ES und Raum

VERÖFFENTLICHT 16. MAI 2020

Vorbemerkung: Da gab es doch tatsächlich Leser, die beim ES an Freud dachten! Als ich mir diesen Spaß hier erlaubte, hatte ich vergessen, dass "das ES" ja im Universum des Denkens längst vergeben war. Tut also bitte so, als erscheine es hier zum ersten Mal. Ich habe dabei auch schmunzelnd an Heideggers SEIN gedacht - mehr noch an seinen Habitus als Meisterdenker. Also: nun kommt der Text von 2020.

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Alle bisherige Philosophie konnte nicht zum Kern des Wesens vordringen. Ihr Siegel war eine geradezu unglaubliche ES-Vergessenheit. Die meisten Philosophen blieben an der Oberfläche und haben das Eigentliche gar nicht wahrgenommen. Andere kamen dem ES etwas näher, blieben aber in der Spekulation über das SEIN stecken. Dabei ist es doch klar, dass das ES der Schlüssel allen Denkens und Handelns ist. Ständig sind wir mit dem ES konfrontiert und ständig vergessen wir , dass ES um uns ist. Die Gegenwart des ES regnet, schmeckt, freut mich, gruselt mich, ES ist doch wahr, schön, gut, falsch, weit oder nah, ES macht nichts aus – ständig reden wir über ES und doch sind die Philosophen bis heute vor einer gründlichen Untersuchung des ES zurückgeschreckt.

Wo aber ist das ES? Irgendwie ist es überall, ES ist an-sich, ES ist für-sich und ES ist an-und-für-sich, das heißt ES ist über allem, zugleich auch über das All hinaus zu denken, dem unendlichen Raum unserer unendlichen Beschränktheit. Das ES ist aber zugleich auch seine eigene Negation, denn das Überall schlägt um in ein Nirgendwo, wo das Nichts das ES umfängt. ES ist nicht greifbar und doch allgegenwärtig wie der pantheistische Θεοσ. ES ist ES – die fundamentale Identität, die Raum und Nicht-Raum verbindet. Die Sprache verwendet das ES und doch reicht das ES über die Sprache hinaus. Kant hielt das Ding-an-sich nicht für erkennbar – doch das ES lässt es mitten im Leben aufleuchten, ES ist und ist doch nicht. Das ES est. Der Mensch empfindet ES – ES ergreift ihn. Als Es-sein ist der Mensch erst eigentlich. Das Es-sein kommt erst in seiner eigentlichen Esseität zu seinem wahren Wesen. ES ist wahr! Wie oft redet das Man solchen Satz daher und richtet sein Denken auf das Wahre statt auf das ES, was die eigentliche Substanz des Satzes angibt. Nicht Wahrheit ist fundamental für das ES, das ES fundiert erst Wahrheit. Mit dem einfachen Satz „ES ist Kunst“ ist auch die Ästhetik des ES klar ausgesprochen. Dieser Satz ausgesprochen ist Letztbegründung aller Kunst.

Wahrheit liegt im ES verborgen und muss nur in ihrer Esseität entborgen werden. Wenn Parmenides vom το ον spricht, dann haben spätere Epigonen in ihrer Seinsversessenheit daraus das Sein substantiviert – dabei ist es doch das ES, was klar aus diesem Begriff hervorgeht. Wer sagt „Sein ist klar“, muss erst ein Buch schreiben – und am Ende wird es immer unklarer. Wer aber sagt „ES ist klar“ – stellt nur in phänomenologischer Metasprache fest, dass ES klar IST.

Wer sich beim nächsten Schritt hin zur Wahrheit im Sein verliert und in der Zeit verirrt, muss begreifen, dass man sich besser im Raum verirrt als in der Zeit und der Wahrheit nicht einfacher nahe kommen kann als mit der apodiktischen Aussage „ES ist wahr“. Aus der Existenz dieses Satzes folgt seine Esseität: ES ist wahrhaftig wahr! Im religiösen Mythos wird das ES personifiziert als Gottheit. Doch die Götter wirken dadurch, dass ES geschieht, so wie ES blitzt und donnert.

Das Es-sein handelt und in der Fülle des Raumes ertönt das Bekenntnis zum ES: „ES muss etwas geschehen! ES muss etwas getan werden“. Das ETWAS ist die Es-weise des WAS, es ist nicht nur das Ganze, es ordnet auch die Teile des Ganzen intentional auf die Es-heit aus: ES ist etwas dran an einer Tatsache. „ES gibt“ ist der Ausdruck der Urtatsache. Für das „ES gibt“ sind Kriege geführt worden, ganz unabhängig davon, ob es durch das Attribut Gott, das Vaterland, das Gute oder einfach Beute ergänzt wurde. Das „ES gibt“ ist der substantielle Wesensbegriff des ETWAS des Es-seienden.

ES ist vorhanden, um ES anzuschauen – θεορειν – , ES ist zuhanden, um ES zu tun – πραττειν. Theorie und Praxis vereinen sich im ES. Dem ETWAS steht das ALLES als die Es-weise des Alls gegenüber. In dieser Es-weise ist das ewige Fließen im unendlichen Raum umfangen. Wie der Εριδανος fließend die Erdscheibe umkreist, so fließt ES in ewiger Bewegung – wie Heraklit es formulierte: παντα ρει . Jede Verdichtung des ES in eine Das-heit hält die Es-seine gefangen in der uneigentlichen Verfallenheit an das DAS.

Das philosophische Denken unserer Zeit braucht Rettung aus der ES-Vergessenheit. ES ist nahe, ES wird uns als Es-seine retten, strebend zur Esseität befreien wir uns aus den Grenzen des ETWAS – denn ES ist ALLES. So sei ES!

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Der anspruchsvolle Beitrag führte über WhatsApp zu einer noch anspruchsvolleren wissenschaftlichen Debatte, die ich hier wiedergebe: