Wegweiser durch den Lauschan (1912)

Richard Bergemann stellte im Jahre 1912 einen "Wegweiser durch den Lauschan", auf Veranlassung des „Bergverein Tsingtau“, einen Zweigverein des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins, zusammen. Zum Preis von 30 Cents (mit Karte 70 Cents) konnte der geneigte Wanderer dieses Heftchen (verlegt und gedruckt bei Adolf Haupt, Tsingtau) erwerben. Dieses Heftlein möchten ich Ihnen an dieser Stelle vorstellen. Ein wesentlicher Teil der Inhalte ist nachstehend zu lesen (heute unverständlich aussehende Schreibweisen von Wörtern wurden durch die aktuelle Rechtschreibung in eckigen Klammern [ ] ersetzt).

Vorwort

Der Zweck dieses Büchleins ist, einem allmählich fühl­bar geworbenen Bedürfnis nach Möglichkeit abzuhelfen. Die Besucher des Lauschan sind sich oft nicht klar, welche [Tour] sie unternehmen sollen oder können, und wie es sich mit den Entfernungen und der dazu benötigten Zeit verhält. Das soll ihnen das Buch sagen. Es wird manches einer Berichtigung bedürfen und deswegen macht das Wegeverzeichnis noch keinen Anspruch auf unbedingte Zuverlässigkeit. Hinzu kommt, dass bie Leistungsfähigkeit der [Touristen] nicht allein eine verschiedene ist, sondern auch Jahreszeit und Temperatur nicht unwe­sentlich mitsprechen. Für alle berichtigenden und ergänzenden Winke bin ich deshalb sehr dankbar. Ich will mich aber freuen, wenn der Wegweiser zu seinem Teile dazu beitragen kann, unserem schönen Gebirge immer mehr Freunbe zuzuführen. Tsingtau, im Juli 1912, der Verfasser (Richard Bergemann).

Der Lauschan zerfällt nach der Grenzfestlegung in einen deutschen und einen chinesischen Teil; die Karten zeigen dies durch eine unterbrochene starke Linie an. Der chinesische Lauschan ist der größere und auch mehr zerklüftete. Es sollen in diesem Büchlein, das des [Touristen] Gepäck möglichst wenig beschweren möge, keine genauen Zahlenangaben über Größenverhältnisse gegeben werben, weil man sich dabei im allgemeinen hoch nur selten etwas denken kann Das Gebirge besteht zum größten Teil aus einem glimmerarmen, dagegen feldspatreichen Granit, teilweise ist das Gestein - bei Tai tsching kung - in Hornblende umgewandelt. Ab und zu trifft man Quarzlager, auch Bergkristalle sie nicht selten, aber von unreiner Farbe und ohne Wert. Den höchsten Punkt des Lauschan bildet der Lauting mit etwa 1130 m. Zwischen den oft sehr steil abfallenden Höhenzügen liegen häufig große, mit guter Weibe bestandene Matten, die sich eigentlich sehr vorteilhaft für den Auftrieb von Vieh eignen würden, hoch trifft man bei bei spärlichen Viehwirtschaft der herumliegenden Berg- und Fischerdörfer nur selten Herden im Gebirge. Die Eigentümer oder Pächter legen sich eigentlich mehr auf Heuproduktion [fest]. Das Heu wird in großen Bündeln durch Männer ins Tal getragen, teilweise verkauft aber als Brennmaterial verwandt. Von einigen Geologen wird die Ansicht vertreten, der Lauschan sei ein junges Gebirge. Es soll sich durch die umlagernden Kohlenschichten eines schönen Tages hindurchgehoben haben. Jedenfalls steht fest, dass die Formation, die auf das Vorhandensein von Kohle und Kalk schließen lässt, [wie] sich an mehreren Stellen um den Lauschan herum deutlich zeigt. Ich erinnere daran, dass die Tsingtau vorgelagerten Inseln im Allgemeinen Gneis aufweisen, dass Schui ling schan Kohlenlager hat, die Gegen bei Tsimo aus Grauwacke und Diabas besteht — man kann dies gut an der Brücke und Stadtmauer erkennen — und auch der Ma-an-schan Kohle führen soll, während jenseits der Bucht SW von Kiautschou Kalksteinbrüche sind. Mir sagte vor Jahren einmal ein hier vorübergehend gewesener Geologe: „Es ist doch komisch; wo das Schutzgebiet aufhört, fängt die Kohle an.“

Das Gebirge wirkt trotz seiner relativ geringen Höhe imposant, weil es sich eigentlich direkt aus dem Meere unvermittelt zu seiner ganzen Höhe erhebt, Wenn man z.B. von München eine Tour nach Innsbruck oder Patenkirchen macht, dann ist man dort allein bereits 500 m. hoch, während die Bahn bis zu den genannten Punkten noch erheblich steigt, so dass viel bedeutendere Gebirge als der Lauschan keineswegs auch immer so erscheinen.

Die Dörfer sind nun am Fuße des Gebirges von Bedeutung. Was man in den Bergen selbst trifft, verdient oft nicht die Bezeichnung „Dorf“. Teilweise handelt es sich auch nur um kleine Gehöfte. Die Bewohner sind von sehr kräftigem Schlage; Lasten tragen und Berge steigen macht ihnen fast garnichts bei meist dürftiger Verpflegung, wenn diese nicht manchmal sogar überhaupt fehlt. Dagegen trifft man sehr selten jemand, der klettern kann ober wenigstens den Mut dazu hat.

Wasser findet sich fast stets in sehr steinigen Flussbetten; doch eignet es sich im rohen Zustande zum Trinken nur, wenn oberhalb keine Ansiedlungen mehr liegen.

Die Tierwelt ist abgesehen von Käfern, Schmetterlingen, Insekten und anderen verscdiedenen Kriechtieren nur seht schwach vertreten. Die überall dreist herumstreifenden Elstern besonders sorgen dafür, dass die Singvögel nicht aufkommen können, und da die ersteren dem Chinesen als heilige Vögel gelten, so lässt er sie ruhig gewähren. Steinhühner finden sich an einzelnen Stellen in manchmal starken Völkern:. Füchse und Dächse bekommt man gelegentlich zu Gesicht. Auch vom Wolf wird, besonders im Winter von den Kulis viel gefabelt, doch lässt er sich bei seiner Scheu vor Menschen nur selten sehen.

Für den sogenannten Wintersport eignet sich der Lauschan leider nicht. [Skilaufen] und Rodeln müsste wegen der schroffen Formation und weil selten genügend Schnee fällt, ausgeschlossen sein, dagegen lassen sich [Fußtouren] im Schnee sehr wohl machen; sie sie aber fast stets außergewöhnlich anstrengend. Der Schnee, der an geschützten Stellen metertief liegen kann, friert infolge der Starken Sonnenbestrahlung fast immer nur so leicht über, dass er das Gewicht eines Mannes nicht trägt. Und dann wird das Gehen darauf zu einer argen Qual, besonders wenn sich niedrige Temperatur mit fast stets sehr windigem, wenn nicht gar stürmischem Wetter vereinigt.

Die Wege wurden früher farbig markiert, doch stellte sich der Übelstand ein, dass bei den wenigen zur Verfügung stehenden Farben, die man im Freien verwenden kann, mehrere Pfade die gleiche erhalten mussten. Abgesehen davon können Farbenblinde bei der starken Verwitterung der Farbe leicht in Zweifel geraten und jemand, der in die peinliche Lage kommt, von der Dunkelheit überrascht zu werben, kann außerdem überhaupt nichts mehr unterscheiden. lnfolgedessen hat sich der Bergverein analog dem bewährten Muster Tirols entschlossen, die Wege zu nummerieren und jede Nummer in einem rot-weiß-roten Felde auf der weißen Fläche erscheinen zu lassen. Diese Markierung ist gut sichtbar und auch in der Nacht besteht die Möglichkeit, sich zu orientieren. Die Nummern sind, um nicht zu übermäßig hohen Zahlen zu gelangen, für möglichst lange Strecken die gleichen geblieben. Gehen mehrere Wege hierbei zusammen, dann sollen diese die Nummern jedes Weges solange tragen, bis sie wieder von einander abzweigen. Bei der Neuheit dieser Markierung hat sich diese Methode leider noch nicht ganz durchführen lassen; wer mit der Karte geht, findet sich aber auch so sicherlich ohne Schwierigkeiten zurecht. Man stößt manchmal zu quadratische rein weißen Markierungen. Diese beziehen sich nicht auf die Wege, sondern auf die Schutzgebietsgrenze und die Grenzen fiskalischen Landes. Es würde über den Rahmen dieses kleinen Handweisers hinausgehen, bei den einzelnen Wegen auch die dabei liegenden Orte oder die Gegend zu beschreiben. Dafür sind in einem besonderen Abschnitte einige lohnende Ausflüge kurz zusammengestellt; außerdem enthält der bekannte „Tsingtau-Führer“ von Dr. Behme & Dr. Krieger darüber ausführliches. Schön ist der Lauschan überall. Wer weite Aussicht liebt, kann genauso auf seine Kosten kommend wie jemand, der anmutige Felspartien und Täler schätzt, und für den seltsamer Weise immer wieder verkannten Felskletterer, den sogenannten alpinen Sportsmann ist auch noch unerstiegenes und ganz unersteigliches genug vorhanden.

Die Flora bietet dem Botaniker ein großes Feld dankbarer Tätigkeit, besonders zeichnet sich die unmittelbare Umgebung einiger Tempel und Klöster durch seltene Blumen aus, die sonst fast nirgends bisher gefunden sein sollen. Ich nenne hier absichtlich weder Namen noch Standort, weil zu befürchten ist, dass die Sammelwut der Blumenliebhaber einzelnen seltenen Pflanzen bald den Garaus machen könnte.

Die Tempel im Lauschan gehören mit Ausnahme von Hua yen an, das budhhistisch ist, zur Sekte der Tauisten. Letztere sind fast durchweg gefällige Leute, was man von den Buddhisten nicht behaupten kann. Geld nehmen sie für ihre Gefälligkeiten aber alle sehr gern, doch neigen die Turisten leer dazu, alles viel zu hoch zu bewerten und entsprechend zu bezahlen. Für Preise, bei denen man in einem heimatlichen Dorfgasthof in einem ganz guten Bett schlafen könnte, bekommt man hier gewöhnlich neben einer verräucherten, fensterlosen und mangelhaft verschließbaren Bude oft nur ein Mauersteinlager.