Der Planet ICH
Das Raumschiff "Detached Unit" - abgekürzt: DU - war schon viele Zeiten unterwegs. Eines Tages - oder war es Nacht ? - zu einer Stunde entdeckte die Besatzung einen kleinen Planeten auf einer Umlaufbahn zwischen Saturn und Neptun gelegen. Die Umlaufbahn stand orthogonal zur Ebene der anderen Planetenbahnen, so daß es kein Wunder war, daß dieser Planet bisher unbemerkt geblieben war. Auch war der Planet dunkel, zumindest absorbierte er das Sonnenlicht so weitgehend, daß sich der Planet erst aus großer Nähe als rötlich-grauer Ball vom schwarzen sternenbesäten Weltraum abhob.
Erste Spektralanalysen zeigten, daß der neuentdeckte Planet fast das ganze elektromagnetische Strahlungsspektrum absorbierte, während Emissionen nur in einigen ganz schmalen Frequenzbändern erkennbar waren.
Eine erste Analyse der Oberflächenbeschaffenheit wurde vorgenommen, indem die Absorptions-Spektren der Reflexionen von Laserblitzen ausgewertet wurden, die das Raumschiff DU auf die Oberfläche des Planeten sandte.
Die Oberfläche schien erstaunlich homogen zu sein - es waren praktisch ausschließlich Silizium, Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff nachweisbar, hinzu kamen nur Spuren anderer Elemente.
Die Besatzung probierte verschiedene Signale aus, um die Reflexions- und Absorptionseigenschaften der Oberfläche näher zu studieren. Zu ihrer Überraschung gab es in mehreren Frequenzen bei denen offenbar eine Transformation der Signale nach komplizierten Mustern stattfand. Das ausgesandte Signal wurde vollständig mit nur geringer Dämpfung zurückgeworfen und im Anschluß daran folgte eine weitere Signalfolge deren Deutung nicht gelang. Es war eindeutig kein weißes Rauschen, was dort zurückgesandt wurde, aber es war auch nicht klar erkennbar, nach welcher Gesetzmäßigkeit die Anschlußsignale ausgestrahlt wurden. Manchmal wiederholte sich auch eine Folge mehrmals, aber dann folgten wieder völlig andere Muster.
Die Forscher in dem Raumschiff richteten jetzt ihre Antennen für breitbandigen Empfang von Funksignalen auf den Planeten. Es stellte sich heraus, dass auf einer großen Zahl von Frequenzen offenbar ständig Signale ausgesandt wurden. Die Quellen waren dicht auf dem Planeten verteilt, ohne dass sich ein klares Muster ergab.
Die Oberfläche des Planeten bildete offenbar ein großes Netz aus Siliziumkristallen und Verbindungen von Silizium mit Sauerstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff. Offensichtlich waren überall gleichzeitig und ständig irgendwelche Signale unterwegs, manchmal in großen Schüben von gewaltigen Entladungen, manchmal fast wie Kriechströme. Verschiedene der Rezeptoren, in deren Richtung sich Signale konzentrierten, schienen auch Signale von außen aufnehmen zu können. Sie waren jeweils auf bestimmte Frequenzbänder spezialisiert.
<.... Gespräche in der Raumkapsel....>
<.... Hypothesen über möglicherweise intelligente Strukturen...>
<....einer der Besatzung legt Aufzeichnung der elektronischen Signale versehentlich auf akustischen Kanal. Dort hört man kein Rauschen, sondern melodische Signale, dann plötzlich "ICH,ICH,ICH,ICH" - so klang es jedenfalls.
Tagebuchaufzeichnung aus der Besatzung:
Der Planet hatte seinen Namen. Wir nannten ihn ICH. Das steht für "Interstellar Communicative Host". Es paßte zum Namen unseres Raumschiffs. In der englischen Sprache Detached Unit genannt, weil es von der innerhalb der Jupiterbahn stationierten Raumstation detachiert war. In deutscher Sprache war es einfach DU. So hatte ICH sein DU gefunden.
Die Tatsache, daß der Planet Signale reflektierte und ergänzte, die sich vom weißen Rauschen unterschied, zugleich aber die gleichen Frequenzen sonst absorbierte, stellte uns vor Rätsel. Es handelte sich offensichtlich um ein antwortendes System mit einer Antwortfunktion, die unsere Signale verarbeitete. Das System war zudem lernfähig, denn es verwendete unsere Signale nicht nur in der inmittelbar reflektierten Antwortfunktion, sondern auch autonom zu späteren Zeitpunkten, ja es wiederholte sie in einer Form, die daran erinnerte, wie Kinder plappern lernen.
Es wird deutlich, daß der ganze Planet ein einziges großes Informationssystem ist, das Signale aufnehmen kann, sie für seinen Stoffwechsel, also seine Selbsterhaltung, verwendet. Es ist ein ungewöhnlich lernfähiges System, weil es zunächst alle Signale rezipiert und erst dann entscheidet, ob sie für die Selbsterhaltung nützlich sind.
Das erstaunlichste aber ist: das System ist "neugierig" - es experimentiert mit den aufgenommenen Signalen. Es wird klar, daß der Planet als Ganzes sehr schnell und sehr komplex "denken" kann.- wenn unter Denken die Signalverarbeitung einschließlich Gedächtnis, Transformation und Verknüpfung verstanden wird.
Die Funktionsweise ist der unserer Hirnrinde nicht unähnlich, nur daß wir Menschen schon an unseren Rezeptoren alle Signale vorfiltern und nur die schmalen Bänder absorbieren, die sich evolutionär als wichtig herausgestellt haben, also sichtbares Licht und die Elemente der anderen Sinnesorgane. So nehmen wir Menschen kaum etwas von unserer wirklichen physikalischen Umwelt wahr, wenn wir uns nicht komplizierter technischer Hilfsmittel bedienen.
Der Planet ICH, wie wir ihn nannten, hatte sich anders entwickelt. Eine gewisse Selektivität fand erst im Moment der Signalverarbeitung statt, nicht in der Signal-Aufnahme. So blieb der Planet - natürlich auch dank seiner ungeheuren Kapazität - weit lernfähiger, er war zu einem Hirn-Planeten geworden.
Eine Sonde stellt fest, daß die Oberfläche des Planeten nur sehr dünn mit dem Informationssystem "beschichtet" ist, schon wenige Millimeter darunter befindet sich der steinerne Kern des Planeten, der aus Quarzen und z.T. gefrorenen Ammoniumverbindungen besteht. Der Kern des Planeten empfängt und sendet offenbar keinerlei Signale, er ist aber vom Weltraum vollständig durch die Informationsstruktur der Oberfläche, die wie eine große Flechte aussieht, bedeckt.. Die Oberflächenelemente sind allerdings durch Übergänge in die Quarzstrukturen fest auf dem Planeten verankert.
Auch die anderen niedergebrachten Sonden ergaben kein anderes Ergebnis. Die Oberflächenstruktur war hauchdünn, selten mehr als einen Millimeter dick, maximal hatten wir in einer Probe zwei Millimeter Dicke gemessen, darunter ging die Struktur in normale Quarzkristalle über, wenn nicht gerade kleine Einspregsel von gefrorenem Ammonium zu finden waren.
Das erstaunlichste aber war, daß sich an den Stellen, wo wir die Oberfläche durch unsere Bohrungen verletzt hatten, sofort wieder eine neue Struktur bildete - nicht immer ganz identisch, manchmal mit so etwas ähnlichem wie Narben, aber scheinbar mit de gleichen Funktion wie zuvor, jedenfalls liefen kurz nach Wiederherstellung der Oberfläche auch schon wieder Signale durch diese Strukturen.
Das System ist autokommunikativ, daß heißt es hält Informationen an mehreren Stellen verteilt, legt Kopien der Informationen an verschiedenen Stellen an und kommuniziert zwischen diesen Stellen, damit die Kopien immer aktuell sind.
Die "Neugierde" führt dazu, daß neue Signale, die bisher unbekannt waren, an mehreren Stellen abgelegt werden und sofort in ein Spielsystem von Spielhypothesen eingeordnet werden. Die neuen Signale werden permutiert, Ketten und Reihen werden gebildet, ein "phantasiereiches Spiel" mit den aufgenommenen Signalen beginnt. Die Erkennung von Mustern und ihre Wiederholung ist die Grundlage für dieses Spiel. Das System ist eines , das Spielregeln ausprobiert und bewährte Spielregeln lernt.
Eine Regel, die das System schnell gelernt hatte, war die Provokationsregel: es lernte, Signale auszustraheln, auf die unsere Besatzung reagierte. Seit wir staunend auf die ersten Versuche des ICH ICH ICH geantwortet hatten, "provozierte und das System" in immer komplexerer Weise zu Antworten. Es lernte Fragen !! Es lernt wie ein Kind - nur viel schneller.
Schon nach wenigen Wochen hatte der Planet es verstanden, Signale auszustrahlen, die sich in akustische Sprachsignale an Bord des Raumschiffs übersetzen ließen. Der Planet lernte sprechen. Eine Akustik konnte es eigentlich auf dem Planeten nur innerhalb der Festkörper geben, aber der Planet benötigte diese nicht, weil er unmittelbar mit den elektromagnetischen Signalen arbeite, die erst in unseren verstärker in akustische Signale umgesetzt werden konnten. Wir hatten auch in keiner der Sonden erkennbare akustische Signale feststellen können, sondern nur die üblichen Geräusche, die innerhalb eines kristallinen Systems unvermeidlich sind.
Anders als Menschen hatte er zuerst ICH gelernt. Wir hatten uns als DU vorgestellt. ICH und DU wurden ein kommunikatives Gesamtsystem.