Geschichte

Im Rahmen der deutschen Kolonialbestrebungen im ausgehenden 19. Jahrhundert konzentrierte sich die Suche nach neuen Handelsstützpunkten anfänglich auf Afrika, dann später auf Asien. Die chinesische Kiautschoubucht wurde im Jahre 1897 von deutschen Marinetruppen besetzt. Die Kolonialpolitik dieser Zeit ist unmittelbar mit den Staatssekretären Bülow und Tirpitz verbunden. Zweck einer Durchsetzung deutscher Interessen in China war vor allem die Errichtung vom Außenhandelseinrichtungen und diplomatischen Vertretungen in Asien. Gleichsam wurden Kooperationen mit den lokalen Bahn- und Bergbaugesellschaften getroffen, um das Gebiet großräumig für eigene Zwecke zu erschließen. Außenhandelsabkommen und Freizügigkeiten für Schiffahrtsverbindungen gingen damit ebenso einher wie die christliche Missionsarbeit. China war zu diesem Zeitpunkt eigentlich nicht auf eine Kooperation mit Europa angewiesen, wurde militärisch und wirtschaftlich von den Kolonialmächten Großbritannien, Portugal, Russland, Frankreich und dem Deutschen Reich zur Einrichtung von Pachtgebieten wie Kiautschou, Hongkong, Macao oder Port Arthur gezwungen (Hinz, 1998).

Der deutsche Geograph Ferdinand von Richthofen kannte die chinesische Provinz Schantung sehr gut. Er empfahl einer kaiserlichen Kommission die Kiautschoubucht für die Anlage eines Kolonialhafens. Klimatisch hatte die Bucht den Vorteil, ganzjährig eisfrei zu sein. Zudem riet er den Bau einer Bahnanbindung der Bucht über den Bergbauort Poschan nach Zentralchina an. Die Provinz Schantung war reich an Bodenschätzen, die es zu erschließen galt. Im Auftrag des Kaisers Wilhelm II. besucht der Marineoffizier und Chef des Kreuzergeschwaders Alfred Tirpitz im Sommer 1896 die Bucht und war von Richthofens Vorschlag begeistert. Daraufhin wurde diplomatisch mit den anderen Kolonialmächten ausgelotet, ob sich das Kaiserreich mit der Besetzung der chinesischen Bucht Feinde in Europa machen würde. Außer aus russischer Sicht gab es keine großen Einwände, und mit der Ermordung zweier deutscher Missionare in China, gab es auch noch einen (wenn auch fadenscheinigen) Grund für die Besetzung. So reiste Konteradmiral von Diederichs (der Nachfolger Tirpitz') umgehend nach Kiautschou und ließ es durch deutsche Marinetruppen am 14. November 1897 in Beschlag nehmen. Dieses Datum kennzeichnet den Beginn des deutschen Pachtgebietes Kiautschou in China. Im Dezember gleichen Jahres unterbreitete die deutsche Regierung den Chinesen einen offiziellen Pachtvertrag. Unterstützt durch Androhung eines möglichen Militäraktes unterzeichnete China den Vertrag am 6. März 1898 für die Dauer von 99 Jahren. Bereits ein Jahr später wurde mit dem Bau einer Eisenbahnverbindung von der Bucht zu den Bergbaugebieten begonnen und ab dato die Kolonialabsichten in die Tat umgesetzt. Schon 1904 waren durchgängige Zugverbindungen vom Pachtgebiet über Peking nach Berlin (Fahrtdauer 13 Tage) möglich (ebd.).

Das Kiautschou-Pachtgebiet umfasste eine Größe von etwa 550 Quadratkilometern Landfläche zuzüglich der gesamten Wasserfläche der gleichnamigen Bucht. Rund um das Pachtgebiet entstand eine entmilitarisierte Zone im 50 km-Radius. Das Pachtgebiet unterstand - im Gegensatz zu den anderen 'richtigen' Kolonien - der Leitung des Reichsmarineamts, die einen Gouverneur als oberste Instanz im Pachtgebiet einsetzte (ebd.).

Im Pachtgebiet sollte neben einem zivil und militärisch genutzten Hafen auch eine deutsche Geschäfts-Stadt entstehen. Bis 1905 wurden auf einer der Bucht vorgelagerten Halbinsel sämtliche in chinesischem Eigentum befindliche Grundstücke enteignet bzw. unter Wert an neue deutsche Eigentümer "zwangsverkauft". An der Südküste der Landzunge entstand daraufhin eine deutsche Stadt namens Tsingtau (chin. "Grüne Insel"), auf der schattigen, dem Hafen zugewandten Seite baute man ein neues Chinesenviertel namens Tapautau. An anderen Stellen der Bucht oder des Hinterlandes entstanden weitere Siedlungen für chinesische Hilfsarbeiter. Ebenfalls am Stadtrand errichtete die Marine großzügige Kasernenanlagen. An der südlich von Tsingtau gelegenen Auguste-Viktoria-Bucht prägten kaiserzeitliche Hotel- und Villenbauten (sehr ähnlich den drei Kaiserbädern auf Usedom) das Bild. Der Tourismus spielte in Tsingtau durchaus eine beachtliche Rolle, nicht nur für die See-Sommerfrische, sondern auch das Wandern im nahegelegenen Lauschangebirge wurde gefördert. Der deutsche Alpenverein errichtete z.B. dort Hütten und markierte Wanderwege (ebd.).

Unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg lebten etwa 200.000 Einwohner im Pachtgebiet, 56.000 davon in Tsingtau, weniger als zehn Prozent davon waren Deutsche bzw. Europäer. Die Wirtschaftsleistung Tsingtaus als Hafen war durchaus beachtlich: Im Jahre 1910 galt Tsingtau als viertbedeutenster deutscher Hafen, gleichauf mit Lübeck. Christliche Missionare gründeten erste Schulen. Auch Krankenhäuser, Universitäten, ein Bank- und Postwesen und viele andere infrastrukturelle Einrichtungen wurden von den deutschen Kolonialherren errichtet. Die chinesische Bevölkerung wurde aber fortwährend unterdrückt und oft gedemütigt, nicht ohne Grund kam es 1900-1901 zum Boxeraufstand und vielen Konflikten (ebd.).

Mit Beginn des Ersten Weltkriegs forderte Japan (damals Verbündeter Großbritanniens) das Deutsche Reich am 15. August 1914 zur Räumung des Pachtgebietes auf. Der Kaiser weigerte sich. Die deutschen Truppen konnten die daraufhin einmarschierenden Japaner noch bis zu eigenen Kapitulation am 7. November 1914 hinhalten. Eine Woche später, exakt 17 Jahre nach der Besetzung der Bucht durch die Deutschen, endetet das Kapitel deutsche Kolonialgeschichte in China. Ein Großteil der zu diesem Zeitpunkt in Tsingtau lebenden Deutschen geriet in japanische Kriegsgefangenschaft. Tsingtau bliebt auch nach dem Versailler Vertrag unter japanischer Verwaltung.

Literatur: Hinz, Hans-Martin (1998): Das Thema im Ausstellungsrundgang. Herausgeberbeitrag zum Ausstellungskatalog "Tsingtau" - Ein Kapitel deutscher Kolonialgeschichte (online nachzulesen, da leider vergriffen). Deutsches Historisches Museum Berlin.