2024 - Kants 300.Geburtstag

Kant – 300.Geburtstag am 22.April 2024

Am 22.April 1724, vor 300 Jahren, kam in Königsberg Immanuel Kant zur Welt. Das Jubiläum wird mit vielen Reden, Artikeln und offiziellen Feiern begangen. Zum ersten Mal hörte ich von Kant in der Schule, als jemand sagte, dass er so umständlich schreibe, dass er fast unlesbar sei. Irgendwann, ich glaube, es war im zehnten Schuljahr, lasen wir im Deutschunterricht Kants berühmten Artikel „Was ist Aufklärung?“ – und ich fand ihn überhaupt nicht umständlich. Er überzeugte durch klare Gedankenführung und prägnante Ausdrucksweise.

Es dauerte aber noch viele Jahre, bis ich mir im Alter von etwa 30 Jahren die „Gesammelten Werke“ vornahm, die schon schwere Kost war. Auslöser war eine Unterrichtseinheit der Fernuniversität Hagen über die Philosophie Immanuel Kants. Ich begann mit den drei Kritiken, dann las ich die Metaphysik der Sitten und seine Schriften zur Religion. Natürlich las ich auch den Traktat über den ewigen Frieden. Von den Frühschriften interessierte mich seine Formulierung der Theorie der Planetenentstehung. Meine Beschäftigung mit dem Werk Immanuel Kants – auch mit Hilfe von Sekundärliteratur hat seitdem nicht aufgehört.

Das Lesen philosophischer Werke ist für mich ein immer neues Abenteuer des Gesprächs mit den Autoren – den Lebenden und den Toten. Bei einem Altersunterschied von 224 Jahren ist das nicht ganz einfach, denn jeder von uns, auch Kant und ich, ist ein Kind seiner Zeit, jeder lebt in seinem Kontext.

Der 31-jährige Kant veröffentlichte im Jahre 1755 anonym die Schrift: „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes, nach Newtonschen Grundsätzen abgehandelt“.

Naturwissenschaftler entwickeln Hypothesen über die uns umgebende Natur in Form sprachlicher und mathematischer Ausdrücke mit Erklärungswert. Was genau als „Erklärung“ taugt, war vor dreihundert Jahren sicher etwas anderes als es die Wissenschaftstheorie im modernen Sinne versteht. Newton hatte bereits eine geniale Theorie der Himmelsmechanik entwickelt, die erst von Einstein korrigiert wurde – für den Alltag aber nach wie vor taugt. Es gab noch keine Theorie der Evolution, die Falsifizierbarkeit von Hypothesen galt noch nicht als erstrebenswertes Ziel der Wissenschaften.

Die Kant-Laplacesche Theorie der Planetenentstehung konnte erst in jüngster Zeit mit den Ergebnissen der Expeditionen von Raumsonden abgeglichen werden. Inzwischen können alle Planeten aus der Nähe erforscht werden. Die von Kant schon als Staubringe identifizierten Ringe des Saturn sind im Detail analysiert worden. Kants Theorie war gut begründet. Viele seiner Hypothesen stellten sich als richtig heraus, andere als falsch. Kant spekulierte auch ernsthaft über Lebewesen auf allen Planeten – ein vergnüglicher Unsinn!

Was Kant damals schrieb, ist inzwischen hoffnungslos veraltet, nicht anders als das, was uns von Kopernikus, Galilei oder Kepler hinterlassen wurde. Doch sie alle haben unser Wissen um entscheidende Schritte vorangebracht. Im ewigen Prozess von Versuch und Irrtum bauen wir auf ihrem Denken auf. Von diesem Denken bleiben gerade auch die Irrtümer interessant und lehrreich, an diesem Denken können wir manchen späteren Fortschritt messen.

Warum widme ich mich hier einer veralteten naturwissenschaftlichen Schrift von Immanuel Kant? Weil hier klarer als bei seinen metaphysischen und kritischen Werken die Spannung sichtbar wird, die zwischen dem Fortschritt des Wissens und der bleibenden Herausforderung des Denkens besteht.

Kants philosophischen Thesen und Hypothesen lese ich heute nicht als „geltendes“ Wissen. Davon ist vieles ebenso veraltet wie seine naturwissenschaftlichen Schriften. Aber sein philosophisches Denken ist zeitlos, es ist der Ursprung vieler Denkwege, von denen wir auch heute noch ausgehen und die uns auch in Zukunft bereichern können. Die Bedeutung Kants liegt in seiner Herangehensweise, in seinen Fragestellungen, in seiner Kritik, mit denen er uns immer noch herausfordert. Seine große Leistung besteht darin, uns die Grenzen dessen aufzuzeigen, was wir wissen können.

Der Dialog mit dem Autor Immanuel Kant lohnt weiterhin. Es ist ein Anstoß zum Weiterdenken.