FABELN
Fabula narrat -Menschenfabeln
Erste Fabel - die Einfangwörter
Die Fabel kann klären, was tägliche Rede verstellt. Durch Verkleidung der Sprache nimmt die Fabel den Kampf gegen die Verhexung der Sprache auf. Durch unser "Es wird einmal" heben wir mehr von der schon gewordenen Geschichte ab auf die offene uns noch bevorstehende Wirklichkeit.
Es wird einmal ein Mensch namens Gabriel sein, der es versuchte, Einfangwörter zu erproben. Einfangwörter, das können Wörter sein, aber auch kurze Sätze, die bereits Gesagtes wieder ungeschehen oder wenigstens unwirksam machen sollen. Wir benutzen immer wieder solche Einfangwörter, aber noch hat keiner sie systematisch geordnet, untersucht und erprobt.
Gabriel wird zu Samiel sagen: "Fahr zur Hölle, Du Teufelsschwanz, vermaledeiter !" -und sich dann erst daran erinnern, daß Samiel doch viel Einfluß hat und viele Möglichkeiten, sich für diese Worte zu rächen. Um Einfangwörter zu erproben, hilft keine Laboratoriumssituation. Wüßte Samiel, daß Gabriel all dieses nur aus der experimentierenden Distanz des Forschers sagte, dann ließe er ihn diabolisch lächelnd wissen, daß er zu beschäftigt sei, um als Versuchskaninchen für sozialwissenschaftliche Experimente zur Verfügung zu stehen, im Übrigen mach er sich natürlich überhaupt nichts aus rüden Worten, die doch nur auf den Sprecher zurückfielen.
Nein, die Wörter müssen dann erprobt werden, wenn die Situation da ist, wenn tödlicher Ernst herrscht zwischen den Parteien. Erst später, wenn Muße herrscht, auf das Geschehene zurückzublicken, erst dann wird die Probe erneut durchgespielt und in distanzierter Forscherweise analysiert und seziert.
So wird Gabriel den Satz sagen, wenn er dem triumphierenden Samiel den Stachel, dem Feinde den Sieg nehmen kann, wenn er durch den Fluch noch seinen Segen zu befördern glaubt. Und er wird den Satz nur dann unbefangen sagen, wenn er seine Forschungsarbeit vergessen hat, die doch so sehr Teil seiner selbst sein wird, daß er sich vergessen muß, um den Fluch auszusprechen.
Gabriel wird vorgesorgt haben. Nur einen Moment wird er sich vergessen und schon während er den Fluch spricht, wird der lange eingeübte Mechanismus des Einfangens schon beginnen, von innen heraus nach außen drängend. Beflissen wird es aussehen, denn das ist der Habitus, der dazugehört.
"Oh - es ist mir nur so herausgerutscht !" - beginnt Gabriel. Der erste Teil der Einfangprozeduren besteht in einem erklärenden, entschuldigenden Prolog. Samiel soll wissen, daß es eigentlich gar nicht gesagt sein sollte, im Grunde also aus dem Gehege der Zähne nur ausgebrochen ist. Samiel soll mit in die Pflicht genommen werden, die ausgebrochenen Wörter einzufangen helfen.
"Ich wollte sagen,..." beginnt der nächste Akt: der abgeschossene Pfeil soll noch im Fluge abgelenkt werden, ein Schild zwischen Sprecher und Hörer errichtet werden, der den Pfeil nicht treffen läßt.
"Ich wollte sagen, so sagte es mein verblichener Erbonkel immer, wenn er Magendrücken hatte."
Das Zitat distanziert den Sprecher von seinem Satz und zugleich macht er das Ziel ungegenwärtig, gleichsam virtuell, das wirkliche Gegenüber kann ja wohl nicht gemeint gewesen sein.
"Ich wollte sagen, fahr nach Halle, gebenedeiter !" - eine schlechte Methode, denn sie spekuliert auf das schlechte Hörvermögen Samiels, der natürlich genau hingehört hat. Aber eine Methode, die manchmal brauchbar ist, denn vielleicht will Samiel es nicht gehört haben und da soll man ihm doch entgegenkommen und ihm das Verhören erleichtern. So werden neue schön gefärbte Wörter den häßlichen nachgeschickt, wohl hoffend, daß sie noch im Fluge auch den vorausgegangenen Worten eine schönere Farbe verleihen.
<< ... Fortsetzung mit weiteren Mechanismen der Distanzierung von sich selbst, vom Schwanz einkneifen , vom relativieren ... sogar durch Vorspiegeln von Prinzipientreue: verzeih, aber ich bin eben so treuherzig, ich muß es so sagen, wer kann mir das schon übelnehmen...>>
Zweite Fabel - Was können wir wissen
Dritte Fabel - Was sollen wir tun
Vierte Fabel - Was dürfen wir hoffen