, dass es Teile eines Kompositum sind. Sie sind „ursprünglich-produktiv“ und konstruktbildend. Und ich setzte sie – also ihre gebildeten Konstrukte – schon voraus bei der Organisation meiner Erfahrung. Sind es also Kantische Kategorien, Denkgesetze, Weltgeist ?

Ich werde immer misstrauisch, wenn in der Philosophie die Wörtchen „sich“ und „selbst“ verwendet wird. Die „Komponenten“ genannten, aber nicht weiter erkennbaren Phänomene „manifestieren“ sich – das selbst-bezügliche Wort „sich“ erweckt den Eindruck als könnten diese Komponentes etwas aktiv leisten, z.B. sich manifestieren. Und zwar in den „kategorialisierenden Zeichenfunktionen selbst“.

Die Zeichenfunktionen sind offenbar nicht selbst diese Komponenten. Und das auch, wenn diese Zeichenfunktionen etwas „tun“. Nämlich kategorialisieren – die Realität also in Kategorien fassen (sind also die Kategorien diese Komponenten ?). In einem Wittgensteinschen Sinne „zeigen sich“ darin diese mysteriösen Komponenten.  Damit gehören die Komponenten zu etwas, von dem man nicht reden kann – und vielleicht besser schweigt.

Hier steht der ganze Interpretationismus auf einer Nadelspitze, nämlich der Annahme solcher vor jeder Erfahrung bereits vorhandenen „Komponenten“, die mir so klar und deutlich wie Geister oder Dämonen zu sein scheinen. Kein überzeugender Ausgangspunkt, um Interpretation1 zur Grundlage von Objektivität zu machen.

Mysteriös bleibt auch, welche Regeln es denn sind, die unter Interpretation1 instantiiert werden. Auch diese fallen ja nicht vom Himmel, sondern wären – typisch Zirkelschluss – auch wieder Ergebnis von Interpretation1. Abel beschreibt die verzweifelte Lage des Philosophen sehr gut – aber auch Interpretation1 rettet uns nicht vor der Skepsis.

Seite 167…, dann wird Objektivität selbst zu etwas Nachträglichem, und zugleich wird deutlich, dass sie nicht etwas vorfabriziert fertig Daliegendes, sondern Resultat von Prozessen der Objektivation ist.

 

Objektivität kommt durch Objektivierung zustande – also durch Anwendung von Interpretation1 auf die als „objektiv“ angesehehn Sachverhalte und vielleicht auch der Dinge im Gegensatz zu Irrtum und Täuschung.

Als Gegensatz zur Objektivität wird gerne die Subjektivität genannt. Aber in beiden Fällen: objektiven, von der Gesellschaft institutionell akzeptierten Sachverhalten und subjektiven, vorerst nur im und vom Individuum perönlich akzeptierten Sachverhalten, gilt, dass sie im Sinne Abels interpretiert1 sind. Objektivation ist dann nur der zusätzliche Schritt der sozialen Festlegung eines Sachverhaltes für eine ganze Gruppe auf einmal – in der Hoffnung, dass die festgelegten Sachverhalte tatsächlich für jedes Individuum hinreichend deutlich „dieselben“ sind – was ja auch gemäß Abel mangels Kriterium nicht endgültig feststellbar ist, sondern sich aus der Praxis ergibt.

Seite 168: Dass es „objektive Fakten“ gibt, kann selbst kein Faktum, sondern muss Interpretation sein.

 

Sehr richtig! – weil eben jede Objektivierung, d.h. Fest-Stellung des Objektes (das einem ohnehin leicht wieder durch die Finger gleitet wie glitschige Seife) der Prozess der Aushandlung hinreichend identischer Interpretationen ist.

Seite 169: Stroud selbst ist kein Skeptiker. Aber kaum ein anderer Autor der gegenwärtigen Philosophie hat so deutlich erkannt, dass das Skeptizismus-Problem nach wie vor zentral und keineswegs gelöst ist

 

Genau diese Auffassung teile ich ! – Das Skeptizismus-Problem ist nicht nur ungelöst – es ist aus meiner Sicht auch nicht lösbar. Und es ist zentral, weil es zu einer Bescheidenheit der Ansprüche führt. Offenbar hat die Furcht vor dem Skeptizismus in der Philosophie heute die Rolle, die die Furcht vor dem Atheismus in der theologie hat, nämlich Antrieb für unzählige, vergebliche Versuche zu seiner Überwindung zu sein. Mein Schluss ist ein anderer: ich akzeptiere die fundamentale Skepsis und gehe direkt über zu fehlbaren, aber brauchbaren pragmatischen Maximen.

Seite 180: Im Anschluss an Wittgensteins Analysen dessen, was es heißt, einer Regel zu folgen, ist zu sagen, dass keiner der beiden Aspekte, Regelfolgen und Verwendungsberechtigung, ohne Einbeziehung einer öffentlichen Praxis des Gebrauchs der Zeichen, und d.h.: ohne Einbeziehung anderer Personen möglich und verständlich ist.

 

Beides sowohl Regelfolgen als auch Verwendungsberechtigung (für bestimmte Ausdrücke) werden weitgehend als Kind erlernt – und im endlichen Leben als Erwachsener ständig ergänzt und verwandelt. Beides setzt also die Gesellschaft als Lernraum und Dialograum voraus, wo der öffentliche Zeichengebrauch stattfindet.

Meine These vom „Alters-Solipsismus“, vielleicht sollte ich sogar „Erwachsenen-Solipsismus“ besagt aber, dass das jeweils Erlernte auch Gegenstand von Denken, heuristisch beschrieben als innerer Dialog, werden kann, bei dem Gedanken allein, mithin solipsistisch, weiter entwickelt werden – und erst im Falle der Ver-öffentlichung (durch Rede und Schrift) zurück in die Gesellschaft kommen.

… Der Gebrauch von Zeichen, vornehmlich auch der urteilsgrammatischen und Wahrheitsansprüche aufstellenden Zeichen, die verständlich sind und als die richtigen angesehen werden, steht mithin unter den Bedingungen einer mit anderen Zeichenbenutzern gemeinsam geteilten öffentlichen Praxis solchen Zeichengebrauchs. Die anderen Personen sind in diesem Sinne immer schon im Spiele, wenn ich etwas als wahr oder falsch behaupten kann.

 

Auch die Aufstellung von Geltungsansprüchen oder Urteilen kann nur gemeinsam mit denen stattfinden, die diese nicht nur entgegennehmen, sondern auch wissen, was es heißt, diese entgegenzunehmen – die Spielregeln also teilen und akzeptieren. Es sind Regeln des Zeichengebrauchs im weiteren Sinne, können also auch nichtsprachliche Zeichen, Gesten, Symbole usw. umfassen.

… Selbst noch die innovativen oder abweichenden Zeichenbildungen und Zeichenverwendungen bleiben auf diese öffentliche Praxis bezogen.

 

Das Thema der Neologismen, also neuer oder innovativer Verwendung von sprachlichen Ausdrücken, hat mich seit Jahren beschäftigt. Meiner Ansicht nach können solche Neologismen auf unterschiedliche Weisen entstehen.

Eine Möglichkeit ist der solipsistische Denkweg, der ein inneres EGO und ALTER EGO simuliert und daraus zu neuen Begriffen kommt. Dann muss der Neologismus irgendwann aktiv in die öffentliche Praxis eingeführt werden – auf die er vorher nur indirekt durch das Substrat der zuvor erlernten Sprache bezogen war.

Eine andere Möglichkeit ist es, dass Neologismen zuerst in einer kleinen Gruppe im Dialog entstehen, allmählich durch langsame Bedeutungsverschiebungen oder konventionell durch eine Einführung: „Nennen wir das mal ‚Quarks‘ “.

Und es gibt die dritte Möglichkeit – die ständig vorhanden ist – das sich Bedeutungen nach und nach im Rahmen des Sprachwandels langsam verschieben, bis sie gegenüber dem Ausgangspunkt zur Unkenntlichkeit verändert sind.

S.180⁄181: Zweitens ist zu beachten das die Sicherheit und die Wahrheit eines Wissens endlicher Geister nicht durch eine intrinsische Beziehung auf so etwas wie die „Natur der Sache selbst“ garantiert, sondern an eine Rechtfertigungspraxis gebunden ist. Ersteres wäre entweder Magie oder Dogmatik des Wissens. Eine Rechtfertigungspraxis dagegen kann nicht unabhängig von anderen Personen und deren Fürwahrhalten (Meinen, Glauben, Wissen) verstanden werden.

 

Das Wissen von Sachverhalten oder das Wissen um Dinge gewinnt seine Sicherheit allerdings nicht aus der Zustimmung anderer – es ist durchaus möglich, dass sich alle anderen irren. Allerdings ist die Rechtfertigungspraxis gesellschaftlich gegeben, das kann, wenn die Gesellschaft das akzeptiert, auch „die Natur der Sache selbst“ einbeziehen. Es ist wohl auch kaum bestreitbar, dass ich um meinen eigenen Schmerz weiß und diesen nicht rechtfertigen muss – wenn ich ihn allerdings behaupte, um daraus gesellschaftliche Folgen abzuleiten, z.B. eine Krankschreibung, dann muss ich ihn plausibel für den Amtsarzt machen. Mein Wissen den anderen glaubhaft zu machen, das ist eine Herausforderung.

Seite 181: Objektivität und Wahrheit setzen eine Sprach- und Zeichengemeinschaft voraus, zu der mehr als nur ein einziger Sprach- und Zeichenbenutzer gehört.

 

Zunächst setzen Objektivität und Wahrheit irgendeine Sprachgemeinschaft voraus, aus der die Kriterien stammen, beides festzustellen. Außerdem setzen Geltungsansprüche einen Anspruchsberechtigten und einen Beanspruchten voraus.

In der Lebenspraxis sind dies immer konkrete Personen, zur Vereinfachung kann aber von der Gemeinschaft als meinem Gegenüber und Miteinander gesprochen werden.

Interessant wird es, wenn zugleich mehrere Sprach- und Zeichengemeinschaften im Spiel sind. Nicht nur im interkulturellen Dialog, sondern auch bei Gesprächen zwischen Personen mit nur wenig unterschiedlichen Identitäten, Biografien, Umfeldern oder Subkulturen können verschiedene Welten aufeinandertreffen, was eine Verständigung anfällig oder sogar unmöglich machen kann.

S.193: … ontologische Argumente sind sprachliche Argumente, und es gibt dann letztlich so viele Onta, wie es sinnvoll verwendete referenziale Interpretationszeichen gibt. In beiden Hinsichten wird zugleich deutlich, dass Ontologie, verstanden als die Lehre vom Sein als solchem, in der Interpretationsphilosophie, wie schon im Kantischem Kritizismus, letztlich keinen Ort mehr hat

 

Das „Sein-als-Solches“ ist eine Paraphrase des „Ding-an-sich“. Kant betrachtet das durchaus noch als einen sinnvoller Ausdruck, der aber bei Beantwortung der Frage „Was können wir wissen?“ zu der Antwort: „das jedenfalls nicht!“ führt.

Ich bin mir noch nicht sicher, ob sich die Ontologie so leicht aus der Philosophie vertreiben lässt. Onta sind ja nicht nur Dinge, sie können auch Sachverhalte sein. Mich überzeugt eher, wenn die Ontologie einen Ort behält, allerdings nicht den alten Ort, sondern einen neuen durch Begriffsverschiebung angepassten Platz.

Seite 194: für das Funktionieren eines Sprachspiels aber ist ein (subjektiv und objektiv verbindliches) Wissen nicht erforderlich

 

Zumal Sprachspiele ja nicht nur Propositionen umfassen, sondern fast alles, was lebenspraktisch von Kommunikation begleitet wird.

Seite 206: es handelt sich mithin um Problemlagen, die sich bei Descartes und Berkeley finden und die Kant unter dem Stichwort einer „Widerlegung des Idealismus“ transzendentalphilosophisch zu lösen versucht hat. Putnam glaubt, das gleiche Ziel im Zuge einer logischen Klärung dessen zu erreichen, was es heißt, auf etwas Außersprachliches Bezug zu nehmen. Der, wie Kant sich ausdrückte,“ Skandal der Philosophie“ (das Dasein der Außenwelt nämlich „bloß auf Glauben annehmen zu müssen“ und demjenigen, der es bezweifelt, „keinen genugtuenden Beweis entgegenstellen zu können“) soll hier dadurch beseitigt werden, dass die Implikationen und Voraussetzungen der Antwort auf die Frage, wie Bezugnahme möglich ist, geklärt werden

Seite 211: … neben dem ausschließenden Aspekt gilt auch die dazu komplementären Positivaspekte zu beachten, dass Zeichen sich prinzipiell auf alles mögliche beziehen können und das streng genommen keine zwei Verwendungen eines Zeichens in ihrer Bedeutung und Referenz absolut identisch sind.

 

Es ist richtig, dass Zeichen nicht völlig stabil sind, sondern sich ständig verändern – was erreicht werden kann, das ist eine Quasi-Stabilisierung auf Zeit, für einen gewissen Zeitraum, in dem die Benutzung eines Zeichens notwendig und nützlich ist. Das Zeichen sich prinzipiell auf alles mögliche beziehen können, glaube ich nicht, aber das es ein breites Spektrum der Verwedungsmöglichkeiten gibt, reicht ja.

… Zugleich gibt die korrelativ dazu wachsende Abhängigkeit der referenzialen Zeichenfunktionen von unserer Interpretation-Praxis den Blick darauf frei, Referenzfunktionen als Interpretationsfunktionen zu konzipieren.

 

Was aber heißt das ? Referenzfunktionen (mehrere ?) sind ja bereits interpretiert, sowohl durch Deutungen des Begriffs der Referenz selbst, als auch durch die Anwendung (also die Funktionen). Da ist eigentlich nchts zu „konzipieren“, sondern eher findet eine Gleichsetzung statt.

Ich halte allerdings eine Gleichsetzung von Referenz und Interpretation für falsch. Zwar greift der Interpretationismus auf einer tieferen Ebene, nämlich der Feststellung dessen, als was Bedeutung und Referenz zu interpretieren ist. Die Anwendung dieser vorgängigen Regeln hingegen sind dann nicht erneut Interpretationen.

Seite 212: ferner lässt sich auch bei völlig korrektem Sprachgebrauch nicht definitiv ausmitteln, ob Peter bei der Verwendung desselben syntaktischen Ausdrucks dieselben Vorstellungen, dasselbe Bild des Bezugsgegenstandes und die Wörter, Sätze und Texte mit denselben semantischen Merkmalen versehen hat wie ich. Dies wird sowohl durch die Undurchdringlichkeit des Individuums Peter, dass ich nicht selbst bin und dessen Vorstellungen ich nicht haben und nicht sehen kann, als auch dadurch blockiert, dass wir nicht über ein Kriterium für die Gleichheit von Vorstellungen verfügen.

 

Hier vertritt Abel eine Art These der Unzugänglichkeit des Fremdpsychischen. Das widerspricht seiner früheren These, dass das Selbstbewusstsein ebenso wie das Fremdbewusstsein durch soziales Lernen zugänglich werden.

Es stimmt aber, dass wir die völlige Übereinstimmung nicht nur nicht feststellen können, sondern davon ausgehen müssen, dass auf Grund unterschiedlicher Lebenswege auf jeden Fall unterschiedliche Vorstellungen bestehen.

Wenn die These stimmt, dann hätten wir auch kein Kriterium für die Identifikation von psychischen Sachverhalten insgesamt. Denn zumindest eine hinreichende Übereinstimmung sollte feststellbar sein – also auch Kriterien dafür zulassen.

Seite 213: Zu beachten ist, dass Gegenstände nicht nur einige wenige, sondern – und da liegt das Problem – unbegrenzt viele Eigenschaften zukommen können. Dies wird deutlich, sobald man Eigenschaften nicht mehr als es als essenzielle Qualia, sondern von der Prädizierung und Etikettierung, d.h. von der Verwendung prädizierender Zeichen her auffasst.

 

Gegenstände werden durch Eigenschaften genauer definiert. Wenn unbegrenzt viele Eigenschaften möglich sind, dann wird jede Beschreibung eines Gegenstandes vorläufig und es ist eher willkürlich, an welchen Eigenschaften man die Identität eines Gegenstandes festmacht.

Hier scheint mir die Wiedereinführung des Begriffes vom „Wesen“ eines Gegenstandes sinnvoll zu sein, mit dem nichts anderes ausgedrückt wird, als eine oder mehrere Mengen derjenigen Eigenschaften, die notwendig zu einem Gegenstand gehören, auch wenn weitere dazu kommen können. Um einen Gegenstand „im Wesentlichen“ zu beschreiben, ist nur ein kleiner Satz von Eigenschaften notwendig.

Seite 214: Nun gut, könnte man sagen. Wenn nicht alle Eigenschaften zu haben sind, so doch zumindest eine eingeschränkte Menge oder Region von Eigenschaften. Doch in diesem Falle ist zu beachten, dass eine solche signifizierende Einschränkung offenkundig einen interpretatorisch-konstruktionalen Vorgang darstellt, der der Referenz eines Zeichens dann entweder bereits voraus liegt oder im Sinne spezifizierender und Vagheiten abbauender Modifikationen stets folgen muss. In beiden Hinsichten ist es hauptsächlich eine Frage der Gewohnheit, des Zwecks und der Konvention, wie die Menge oder Region der für prädizierbar gehaltenen Eigenschaften aussieht. Auf der Basis von Gewohnheiten, Zweckgesichtspunkten und Konventionen aber ist der philosophische Skeptizismus nicht auszuschalten.

 

Die Einschränkung der Menge oder Region von Eigenschaften auf das Wesentliche eines Gegenstandes ist Interpretation. Vagheiten können und müssen aufgelöst werden, wo sie in der Umgangssprache vorgängig vorhanden sind. Dort, wo Vagheiten bewusst und hinreichend abgebaut werden, wird interpretiert, indem das Zeichen mit seinem (einen oder alternativ mehreren) Wesen verknüpft wird.

Seite 218: Hinzu tritt, dass wir die Zeichen und Äußerungen anderer, fremder Personen zunächst nach unseren eigenen Standards und Methoden, d.h. so interpretieren3, als ob Bedeutung, Referenz und Erfüllungsbedingungen der Zeichen in der fremden und in der eigenen Verwendung übereinstimmten. Diese konstruktbildende Eigenart des Vorgangs Verstehen wird später näher zu erörtern sein.

Dass diejenigen Eigenschaften oder Prädikate, die erfasst oder appliziert werden, zwar nicht alle, aber doch eben denjenigen sind, die für diese Referenz als die relevanten angesehen werden, ist ein Vorgang des Projizierens, Auswählens, Bevorzugens, Organisierens und Klassifizierens, mithin der Interpretation1+2+3.

Interpretieren3 nennt Abel die aneignenden Deutungen, zum Beispiel Vorgänge des Beschreibens, Theoriebildens, Erklärens, Begründens oder Rechtfertigens. Das erscheint mir hier den dritten vor dem ersten schritt getan. Sind es nicht schon die Interpretationen1, die wir nach unseren eigenen Regeln, Standards und Methoden, auf das anwenden, was von anderen (woher sonst) an Zeichen und Äußerungen auf uns zu kommt ? Jetzt werden noch die Erfüllungsbedingungen als Gegenstand der Interpretation der Referenz und Bedeutung hinzugefügt, was aus der Interpretation1 noch keine Theorie oder Erklärung, Begründung oder Rechtfertigung macht, was doch Interpretation3 charakterisieren soll.

Dagegen heißen die durch Gewohnheit verankerten und habituell gewordenen Gleichförmigkeitsmuster “Interpretationen2“. Diese wird hier gleich mit Interpretation3 zusammengefasst, ohne zu spezifizieren, warum nun die Erfassung und Anwendung der relevanten Eigenschaften und Prädikate gleich zu der umfassenden Interpretation1+2+3 hinführt.

Der Begriff der Relevanz kommt hier etwas unvermittelt, hat aber natürlich damit zu tun, dass nur ein Teil der Eigenschaften – was ich das Wesen nannte – eines Gegenstandes verwendet wird. Die Auswahl, warum bei einer organisierenden Klassifikation bestimmte Eigenschaften bevorzugt werden, soll offenbar durch den Begriff der Relevanz – wieder ein Interpretationskonstrukt – gerechtfertigt werden.

Der Begriff der Relevanz wird bei Abel durch die Hintertür eingeführt, während ich ihn für zentral halte und ihn daher auch nicht verschämt unter irgendeiner Interpretation3 verstecken möchte, sondern ihn als eigenständigen Begriff einer pragmatischen Lebenswelt ansehe.

Seite 219: … erfolgen die im tatsächlichen Sprechen, Denken und Handeln vorgenommenen Festlegungen und Fixierungen stets nur auf Zeit.

… sie variieren mit der Praxis und mit der Zeit. Je feinkörniger hier die Betrachtung, desto stärker die Varianz.

… Bedeutung und Referenz werden durch die Erfordernisse wirklichen Sprechens und Denkens mithin nicht zu etwas Fest-Stehendem. Abweichender und innovativer Gebrauch sowie individuelle Einfärbung und Variation in der Zeichenverwendung bleiben wesentlich möglich.

 

Wenn die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache ist (Witgenstein), dann ist diese Bedeutung etwas zeitlich und praktisch innerhalb gewisser Grenzen veränderliches. Zeitweise wird eine Quasi-Stabilität erreicht, aber nach Erfüllung des Zweckes der Kommunikation ist das (Sprach-)Spiel wieder offen.

Seite 224: …, dass solche Selbst-Bezüglichkeit nur dann gelingen kann, wenn auch Außen- und Fremd-Bezüglichkeit möglich sind. Beide erfordern einander wechselseitig.

 

Abel sagt, dass wir kein Kriterium der Gleichheit von Vorstellungen haben. Bezüglichkeit, also Referenz auf Fremdes und Eigenes soll sich aber gegenseitig erfordern. Bedeutet das nicht auch, dass man sie „nebeneinanderstellen“ kann und vergleichen kann ? Oder gibt es auch kein Kriterium für Gleichheit der Referenz ?

Seite 226: auch wir haben unsere Welt ja stets nur in Vorstellungen. Hinzu käme, dass die Einbildungskraft, Kantisch gesprochen, ursprünglich-produktiv ist,…

 

Da ist er, der kantische Begriff,“ursprünglich-produktiv“, der schon am Anfang zur Definition des Begriffs der Interpretation1 dient. Dort waren es „Komponenten“, hier ist es die Einbildungskraft, die Interpretationen1 erst ermöglicht.

Wir „haben“ unsere Welt in Form von Vorstellungen – ist das nicht sehr idealistisch gedach?  Eigentlich sollte doch ein Narrativ möglich sein, dass wir unter unseren, stets bereits interpretierten Welten auch die Welt der physikalischen Tatsachen zur Auswahl haben.

Seite 226 f.: Und welches zum Beispiel ist der „wirklichere“ Baum? Ist es der alltäglich-phänomenal wahrgenommene Baum? Ist es der, den ein Naturwissenschaftler als ein Molekülschwarm beschreibt? Ist es der, den Mondrian darstellt?

An solchen hypothetischen Gedankenspielen mag man ersehen, dass die Tank-Fiktion und mit dieser auch der philosophische Skeptizismus doch nicht so leicht zu Fall zu bringen ist, wie man zunächst meinen mag.

 

Dieses Zitat kommt aus dem Abschnitt in der sich Abel mit der „Gehirn-im-Tank“-Hypothese von Putnam auseinandersetzt. Zu Recht sagt er, dass der philosophische Skeptizismus mit den Argumenten Putnams nicht zu schlagen ist.

Wichtig ist auch, dass hier auf die (auf Seite 14 nur genannten, aber nicht weiter ausgearbeiteten) Aspekte, unter denen der gleiche Gegenstand sehr verschieden beschrieben werden kann, hingeweisen wird. Das bedeutet, dass gff. der Aspekt expliziert werden muss, wenn nicht alle Kommunikationspartner vom gleichen Aspekt (soweit es dafür überhaupt ein Kriterium gibt) ausgehen.

Seite 229: Sprache ist stets interpretierte Sprache. In diesem Sinne kann man sagen, dass ein Vorrang der Interpretation vor der Referenz besteht und dass diese auf jene immer schon zurückgegriffen hat. Der Interpretationist ist auch Anhänger der Auffassung, dass man die Referenz einzelner Ausdrücke nicht isoliert bestimmen und einen Holismus der Bedeutung und Referenz schließlich nicht umgehen kann.

 

Holismus heißt hier – banal gesagt – alles hängt mit allem zusammen, und daher kann ohne Blick auf das Ganze auch über jedes Element nicht alles gesagt werden. Abel will die Welt, die uns durch Interpretation1 zugänglich wird, mit „unserer Welt“ identifizieren. Sollte man nicht genauso die interpretierte Sprache mit der Sprache überhaupt identifizieren ?

Auch Referenz ist bereits interpretiert. Interpretation bedeutet ja nach Abel, dass prinzipiell auch ganz anderen Ergebnisseneine herauskommen können, wenn eine andere Welt als Ausgangspunkt genommen wird. 

Seite 243: Zugleich ist in Kausalaussagen bereits die Trennungslinie gezogen und vorausgesetzt, durch die aus dem Geflecht der Vielzahl von Hintergrundbedingungen, die alle für das Eintreten des Ereignisses B (zum Beispiel für die Magenverstimmung Peters oder für den Hurricane Bob oder für die Veränderungen an den Felsen von Dover) mehr oder weniger relevant sind, diejenigen herausgegriffen werden, die als die im engeren Sinne kausal relevanten gelten.

… Ohne solche Schnitte kämen Kausalaussagen, so wie wir diese zu gebrauchen gewohnt sind, gar nicht zu Stande. Und eben diese Schnitte können als Interpretations-Schnitte, als das Ziehen von Interpretations-Grenzen, qualifiziert werden.

 

Hier kommt Abel auf ein sehr schwieriges Thema zu sprechen. Kausalaussagen, also Aussagen über den Zusammenhang von Ursache und Wirkung, haben zwei Komponenten: zum einen den Wenn-Dann-Satz: immer wenn X, dann Y, UND X ist die kausale Ursache von Y, zum anderen die Angabe der Randbedingungen, die für die Aussage über die Ursachen relevant sind.

Seite 248: Die Frage, wie sich unsere Zeichen auf etwas beziehen, wird so zu der Frage, wie jemand den Gebrauch des entsprechenden Zeichens lernt.

 

Abel ist zuzustimmen, dass es zuerst und vor allem eine Frage der Erziehung und des Erlernens sozialer Fertigkeiten, darunter der Sprache, ist, welche Welt die unsere wird und wie wir damit umgehen. Referenz ist ebenso wie Bedeutung also etwas ursprünglich Erlerntes, das übrigens im späteren Leben nur schwer veränderbar ist.

Seite 251: Auf Seiten des Sprechers korrespondiert dem die Kenntnis der Stereotypen, d.h. die Kenntnis und Erfüllung derjenigen Minimalanforderungen, die von einer Sprachgemeinschaft selbst her an diejenigen gestellt werden, die als kompetente Sprecher gelten wollen.

 

Der Begriff der Stereotypen scheint mir hier falsch – es geht um den öffentlichen, umgangssprachlichen Sprachgebrauch, in dem jeder kompetente Sprecher sich zuhause fühlen muss, der verstanden werden will. Wittgenstein sagt einmal auf die Frage, warum verstehe ich etwas: weil ich deutsch⁄englisch o.ä. spreche.

Seite 252: Stereotypen sind wichtig für die Kommunikation. Die Merkmale eines Stereotyps sind aber nicht analytisch, und sie sind nicht unrevidierbar.

 

Ich würde statt von Stereotypen von „Sprachmustern“ sprechen, die als Kind erlernt werden und Teil der jeweiligen Muttersprache sind. Es ist ja bekannt, dass eine idiomatische Sprechweise denen, die eine Sprache erst später lernen, oft schwer fällt, aber auch erlernbar ist. Diese Muster werden nicht bewusst revidiert, sondern wandeln sich mit der Sprache insgesamt.

Seite 267: So sind hinsichtlich dessen, was als Referent zum Beispiel des Ausdrucks „Atom“ gilt, in der Zeit zwischen Demokrit, Gassendi und der heutigen Atomphysik deutliche Verschiebungen zu verzeichnen.

… Daran kann man sehen, dass nicht nur die Bedeutung solcher Ausdrücke, sondern auch deren Referenz nicht etwas ein für alle Mal Fest-Stehendes, nicht etwas auf Dauer und in allen hypothetischen Situationen bzw. in allen möglichen Welten Starres ist.

Richtig: es gibt den ständigen Wandel der Sprache und dies auch auf der Ebene einzelner Wörter. Zugleich trifft aber auch zu, dass heute sogar gleichzeitig verschiedene Refrenten z.B. für das Wort Atom nebeneinander bestehen: ein Schüler, ein nicht naturwissenschaftlich gebildeter Bürger, ein Chemiker und ein Physiker verwenden jeder das Wort „Atom“ anders, mit anderen Referenten und anderen Konnotationen.

Generell werden Konnotationen für die Varianten von Referenz und Bedeutung unterschätzt und zu wenig beachtet. Diese Konnotationen sind relativ vage, weil sie im Gespräch in der Regel nicht thematisiert werden und erst beim interkulturellen Dialog auffallen.

Seite 268: Dies zu betonen, heißt natürlich nicht, die Intentionen der Sprecher und Hörer zu leugnen, Referenz zunächst zu fixieren und diese sodann auch als fixierte durchzuhalten.

… Solches Fest-Stellen aber und Vergleichbar-Machen ist vom Charakter projizierender und konstruierender Interpretation.

 

In jedem einzelnen Dialog – sogar im inneren Monolog oder Dialog wird vorübergehend eine Stabilität hergestellt, die im Maßstab von Jahren oder gar Generationen nicht gesichert werden kann. Diese vorübergehende zeitliche Fixierung muss ebenso hinreichend sein, wie die inhaltliche Präzision der Bedeutung und Referenz. Und was hinreichend ist, ist eine Frage der Praxis.

Seite 279: Dies stimmt offenkundig mit der Wittgensteinschen Auffassung überein, dass es die Praxis des Gebrauchs der Wörter und Sätze ist, die den Wörtern und Sätzen Wahrheitswerte und Referenzen verleiht. Über Wittgenstein hinaus kann man dann die referenzialen Zeichenfunktionen als Interpretationsfunktionen, als Funktionen unserer Interpretationspraxis konzipieren.

 

Das klingt zunächst gut. Aber Abel erklärt nirgends wirklich, was für Interpretationsfunktionen es denn sind, die er meint. Wenn er den Katalog der Handlungen meint, die er unter Interpretation2+3 beschrieben hat, dann ist der Begriff der Interpretation dafür überflüssig. Ob ich Theoriebildung, Erklärung oder Rechtfertigung – drei durchaus voneinander unterschiedene Handlungen, zusätzlich auch als Interpretation bezeichne, gibt mir keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn.

Seite 280: Da nicht von einer magischen Theorie der Referenz und Extension auszugehen ist, kann der Vorgang, durch den die Ausdrücke einer Sprache ihre Extensionen bekommen, als ein Vorgang konstruktbildender Interpretation angesehen werden.

 

Reicht nicht: als Vorgang der Konstruktbildung – natürlich kann man die Konstrukte Interpretationen nennen, aber damit wird der Eindruck erweckt, es werde während ihrer Bildung schon etwas mit den Konstrukten getan. Tatsächlich ist es ja nur die Anfügung einer „property list“  ohne die angefügten Symbole schon über das hinaus zu interpretieren, was bereit vorab darin an Interpretation steckt.

Seite 281: Die Abhängigkeit der Extension von der Interpretation1 einer Sprache liegt mithin bereits auch jeder Übersetzung von Ausdrücken einer fremden Sprache in die eigene oder der eigenen eine andere Sprache im Rücken. Denn in einer Übersetzung geht es zwar nicht darum, Identität der Bedeutung zu gewährleisten. Das wäre ein bei weitem zu hochgestecktes, ein nicht einlösbares Ziel. Aber in dem, was wir eine (den Gehalt eines Ausdrucks betreffende) gelungene Übersetzung nennen, wird eine Gleichartigkeit der Extensionen der Ausdrücke als bewahrt unterstellt.

 

Was ist Interpretation1 einer Sprache ? – Ist eine ganze Sprache interpretierbar ? Die Extension bezieht sich auf Wörter, also Ausdrücke mit einer „property list“, wobei die Eigenschaften wiederum intepretierte Wörter sind, die auch wieder ihre eigenen Extensionen haben können. Natürlich müssen diese Extensionen bei jeder Übersetzung berücksichtigt werden. Was aber als Abhängigkeit der Extension von der Interpretation1 bezeichnet wird, ist ja nur eine Namengebung, keine Abhängigkeit im kausalen Sinn bzw. als Wechselwirkung.

Ich glaube nicht, dass man die Gleichartigkeit der Extensionen wirklich unterstellt, sondern nur eine „wesentliche Teilidentität“.

Neben den Extensionen sollten auch die Konnotationen als weitere „property list“ eingeführt werden und auch deren extensionen und Konnotationen. Natürlich kann man das ad infititum fortsetzen, aber ein Abbruch nach einer Stufe scheint mir hinreichend für jede Verständigung einschließlich der Übersetzung, die auch nur eine Form der Verständigung ist.

… Abhängigkeit der Extension von Interpretation meint eine Abhängigkeit nicht von einzelnen solipsistischen oder subjektivistischen oder psychologistischen Interpretamenten. Sie meint die Abhängigkeit von der mit anderen geteilten Interpretations-Praxis.

 

Das entspricht dem, was ich oben die wesentlichen Teilidentitäten“ genannt habe, nämlich diejenigen Extensionen, die für die Praxis der Verständigung relevant und maßgeblich sind. Auch die wesentlichen Konnotationen sind hier wichtig. Sie gehen leicht unter, weil sie unausgesprochen bleiben, aber dennoch gelten.

Zum Wort Abhängigkeit habe ich ja zuvor etwas gesagt. Dass solipsistische, subjektivistische oder psychologistische „Interpretamente“ – was immer dieses neue Wort hier meint (ich nehme an, das Ergebnis von Interpretationen) – gerade bei den Konnotationen unvermeidlich eine Rolle spielen, scheint mir sicher.

Seite 293: für das mit anderen geteilte öffentliche Sprechen einer Sprache heißt dies, dass der einzelne Sprecher bereit sein muss, seine Wort- und Sprach-Interpretationen3 durch die Wort- und Sprach-Interpretationen3 anderer Sprecher korrigieren zu lassen …

 

Die sogenannten Interpretaionen2+3 sind so komplexe Phänomene, dass sich auch ihre jeweilige Geltung nur in einem hochkomplexen Diskurs besprechen lässt. Schon auf der Ebene der Interpretation1 entsteht der erste und oft fundamentale Streit: gerade um ein Jota wurden Kriege geführt und Menschen getötet.

Warum muss der einzelne Sprecher sich durch andere Sprecher korrigieren lassen ? Korrigieren heißt ja, dass Richtiges an die Stelle von Falschem gesetzt wird. Tatsächlich geht Abel aber davon aus, dass möglicherweise mehreres Richtiges nebeneinander bestehen kann. Dann wäre ein sachlicher und gleichberechtigter Diskurs und die gemeinsame Suche nach Kriterien für eine bessere Entscheidung der richtige Weg, nicht das pure Akzeptieren der Korrektur auf grundlage der Interpretationen des anderen. Denn warum sollte dieser sich nicht vielmehr von mir korrigieren lassen.

…, und problematische Fälle können im Rekurs auf die öffentliche Interpretation-Praxis entschieden werden. Eine Sprachgemeinschaft ist immer schon eine Interpretationsgemeinschaft.

 

Wie aber sieht der Rekurs auf die öffentliche Interpretationspraxis aus ? Ist es eine Art Habermasscher Diskurs in der Öffentlichkeit ? Wer nimmt Teil an der jeweiligen Interpretationsgemeinschaft ? Sicher nie die ganze Sprachgemeinschaft – sondern „Experten“, diesich aber erst einmal legitimieren müssen.

Tatsächlich ist jede Sprachgemeinschaft in viele sich überschneidende Gruppen bestehend aus kleinen Beziehungsnetzwerken unterteilt, in denen ständig die Praxis neu erfunden wird.

Seite 317: Bedeutungslehre und Wahrheitstheorie sind eng miteinander verknüpft. Dies hat in der Gegenwartsphilosophie kaum jemand so betont wie Donald Davidson.

Seite 318: Im Zentrum der Kohärenztheorie Davidsons stehen die „beliefs“ (Überzeugungen). Sie sind Teil unseres Systems des Fürwahrhaltens.

 

Davidson versucht die fundamentale Funktion der Bedeutung durch die der Wahrheit – beruhend auf den als für-wahr-gehaltenen „beliefs“ zu ersetzen. Jede Kohärenztheorie der Wahrheit kann aus dem internen, kohärenten Netzwerk nicht heraus springen, ohne bodenlos zu werden.

Wenn Davidson die Wahrheit oder „beliefs“ zum Fundament macht, müsste dann nicht über eine Kohärenztheorie der Bedeutungen gesprochen werden ? Was ist dann die Aussage „die beliefs A, B, C und D“ sind kohärent ? – Ist das dann eine Aussage mit einem Wahrheitswert – richtig oder falsch ?

Seite 319: Wenn Kohärenz als der Prüfstein der Wahrheit oder Falschheit unseres Fürwahrhaltens angesehen wird und wir Grund zu der Annahme haben, dass viele unserer Fürwahrhaltungen mit vielen anderen in einem Verhältnis der Kohärenz stehen, dann, so der Kohärenztheoretiker, haben wir Grund “to believe that many of our beliefs are true“.

 

Da es möglich ist, ein kompletes System von empirisch falschen Aussagen kohärent zu machen, kann niemand die Sicherheit geben, „that many of our beliefs are true“. Wir müssten es auf den guten Glauben hin annehmen.

… Eine Kohärenztheorie der Wahrheit und der Erkenntnis kann den Gedanken nicht zulassen, dass unsere Fürwahrhaltungen zwar untereinander kohärieren, gleichwohl aber im ganzen falsch sein könnten. Genau dies jedoch scheint die Option zu sein, die der Skeptizismus offen halten möchte.

 

Und genau diese skeptische Option halte auch ich offen. Alles andere wäre Wunschdenken und keine schlüssige Aussage.

Seite 320: Zunächst ist zu beachten, dass mit dem Begriff des fürwahrhaltenden Glaubens (belief) ein „potential gap“ gesetzt ist zwischen dem, was für wahr gehalten wird und dem, was wahr ist.

 

Wenn wir das Wahre von dem Fürwahrgehaltensein unterscheiden, landen wir unweigerlich auch wieder bei der subjektiv-objektiv-Unterscheidung.

Seite 321: Außerhalb des Netzwerks unseres Fürwahrhaltens gibt es keine Basis für ein Wissen oder eine Erkenntnis, und eine Fürwahrhaltung kann stets nur durch andere Fürwahrhaltungen, nicht jedoch durch Sinnesempfindung, Wahrnehmung, empirisch Gegebenes oder durch Sinnesdaten begründet und gerechtfertigt werden. Diese beiden schon für Kant und auch für die Interpretationsphilosophie kennzeichnenden Auffassungen sind für den zeitgenössischen Kohärenztheoretiker ebenfalls grundlegend.

 

Wenn es begründetes Wissen und Erkenntnis (also mit einer Basis dafür) gibt, dann wird es durch Kohärenz nicht bewiesen, sondern allenfalls plausibel. Umgekehrt gilt, dass bei Nicht-Kohärenz von Falschheit auszugehen ist. Das ist nicht weit ebntfernt von Poppers Falsifikationsgesetz, denn Nicht-Kohärenz findet ja dann statt, wenn sich ein logische Widerspruch ergibt.

… Davidson stimmt Rorty zu, wenn dieser schreibt: „nothing counts as justification unless by reference to what we already accept, and there is no way to get outside our beliefs and our language so as to find some test other than coherence“.

Davidson und Rorty sind sich also einig darin, dass jede Rechtfertigung sich auf das uns bereits Bekannte beziehen muss. Das geht nur innerhalb eines kohärenten Netzwerks von Sprache und „beliefs“.

Seite 322: Fürwahrhaltungen sind, mit Quines Ausdruck gesprochen, „underdetermined“. Und umgekehrt können Sinnesempfindungen höchstens kausale Antezedenzien, nicht jedoch logische Gründe der Geltung sein. Anderenfalls würden wir einen naturalistischen Fehlschluss begehen.

Seite 324: Und vor allem darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass die philosophisch entscheidende Frage doch die ist, ob mir in der Perspektive der ersten Person Gründe dafür gegeben werden können, dass ich meine Fürwahrhaltungen zu Recht für wahr halte und dass sie wahr sind.

 

Die Perspektive der ersten Person ist ja das psychologische Ich, das glauben, meinen und wissen kann. Gründe für meine Fürwahrhaltungen richte ich dann an mich selbst. In einer Art inneren Dialog ? Die eigenen Überzeugungen werden ja in der Regel für wahr und für gerechtfertigt gehalten. Allerdings kann es oft genug vorkommen, dass jemand täuschen wille und deshalb Überzeugungen äußert, die er selbst nicht für wahr hält.

Seite 325: an genau diesem Problempunkt nun scheint es zwei Antwortstrategien zu geben. Entweder werden die Inhalte unserer Fürwahrhaltungen mit den Objekten und Ereignissen der Welt kausal und ohne epistemische Vermittler zusammengeschlossen, und es wird zugleich gezeigt, dass bereits das Haben und das Zuschreiben von Fürwahrhaltungen diese Verschränkung einschließt und derart garantiert, dass die meisten unserer Fürwahrhaltungen wahr sein müssen. Oder aber es wird der konstruktbildende und der auslegende Charakter eines jeden Fürwahrhaltens sowie dessen Verankertsein in seine ursprünglichen Interpretations-Praxis so stark gemacht und in eine epistemisch so grundlegende Stellung gerückt, dass adualistisch sowohl die Inhalte unserer Fürwahrhaltungen als auch die Bestimmtheit der Objekte und Ereignisse der Welt, mit denen unsere Fürwahrhaltungen in kausalen und in anderen Beziehungen stehen, in dem erläuterten Sinne als Produkte kategorialisierender Interpretation1-Prozesse gedacht werden. Die erste Strategie ist die, die Davidson einschlägt. Die zweite ist die der Interpretationsphilosophie

 

Die beiden hier verglichenen Antwortstrategien verdienen eine nähere Betrachtung. Wie sollen z.B. bei Davidson die Inhalte unserer Fürwahrhaltungen kausal mit den Objekten und Ereignissen der Welt zusammengeschlossen werden ? Kausalität lässt sich nicht unmittelbar erschließen – Induktion reicht dafür nicht aus. Im Grunde verzichtet Davidson darauf, klar zu sagen, wodurch denn eine Verbindung zwischen Fürwahrhaltungen und Welt entsteht – das wäre dann doch ein epistemischer Vermittler.

Ich meine, dass Wahrheit in der etwas ist, das sich nicht physiologisch erklären lässt, weil Wahrheit kein physiologisches Faktum ist, sondern ein epistemisches. Unsere Fürwahrhaltungen und Interpretationen aber sind eindeutig Resultate unserer Gehirntätigkeit in Zusammenwirken mit den Sinnesorganen.

Die Interpretationstheorie, so Abel, beachtet stattdessen die Auslegung und die Konstrukt-Bildung jedes Fürwahrhaltens. Die Interpretations-Praxis ist dafür maßgeblich. Sowohl Fürwahrhaltungen als auch Welt sind Produkte von Interpretation1-Prozessen, gleich ob die Beziehungen zwischen beiden kausal oder andere sind.

Was mir hier fehlt ist wieder eine klare Beschreibung, was diese Interpretation1-Prozesse denn nun genau sind, wenn Fürwahrhaltungen stattfinden oder Welt unmittelbar interpretiert wird. Auch Abel drückt sich um das Aufgreifen gehirnphysiologischer Prozesse herum, die die Interpretation1 ja leisten, sei es in Verbindung mit Sinnenseindrücken, sei es durch interne – bewusste und unbewusste – Gehirntätigkeit.

Die Interpretationstheorie erscheint mir stark nur dann, wenn sie eine Verbindung mit der naturwissenschaftlichen Theorie des Gehirns eingeht. Der Begriff der Interpretation1 ist gegründet in einem In-der-Welt-Sein, und mit dem „In-die-Welt-kommen“ setzt auch die Gehirntätigkeit ein und endet erst mit dem Tode.

Natürlich bewegen wir uns hier sofort wieder in einer zirkulären Struktur: ein Gehirn, das sich selbst denkt, eine Interpretation, die das Gehirn über das Gehirn vornimmt.

Mein Weg, diese unvermeidliche Zirkularität zumindest etwas weniger kritisch zu machen, istes, die Interpretation zwischen Menschen anzusiedeln: einer interpretiert den anderen wechselseitig, alle interpretieren alle, außer sich selbst – und schließen dann aus der Interpretation aller auf eine Selbstinterpretation.

Seite 327: … zu beachten, dass man mit dem Ausdruck „Interpretation“ den Vorgang bezeichnen könnte, einem daliegenden und auf seine Erfassung wartenden Material ein Schema aufzuerlegen. Die Frage wäre dann lediglich, ob es der so verstandenen Interpretation gelingt, das Material zu organisieren, mit ihm fertig zu werden. Doch dies ist nicht das primäre und nicht das grundlegende Verständnis der Rede von „Interpretation“ in der Interpretationsphilosophie. Denn auf diese Weise wird nur der Gebrauch von aneignend-deutenden Interpretationen3 beschrieben. Dagegen wird, es sei wiederholt, die Interpretation1 als Grundvorgang auf der Ebene der Kategorialisierungen angesiedelt, die vor jeder Auftrennung nach Schema und Welt liegen, mithin vor-dualistisch und a-dualistisch sind.

Die interpretationsphilosophischen Adualität ist freilich deutlich von der bei Davidson vertretenen neuen Unmittelbarkeit unterschieden.

 

Mit Adualität (Nicht-Dualität) will Abel ausdrücken, dass Interpretation1 noch vor der Aufteilung in Welt und Schema stattfindet. Das kann eigentlich nur durch unmittelbare Gehirntätigkeit stattfinden. Interpretation1 ist auf der Ebene der Kategorialisierungen angesiedelt – leistet also das, was Kant die Synthese der Mannigfaltigkeit genannt hat.

Erst Interpretation3 legt über die Welt ein interpretierendes Schema, deutet es und so eignen wir es uns an. Wenn Abel sagt, dass nur Interpretatio1 das grundlegende Verständnis der Rede von „Interpretation“ sei, dann gibt er zu, dass sein ganzes Buch eigentlioch nur von Interpretation1 handelt.

Das, was Abel Interpretation3 nennt, setzt bereits alle Kategorien und Denk-Schemata voraus, die auf unterer Ebene entwickelt worden sind.

Seite 331: Hier sind bei völlig korrektem Sprachgebrauch und bei tatsächlich erfolgreicher Verständigung Pluralität und individuelle Abweichung wesentlich möglich. Beide Aspekte, pluraler und abweichender Gebrauch, sind nicht erst sekundär gegenüber der durch die “radical interpretation“ hergestellten und vor allem auf dem Prinzip der Nachsichtigkeit (d.h. der Maximierung der Übereinstimmung zwischen Hörer und Sprecher) beruhenden Situation des Verstehens.

 

„Radical interpretation“ und das Verstehen, das nur auf Grund des „Prinzips der Nachsichtigkeit“ – was das Bemühen um maximale Übereinstimmung zwischen Hörer und Sprecher voraussetzt – führen dazu, dass bei jeder Verständigung eine gewisse Pluralität (es gibt mehrere richtige Interpretationen, auch wenn diese diskret unterschieden sind) und Abweichungen (jede Interpretation hat eine gewisse Varianten, die eine Bandbreite im Kontinuum möglicher Deutungen abdecken).

Seite 335: Quine zufolge besteht der einzige Zugang des Menschen zur Beschaffenheit der äußeren Welt in deren reiz-physikalischen Einwirkungen auf die Oberfläche unserer Sinnesorgane. Diese Effekte werden als Wirkungen aufgefasst, die von physikalischen Objekten und Ereignissen ausgehen. Gegeben ist aber jeweils nur eine begrenzte Summe sensorischer Daten. Auf der Basis eines vergleichsweise dürftigen Inputs produziert der Mensch nun einen überschießenden und unterbestimmten Output, zum Beispiel ganze Theorien über die Welt und deren Geschichte.

 

Ich teile die Auffassung von Quine – seinen Physikalismus – über den Zugang zur äußeren Welt. Aber der Input wird nicht roh belassen, sondern sofort im Gehirn vielfältig bearbeitet zu einem Konstrukt im Gehirn, das dem entspricht, was Abel die Interpretation1 nennt. Der hier beschriebene überschießende Output findet zunächst auf Grund der gesamten vorausgegangenen Erfahrung, einschließlich aller Lernprozesse, innerhalb des Gehirn statt. Erst die Übertragung durch den Körper des sprechenden und noch mehr des schreibenden Menschen in die Gesellschaft anderer Menschen macht aus dem Ergebnis Theorien über die Welt.

Meine These wäre kurz gesagt: Interpretation1 findet beim Input sensorischer Daten und ihrer Verarbeitung im Gehirn statt. Interpretation2 stützt sich besonders auf die vorausgegangenen im Körper abrufbaren Erfahrungen und definiert zusammen mit Interpretation3 den Output an andere Menschen und an die Gesellschaft.

Seite 350: Davidson hat Quines Lehre von der „radical translation“ im Horizont des Programms einer formalen Semantik der natürlichen Sprachen von der syntaktischen Ebene des Übersetzens auf die semantische Ebene eines jeden Sprachverstehens erweitert.

 

Einfach gesagt: die von Quine behauptete Unbestimmtheit der Übersetzung, das immer bestehende Risiko, sich interkulturell gründlich misszuverstehen, das gilt für jedes Sprachverstehen – auch zwischen Menschen der gleichen Sprache, denn in jeder Sprache sind Pluralität und Varianten möglich. Das gegenseitige Verständnis zwischen Dialogpartnern ist keienswegs gesichert.

… Des näheren sind vor allem zwei Bedingungen zu nennen, die in jedem Verständigungsverhältnis erfüllt sein müssen. Zum einen muss der Hörer⁄Interpret mit dem Sprecher auf signifikante Weise das System der Referenz- und der Bedeutungsverteilungen sowie die Verortung der Ausdrücke im Netzwerk der propositionalen Einstellungen (zum Beispiel der Wünsche, Intentionen, Hoffnungen, Meinungen, Befürchtungen) teilen, mit denen die Semantik unserer Ausdrücke verbunden ist.

 

Auch das lässt sich kürzer sagen: Der Hörer⁄Interpret und der Sprecher müssen die gleiche Sprache sprechen – und ihre Lebenswelt teilen. Nicht nur Syntax und Semantik, sondern auch Konnotation und das emotionale Umfeld der Sprecher und Hörer müssen trotz aller Varianten und Pluralität hinreichend weit übereinstimmen.

Seite 351: Zum anderen heißt den Ausdruck eines Sprechers verstehen auch: um die Bedingungen wissen, bei deren Erfülltheit der Ausdruck wahr und bei deren Nicht-Erfülltheit er falsch ist. Die Situation radikaler Interpretation ist zudem dadurch gekennzeichnet, dass es keine Möglichkeit gibt, unabhängig von unseren Mustern der Interpretation nachzuprüfen, ob unsere Annahmen in Bezug auf die Fürwahrhaltungen und propositionalen Einstellungen einer anderen Person, d.h. in Bezug auf das, was diese meint, glaubt oder weiß und zum Beispiel das, was sie will oder wünscht, richtig sind oder nicht.

 

Das ist ein sehr enger Begriff des Verstehens. Der Hörer muss ja auch Fragen, Befehle, Furcht und Hoffnung verstehen, die nicht durch wahre oder falsche Aussagen beschrieben werden können.

Die Behauptung, nur innerhalb unserer Interpretation könnten wir nachprüfen, was jemand meint, glaubt oder weiß, bedeutet, dass uns das Fremdpsychische eben ohne einen Rahmen von Interpretationen, also unmittelbar nicht zugänglich ist. Die Interpretationen, Typ2+3, sind erlernte Formen oder Schemata des Umgangs mit anderen Menschen, in deren Rahmen wir den anderen dann interpretieren. Wenn dieser in der gleichen Lebenswelt hinreichend gleiche Formen erlernt hat, dann spricht vieles dafür, dass wir uns gegenseitig richtig deuten, also verstehen.

Seite 356:  „Wahr“ wäre ein Satz in diesem Sinne dann zu nennen, wenn er auf eine bestimmte Weise optimal zu den tiefsitzenden, zu den alt-eingesessenen, kategorialisierenden Interpretationen1 passt, d.h. mit ihnen verträglich, koalitionsfähig, in sie integrierbar ist und in den Grenzfällen eben deshalb auch zu einer direkten Zustimmung führt.

 

Wahrheit in diesem Verständnis kann grundfalsch sein – und das ist die Schwäche aller Kohärenztheorien. Gerade die Wahrheit kann ja zu kognitiver Dissonanz führen, weil eben die früheren Erfahrungen, abrufbar als traditionelle Interpretationen2, nicht zu neuen Informationen unter Interpretation1 passen. Menschen mögen diese Dissonanz nicht und wählen eher die traditionelle, als die neue Interpretation. Diese führt dann zu spontaner Zustimmung, die auch ganze Kollektive erfasst und Vorurteile schürt und festigt – aber nicht Wahrheit befördert. Die Wahrheit muss oft Anstoß geben und gerade nicht zu sofortiger Zustimmung führen. Intellektuelle Redlichkeit gebietet vor Zustimmung erst kritisch zu prüfen.

… Doch ist dies nicht einfach konventionalistisch zu verstehen, und es hat, da wir unserer Interpretationen1-Corpus nicht wählen und nicht willentlich verändern können, außerdem, wie betont, nichts mit Beliebigkeit oder Relativismus zu tun.

 

Dies ist noch ein Hinweis darauf, dass Abel den Interpretation1-Corpus offenbar als im Gehirn physiologisch verankert auffasst – und den wir daher eben auch nicht wählen oder verändern können. Interpretation2 bietet uns eine konventionalistische Ausdrucksweise dafür, tatsächlich wird damit auch kein Relativismus, wohl aber die Zirkularität jeglichen Denkens – und jeglicher Interpretation wieder deutlich.

Seite 357: Unser Interpretationen1-Geflecht kann als das Netzwerk der Bedingungen dafür angesehen werden, überhaupt unmittelbar verstehen, direkt zustimmen oder direkt ablehnen zu können. Darum ist nicht zu sehen, dass der Rekurs auf die direkte Zustimmung an irgendeiner Stelle aus der Interpretativität heraustreten könnte.

 

Hier wird der Interpretationismus minus Gehirn besonders schwächlich: das Netzwerk, dass uns unmittelbares Verstehen, unmittelbare Zustimmung oder Ablehnung erst möglich macht, ist ja genau das Gehirn, dessen Interpretationen1 des Inputs, dessen Interpretationen2 der gespeicherten Erfahrung und deren Interpretation3 des Ouputs das Netzwerk physiologisch abbilden.

… ist auf die Schwierigkeit hinzuweisen, in einer Situation radikaler Interpretation eine Äußerung überhaupt als eine Zustimmung oder als eine Ablehnung identifizieren zu können.

 

Zu erkennen, ob eine Äußerung Zustimmung oder Ablehnung ist, wird schon frühkindlich erlernt, bleibt aber kulturell bedingt. Emotionale Aktivitäten begleiten jede Zustimmung und Ablehnung, was Verständigung über diese binären Reaktionen erleichtert, aber das Zusammenfinden in einem Kompromiss in einem anschließenden Dialog erschwert.

Seite 363:… ,um die Einsatzstelle der Frage nach der Konvention zu markieren. Sie alle weisen indirekt und im Sinne eines komplementären Erfordernisses darauf, dass Kommunikation ohne Konvention sinnvoll nicht zu konzipieren ist. Zunächst ist daran zu erinnern, dass Sprachen nicht etwas Fixes, fertig Vorhandenes und fest Umgrenztes und auch nicht etwas von irgend jemandem Dekretiertes sind,…

 

Kommunikation braucht zuerst einmal eine hinreichend gemeinsame Sprache. Die hinreichenden Gemeinsamkeiten richten sich nach dem Zweck der Kommunikation und können von wenigen Befehlen und Antworten bis zu komplexen theoriegeladenen Sprachen reichen. Um das Gespräch zu beginnen, ist bereits eine Konvention notwendig. Diese kann in der gemeinsam tradierten und erlernten Sprache liegen, aber auch in einem später gelernten Expertenjargon oder einer Räubersprache. Metasprachlich kann dann die Konvention erweitert werden – vor allem durch Erlernen weiterer Sprachen oder Bedeutungen.

Dazu Seite 363, Fußnote 23: Innerhalb derer sind dann unter anderem die folgenden Unterscheidungen vorzunehmen: Konvention im Sinne von (i)Gewohnheit (üblich, gebräuchlich); (ii)Willkürlichkeit (künstlich; (iii)Übereinkunft (von mehreren geteilt und akzeptiert); (iv)Überlieferung (althergebracht, traditionell); (v)Regularität (nach Regeln und Vorschriften organisiert); (vi)Bewährung (bislang erfolgreich); (vii)Setzung (nicht-natürlich, nicht Physis, sondern Nomos); (viii)Sozialität (Konditionierung durch das soziale Umfeld).

 

Die Konventionen werden hier in psychischen und sozialen Kategorien beschrieben. Das ist sicher richtig. Zugleich liegt allen diesen Konventionen aber auch so etwas wie Interpretation1+2+3 zugrunde. Die Konventionen sind außerdem ein wesentlicher Bestandteil der Lebenswelt.

Seite 364: Sprachen sind geschichtlich geworden, unterliegen fortwährenden Veränderungen und können auch wieder verschwinden oder aussterben.

 

Sprachen besitzen aber eine relativ hohe Quasi-Stabilität in der Umgebung von 5-10 Jahren, ihr Wandel ist allmählich, oft unmerklich. Für einzelne Dialog, manchmal auch für längere Diskurse, wird zeitlich begrenzt eine recht hohe Stabilität hergestellt, indem alle versuchen, sich zu verstehen und sich verständlich zu machen (Ausfluss des prinzips der Nachsichtigkeit).

… Sodann ist zu erinnern, dass Sätze und Ausdrücke sprachlicher oder nicht-sprachlicher Zeichen- und Symbolsysteme nicht aus sich selbst heraus, nicht intrinsisch Bedeutung und Referenz besitzen. Eine magische Theorie der Bedeutung ist ebenso zurückzuweisen wie eine magische Theorie der Referenz. Weiterhin ist nicht zu vergessen, dass die Bedeutung eines Ausdrucks nicht unabhängig von dessen Verschränkung mit dem Netzwerk der propositionalen Einstellungen des Sprechers und des Hörers geklärt werden kann. Propositionalen Einstellungen aber sind nichts Fest-Stehendes. Die Bedeutung eines Ausdrucks verstehen, heißt auch, die Verteilung derjenigen Einstellungsvalenzen, die seine Bedeutung mitregieren, auf der Landkarte der propositionalen Einstellungen eines fremden Sprechers zu kennen und die dortige Verteilung auf die Struktur der eigenen Verteilung abbilden, d.h. den Ausdruck interpretieren und übersetzen zu können. Darüber hinaus ist in Ausweitung dieses Aspektes auf die Verschränkung von Sprach- und Lebensform, zu beachten, dass man, um einander zu verstehen nicht nur eine gemeinsame linguistische Grammatik sowie ein Organon der Übersetzung und der aneignenden Interpretationen3 besitzen, sondern darüber hinaus ein Stück Erfahrung gemeinsam teilen muss. Dies gilt zumindest für die Feinstruktur der Verständigung, d.h. für die einander wechselseitig voraussetzende nähere Bestimmung sowohl der Bedeutungen als auch der Fürwahrhaltungen.

 

Dass es keine intrinsische Bedeutung oder Referenz gibt, ergibt sich bereits daraus, dass die Zeichen und Symbole in jeder existierenden Sprache verschieden sind. Magisch wäre die Theorie dann, wenn aus Klang und Hauch der Sprache die Bedeutung gelesen werden könnte.

Der Zusammenhang vn allem mit allem im Netzwerk der propositionalen Einstellungen führen zu einem Bedeutung-Holismus, der Bedeutung nur im Zusammenhang mit dem Ganzen erklären will. Dieser Holismus aber ist wieder kulturell bedingt und das Gesamtnetz kann stark differieren.

Wirkliche wechselseitige Verständigung braucht eine gemeinsame Lebenswelt, eine gemeinsame Sprache und gemeinsame, alltagstaugliche Theorien.

Seite 377: Weiterhin ist daran zu erinnern, dass Interpretationsvorgänge wesentlich unabschließbar und nicht vollständig positivierbar sind. Dies heißt umgekehrt, dass die Deutlichkeit einer Interpretation, d.h. ihr weitgehender Abbau von Vagheit, stets nur pragmatisch hergestellte und im Hinblick auf den jeweils intendierten Zweck, die jeweilige Situation, Zeit und individuellen Sprecher und Hörer hinreichende, mithin relative Deutlichkeit ist. Deutlichkeit ist stets pragmatische, nicht aber vollkommene Deutlichkeit.

 

Deutlichkeit einer Interpretation in Richtung auf Eindeutigkeit ist wegen der Unabgeschlossenheit der Interpretation nicht vollständig erreichbar, aber pragmatisch für den Zweck und die Situation hinreichend herstellbar.

Seite 378: Die Idee einer von Unbestimmtheiten freien Interpretations-Praxis ist selbstdestruktiv. Sie kann als einer der Würgegriffe angesehen werden, die das Denken gefangen halten.

 

Der Würgegriff ist die Zirkularität, die uns ständig wieder einholt. Die Idee einer Interpretationspraxis, die keine Unbestimmtheiten mehr übrig lässt, anstatt sich auf hinreichende Deutlichkeit zu beschränken, ist mühsam.

Dem Würgegriff der Zirkularität können wir nicht entgehen, aber einem gewissen Grad an Unbestimmtheit in der Interpretations-Praxis auch nicht. Wir können aber konventionell die Praxis auf das einschränken, was Unbestimmtheiten vermindert.

Seite 380 f.: Die Wahrheitsdefinition Tarskis ist mithin von Übersetzbarkeit und Synonymie abhängig. Genau diese Struktur aber kann in der Situation radikaler Interpretation nicht vorausgesetzt werden. Denn Synonymie und Übersetzbarkeit sind genau das, was jetzt unbekannt und problematisch ist. Das Verständnis des objektsprachlichen Ausdrucks eines fremden Sprechers soll ja überhaupt erst gewonnen werden. Von daher ist der syntaktische Test, d.h. der Rekurs auf

“s ist wahr dann und nur dann, wenn p“, witzlos. Denn ich weiß noch nicht, was s bedeutet, worauf es sich bezieht und welches seine Erfüllungsbedingungen sind.

 

Tarskis Definition von Wahrheit ist Korrespondenztheorie pur. Abel bemerkt zu recht, dass wir über s nicht genug wissen, was uns erlaubt, es mit p zu vergleichen. Auf der rechten Seite der Formel, hinter dem „wenn“, muss ja etwas stehen, ein p, das gilt oder nicht gilt. Auch das können wir nicht unmittelbar erfahren, sondern nur interpretiert durch unser Gehirn. Ich fand Tarskis „Definition“ immer schon „witzlos“, denn sie lässt Skepsis auf beiden Seiten der Aussage zu.

Seite 383: Was das unten zu erörternde Prinzip der Nachsichtigkeit betrifft, so sei vorgreifend betont, dass dieses Prinzip zunächst nur in Bezug auf das Fürwahrhalten und nicht, wie bei Davidson, direkt auf die Wahrheit selbst angewendet werden sollte.

 

Dem stimme ich zu. Wie schon oben gesagt, kann das Vermeiden kognitiver Dissonanz die Verständigung erleichtern, führt uns aber nicht näher an irgendeine Wahrheit heran. Das Fürwahrhalten kann hingegen durch gegenseitige Anpassung von Sprachgebrauch, und Prüfung von hinreichend gleichwertigen Alternativen zu einer Verständigung führen, ohne damit Wahrheitsansprüche zu verabsolutieren.

Seite 395: das Verstehen der sprachlichen und der nicht-sprachlichen Zeichen anderer Personen ist etwas höchst Bemerkenswertes.

 

SO IST ES ! Ich glaube, dass ein hinreichendes Verstehen die Regel ist. Aber was hinreichend ist, das ergibt sich allein aus der Praxis. Das Kriterium kann z.B. der Erfolg einer Kooperation sein.

… Umgekehrt kommt damit dem Umstand, dass wir die eigenen und die Äußerungen anderer Personen zumeist verstehen, zentrale philosophische Bedeutung zu.

 

Damit wird es ein zentrales Element der Philosophie, dass wir für eine hinreichend homogenen Lebenswelt mit hinreichend übereinstimmenden Interpretationen1+2+3 erzogen werden. Was bei dieser Erzeihung fehl geht, wird später zu manchmal unüberbrückbaren Verständigungsproblemen.

Seite 397: Im Bereich der analytischen Philosophie geht dieses Prinzip (der Nachsichtigkeit) auf Neil L. Wilson zurück, wurde dann von Quine hervorgehoben, bei David Lewis und, als „principle of humanity“, bei Richard E. Grandy aufgenommen und hat bei Davidson seine bislang großzügigste Anwendung gefunden.

 

Es ist nicht ganz klar, ob diese Nachsichtigkeit empirisch beobachtet wird: Menschen akzeptieren andere Menschen zunächst meistens als valable Gesprächspartner, denen sie Rationalität und die Fähigkeit mich zu verstehen zutrauen – bis zum Beweis des Gegenteils.

Ich meine allerdings, dass das Prinzip der Nachsichtigkeit eine Forderung an den menschlichen Umgang miteinander ist, also eine Norm, die beschreibt, was sein soll, und eben nicht, was ist.

Seite 398: in der philosophischen Hermeneutik unserer Tage, etwa bei Hans-Georg Gadamer, entspricht dem starken und konstitutiven Sinn des Prinzips der Nachsichtigkeit der „Vorbegriff der Vollkommenheit“.

Auch bei Gadamer ist nicht klar, ob das Prinzip etwas beschreibt oder ausdrückt, was sein soll. Der „Vorbegriff auf Vollkommenheit“ besagt, dass wir „immer-schon“ eine Vorstellung davon haben, wie unser Gesprächspartner uns verstehen würde, wenn er vollkommen wäre (und umgekehrt das auch für mein Verstehen seiner Äußerungen gilt)  – und so reden und handeln, als sei diese Vollkommenheit erreicht.

Aber wir tun das nicht nur meistens, sondern wir sollen das auch tun, um ein gegenseitiges verstehen zu ermöglichen.

Das Sollen macht aber nur Sinn, wenn wir das können, also die Wahl haben, es auch anders zu tun. Wir können unnachsichtig sein, wir können dem anderen unterstellen, er sei gar nicht fähig, mich zu verstehen. Dann allerdings verletzen wir die Bedingungen für die Möglichkeit der Verständigung.

… Dem entspricht das Sprachverständnis der Hermeneutik, derzufolge man im tatsächlichen Sprechen ein vorgängiges Wissen um Wahrheit unterstellen kann und muss. Dieses hermeneutische Prinzip schlägt sich dann im „guten Willen“, genauer in der“ Macht des guten Willens“ zum Verstehen nieder, “den anderen so stark wie möglich zu machen, so dass seine Aussage etwas Einleuchtendes bekommt.“

 

Woher aber soll das „vorgängige Wissen“ kommen ? Es ist das durch Erziehung und Entwicklung von Kindesbeinen an gesammelte bewusste und unbewusste „Wissen“, das man auch dem Anderen unterstellt. Der „gute Wille“ zur Verständigung erscheint mir in der Tat als eine fundamentale moralische Forderung.

Die Frage ist nur, was daraus folgt. In einem realen Diskurs handeln alle Teilnehmer sowohl verständigungsorientiwert als auch strategisch, also erfolgsorientiert (was immer in der gegebenen Situation als Erfolg zählt). Da gehört es zu den gängigen „Dirty Tricks“ der Rhetorik, dem anderen den „guten Willen“ zum Verstehen abzufordern, sich selbst aber davor abzuschirmen. Dann wird es schwierig, diesen „guten Willen“ in der realität festzustellen. Was sind die Kriterien ? Wie erkennt man den „guten Willen“ und wie seinen Missbrauch ?

Seite 399: Ian Hacking erinnert als Beispiel an den Ursprung des Wortes Känguru. In einem Bericht heißt es: „auf ihrer Entdeckungsreise nach Australien fing eine Gruppe von Kapitän Cooks Seeleuten ein junges Känguru und brachte das seltsame Wesen zurück auf ihr Schiff. Niemand wusste, was es war, also wurden ein paar Männer an Land geschickt, um die Eingeborenen zu fragen. Als die Seeleute wieder an Bord waren, erzählten sie ihren Kameraden: „Es ist ein Känguru“. Viele Jahre später wurde entdeckt, dass die Eingeborenen, als sie Känguru sagten, in Wirklichkeit nicht das Tier benannten, sondern den Fremden zur Antwort gaben: „was habt ihr gesagt?“ Hier lassen sich zwei der für die Auffassung des Interpretationisten relevanten Aspekte verdeutlichen.

Zunächst ist zu beachten dass es offenkundig keine Garantie für Übereinstimmung des Verständnisses gibt. Letzteres kann zu jeder Zeit und in jedem konkreten Fall misslingen.

 

Ein schönes Beispiel, dass Verständigung vor alem interkulturell misslingen kann, Quine würde es als Beispiel für die Unbestimmtheit der Übersetzung sehen.

… Wenn, mit Wittgenstein gesprochen, der Gebrauch sowie das Verständnis von Ausdrücken „ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform“, dann ist die Übereinstimmung in einer Sprache letztlich an die Übereinstimmungen einer Lebensform gebunden. Übereinstimmung aber selbst noch im Feinkörnigen ist streng genommen nicht nur in Bezug auf fremde Personen und Sprachen, sondern bereits auch zwischen zwei individuellen Personen gleicher Sprache nicht ohne weiteres gegeben.

 

Ein großer Unterschied in der Lebensform macht Übereinstimmung in der Sprache sehr schwierig bzw. unmöglich. Kleine Unterschiede sind überbrückbar, wenn zugleich nur eine situationsgebundene hinreichend gute Verständigung erforderlich ist. Das ist inder Tat nicht davon abhängig, ob eine Überstzung im Spiel ist oder es sich um Verstehen unter Variarianten der gleichen Gemeinschaft handelt.

Seite 402: Das Nachsichtigkeitsprinzip lässt zwei Aspekte unbedacht, die für jedes Verstehen jedoch zentral sind. Sprecher und Hörer müssen… Erfahrungen sowie ein fürwahrhaltendes Glauben gemeinsam haben, und sie müssen in Urteilen übereinstimmen.

 

Abel geht hier noch über seine Forderung hinaus, dass Verstehen Übereinstimmungen in Sprache und damit in der Lebensform vorausetzt. Auch in hinreichend vielen Urteilen, basierend auf fürwahrhaltendem Glauben, müsse Übereinstimmung bestehen.

Jeder rationale Dialog beginnt mit der Feststellung der gemeinsamen Basis. Wenn diese gar nicht vorhanden ist, kan versucht werden, eine solche zu konstruieren, aber dazu fehlen Bauteile. So kann es sein, dass einer Verständigung zunächst ein Erziehungsprozess vorausgehen muss, der nachholt, was zwischen Personen mit gleicher Lebenswelt, Sprache und grundlegenden Urteilen bereits vorausgesetzt werden kann.

Seite 403: Denn zum einen muss man in jedem gelingenden Verstehen zumindest einen Kernbereich von Übereinstimmung oder Gleichheit annehmen. Zum anderen jedoch ist kein Kriterium angebbar für eben solche Gleichheit.

 

Noch ein Zirkel: um ein Kriterium für den Kernbereich der Übereinstimmung oder Gleichheit angeben zu können, bräuchte man eine Übereinstimmung über mögliche Kriterien. Es bleibt also wieder nur, die Übereinstimmung in der Praxis festzustellen, wohl wissend, dass diese prekär und keineswegs immer gesichert ist.

Seite 404: Zugespitzt bedeutet dies, dass das Nachsichtigkeitsprinzip weder Übereinstimmung noch Wahrheit garantiert

 

Genau so ist es. Das Nachsichtigkeitsprinzip garantiert überhaupt nichts, sondern es ist eine Sollens-Vorschrift. In der Praxis soll eine hinreichende Annäherung angestrebt werden. Verständigung wird möglich wenn trotz verschiedener Lebens-Welten das Verbindende gesucht und das Trennende gemieden wird.

Seite 405: Zunächst ist zu sagen, dass der Vorgang Verstehen letztlich so kompliziert ist, wie das interpretierende und das interpretierte Individuum. Sodann ist zu betonen, dass es keine lehr- und lernbare Theorie, sondern nur individuelle Fähigkeiten des Verstehens gibt, und dass eine allgemeine Regel, gar ein Kalkül, unter dem Verstehen sich vollzieht, nicht zu haben ist. Wer ein sprachliches oder nicht-sprachliches Zeichen versteht, der betreibt keinen Kalkül. So etwas wie einen Verstehenskalkül oder einen Algorithmus des Verstehens kann es nicht geben. Mithin hat man guten Grund, sich darüber zu freuen, wenn ein Verstehen gelingt. Wir „konjizieren“ (Cusanus), sind „divinatorisch“ (Schleiermacher) und „erraten“ (Proust).

 

Wie kompliziert ein Individuum in Hinsicht auf Verstehen ist, bleibt unermesslich, weil nicht messbar. Allerdings widerspreche ich Able, dass es nur individuelle Fähigkeiten des Verstehens gibt. Sicher ist Verstehen nicht als Theorie lehrbar, wohl aber wird es ja de facto erlernt, nämlich in der Praxis von kindlicher Erziehung und Entwicklung. Und auch für Erwachsene ist Verstehen durchaus etwas, das durch Eingehen auf den anderen, durch gemeinsames Erleben oder Erfahrungen, wachsen kann, selbst wenn es am Ausgangspunkt nicht vorhanden war.

Ob es den Algorithmus des Verstehens nicht gibt, weiß ich nicht. Die apodiktische Behauptung, es können ihn nicht geben, steht unbewiesen und unbegründet im Raum. Was es aber durchaus gibt, ist ein praktisches know-how des Verstehens, wo einer vom anderen lernen kann, etwas und jemanden besser zu verstehen.

Seite 410: Um diese beiden Punkte (der Skepsis gegen Kausalität) zu vermeiden, scheint in der Tat nur die Davidsonsche These übrig zu bleiben, dass “we must, in the plainest and methodologically most basic cases, take the objects of a belief to be the causes of that belief“.

 

Das überzeugt mich nicht. Ein „belief“ hat keine Objekte, sondern besteht aus Sätzen, und zwar nur Aussagen, die für-wahr-gehalten werden. Die Korrespondenz von Aussagesätzen über Objekte zu Objekten in-der-Welt ist nicht kausal. Allenfalls sind solche Objekte kausal für die Affizierung meiner Sinnesorgane – das Wie der Affizierung ist bereits von meiner Physiologie abhängig. Die Fürwahrhaltung von Sätzen über die Objekte ist Verarbeitung im Sinne von Interpretation1, die Sätze darüber sind Output im Sinne von Interprwetation3.

… Doch ist an dieser Stelle bereits auf drei Schwierigkeiten hinzuweisen, die ein Trilemma bilden. Entweder (i)besteht selbst noch innerhalb dieser direkten Zusammenjochung die skizzierte Problemlage von Ursachen-Pluralität und Zirkularität (denn es soll sich nach wie vor um kausale Bestimmung handeln). Woher aber weiß ich dann in der ersten Person, dass die Gegenstände bzw. Inhalte meiner Fürwahrhaltungen deren Ursachen sind? Oder(ii)es wird eine stabile Verbindung zwischen den Objekten in der Welt und meinen Fürwahrhaltungen angenommen. Dann habe ich entweder die kategorialisierenden Ebene des Formierens der So-und-so-Objekte der Welt bereits vorausgesetzt oder ich gerate in die (vor allem von Kant aufgezeigten) Aporien einer empirischen Selbstinterpretation der Erfahrung.

Oder aber (iii)der Zusammenschluss ist ein vollständig interner und betrifft das Objekt in einer Fürwahrhaltung hinsichtlich seines Verhältnisses zu dem, wovon die Fürwahrhaltung handelt und worauf sie sich bezieht. Dann wird es schwer, eine Antwort auf die Frage zu geben, ob nicht alle für Objektivität erforderlichen Bedingungen als Produkte der Einbildungskraft gedacht werden können.

 

Abel schildert das auftretende Trilemma sehr gut. Die erste Möglichkeit einer Zirkularität halte ich für unvermeidlich. Die zweite Möglichkeit führt in die Aporie der Selbstinterpretation der Erfahrung und ist damit auch zirkulär. Und die dritte Möglichkeit einer vollständig internen – im Gehirn stattfindenden – Verbindung, die der Einbildungskraft die Schaffung von Objektivität zutraut, ist auf der nächsten Ebene zirkulär, wo das Gehirn (das vollständig Interne) sich selbst denkt.

Seite 415: Demnach könnte der Sinn der Rede von „charity“ jetzt umakzentuiert werden von “konstruierender Nachsicht“ auf eine Art von „Nächstenliebe“.

 

Das entspräche meiner Interpretation des Prinzips der Nachsichtigkeit als Sollens-Satz, so wie ja auch die Nächstenliebe ein Sollen bedeutet.

… Sie bestünde zunächst darin, sich von den symbolisierenden Zeichen und Äußerungen der anderen Person überhaupt affizieren, sich gegenüber einer anderen Person und einem (sei es formalen, sei es materialen) Gehalt zu öffnen und sich etwas sagen oder zeigen zu lassen.

 

Sich anderen gegenüber öffnen gehört zu den Wegen, die Verstehen überhaupt erst ermöglichen. Wer sich dem Anderen gar nicht erst aussetzt, wird nie verstehen. Deshalb rechne ich die Pflicht, sich den anderen zu öffnen, für eine moralische Pflicht. Das bedeutet, dem anderen eine Chance geben, mich zu überzeugen. Er kann sie nutzen oder auch  nicht – und auch meine Reaktion ist nicht berechenbar.

Seite 419: Der Interpretationist vertritt darum (und im Unterschied zu Davidson) die bereits betonte These, dass das Nachsichtigkeitsprinzip in seiner die Verständigung garantieren den Funktion zunächst und vor allem auf das Fürwahrhalten beschränkt und nicht direkt auf die Wahrheit bezogen werden sollte.

Seite 425: Die Berufung des Hermeneuten auf das, “was eigentlich da steht“,

suggeriert die Möglichkeit einer trennscharfen Unterscheidung zwischen einem ursprünglichen Textsinn und der Interpretation. Dies lässt sich aber nicht definitiv und allgemeinverbindlich explizieren. Die Schwierigkeiten beginnen bereits auf der Ebene der Identität eines Textes, eines Zeichens oder einer Zeichenfolge. Diese Identität gründet, wie Saussure mit Recht betont, immer schon in einer aktiven Interpretation.

 

Eine trennscharfe Unterscheidung von ursprünglichem Textsinn und Interpretation ist sicher nicht möglich, wohl aber können frühere und spätere Interpretationen durchaus verglichen werden. Ob dabei den ursprünglicheren Vorrang eingeräumt werden sollte, bleibt umstritten.

Seite 439: dies schließt ein, dass, wie betont, der Interpretationsbegriff nicht auf sein sprachlich artikuliertes und urteilsgrammatisches Verständnis eingegrenzt ist. In seinem weiten Sinn umfasst es auch die nicht-linguistischen Zeichen und Symbole sowie den Bereich der zwar vor-rationalen, aber gleichwohl zeichenbestimmten Erfahrung, welche noch nicht als eine Aktivität zu verstehen ist, die darin besteht, mit Hilfe erlernter Sprachspiele auf Zustände und Ereignisse zu reagieren. Dies zeigt sich etwa bei Kindern, die noch nicht über eine Sprache verfügen,…

 

Kinder lernen das Interpretieren von Symbolen, z.B. der Körpersprache, lange vor dem Spracherwerb. Es ist nicht falsch manches von solchen Symbolkatalogen auch als Sprache zu bezeichnen, wenn klar bleibt, dass es rudimentäre Sprachen sind.

Seite 442: … die überlieferten Formen der Ontologie zu verabschieden. Dies ist schon dadurch impliziert, dass die Interpretativität1 als die logische Grenze der Welt und des Sinns konzipiert wird. Je mehr Logik der Interpretation aber, desto weniger Ontologie.

 

Wenn Interpretativität1 mit der im Gehirn stattfindenden Verarbeitung der Sinneseindrücke und Erfahrungen identifiziert wird, dann ist diese nicht nur eine logische, sondern auch eine physiologische Grenze unserer Welt. Was jenseits ist, gibt uns keinen Sinn.

Ich frage mich aber, ob nicht innerhalb der zugänglichen Welt doch eine Art Ontologie möglich ist, die nicht ein abstraktes Sein zum Gegenstand hat, sondern die praktischen Folgen von Existenzannahmen in einer Interpretationswelt.

Seite 447: In der Ablehnung des metaphysischen Realismus sind sich heute sowohl der Antirealismus, der interne Realismus, der Pragmatismus, der Konstruktionalismus als auch die Interpretationsphilosophie einig.

…Ein metaphysischer Realist ist dadurch charakterisiert, dass er die folgenden Thesen (insgesamt oder in einer signifikanten Anzahl) behauptet und auf sie verpflichtet werden kann: dass die Welt als eine geist- sowie schema-unabhängige und nicht-epistemische Welt besteht; dass hinsichtlich der Gegenstände zwischen intrinsischen und bloß projizierten Eigenschaften unterschieden werden kann; dass es die Welt selbst ist, die sich in Arten und Gegenstände einteilt; dass die Objekte und Ereignisse der Außenwelt an-sich-seiende Gegenstände sind; das strenge Bivalenz herrscht, d.h. das einem Gegenstand eine Eigenschaft entweder zukommt oder nicht, Vagheit mithin auszuschließen ist; dass Wahrheit als Korrespondenz aufzufassen ist, d.h. dass die Sätze einer Sprache den Sachverhalten der Welt korrespondieren

und genau dann wahr sind, wenn die Sachverhalte bestehen, falsch, wenn diese nicht bestehen; dass es genau eine wahre und vollständige Beschreibung Der Welt gibt; und dass ein externer, schema-, sprach und zeichen-unabhängiger Standpunkt eingenommen oder doch zumindest unterstellt werden kann.

 

Es kann ja durchaus eine Welt-an-sich angenommen werden. Da wir sie nicht feststellen können, wäre sie irrelevant für unser Denken. Ob metaphysischer Realismus nur mit einer Korrespondenztheorie der Wahrheit zusammen geht, wage ich zu bezweifeln. Auch die strenge Bivalenz und der Ausschluss von Vagheit sind m.E. nicht zwingend. Sonst ist der metaphysische Realismus zutreffend beschrieben.

Seite 451: Mit Recht hat Putnam betont, dass es vornehmlich der Begriff der Disposition ist, der das Scheitern der Rede von intrinsischen Eigenschaften vor Augen führt. Putnam unterscheidet eine „strict disposition“ (d.h. eine Disposition, derzufolge “something has to do something no matter what“) und eine “ ‚other things being equal‘ disposition“ (d.h. eine Disposition “ to do something under ’normal conditions‘ “).

 

Warum spricht Putnam von „has to do something“ ? Eigenschaften sind keine Tätigkeiten. Mich überzeugt auch nicht, warum die Änderung der Randbedingungen von einer strikten Regel zu einer kontingenten Regel etwas mit Dispositionen zu tun haben sollte.

Seite 453: Und schließlich ist daran zu erinnern, dass der Akt des Legens solcher Schnitte in kontinuierliche Spektren als ein Akt auftrennender und hierarchisierender Interpretationen3 beschrieben werden kann, der auch anders hätte ausfallen können…

 

Diese Schnitte zur Unterteilung der Mannigfaltigkeit der Welt finden bereits auf der Ebene der Interpretation1 statt und sind fundamental für jeden Prozess der Identifikation von Gegenständen und Sachverhalten. Die Theorien und anderen Eelmente von Interpretation3 verwenden solche Schnitte immer wieder neu oder verlagern sie auch, wenn eine Theorie dadurch überzeugender wird. Aber sie bleiben Teil der Interpretation1, wenn nicht Theorien sie nachträglich zum Zweck der  Begründung verlagern oder neue, nur für die jeweilige Theorie gültige, Schnitte einführen.

Seite 454: Aufgrund des bisher Gesagten dürfte bereits auch deutlich sein, dass es nicht die Welt ist, die sich nach Gegenständen und Arten selbst-einteilt sowie ihre Objekte und Ereignisse sortiert und klassifiziert. Vielmehr sind wir es, die mit Hilfe organisierender und klassifizierender Prädikate und Kennzeichen sowie unter Zweckgesichtspunkten solche ordnenden Einteilungen vornehmen.

 

Das Thema hat mich auch schon seit Jahrzehnten beschäftigt: Wie wir eigentlich diese Klassifizierung in Objekte vornehmen und wie dadurch jegliche Synthese auch vorgebildet wird, ist offenbar in Grenzen willkürlich.

Seite 456: …, dass Gesetze keine Vorschriften, sondern generelle Deskriptionen faktisch kontingenter Vorgänge sind; und dass Gesetze nicht etwas in der Natur, sondern Verstandeskonstruktionen in Bezug auf die Natur sind,…

 

Das Wort Natur-“Gesetz“ ist unglücklich und eigentlich theologischen Ursprungs, als man noch einen Gesetzgeber der Natur zur Verfügung hatte. In der Natur finden wir Regelmäßigkeiten vor, die sich als für uns wiederholbar erweisen. Induktion sagt uns, dass es gute Gründe für die Annahme gibt, dass diese Wiederholbarkeit bei gleichen Randbedingungen stets gegeben ist. Für die Praxis ist das hinreichend, eine tiefere Theorie müsste auch die Randbedingungen, die relevanten Eigenschaften und vieles mehr einbeziehen – und die Philosophie darf bei der skeptischen Betrachtung bleiben, dass Induktion gute Gründe, aber keine Richtigkeit und schon gar keine Wahrheit liefern kann.

Seite 459: Sodann ist seit Hume der Gesichtspunkt wichtig, dass unser Geist nicht Wörter oder mentale Repräsentationen mit äußeren Objekten, sondern stets nur Wörter mit anderen Wörtern, Repräsentationen, Bildern, Meinungen und Überzeugungen vergleicht.

 

Wobei die Korrespondenztheorie ja versucht, keinen Vergleich, sondern mathematische Abbildungen auf die Elemente anzuwenden. Das ist durchaus auch für kategorial völlig verschiedene Elemente und Mengen möglich.

Seite 460: Dies führte dazu, unsere Interpretationswelten als unsere Welten zu behandeln. In diesem Sinne gibt es wie zu sehen war, so viele Welten, wie kohärente Interpretationswelten zu einer Zeit explizierbar sind. Diese Position unterscheidet sich, wie betont, deutlich von einem Relativismus der Beliebigkeit.

 

Wenn wir aus unseren Interpretationswelten nicht hinaus können, ohne aus unserem Gehirn oder unserem In-der-Welt-Sein hinaus zu können, dann ist es sinnvoll, die einzigen uns gegebenen Welten als die unsrigen zu behandeln – immer wissend, dass es vielleicht auch andere Welten geben kann.

Die Anforderung der Kohärenz an unsere Welten ist ein Reflex des Satzes vom Widerspruch bzw. des ausgeschlossenen Dritten: Inkohärenz würde sich ja als eine Form der Widersprüchlichkeit festmachen. Die Beschränkung auf kohärente Welten unterscheidet die Position von der erwähnten Relativität der Beliebigkeit.

Wenn mehrere kohärente „Welten“ zugleich zur Verfügung stehen, dann können wir sie uns alle zugleich zueigen machen. Es fragt sich aber, ob es Kriterien gibt, die eine oder andere dieser kohärenten Welten vorzuziehen oder zurückzuweisen. Sonst wird der Relativismus nur auf die Ebene dieser Wahl verschoben.

Seite 462: gegenüber einer externalistischen Betrachtungsweise hat schon der Kritizismus Kants betont: Gegenstand ist stets nur Gegenstand in der Erkenntnis. Im pragmatischen Interpretationismus und unter interpretations-kritischem Vorzeichen wird dies in die genannte Formulierung gebracht, dass Gegenstand stets Gegenstand in einem Interpretation1-System ist und dass alles, was wir endlichen Geister als ein So-und-so-Geschehen und als eine So-und-so-Welt wahrnehmen, die expliziten und die impliziten Regeln einer Interpretation1-cum-Interpretation2+3-Praxis instantiiert.

Der Gegenstand wird ja sozusagen erst in der Erkenntnis konstruiert oder modelliert, und damit auch interpretiert.

Seite 465: … dass der Spielraum der Applizierbarkeit von Prädikaten und Kennzeichen nicht gleich Null ist: dass auch internalistisch wiederum das Problem vieler verschiedener, aber gleichermaßen legitimer “Korrespondenzen“ auftritt; dass man auch innerhalb eines mit anderen Sprechern und Hörern geteilten grundbegrifflichen Systems nicht sicher wissen kann, ob Vorstellung, Bedeutung und Referenz eines Zeichens bei einer anderen Person identisch dieselben sind, wie bei einem selbst;…

 

Korrespondenzen als mathematische Abbildungen müssen nicht unbedingt bijektiv, also eindeutig sein. Die Unsicherheit, ob Vorstellungen, Bedeutung und referenz bei verschiedenen Personen übereinstimmen, bleibt dennoch erhalten.

Seite 469: Sobald wir jedoch aufgefordert werden, ein solch intuitiv noch für akzeptabel gehaltenes Kontinuum nach Art eines Dedekindschen Schnittes in eine klare Dichotomie von ’subjektiv‘ und ‚objektiv‘ aufzutrennen, stellen wir fest, dass es da “no agreement at all in our philosophical institutions“ gibt. Die Schnitte können auf sehr unterschiedliche Weise gelegt werden. Was für den einen etwa bereits auf die objektive Seite gehört, ist für einen anderen noch subjektiv.

 

Die Idee der Schnitte in der Welt zur Identifikation von Sachverhalten (nicht unbedingt nur Objekten) ist wichtig. Hier ist noch mehr Willkür – oder auch Kreativität – möglich als bei Objekten.

Seite 469⁄470: Solche Schnitte und isolierenden Zusammenfassungen mehrerer Elemente zu einem Gefüge sowie deren Abgrenzung gegenüber anderen spielen bereits auch in der Empfindung, der Wahrnehmung und der Beobachtung eine zentrale Rolle. Durch sie entstehen überhaupt erst „Fakten“ für uns. „Fakten“-Bildung kann also als Isolierung und Gruppierung, kann, wie Nietzsche sich einmal ausdrückt, als Auftrennung eines „beständigen, eigenartigen, ungeteilten, unteilbaren Fließens“ angesehen werden.

 

Die Schnitte schneiden zunächst ins Chaos und strukturieren dessen Mannigfaltgkeit, oder auch, was Nietzsche das „Fließen“ nennt.

Seite 471: Grenze ist eine Grenze der Interpretation, nicht eine essenzialistische Grenze in der Sache.

 

Ich würde eher sagen: nur die Grenze der Interpretation können wir ermessen, die der Sache selbst, der essentialistischen Sache, die bleibt uns unermesslich.

Seite 474: Nur solche Interpretationswelten, die auch mit den Bedingungen der empirischen Gültigkeit kohärent sind, können als unsere Welten behandelt werden.

 

Die Bedingungen empirischer Gültigkeit sind ja ihrerseits Interpretationen. Also bewegen wir uns erneut in einem Zirkelschluss.

Seite 475: Dass es Fakten gibt, kann, wie betont, selbst kein Faktum, sondern muss Interpretation sein. Weder also Gedanken noch Fakten sind einer strikt empirisch-realistischen Behandlung zugänglich.

 

Das halte ich für übertrieben: Fakten und Gedanken sind deshalb einer empirischen Behandlung zugänglich, weil sie soziale Fakten sind, die gemeinschaftlich geschaffen wurden. Die Fakten=Sachverhalte werden allerdings erst durch Interpretationen gesetzt.

Seite 476: Hier ist die Vorstellung leitend, dass es “dieselbe“ Welt sei, die das eine Mal zum Beispiel aus Tischen und Stühlen, das andere Mal zum Beispiel aus Partikeln und Feldern bestehend beschrieben wird. Der Interpretationist dagegen betont zunächst, dass mit jeder der unterschiedlichen Verwendungsweisen der kategorialisierenden Grundbegriffe streng genommen nicht nur eine andere Version „derselben“ Welt, sondern in dem erläuterten Sinne eine andere Welt verbunden ist.

 

Das ist ein Streit um des Kaisers Bart: es hängt von der Definition und der Interpretation des Begriffs der „Welten“ ab, ob es sich bei den vielen Interpretationen um mehrere Welten oder um Vielfalt in einer Welt handelt.

Seite 477: Es gibt kein von der jeweiligen Interpretations-Praxis unabhängiges Kriterium für die Gleichheit zweier oder mehrerer Welten, kein Kriterium für das, was darin als „dasselbe“ anzusehen wäre

 

Wenn es solche Kriterien nicht gibt, dann ist auch die Identifikation (als Vergleich, mit dem Ziel, Gleichheit festzustellen) einer „Welt“ unmöglich. Die Praxis der Interpretation ist dann ohne jedes Fundament. 

Seite 481: … dass der Praxis die letztlich (auch in Bezug auf den theoretischen Sinn) entscheidende Rolle zukommt; das Bedeutung, Referenz, Erfüllungs- und Wahrheitsbedingungen unseres Sprechens, Denkens und Handelns jeweils auf Situation, Zeit, Zweck, Kontext und Individuum bezogen sind;…; Und dass der Sinn einer Interpretation selbst eine Interpretation ist.

 

In dieser fundamentlosen Praxis ist jde Interpretation extrem abhängig vom Kontext, alles was über einen Kontext hinausgeht, wird dem Relativismus überlassen.

Seite 484: das Sortieren von Tatsachenaussagen und Werturteilen ist letztlich so kompliziert wie der interpretative Mensch selbst. Unterhalb dieser Komplexität ist die Differenz zwischen Tatsachen und Werten nicht zu haben.

 

Diese Komplexität beschreibt Abel aber nicht weiter, so dass er den Leser ratlos lässt. Immerhin gibt er eine Differenz zwischen Tatsachen und Werten zu, allerdings nur unter hochkomplexen Bedingungen.

Seite 487: In der Interpretationsphilosophie geht es darum, die Reichweite und die Funktionsweisen unserer Interpretationszeichen sowie unsere Interpretations-Praxis ein Stück weit zu erhellen, deutlich zu machen. Dieses Bemühen kann weder essentialistisch als ein Aufdecken vorfabrizierten intrinsischen Wesens noch begriffsanalytisch als eine semantische Analyse missverstanden werden.

 

Bemühen und Erhellen – das ist ein mageres Ergebnis. Ist es denn schon essentialistisch, wenn die vorab immer-schon vorhandenen instrinsischen Eigenschaften in Form von Interpretation1 transparent gemacht und ihre Rolle kritisch aufgedeckt wird ? Was spricht denn gegen eine semantische Analyse der Sätze als Mittel zur Erhellung unserer Interpretationszeichen ?

Seite 488:…, dass wir die Mittel unserer Interpretation1, zu einer gegebenen Zeit und mithin (da Interpretation1, wie betont, nicht bloß ein zusätzliches Verfahren des Erkennens, sondern die Form des In-der-Welt-Seins selbst ausmacht) die ursprüngliche Weise unseres In-der-Welt-Seins zu einer gegebenen Zeit nicht beliebig verändern können.

 

Erneut betont Abel, dass unere Interpretation1-Mittel, also das, was gehirnphysiologisch fest liegt, uns nicht verfügbar sind, sondern zu unserem In-der-Welt-Sein gehören.

Seite 514: Und schließlich sind in dem bereits erwähnten Sinne die Gründe, eine bestimmte Explikation zu dieser Zeit und in diesem Kontext für akzeptabel zu halten, einer Formalisierung nicht nur nicht zugänglich, sondern praktische, mit den Norm- und Wertvorstellungen einer „Lebensform“ (Wittgenstein) verbundener Natur.

 

Das halte ich für zu weit gehend. Abel öffnet so dem Relativismus Tür und Tor. Man kann durchaus Explikationen geben, die kontextunabhängig sind. Es stimmt aber, dass die Verbindung mit der Lebenswelt und ihren Normen wichtig ist.

Seite 516: da es nicht “Den Einen definitiven und allgemein verbindlichen Interpretations-Horizont“ und in diesem Sinne auch nicht “Die Eine Wahrheit“ geben kann, ist – unter strenger Beachtung der sinnkritischen Einschränkungen und unter strikten Ausschluss von Beliebigkeit – zu sagen, dass es so viele Wahrheiten wie kohärent explizierbare und begründbare Wahrheitsansprüche zu einer Zeit gibt. Welcher der Wahrheiten dann der Vorzug vor anderen gegeben wird, ist letztlich eine praktische Frage, die davon abhängt, was im Handlungszusammenhang für relevant, für wichtig und im Grenzfall für unabdingbar gehalten wird. Darin besteht der interpretations-praktische Kern der Wahrheitsfrage.

 

Hier verfällt Abel in einen starken Wahrheitsrelativismus. Der ist auch mir nicht fremd, auch wenn ich ihn stärker aus der Zirkularität unseres Sprechens und Denkens ableiten würde. Auch wenn es eine praktische Frage ist, bleibt ja die Notwendigkeit des Auswählens erhalten – gibt es dafür eine Verfahrensregel?

… So gesehen vollzieht sich auch das Aufstellen und Reflektieren von Wahrheitsansprüchen aus der Interpretations-Praxis heraus und auf diese hin. Dabei ist das Netzwerk der mannigfaltigen interpretatorischen Bedingtheiten und perspektivischen Wertschätzungen im ganzen nicht distanzierbar, nicht überschaubar und nicht hintergehbar.

 

Wir hängen also in unserem Netzwerk der Interpretationspraxis fest. Es bleibt unhintergehbar. Damit werden aber auch die einzelnen Interpretationen recht wilkürlich, solange Kohärenz gewahrt bleibt.

Seite 522 f.: Und umgekehrt zeigt sich hier, was es heißt, dass die semantische Depotenzierung einer Lebensform, Nihilismus genannt, dazu führt, überkommene ethische Rede nicht einmal mehr zu verstehen und rational gut begründete Argumente nur so schwer in eine Lebenspraxis übersetzen zu können.

 

Ist nicht aber auch der ganze Interpretationismus auf Nihilismus gegründet, weil er unter sich Abgründe hat, kein festes Fundament ?  Nietzsche hat ja die „überkommene ethische rede“ sehr gut verstanden und sie dann zerrissen, indem er durch Dezision des Stärkeren andere moralisch-ethische Grundsätze aufstellte.

Wassoll hier „semantische Depotenzierung einer Lebensform“ heißen: ist es eine Frage der Semantik, wie bestimmte Interpretationen in die Lebensform eindringen und Ethik und Moral ohnmächtig machen ?

Es ist richtig, dass eine Erziehung zum Nihilismus schwer korrigierbar ist und deshalb dazu führt, dass Menschen der Kommunikation nicht mehr zugänglich sind.

S.523: In Abbreviatur lassen sich die folgenden Punkte nennen. Kardinal ist, dass von uns endlichen und eben darum perspektivischen Geistern keiner im Besitz „Der Wahrheit“ oder „letzter, definitiver und allgemein verbindlicher“ Gründe ist. Dieser Umstand ist in sich ethisch äußerst relevant. Er führt in kritischer Einstellung zu einer reflexiven Selbstbeschränkung des jeweils eigenen Anspruchs und lässt andere Interpretationen anderer Interpreten jederzeit zu. Die Ethik der Interpretation ist dadurch gekennzeichnet, dass sie den anderen Personen ihre anderen Interpretationen, mir aber meine Interpretationen sowie auch meine Interpretation der anderen Interpretationen belässt.

 

Die Ethik des Interpretationsimus kommt in Abels Buch sehr kurz:niemand ist im Besitz der einen, alleinseligmachenden Wahrheit, niemand kann Anspruch erheben, die letzten, definitiven Gründe zu haben. Das halte ich geradezu für trivial und seit Kant und Hume zum Bestand westlicher Aufklärung zugehörig.

Aber bedeutet die Selbstbeschränkung – auch wenn Abel sie reflexiv nennt – nicht doch puren Relativismus ? Die kritische Einstellung zu eigenen Interpretationen und die Akzeptanz anderer Interpretationen (ohne zwischen Interpretaionen1v2v3 zu unterscheiden) mag richtig sein, aber mit dem jeweiligen Belassen ist ja nichts für eine Auseiandersetzung mit den verschiedenen Positionen geleistet. Gerade in der Praxis kommt es ja auf Handlungskoordinierung auf Basis gemeinsamer Positionen an, die erst im geregelten Diskurs miteinander erreicht werden können.

Das „Leben und Leben lassen“ findet seine Grenze ja schon dort, wo die eigene Existenz gefährdet wird, wenn man andere gewähren lässt. Wie will Abel sich gegen Extremisten wehren, wie gegen diejenigen, die meine Interpretationen nicht leben lassen wollen, sondern sie für gottlos, irational oder sonstwas halten ? Im Elfenbeinturm ist gut reden von Anerkennung auch anderer Interpretationen, in der Praxis kann es dabei um das geistige oder sogar physische Überleben gehen.

Weder die Wahrheit selbst noch eine metaphysisch privilegierte Strategie zu ihrer Erlangung zu besitzen, ist mithin nicht nur nicht zu beklagen, sondern vielmehr zu begrüßen; denn andernfalls wären Fanatismen philosophisch sanktionabel.

 

Diese Aussage schützt sicher vor dem eigenen Fanatismus, und das ist gut so. Sie macht aber wehrlos gegen den fremden Fanatismus, weil es diesen als gleichwertig akzeptiert und jeden Kampf dagegen als Dogmatismus und Fanatismus denunziert.

Seite 524: Denn Materialität und Allgemeinheit lassen sich nicht zugleich formulieren. Darum kann es nur um die Form der Sittlichkeit gehen, in der einer Person nicht vorgeschrieben wird, was sie, sondern nur wie sie wollen soll.

Auszuschließen sind dogmatische Moralen sowie überhaupt das Durchsetzen von Einstellungen. In der Philosophie wird nichts durchgesetzt.

… Damit ist verknüpft, dass der Wert der anderen Person in ihrer Andersheit unabwertbar ist.

 

Das ist mir viel zu allgemein. Natürlich hat schon Kant deutlich gemacht, dass eine Ethik formal formuliert werden muss, so wie z.B. der kategorische Imperativ. Aber eine solche formale Definition des Sittlichen ist nur dann praktisch relevant, wenn die tatsächlich auftretenden praktischen Probleme an ihr gemessen werden können.

In der Philosophie wird nichts durchgesetzt – richtig“ – Aber in der Praxis wird ständig durchgesetzt. Wenn die Interpretations-Praxis so zentral für die Interpretations-Philosophie ist, dann wäre diese ja irrelevant, wenn sie nicht auch zur Praxis der Anwendung der formalen Ethik auf die praktische Ethik beitragen könnte.

Was ist der „Wert“ der anderen Person ? Hier haben wir uns angewöhnt, Artikel 1 des Grundgesetzes zu zitieren: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Was aber gehört zu dieser „Würde“ als Kern der Menschlichkeit ? Ist das der Wert, der hier gemeint ist ?

Ich hätte kein Problem von einem Menschen zu sprechen, der sich selbst abgewertet hat, indem er seine eigene Würde herabgewürdigt hat, z.B. wenn er zum Mordbrenner geworden ist. Im Krieg wird dann das Töten einer solchen Person erlaubt, im Frieden wird zumindest erlaubt ihm auf Dauer oder sehr lange Zeit seine Freiheit zu nehmen. Sind das aber nicht auch wichtige Bestandteile der Würde des Menschen ? So ganz unantastbar ist sie dann doch nicht ?

Die Verfassungsvätern haben wohl etwas anderes gemeint: der Kern der Menschlichkeit, der nie und nimmer herabgewürdigt werden darf, sei es durch Folter zur Erzwingung von Geständnissen oder aus purem Sadismus, sei es durch Erniedrigung auf tierische Funktionen.

Hier aber ist es wichtig, nicht nur eine formale Ethik zu haben, sondern auch praktische Folgen einer solchen Ethik auszubuchstabieren. Sonst ist sie irrelevant.