Bogenbrücken aus Stein waren - wie schon erläutert - baugeschichtlich ein Fortschritt, dem die Römer zum Durchbruch verhalfen. Je eleganter man aber eine derartige Brücke bauen möchte, umso heikler wird das Unterfangen. Bei hoch gewölbten Kuppelbauten - eine 3D Version des einfachen Bogens - ist dies noch offensichtlicher (siehe z.B. der Kuppelbau des Doms von Florenz). Der Bau solcher Gebilde erforderte und erfordert das ganze Geschick und die Erfahrung der Baumeister. Fehler haben fatale Folgen.
Was ist nun aber die ideale Form eines Bogens? Wie muss ein Bogen geformt sein, der filigran gebaut ist und elegant geschwungen sich selber trägt? Rundbogen tendierten zum Ausbrechen und müssen seitlich gestützt werden. Ist die ideale Form eine Parabel oder eine andere, ähnliche Form?
Geschichtlich war lange war nicht klar, welchem mathematischen Prinzip eine selbsttragenden Bogenbrücke oder eine frei fallenden Kette folgen. Ist es eine Parabel oder doch nicht?
Genaue Untersuchungen zeigten dann, dass beide Kurven nicht parabelförmig sind sondern einer anderen Funktion folgen. Dazu ein Zitat aus der Zusammenstellung zur Kettenlinie von Maikcl Hajiabadi (2016):
“Das Problem der Kettenlinie, einer an zwei Enden aufgehängten Kette, wurde erstmals von GALILEO GALILEI (1564 bis 1642) untersucht. Er glaubte, dass die Kettenlinie der Parabel nicht nur in der Form, sondern auch inhaltlich ähnlich (!nicht gleich) sei, da sie wie die Wurfparabel von zwei Kräften beeinflusst wird, der Schwerkraft und der Spann- bzw. der Horizontalkraft (im Vergleich zur Schwerkraft und der vorantreibenden Kraft).
Der deutsche Mathematiker, Physiker und Philosoph JOACHIM JUNGIUS (1587 bis 1657) zeigt in seiner 1639 erschienenen ,,Geometriaempyrica", dass es sich bei der Kurve nicht um eine Parabel handelt. Auch CHRISTIAN HUYGENS (1629 bis 1695) zeigte 1646, dass die Kettenlinie keine Parabel sein könne, für die Herleitung fehlten ihm jedoch noch Kenntnisse der erst kurz zuvor von Leibniz entdeckten Infinitesimalrechnung. Also schrieb er einen Brief an Leibniz mit dem Vorschlag, er könne doch seine neue Entdeckung gleich am Beispiel der Kettenlinie demonstrieren.
GOTTFRIED WILHELM LEIBNIZ nahm auch diese Herausforderung an und leitete im Jahre 1690 die exakte Beschreibung der Kettenlinie mit Hilfe ihrer physikalischen Gegebenheiten her. Da aber zu dieser Zeit "Quellcode-Klau" gang und gäbe war, und er sich der Richtigkeit seiner Lösung nicht sicher war, hielt Leibniz seine Herleitung zurück und rief zu einem Wettbewerb aus, bei dem es darum ging, eine Herleitung der Kettenlinie zu finden. Die einzigen Einsendungen, die er bekam, waren von JOHANN BERNOULLI und HUYGENS, die ebenfalls eine vollständige mathematisch richtige Lösung gefunden hatten.
Im Juni des folgenden Jahres wurden die drei voneinander unabhängig gefundenen richtigen Lösungen veröffentlicht, der Name catenary (Kettenlinie) wurde von Huygens Lösung schließlich übernommen." (Maikcl Hajiabadi (2016)“
Die Ergebnisse lauteten:
Für die Kettenlinie ergibt sich die Formel: y = cosh(x) (tiefster Punkt +1)
Für den Bogen entsprechend: y = - cosh(x) (Scheitelpunkt -1)
Für einen Bogen mit Scheitelpunkt bei 1: y = 2 - cosh (x) (Scheitelpunkt +1)
Die Herleitung der Formel kann man ebenfalls dem zitierten Artikel von Hajiabadi entnehmen. Wesentlich war die Erkenntnis, dass sich die vertikale Komponente der Gewichtskraft an jedem Punkt einer der Kette allmählich ändert und die horizontale Spannkraft über die ganze Kette gleich gross bleibt. Dies ist sinngemäss auch bei der Bogenbrücke der Fall (siehe Seite: Rechnerisches Kettenbogen).
Aus diesem Grundprinzip lassen sich nun verschiedene Bogenformen konstruieren: flache und steile. Die flachen Bogenformen erzeugen eine starken seitlichen Bodenschub und müssen gut verankert sein, die steilen erzeugen einen geringen seitlichen Bodenschub. Bei genügender Höhe stehen sie schon bald von selbst. Verankerungen für den seitlichen Schub sind dann nicht mehr nötig. Die Hauptlast wirkt praktisch vertikal.
Besonders reizvoll ist beim Kettenbogen das freie Aufbauen Klötzchen nach Klötzchen (eine entsprechende Bilderfolge wurde das erste Mal von Georg Maier (1977) gezeigt). Wenn man eine ruhige Hand hat, kann man den Wandel der nötigen Stützkräfte und den Wechsel der Kraftwirkung direkt am eigenen Leib erfahren. Es ist immer wieder ein gutes Gefühl, wenn der Bogen dann am Schluss frei über dem Tisch zum Stehen kommt.
Zum Bau:
Das erste Klötzchen steht noch von allein. Schon beim zweiten empfiehlt es sich einen leichten zusätzlichen Druck auszuüben, je weiter der Bau voranschreitet, umso sorgfältiger muss der Bogen austariert werden. Hält man den Bogen am richtigen Ort, gibt den richtigen Druck aus der richtigen Richtung, steht das Gebilde sicher. Sobald das Scheitelklötzchen an der Reihe ist, muss nicht mehr von oben belastet sondern von unten gestützt werden.
Was vorher noch relativ einfach war, wird nun zu einem Balanceakt. Der Bogen bricht bei zu viel Druck, ebenso bei zuwenig. Er bricht auch, wenn man die Bogenweite nicht richtig einstellt. Ein geschickter Handwerker spürt dies aber alles sofort und kann am Verhalten der Klötzchen auch sofort abschätzen, ob er auf dem richtigen Weg ist. Die letzten Klötzchen werden sorgfältig eingeschoben, danach trägt sich der Bogen selbst, wenn man dafür sorgt, dass der Bogenschub aufgefangen wird (im Bild mit 2 Tetrapacks)
Bilderfolge: Aufbau eines Kettenbogens
Die flache Kettenbogen erweist sich als stabil und kräftig, der Bogenschub ist aber sehr stark.
Der steile Kettenbogen steht schon fast ohne Verankerung (meist genügt die Reibung um den Bogenschub aufzunehmen).
Links zu den Aufgaben:
Aufgabe 16: Bau eines Kettenbogens 1
Aufgabe 17: Bau eines Kettenbogens 2
Links zu den Unterseiten:
Link zur nächstfolgenden Seite:
Experimentieren und Reflexion ermöglichen das Entdecken eines Bauprizipes, durch das sich ein Bogen selber trägt.
Entdecken des Zusammenhangs zwischen dem Fallen einer Kette und dem Stehen eines selbsttragenden Bogens.
Erfahren, dass sich die Kräfte beim Bau eines Kettenbogens schrittweise im Betrag und Richtung ändern.
Entdecken des allmählichen Schwindens der seitlichen Auflagekräfte bei steiler werdenden Kettenbogen.
Entdecken der Schwierigkeiten beim mathematischen Beschreiben der Kettenlinie.
Kennenlernen des Sinus Hyperbolicus und seiner Beziehung zur e - Funktion.
Erfahren einer Anwendung von Differentialgleichungen zur Lösung eines grundlegenden physikalischen Phänomens.