Das Sein und
die Tatsachen

VERÖFFENTLICHT 4. SEPTEMBER 2015 

Das Sein – oder was sonst ?

Das „Sein“ – eine Substantivierung des Wortes „sein“ in seinen vielfältigen Anwendungsweisen, die man Bedeutungen nennen kann. Viele davon hat schon Aristoteles in Teil V seiner „Metaphysik“ aufgezählt. Ich weiß nicht, ob alle menschlichen Sprachen die Substantivierung von Verben oder Hilfsverben kennen und zulassen, ich glaube es eigentlich nicht. Deshalb halte ich es für Notwendigkeit, den Gebrauch des substantivierten Hilfsverbs so zu erklären, dass er auch jemandem klar wird, der keine Substantivierung kennt.

Die Formen von „sein“ drücken in unseren westlichen Sprachen eine Relation aus. Unter den vielen bei Aristoteles genannten Bedeutungen scheint mir nur die wesentlich, die als Relation „zugehörig zu einer Teilmenge von Wirklichkeit“ ausdrückt und impliziert, dass dies durch bestimmte Eigenschaften spezifiziert werden kann.

Aber das ändert nichts an der vielfältigen und mehrdeutigen Verwendung des Begriffs „sein“. Deshalb muss jeder, der dieses Hilfsverb benutzt, gar noch in substantivierter Form, genauer Umschreiben, welche der vielen Formen er meint.

Nun gibt es auch einige Sprachen wie das Russische oder das Chinesische, die auch „sein“ nicht verwenden. Im Russischen wird zwar in speziellen Fällen die Tatsache, dass etwas wirklich existiert durch „jest‘ “ ausgedrückt, aber statt A IST B kann dort A B stehen. Die bei uns durch „ist“ ausgedrückte Relation ist dort implizit vorhanden, wenn Wörter in bestimmter Weise geordnet sind.

Das Substantiv „Das Sein“ soll dann nichts anderes bedeuten als der Gebrauch der grammatischen Formen von „sein“ in der Sprache. In der Philosophie ist seit der Antike dieses Substantiv „Sein“ mit vielen weiteren Aspekten angereichert worden, indem dem Sprachgebrauch etwas gegenübergestellt wurde, das durch die Sprache ausgedrückt wird, ein „Gegenstand“ namens „Sein“, der wie ein Ding oder eine Tatsache eine Vielzahl von Attributen haben kann.

Kant stellt fest, dass wir die Phänomene wahrnehmen, aber nicht das, was „an sich“ da ist. Er geht davon aus, dass die Dinge an sich etwas sind, wovon: „sie sind…“ ausgesprochen werden kann, allerdings sind sie unserer menschlichen Erkenntnis unzugänglich. Welchen Sinn dieses „etwas“ dann hat, bleibt dunkel. Wendet man Occams Rasiermesser an – verwendet also keine Begriffe, die als überflüssig eliminiert werden können – dann kann man auf das an-sich-sein getrost verzichten ohne die geringste Erkenntnis zu verlieren.

Ich möchte hier aber das „an-sich“ mit einer neuen Bedeutung wieder einführen. Den Begriff „an-sich-sein“ verwende ich, weil er eng mit Kants Begriff verwandt ist und insofern eine Weiterentwicklung seines Gedankens sei könnte.

Die Gegenstände unserer Welt sind für uns auch Gegenstände wissenschaftlicher Untersuchung. Als Ding-an-sich bezeichne ich nunmehr den Grenzwert aller Aspekte, aller Erkenntnisse, die durch Forschung über einen Gegenstand herausgefunden werden können. In der Regel wissen wir nicht, ob es noch unerkannte, unbekannte oder verborgene Aspekte der Gegenstände der Forschung gibt, wir wissen nur, dass wir unser Wissen darüber immer wieder erweitern. Der Grenzwert der vollständigen Erkenntnis des Gegenstandes nenne ich also Ding-an-sich, und der Grenzwert unerreichbar, aber nicht unbekannt wie Kants Ding-an-sich. Er ist nicht in einer anderen Welt wie bei Kant, sondern man kann sich an den Grenzwert annähern.

Ein Beispiel: Wir wissen heute wenig über „dunkle Materie“, wir haben ein Wort, aber noch kein klares Bild, was genau das eigentlich bezeichnet. Die „dunkle-Materie-an-sich“ ist aber etwas, dem wir durch weiteres Forschen nahe kommen wollen, ob das gelingt, wann und wie, wissen wir nicht, aber ich gehe nicht von prinzipieller Unerkennbarkeit aus.

„Feuer“ war lange ein wichtiger physikalischer Begriff, von manchen sogar als Element der Natur angesehen. Inzwischen haben wir uns dem „Feuer-an-sich“ so weit genähert, dass wir auf den unklaren Begriff aus der Alltagssprache im wissenschaftlichen Diskurs weitgehend verzichten können. Dabei wurden zeitweise auch Irrwege beschritten: „Phlogiston-an-sich“ wurde genau untersucht ohne dass am Ende eine sinnvolle Anwendung des Begriffs übrig blieb, so dass der Begriff entfallen konnte.

Identität

Was ist Identität ? Welche Attribute müssen dafür gleich bleiben und welche können sich unbeschadet der Identität verändern ? Kann es Identität geben, wenn Raum- und Zeitkoordinaten sich verändert haben ? Bis zu welcher Feinheit sollen Gegenstände oder Tatsachen übereinstimmen, damit sie als identisch gelten können ? Ist EIN Gegenstand an verschiedenen Raumstellen zu verschiedenen Zeiten etwas Identisches ? Was ist Identität in einem raumzeitlichen Kontinuum? Können ZWEI oder MEHR verschiedene Gegenstände identisch sein ? Wann sind Abstrakta, wann Zahlen identisch ? Ist die rationale Zahl 1 mit der ganzen Zahl 1 identisch ?

Was wird aus Identität im Laufe der Zeit ? Ist der Stern, den wir nach Ankunft seines Lichtes bei uns nach vielen Lichtjahren sehen, mit irgendetwas identisch, was existiert ? Hat sich seine Identität mit Lichtgeschwindigkeit ausgebreitet ? Ist das Echo, das wir hören, mit dem auslösenden Ruf identisch – eben nur zeitverschoben – oder ein neues anderes Geräusch ?

Kann man von der Identität eines Menschen im Laufe eines Lebens sprechen? Unsere Zellen sind im Laufe der Zeit mehrmals ausgetauscht worden. Zunehmend bestehen wir Menschen auch aus Ersatzteilen: künstliche Zähne, fremde Herzen, künstliche Glieder, ja, selbst ein Toupet kann ja Teil unserer Identität werden. Heute klingt es noch wie Science Fiction: aber bald könnten unsere Gehirne durch Verbindung mit Geräten zu ihrer Verbesserung eine neue Identität bekommen – heute schon können Parkinson-Patienten dank gezielter Impulse in ihrem Gehirn ihre Krankheit beherrschen, was aber wird aus unserer Identität, wenn gezielte Impulse uns für unsere Mitmenschen zu einer anderen Persönlichkeit machen oder sogar auf das einwirken, was unsere selbst empfundene Identität ausmacht ?

Ich habe hier bewusst den Begriff der Identität in sehr verschiedenen Bedeutungen verwendet. Er ist alles andere als eindeutig und muss für eine sinnvolle Verwendung jeweils präzisiert werden. ähnlich wie bei dem Begriff „sein“ ist auch „Identität“ erklärungsbedürftig – sonst drohen Missverständnisse..

Identität hängt eng mit Wiederholbarkeit zusammen. Identität kann nur nachgewiesen werden, wenn sie sich reproduzieren lässt.

Tatsachen und Gegenstände

Ein Gegenstand, das klingt einfacher und eingeschränkter als Tatsachen. Gegenstände begegnen und als Dinge, die eine Raumstelle besetzen und damit für andere Gegenstände dort keinen Platz mehr lassen. Alle Teile des Gegenstandes bewegen sich gemeinsam fort, sie können auch rotieren oder pulsieren ohne dass der Gegenstand seine Identität ändert.

Doch wir sprechen auch metaphorisch vom Gegenstand einer Vorlesung, einer Theorie oder einer Nachricht. Die Metapher deutet an, dass der Gegen-stand ähnlich einem materiellen Gegenstand „im gedanklichen Raume“ steht und dort von allen Seiten betrachtet und analysiert werden kann.

Tatsachen sind gegenüber Gegenständen der weitergehende Begriff.

„Das ist eine Tatsache“ ist im alltäglichen Sprachgebrauch ein starker Wahrheitsanspruch. Um so heftiger fällt dann auch oft die Reaktion aus, wenn dieser Anspruch bestritten wird: das reicht von „das stimmt einfach nicht!“, oder „du verstehst das nicht“ bis hin zu „du lügst!“

Wittgenstein macht es sich einfach, wenn er im „Tractatus logico-philosophicus“ sagt „Die Welt ist, was der Fall ist“. Was denn wirklich der Fall ist, was als Tatsache feststeht und was von den behaupteten Tatsachen zumindest zweifelhaft, wenn nicht falsch ist, diese Fragen sind alles andere als einfach. Wenn eine Tatsache behauptet und diese Behauptung akzeptiert wird, dann ist sie für diejenigen die darin übereinstimmen eine Wahrheit.

Emile Durkheim hat in seinen Vorlesungen von 1913 die Auffassung des Pragmatismus kritisiert, Wahrheit sei rein individuell und daher auch nichts feststehendes, sondern vielmehr historisch und kontextuell bedingt. Durkheim hält dem entgegen, dass Wahrheit eine soziale Erscheinung ist, die darauf beruht, dass Individuen miteinander kommunizieren und eine Gesellschaft bilden. Gemeinsam festgestellte Wahrheiten seien der Kitt, der die Gesellschaften zusammenhält. Er unterscheidet dann mythische Wahrheit von der wissenschaftlichen Wahrheit. Beide bestimmen unseren Alltag, die mythische wird ungeprüft übernommen und geglaubt, die wissenschaftliche erfordert Verifizierung und Beweise.

Wenn wir uns selbst einmal prüfen, welche Tatsachen wir als gegeben ansehen, dann stellen wir fest, dass nur ein winziger Bruchteil davon individuell überprüft oder auch nur überprüfbar sind. Wir leben also weiterhin in einer Welt, in der wir Tatsachen überwiegend deshalb annehmen, weil sie von anderen behauptet werden. Wir akzeptieren den Wahrheitsanspruch, wenn es sich um überliefertes Wissen handelt, das wir von Eltern, Verwandten, und von anderen Mitgliedern unserer Gruppe oder Gesellschaft erhalten haben. Wir akzeptieren es auch, wenn diejenigen, die eine Tatsache mitteilen, in unseren Augen eine hohe Glaubwürdigkeit und damit Autorität haben. Das kann ein Fernsehsprecher oder ein Lehrer, ein Wissenschaftler oder ein Sektenführer sein. Auch die Auswahl der Autoritäten, denen wir glauben, ist weitgehend gesellschaftlich überliefert.

Aussagen über die Welt, in der wir leben, sind also weitgehend ungeprüfte Tatsachenbehauptungen. Der Lehrer, der im Geografieunterricht behauptet, es gäbe „wirklich“ einen Kontinent Australien, war möglicherweise nie dort. Er hat von anderen Wissenschaftlern im Studium gelernt, daran zu glauben, er hat schriftliche und bildliche Dokumente gesehen, die für ihn ein anschauliches Bild von dem ergeben, was für ihn Australien ist. Was Australien für einen Australier ist, erfährt er vermutlich auch nicht in einem sehr profunden Geografie-Studium, nicht einmal durch das Studium der Geschichte, Politik, Wirtschaft und Soziologie des Landes. Am Ende stellt jeder, der ein fremdes Land zum ersten Mal besucht, fest, dass es alles anders ist, als es in seinen Vorstellungen existierte.

Als Schüler haben wir oft das Gefühl gehabt, dass wir nutzlose Dinge lernten, also Behauptungen über Tatsachen zu akzeptieren, die für uns nicht relevant sind. Unser Urteilsvermögen war sicher nicht gut genug, um den zukünftigen Nutzen des Wissens in vollem Umfang abzuschätzen, aber auch aus der Rückschau im Alter stellen wir fest, dass der Kopf mit einem Bestand an „Tatsachen-Wissen“ vollgestopft wurde, der nie wieder genutzt wurde oder aber, wenn es doch von Interesse war, den Wissensbestand zu nutzen, hoffnungslos veraltet und oft genug schlicht falsch war.

Trotz allem ist dieser Bestand an Wissen aus zweiter Hand ein großer Teil unseres Wissens über die Welt. Dagegen ist die eigene Erfahrung nur ein Bruchteil unseres Wissens, zumal sie in der Regel auf den eigenen Erfahrungshorizont beschränkt ist. Die Erfahrung ist aber deshalb sehr wichtig, als wir auch den übrigen Wissensbestand immer im Lichte unserer eigenen Erfahrung interpretieren.

Wissenschaftliche Tatsachen werden auch zunächst gelernt, also von Autoritäten übernommen. Vor allem wird übernommen, was als wissenschaftliche Methode akzeptiert wird und was nicht. Ein Naturwissenschaftler lernt von Anfang an zu experimentieren. Das bedeutet, dass er bestimmte grundlegende wissenschaftliche Tatsachen selbst überprüft und damit seinem Erfahrungsschatz hinzufügt. Das Erlernen des Experimentierens macht dann auch nachvollziehbar, wenn andere über ihre Experimente berichten. Ihre Ergebnisse werden zum Bestand des kollektiven wissenschaftlichen Wissens, wenn die Experimente von hinreichend vielen Wissenschaftlern nachvollzogen und die Ergebnisse bestätigt wurden und wenn sie im Prinzip jederzeit wiederholbar wären. So steht auch das Wissen aus zweiter Hand in den experimentellen Wissenschaften auf einer solideren Grundlage als im Alltag.

Der theoretische Wissenschaftler übernimmt (arbeitsteilig) die Aufgabe, die Ergebnisse der Experimente induktiv zu deuten und in ein – meist symbolisches – Begriffssystem zu fassen, das eine kohärente Beschreibung zulässt, wie verschiedenen Tatsachen systematisch zusammenhängen. Das ist eine kreative geistig Leistung. Aus dem entwickelten, kohärenten System wiederum kann der Theoretiker Aussagen über Tatsachen entwickeln, die bisher nicht entdeckt oder beobachtet wurden, in seinem System aber notwendig sind. Dieses kann als Prognose für eventuelle neue Experimente formuliert werden, die dann solche Behauptungen stützen oder widerlegen.

Wie Popper richtig fordert, sollte eine Wissenschaft immer wieder versuchen, ihr System zu widerlegen. Allerdings überschätzt er die Bedeutung und sogar die Möglichkeit eines „experimentum crucis“ sehr. Ein System wissenschaftlicher Tatsachenbehauptungen ist normalerweise so komplex, dass es nicht reicht, einen bestimmten Aspekt zu widerlegen um das ganze System zu Einsturz zu bringen. Die Logik des Satzes vom Widerspruch braucht klare, einfache Aussagen und nur diese sind widerlegt, wenn eine notwendige Folgerung im Widerspruch zu der Aussage steht. In einem komplexen System reichen kleine Korrekturen oft aus um Widersprüche zu beseitigen. Im Übrigen geht es in den Wissenschaften eher um das Ansammeln von Beweisen, die allesamt nur induktive – und damit hypothetische Wahrheiten sind, aber durch ihre Fülle einen hohen Grad an Glaubwürdigkeit erreichen, zumal, wenn sie weiteren Experimenten und technischen Anwendungen nicht widersprechen sondern diese erst ermöglichen.

Was Kuhn den „Paradigmenwechsel“ in den Wissenschaften bezeichnet, trifft weniger die Tatsachen, die sich als Ergebnisse von Experimenten darstellen, sondern die Herangehensweise, die Methodik der Wissenschaft und den theoretischen Begriffsapparat, der zur Interpretation des systematischen Zusammenhang der Tatsachen verwendet wird.

Wissenschaftliches Arbeiten ist schwierig und nicht jedem zugänglich. Die Theorien, weitgehend in Form mathematischer Symbolsprache, sind den meisten Menschen – einschließlich Wissenschaftlern aus anderen Fachgebieten – ein Buch mit sieben Siegeln. Wenn wir also die Ergebnisse der Wissenschaft als Tatsachen im Alltag akzeptieren, dann nur deshalb, weil wir dem kollektiven Wissenschaftsbetrieb und den Individuen, die ihn tragen, Vertrauen entgegenbringen. Die Erfahrung, dass darauf beruhende technische Anwendungen in meinem Alltag funktionieren, stärkt dieses Vertrauen. Es ist also etwas dran, wenn vom „Mythos der Wissenschaften“ gesprochen wird. Ähnlich wie bei alten Mythen glauben wir auch hier das meiste ungeprüft. Aber wir haben gute Gründe für dieses Vertrauen, bessere als für die alten Mythen.

Wie also können wir Ontologie betreiben ? Ist das nicht ein etwas hochtrabender Anspruch etwas über „das Sein“ zu behaupten, wenn schon die gewöhnlichen Tatsachen des Alltags überwiegend auf dem Vertrauen in Andere und nur zu einem geringen Teil aus der Erfahrung stammen. WAS soll es denn sein, was da IST ?

Heidegger hat in „Sein und Zeit“ die „Seinsvergessenheit“ beklagt. Aber was IST es denn, was da „vergessen“ wurde ? Aristoteles hat ausgehend von der Substantivierung des griechischen Wortes „to on“ eine ganze Anzahl Bedeutungen herausgearbeitet, die für diesen Begriff in Frage kommen könnten. Heidegger verwendet diese Mehrdeutigkeiten als etwas gegebenes ohne sie weiter aufzuklären. Das ist die Methode, die Durkheim dem mythischen Denken zuschreibt, nicht dem wissenschaftlichen.

Heidegger versucht dann, diejenigen Tatsachen, die uns evident erscheinen, weil sie vorhanden und für unsere Handlungen als Werkzeuge zuhanden sind, als Ausgangspunkt zu nehmen. Doch er verharrt in einer Art Idylle der vortechnischen Welt. Die Aneignung des Zuhandenen und der Umgang mit dem Vorhandenen lassen sich nicht so einfach darstellen wie es Heidegger tat. Seine Konstruktion des „Gestells“ und seine spätere Technik-Kritik sind in raunend unverständlicher Sprache verfasst. 

Descartes hätte vermutlich das meiste von dem, was ich oben sagte, unter seinen methodischen Zweifel subsumiert. Tatsächlich kann ich alles das, was ich ungeprüft glaube – und das ist fast alles, auch bezweifeln. Am Ende kann ich die Existenz der Außenwelt bezweifeln oder sie im Sinne von Berkeley als ausschließlich in meinem Geist angesiedelt (esse est percipi) betrachten.

Descartes kam am Ende zu dem Schluss, dass es unbezweifelbar sei, das er denkend zweifle (dubito cogito ergo sum). Von diesem Ausgangspunkt aus konstruierte er dann seine Philosophie neu. Hans Otto Apel hat mit seiner Idee des performativen Selbstwiderspruchs eine ähnliche Ausgangslage schaffen wollen: wenn ich eine letzte Begründung für bestimmte Aussagen suche, dann finde ich sie dort, wo ich mich sonst in Widerspruch zu meinem eigenen Vorgehen finde. 

Wissenschaft

Wissenschaft ist eine spezialisierte Form der systematischen Zusammenfassung von Erkenntnissen, die einen Zuwachs an kollektivem und prinzipiell öffentlichem Wissen anstrebt. Mit dem Tod eines Wissenschaftlers geht dessen Wissen zugrunde, aber sein veröffentlichter Beitrag und die Wissenschaft insgesamt geht weiter.

Wissenschaft verknüpft Erkenntnisse in einer Weise, die verschiedene Phänomene kohärent und widerspruchsfrei zusammenfasst und in Beziehung zueinander setzt. Immer wieder kommt es dabei auch zu neuen, zuvor unbekannten Verknüpfungen, während andere aufgegeben werden. Bis zum Beginn der Neuzeit hielt man „Miasmen“, also Ausdünstungen, für den Ort einer spontanen Entstehung von Krankheiten und auch für die Genese von kleinen Tieren aus dem Nichts. Heute werden Bakterien und Viren als Krankheitserreger angesehen und an spontane Genese von Kleintieren, selbst von Bakterien und Viren glaubt niemand mehr. Allerdings können Viren mutieren und in neuen Formen auftreten.

Wissenschaft hat bestimmte Regeln der Forschung, die sie von Scharlatanerie unterscheidet. Diese Regeln sind historisch entstanden und können sich verändern. Dabei besteht ein Spannungsverhältnis zwischen der Neugierde, der Kreativität und der Experimentierfreude auf der einen, und der geistigen Disziplin, logischen Strenge und Systematik auf der anderen Seite. Wissenschaft benötigt beides. Was alle Elemente verbindet ist die Forderung nach intellektueller Redlichkeit. Dazu gehört das Wissen darum, dass Menschen irren können, die Anerkennung der Grenzen dessen, was wir wissen, das Eingestehen erkannter Irrtümer.

Zur Wissenschaft gehört, dass logisches Denken und die Forderung nach Gründen, Erklärungen und Beweisen nicht abgewiesen werden dürfen. Kritik von anderen muss immer geprüft werden, solange sie auf solche Gründe gestützt wird. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört auch das ständige Bemühen um Verständlichkeit vor allem für diejenigen, die ebenfalls Wissenschaft betreiben, aber immer wieder auch für anderen, die einer Erklärung nur folgen können, wenn sie in der Alltagssprache ausgedrückt wird. Dabei kann es geschehen, das an Präzision verloren geht, was an Verständlichkeit gewonnen wird, aber um die Übersetzung in einfachere Sprache muss sich jeder Wissenschaftler immer neu bemühen. Zugleich ist Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit für jede wissenschaftliche Aussage wichtig. Eine formalisierte Sprache hilft der Klarheit und der Nachvollziehbarkeit, weil sie Mehrdeutigkeiten und Metaphern weitgehend ausschaltet.

Was passiert eigentlich, wenn jemand elektromagnetische Wellen „entdeckt“ ? Waren diese zuvor schon vorhanden ? Gab es sie schon immer ? Wie wurden sie „identifiziert“ ? Das erste, was Menschen als ein Feld auffiel, war das Magnetfeld. Magneten übten eine Anziehungskraft in gewisser Entfernung aus und zwar mit abnehmender Stärke. Später wurde herausgefunden, dass ein von Strom durchflossener Leiter auch ein Magnetfeld erzeugte, mehr noch: dass sich ein hin- und herschwingender Strom im leeren Raum (anfangs nahm man noch einen sogenannten „Äther“ als Medium an) wellenförmig ausbreitete.

Bald wurde deutlich, dass die elektromagnetischen Wellen sich mit verschiedenen Frequenzen ausbreiten, das Licht, Röntgenstrahlung, Gammastrahlen, Radiowellen – alles konnte das Verhalten der Natur richtig beschrieben werden, wenn es unter dem einen Begriff „elektromagnetische Felder“ zusammengefasst wurde.

Man könnte kurz sagen: ein Phänomen wurde experimentell studiert (das Magnetfeld eines Stroms), dann wurde ein ganzes Kontinuum des Phänomens konstruiert, das sich nur durch die Frequenz unterschied, Und dann wurden alle anderen Frequenzen auch unter dem Begriff subsumiert und damit als „elektromagnetische Strahlung“ identifiziert. Mit einer Vielzahl von Experimenten mit dem ganzen Frequenzspektrum wurde diese Identifikation immer wieder neu bestätigt.

Methodenpluralismus

Paul Feyerabend endete in seinem Kampf „Wider den Methodenzwang“ bei einer Methodenanarchie: alles geht! Er wollte sicher nicht den allgemeinverständlichen Hexenglauben auf eine Stufe mit der schwer zugänglichen Quantenphysik stellen. Ich glaube Feyerabend ist einem geistigen Kurzschluss zum Opfer gefallen. Ernst Cassirer hat in der „Philosophie der symbolischen Formen“ postuliert, dass es neben der Wissenschaft auch andere Formen des Zugangs zur Wirklichkeit gibt: den Mythos, die Kunst, die Sprache , die Religion…

Die symbolischen Formen Cassirers eignen sich gut als Ordnungsprinzip für die von Wittgenstein beschriebenen Sprachspiele.