Johannes Hummel
Johannes Hummel
Seine Augen stachen aus tiefen Höhlen hervor, dunkle buschige Augenbrauen verdeckten die Lider, wenn er sich wie meistens ein wenig vornüberbeugte und sein Gegenüber von unten her fixierte. Seine rotgeäderten Wangen hatten etwas von ungesunder Frische. Er trug das Haar rechts gescheitelt, aber offenbar konnte er die Wirbel nicht unter Kontrolle bringen, so daß er immer ein wenig unordentlich aussah. Der untersetzte schon Übergewicht ansetzende Körper bewegte sich träge, während er seine Worte mit sparsamen Gesten zu unterstreichen pflegte.
Johannes Hummel war besorgt:
- Sie stimmen doch sicher mit mir überein, daß hier etwas geschehen muß. Wir können die Situation nicht außer Kontrolle geraten lassen.
- Wir haben doch Zeit !
antwortete der andere, jüngere Mann, der sich mit seinem Allerweltsgesicht von keinem der vielen in Hamburg geschäftigen Händler unterscheiden ließ. Auch Johannes hatte ihn an ihrem Treffpunkt auf der Terrasse oberhalb der Landungsbrücken nur an seinem nun allerdings sehr eigenartigen Gang wiedererkannt. Gerard ging nicht, er schritt auch nicht, er schlenderte nicht und spazierte nicht, Gerard watschelte wie eine Ente.
Johannes rückte seine blaue Krawatte zurecht, die seinem Aussehen den letzten Schliff gab, wenn er seinen dunkelblauen Zweireiher ausnahmsweise einmal richtig geknöpft hatte.
- Nein, ich meine wirklich, daß uns die Zeit davonläuft. Wenn der Hundskopf von Schnüffler an die Kartei herankommt, dann gnade uns Gott. Dann werden so viele Leute bloßgestellt, daß es ein politisches Erdbeben gibt. Leider können wir das Problem nicht einfach aus der Welt schaffen. Conradi hat schon zu viel Material gesammelt, vielleicht ahnt er schon, daß er seinem Ziel nahe ist.
- wir müssen ihn kaufen ! - Etwas anderes bleibt uns nicht. Außerdem,... - jeder ist käuflich, auch Conradi wird zu uns kommen und wenn wir ihm ein Angebot machen.
- das glaube ich nicht ! Er ist nicht so ein Schnüffler, der nur hinter dem Geld und der Sensation her ist. Der geht aufs Ganze, der will die Welt verbessern. Wir müssen ihm eine Falle stellen, ein Netzaufspannen, in dem er sich fängt. Der Mann läßt sich nicht kaufen, wir müssen ihn fertig machen.
- soll ich ihn umlegen ? - fragte Gerard nach einer kurzen Pause.
- auf keinen Fall ! - antwortete erschreckt Johannes Hummel - der hat bestimmt irgendwo schon heißes Material mit einem großen Zeigefinger auf uns hinterlegt - nein, Gerard, kein Risiko !
Lieber Leser: der Spannungsbogen ist gespannt - es geht los wie im Krimi - und es ist ein Krimi, dem wir hier eher zufällig in Hamburg auf der Terrasse oberhalb der Landungsbrücken begegnet sind. Wer Hamburg kennt, weiß, daß hier ständige Geschäftigkeit herrscht. Alle fünf Minuten strömen Menschen aus den Türen der Hamburger Hochbahn auf die Terrasse und hasten herunter auf die Anleger der Hafenfähren, die sie zu ihren Arbeitsplätzen im Hafen bringen.
Ältere Leute erinnern sich noch daran, wie von der gegenüberliegenden Seite das gleißende Licht der Schweißbrenner von den Hellingen der damals noch bestehenden Werften selbst bei Tage herüberblitzte. Die Krise der Werftindustrie hat Tausende arbeitslos gemacht. Doch der Hamburger Hafen ist lebendig wie eh und je, Schlepper ziehen große Ozeanschiffe an ihren Liegeplatz, Barkassen und Fähren pflügen durch das aufgewühlte graue Wasser der Elbe.
Johannes Hummel ist hier aufgewachsen, in Hamburg-Ottensen, nicht weit von der Elbe, in einem wohlhabenden - wenn auch nicht wirklich reichen - Hause. Sein Vater hatte vom Hafen gelebt, indem er Schiffe mit allem ausrüstete, was für die große Reise notwendig war, vom Schnaps bis zur Mennige gab es alles bei Hummel & Sohn, Schiffshandel jeglicher Art. Schon mit 16 Jahren war er gleich nach der mittleren Reife ins Geschäft gegangen und hatte es gleich nach dem Tode seines Vaters im Alter von 25 Jahren übernommen.
Aber dann lief es nicht so wie er sich das gedacht hatte: die alten Kapitäne kauften zuerst noch bei Hummel, weil sie seinen Vater gekannt hatten, der Stunden um Stunden mit ihnen gesoffen und geklönt hatte. Johannes hatte das nie gemocht. Er starrte seine Kunden manchmal eigenartig an und sagte kein Wort. Die Kapitäne fühlten sich bei ihm unsicher, man wußte nicht woran man bei ihm war. Er schien ja ehrlich zu sein, aber verbarg sich hinter seinem lauernden Blick nicht irgendetwas - vielleicht etwas Bedrohliches ? Außerdem fehlte Johannes doch der Anflug von Weisheit und Erfahrung, den das Alter allein in die Gesichter schreibt und der von einem jugendlichen Gesicht kopiert zur Grimasse wird. Kurz und gut - das Geschäft ging langsam aber sicher vor die Hunde.
Gerard war Franzose aus dem Elsaß, aber schon seit zehn Jahren in Hamburg seßhaft. Eigentlich hatte er zur See fahren wollen, aber nach der ersten Reise auf MS „Cuxhaven“ hatte er die Nase voll und blieb an Land. Zuerst versuchte er sich als Kneipier durchzuschlagen, aber hohe Pacht, höhere Steuern und höchste Schutzgelder ließen zu wenig zum Überleben übrig. Warum sich nicht auf die Seite schlagen, wo der Erfolg Recht gibt anstatt rechtstreu erfolglos zu bleiben - sagte er sich und erledigte Gelegenheitsaufträge für die Bosse des Kiez, bis er Johannes Hummel traf. Aber davon später !
Jetzt sind wir gespannt, was es mit Conradi auf sich hat, aber darauf, lieber Leser, müssen wir noch ein wenig warten. So viel nur jetzt: John Conradi ist freier Journalist, verkauft seine Artikel mal hier mal dort, offenbar nicht ohne Erfolg und hat eine Nase für faule Sachen, mehr noch: er steckt sie hinein und das mißfällt naturgemäß denen, die davon leben.
Ach ja, wir haben ja noch nichts weiter über die Kartei gehört, die den beiden Männern so wichtig ist. Sie ist in verschlüsselter Form auf einer Diskette gespeichert und diese Diskette liegt zur Zeit noch bei Johannes Hummel zuhause in Ottensen, denn er wohnt weiterhin in seinem Vaterhause. Aber da kann sie nicht bleiben, obwohl sie im Panzerschrank liegt, der neben dem Kamin durch einen alten Schinken getarnt ist - einer schlechten Kopie des „verlorenen Sohnes“ von Rembrandt.
Die Kartei enthält die Namen von Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur - eine feine Gesellschaft ist vertreten. Sie enthält Adressen und Telefonnummern, auch die geheimen Telefonnummern derjenigen, die ihre Prominenz eben damit ausweisen, und sie enthält einige zusätzliche Hinweise über Geschmack und Vorlieben der Genannten.
Nicht alle sind auf die gleiche Weise in diese Kartei geraten: Johannes Hummel wußte, daß viele Wege nach Rom führten und knüpfte ein Netz aus vielen ganz unterschiedlichen Knoten. Für jeden Fisch hatte er die richtigen Maschen, für jeden Menschen die richtige Masche. Er war zwar kein Verkaufsgenie, aber Johannes Hummel entdeckte, daß er ein genialer Verschwörer war. Es galt nur doch, die Fähigkeiten in Einnahmen zu verwandeln, dann ließ es sich nicht schlecht davon leben.
Also ganz gewöhnliche Erpressung ? - Das wäre ja nichts besonderes. Viele Leute haben ja irgendwo Dreck am Stecken oder eine Leiche im Keller und sind bereit zu zahlen, wenn ihren jemand dezent und zu Marktpreisen ein Angebot macht. Wissen allein ist nicht Macht, Wissen und schweigen können, das erst ist Macht. Und Johannes Hummel konnte sich an dieser Macht berauschen.
Nein, als gewöhnlicher Erpresser verstand er sich wirklich nicht. Das Geld war ihm nicht das wichtigste. Natürlich, der Mensch muß ja leben - und seine Partner hatten ohnehin mehr Geld als sie ausgeben konnten. Johannes Hummel war kein Gewalttäter, er verachtete die kleinen Gangster, die mit Druck und Drohungen ihre Opfer auspreßten. Seine Partner sollten freiwillig geben, aus Gehorsam und Respekt vor ihm, Johannes Hummel, dem Großmeister der Loge „Ars pontificari“.
Nein, lieber Leser, dies ist kein Roman über Freimaurerei - davon verstehe ich nichts, ich habe nur gehört, daß gute und edle Menschen wie Mozart und Lessing angeblich Freimaurer waren und daß es wohl auch die andere Seite der Medaille gab, wie sie Licio Gelli mit seiner P2 repräsentierte - aber das ist nicht unser Thema. Johannes Hummel kannte auch nicht mehr als die übliche Mischung aus Wissen und Gerücht.
Er gründete seine Organisation in Form einer Loge, weil er die Aura des Geheimnisvollen brauchte. Er entwarf höchstpersönlich die Riten und Gebräuche zur Initiation seiner Anhänger nach dem Vorbild alter und neuer Religionen. Und so wie der Eigentümer einer Firma immer der Chef ist, auch wenn er nichts kann, so hat der Gründer einer Geheimgesellschaft noch die freie Auswahl der Titel, die er sich zulegen möchte.
Die Riten waren nicht sehr originell. Im den eleusinischen Mysterien hatten Sexualität und Bestialität zu Ehren des Dionysos ihren Platz. Gnostisches kam hinzu, indem die Loge lehrte, daß der Mensch ein Funken Gottes war, der aus der finsteren Welt des Demiurgen fliehend dem Lichte zustrebte und dabei auf jeder Stufe vielfältige Versuchungen zu bestehen hatte.
Johannes Hummel beherrschte sein Metier: die Gläubigen gewann er durch die Illusion der Hingabe an den Glauben, die Machtbesessenen durch die Illusion der Macht, die Geltungssüchtigen durch Grade der nie ganz befriedigten Anerkennung, die Einsamen durch das Gefühl der schrankenlosen und liebenden Gemeinschaft. Wir würden es uns zu einfach machen, ihn einen Betrüger zu nennen. Nein, er glaubte zunehmend an seine Auserwähltheit. Ja, er hatte die Riten selbst erfunden,, aber er glaubte mehr und mehr daran, daß höhere Inspiration ihn beseelte. Ob Gott oder der Teufel oder wer oder was sonst, war ihm zutiefst egal.
Aber ist das nicht alles lächerlich ? - Dionysische Mysterien im ach so steifen Hamburg ? - Ehrenfeste kupfernäsige Kaufmannsfrauen in sexuellen Exzessen ? - Podragische hamburgische Kaufleute, etepetete und mit englischem Understatement unterkühlt sollten zu Bestien werden ? -Unvorstellbar ? - Johannes Hummel wußte es besser. Und die Kartei - ja die wußte alles.