Grüße, Wünsche und Hoffnungen von einem aus der Basis

Offener Brief an die Parteivorsitzenden der LINKEN,

Janine Wissler,
Susanne Hennig-Wellsow,
sowie den neu gewählten Vorstand der Partei Die LINKE


Liebe Genossinnen und Genossen,

zunächst einmal möchte ich, ein einfaches Mitglied ohne Amt und Mandat, von Beruf Autor, euch von Herzen zur Wahl als Sprecherinnen beziehungsweise auch den anderen Vorstandsämtern der Partei beglückwünschen. Damit verbunden sind selbstverständlich auch die Wünsche für ein gutes Gelingen und die Hoffnung, dass die LINKE unter dieser neuen Führung unsere Gesellschaft auf einen Aufbruch zu neuen zivilisatorischen Ufern, weg vom Neoliberalismus und zumindest einige echte Schritte in Richtung eines demokratischen Sozialismus vorzubereiten vermag.

Eure Aufgabe ist absolut keine einfache. Ganz im Gegenteil! Eure Vorgänger im Amt sind – und das muss man im Hinblick auf die Zielerreichungsquote leider konstatieren – auf diesem Weg noch nicht sonderlich weit gelangt. Doch ein Erfolg ist mittlerweile überlebenswichtig, denn wir brauchen ein radikales Umdenken weg von der „Kultur“ der Ausbeutung, weg von der Herrschaft des Kapitals, weg von Kriegen und Konflikten, weg von der hemmungslosen Plünderung des Planeten hin zur demokratischen, internationalen Partnerschaft und Zusammenarbeit mit Maß und Ziel. Ohne Zusammenarbeit auf allen Ebenen werden wir die dringenden Probleme der Menschheit wie die Klimakatastrophe oder das Problem der endgültigen Zerstörung der Ressourcen, die uns der Planet (noch) zur Verfügung stellt, niemals in den Griff bekommen. Und wenn diese Probleme nicht gelöst werden, bleiben der Menschheit in ihrer jetzigen Organisationsform auf diesem Planeten wohl nur noch wenige Jahrzehnte …

Um die Menschen dieses Landes mehrheitlich auf einer solchen, notwendigen Reise mitzunehmen, müssen sie in einem demokratischen System überzeugt werden. Sie müssen überzeugt werden, dass es zu unserem Ziel keine echte Alternative gibt, wenn die Menschheit als Zivilisation weiterbestehen möchte. Sie müssen davon überzeugt werden, dass die Reise dorthin JETZT angetreten werden muss. Und sie müssen vor allem davon überzeugt werden, dass die LINKE die Kraft hat, diese Ziele umzusetzen und dass Vertrauen in sie gerechtfertigt ist. Wenn nicht die LINKE, wer denn sonst könnte den Kampf für die Gleichwertigkeit der Menschen, für soziale Belange, für ein menschenwürdiges Miteinander, national wie international, und für den Erhalt der Lebensgrundlagen glaubwürdig anführen? Da ist sonst niemand mehr auf weiter Flur. Und deshalb tragt besonders ihr beiden, Susanne und Janine, als die Gesichter der Partei, nun eine exorbitant hohe Verantwortung. Wir – und vor allem nachfolgende Generationen – werden euer Wirken an ihr messen (müssen).

Doch … das mit der Glaubwürdigkeit ist momentan ein ernstes Problem. Man kann es gar nicht hoch genug aufhängen und die Politik des letzten Parteivorstands hat möglicherweise nicht gerade dazu beigetragen, den Guthabenstand dieses Kontos aufzufüllen. Glaubwürdigkeit heißt, dass unsere Botschaften, unsere Handlungen in absoluter Übereinstimmung stehen müssen mit den Idealen, die wir vor uns hertragen oder – wie einige politische Gegner sicherlich gehässig anmerken würden – vor uns herzutragen vorgeben. Sie müssen vor allem kongruent erscheinen zu den Personen, die für diese Botschaften und Handlungen im Fokus der Öffentlichkeit stehen. Glaubwürdigkeit wird eben meist an die Personen geknüpft, die im Namen einer Partei sprechen. Die Popularität einer Genoss*In steht in direktem Verhältnis zu ihrer Glaubwürdigkeit. Und nur sehr wenige Genoss*Innen gelten hierzulande als populär, ergo als glaubwürdig. Dies zu ändern, ist eine eurer vordringlichen Aufgaben.

Meines Erachtens sind die Ziele der Partei nur zu erreichen, wenn ihr die Menschen erreicht. Und zwar in einem weitaus größeren Rahmen als bisher. Es geht nicht um 8% oder um 12% der Sitze im Bundestag. Wenn wir wirklich etwas Substanzielles bewegen wollen, müssen wir größer denken: Wir brauchen Zustimmungswerte von 30 oder 40 Prozent! Für den Anfang! Um dieses ehrgeizige Ziel zu erreichen, sind folgende Schritte meines Erachtens absolut unumgänglich:

1. Wiederherstellung der Einigkeit in der Partei

Die letzten Jahre waren geprägt von Streit und Auseinandersetzung in der Partei. Wir haben uns mittlerweile seit 2016 bis zum heutigen Tag viel mehr mit uns selbst beschäftigt als mit irgendeinem anderen Thema. Natürlich wurde dieser Streit von den Medien genüsslich aufgenommen und hat zu unserer Unpopularität massiv beigetragen. Ach, wenn es bei diesem Konflikt doch nur um Argumente gegangen wäre, doch die öffentliche Wahrnehmung war – und ist nach wie vor – die, dass es um Personen ging, um deren Einfluss und letztlich um … Macht. Machtbesessenheit, wahrgenommen bei einer Partei, die angeblich die Demokratie, mithin also den Respekt gegenüber Andersdenkenden hochhält? Und das soll glaubwürdig sein? Wenn Mandatsträgern wie beispielsweise Bundestagsabgeordneten nahegelegt wird, nicht mehr zu kandidieren, weil sie sich zuvor geweigert haben, ihrer Fraktionsvorsitzenden in den Rücken zu fallen, wird da ernsthaft erwartet, dass das wirklich Glaubwürdigkeit vermittelt? Wenn bestimmte Genoss*Innen, abhängig von ihren Meinungsäußerungen gefördert und andere mundtot gemacht werden, soll das von irgendjemandem als „demokratisch“ und „weltoffen“ aufgefasst werden? Echt jetzt? Wie wir mit uns, wie wir mit der Bevölkerung und ihren Ängsten, wie wir mit politischen Gegnern umgehen, daran werden wir gemessen. Ausrufezeichen! Und da war die Show, wie wir in den letzten Jahren abgeliefert haben, leider eine sehr traurige. Die Menschen sehen womöglich etwas genauer hin, als die (bisherige) Parteispitze das angenommen hat.

Es soll damit bitteschön nicht gesagt werden, dass innerparteiliche Diskussionen einzustellen wären. Im Gegenteil! Wir müssen zurückfinden zu echten Diskussionen und wegkommen vom Streben nach persönlicher Macht und Einfluss und wegkommen vom Intrigantentum. In einer Demokratie wird Überzeugungskraft und … Liebe gebraucht, um Andere im eigenen Sinne zu beeinflussen. Macht braucht nur, wer selbst nicht zu überzeugen vermag und dennoch Einfluss auch über die Köpfe einer Mehrheit hinweg ausüben will. Wer eine authentische demokratische Gesinnung hegt und pflegt, der strebt nicht nach Macht, denn er/sie braucht dazu keine.

Geschlossenheit bedeutet auch nicht, dass wir alle einer Meinung sein müssen. Auch hier gilt das Gegenteil. Wir dürfen durchaus zu unserer Pluralität stehen, warum können wir nicht zeigen, dass wir abweichende Meinungen respektieren und nicht ausgrenzen, wie das in der Vergangenheit so oft versucht wurde. Die Meinung „der Partei“ ist auszudiskutieren und mit demokratischen Methoden zu eruieren, zu dokumentieren und zu kommunizieren. Davon abweichende Meinungen können gern als nicht parteikonform gekennzeichnet werden, doch sind sie als persönliche Meinung auch einer Parteifunktionär*In zuzulassen.

Meine Bitte an euch: Lebt die Pluralität! Arbeitet euch an den Argumenten ab, nicht an den Personen, die sie äußern! Bei allem, was wir sagen und tun, gilt, dass wir nur gemeinsam die Stärke haben, unsere Ideen voranzubringen. Wir verfolgen ein gemeinsames Ziel! Denn das ist es, was Geschlossenheit bedeutet: auf ein gemeinsames Ziel hinzuarbeiten und sich auf den politischen Gegner einzuschießen anstatt auf die eigenen Genoss*Innen! Selbst dann, wenn wir über den Weg dorthin uneins sein sollten. Spaltungen, Polarisierungen, Ausgrenzungen dagegen machen uns schwach und lassen uns in den Augen der Öffentlichkeit erbärmlich aussehen. Darin waren linke Kräfte im letzten Jahrhundert wahre Meister … und haben auch aus diesem Grund nie etwas Wesentliches zum Positiven bewirkt. Es wird höchste Zeit, dass die Partei sich von diesem alten Weg verabschiedet und dass sich vor allem der Parteivorstand auf einem neuen Weg der Kommunikation und Diskussion seiner besonderen Vorbildfunktion bewusst wird und die Gemeinsamkeiten betont anstatt die Gegensätze!

2. Anbieten einer Vision von einer besseren Gesellschaft

Ich komme aus einer eher ländlich-rustikalen Gegend in Bayern, in der der „Landesvater“ (= der bayerische Ministerpräsident) noch gern zum „Kini“ (= König) stilisiert wird. Wer hier einen Infostand macht, muss darauf vorbereitet sein, dass die Mehrheit der dort abgelassenen Kommentare irgend­etwas mit „SED“, „DDR“ (wahlweise mit „2.0“ als Nachsilbe), „Einschränkung der Reisefreiheit“, „Mangelwirtschaft“, „Staatsversagen“ und „Schießbefehl“ zu tun haben. Da hilft auch der Verweis nichts, dass die LINKE als einzige Partei eine historische Kommission zur Aufarbeitung der eigenen Geschichte eingerichtet hat. Das geht rechts rein und links wieder raus. „Ihr wollt Sozialismus, das steht in eurem eigenen Parteiprogramm. Jeder weiß, dass Sozialismus noch nirgendwo in der Welt je funktioniert hat.“ Wer da versuchen wollte, den Begriff des Sozialismus zu erklären und dass die LINKE mitnichten einen „real existierenden“, sondern einen demokratischen Sozialismus anstrebt, steht bereits auf verlorenem Posten.

Dann gibt es da noch eine andere Gruppe, die die Partei nicht anhand falsch verstandener Begrifflichkeiten be- beziehungsweise verurteilt. Von dieser Gruppe kommt dafür gern der Vorwurf, dass wir, wie die Repräsentanten alle anderen Parteien, auch nur auf Stimmenfang gehen, um an die Fleischtöpfe der Eliten heranzukommen. So, wie man das schon bei den GRÜNEN erlebt hat. Das ist die Gruppe der Politikverdrossenen, die der LINKEN nicht zutraut, menschlich „besser“, also gemeinwohlorientierter zu handeln als, sagen wir, eine SPD.

Dann gibt es da noch die durchaus zahlreichen Stimmen, die sagen „Wenn Sahra Wagenknecht Kanzlerin werden würde, wäre das geil. Doch leider ist sie in der falschen Partei.“ Das ist der Satz, der mich persönlich ganz besonders traurig macht. Denn ich weiß, dass Sahra in der einzig richtigen Partei ist. Aber ich erlebe auch, dass sie und ihre Arbeit dort nicht unbedingt willkommen sind – wobei wir wieder bei Punkt 1 wären, weshalb ich diesen Punkt an dieser Stelle nicht weiterverfolge.

Es gibt natürlich auch Sympathisanten; auch auf Leute, die offen sind und in der Lage zuzuhören, trifft man hin und wieder. Doch die überwiegende Reaktion ist – so empfinde ich das jedenfalls – Ablehnung. Bis hinein in die eigene Familie, in der diese Partei sich allergrößten Misstrauens – aus einem oder mehreren der genannten Gründe – sicher sein kann.

Die Schuld für dieses Misstrauen uns gegenüber kann man gerne der übermächtigen Propaganda unserer politischen Gegner oder einer im vorauseilenden Gehorsam schreibenden, uns nicht gewogenen Presse zuschreiben. Doch … damit würde man es sich zu einfach machen. Das Problem sind wir selbst und unsere Kommunikation. Bis heute haben wir es nicht vermocht, den Menschen im Lande eine Vision davon anzubieten, wie wir uns die Gesellschaft von morgen – und damit meine ich nicht die in 200 Jahren, sondern innerhalb weniger Jahre, falls die Bevölkerung uns das Mandat dafür anvertraut – vorstellen. Demokratischer Sozialismus … gut und schön. Einige kennen das Konzept. Der überwiegende Teil der Bevölkerung kennt es nicht. Und der fürchtet sich davor, weil er das Wort Sozialismus eben mit Schießbefehl und DDR assoziiert. Wir können uns zwar darüber ärgern und diese Menschen als böswillige Ignoranten abtun, hilfreich ist so eine Haltung in einer Demokratie aber eher nicht. Wir haben unseren Job einfach nicht gut gemacht, wenn solche Assoziationen noch immer in den Köpfen herumspuken. Wir haben versäumt zu erklären, wie das System, das wir uns vorstellen, ganz konkret aussehen soll. Warum können wir nicht erklären, dass ein demokratischer Sozialismus entsprechend unserer Ausrichtung, absolut grundgesetzkonform sein kann und wird? Wir sollten darüber hinaus erklären:    

Auf keine dieser Fragen hat die LINKE bislang eine schlüssige Antwort geliefert. Eine schöne neue Welt versprechen, aber nicht mal in der Lage sein, zu erklären, wie konkret diese aussehen könnte … glaubwürdig? Also, ich weiß nicht recht.

Vor allem müssen wir ehrlich sein. Denen, die uns sagen, dass wir nur an die Fleischtöpfe der Eliten heranwollen, müssen wir klar und glaubwürdig darlegen, dass wir eben gerade darauf hinarbeiten, dass es mit uns keine Eliten und keine Fleischtöpfe mehr geben wird. Es sei denn, Fleischtöpfe für alle, aber auch nur dann, wenn solche klimaneutral und unter Tierwohlgesichtspunkten auf den Tisch gebracht werden können. Ehrlich sein, heißt auch, dass, wer Wasser predigt, auch selbst nur Wasser trinkt. Eine Genoss*In, die sich in dieser Beziehung eines Fehlverhaltens schuldig macht, muss sich unabhängig von Person / bisherigen Verdiensten öffentlich für ihr Fehlverhalten verantworten. Vertrauen wird ausschließlich durch Transparenz gewonnen und dass einige gleicher sind als andere, ist für eine Partei mit unserem Anspruch untragbar. Wenn wir selbst nicht unsere schärfsten Kritiker sind und unser Verhalten nicht ständig an den Maßstäben unserer Ideale messen, werden wir niemanden davon überzeugen, dass es uns ernst ist mit der Errichtung einer „besseren Welt“.

3. Weg von einer Sprache der Ratio hin zu einer Sprache der Herzen

Dass Funktionäre der LINKEN eine Sprache verwenden, die abgehoben ist und die von unserer ureigenen „Zielgruppe“ weit entfernt ist, weil diese sich in unseren Aussagen nicht mehr wiederfindet, wurde inzwischen oft genug thematisiert. Konkrete Konsequenzen daraus wurden jedoch bislang nicht gezogen. Noch immer werden Menschen, die in prekären Verhältnissen leben und die sich davor fürchten, dass weiterer Zuzug aus dem Ausland ihre Chancen beispielsweise auf dem Wohnungs- oder Arbeitsmarkt weiterhin verschlechtert, gern als Ausländerfeinde oder Rassisten diffamiert. Als ob man das Problem auf diese Weise lösen könnte. Was man damit lösen kann, ist die Hoffnung, die diese Menschen in unsere Partei setzen, da sonst ja niemand für sie einsteht. Allzu oft sind wir uns dessen nicht bewusst, welche Botschaften wir aussenden. Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter: Wir mögen uns rational und wissenschaftsorientiert dünken, doch gerade die Erkenntnisse der Sprachwissenschaft der letzten Jahrzehnte hat keine Partei so gekonnt ignoriert wie die LINKE. Und ihre Parteispitze an allervorderster Front. Wir haben keine Ahnung von Framing, also den Bedeutungsrahmen, in die wir unsere Botschaften packen. Wir haben nicht verinnerlicht, dass die allermeisten Menschen nachweislich politische Entscheidungen eben gerade nicht auf der Basis der Ratio treffen, sondern auf Basis von Gefühlen, auf der Basis von Wertekomplexen. Wir sind uns dessen nicht bewusst geworden, dass wir die Botschaften unserer politischen Gegner nicht nur unbewusst verbreiten, sondern sie uns auch zu eigen machen, wenn wir deren Kampfbegriffe wie beispielsweise das Wort „Steuerbelastung“ auch nur in den Mund nehmen. Wir sind uns auch nicht der Tatsache bewusst, dass es Reizwörter gibt, die man wirklich niemals verwenden sollte, weil diese gegen das Wertesystem der meisten Zuhörer verstoßen. „Enteignen“ ist beispielsweise ein solches Wort. Man verknüpft es beim Hören automatisch mit „wegnehmen“ oder gar „stehlen“. Das ist ein Framing, das dem Wertesystem der meisten entgegensteht, die – übrigens in Übereinstimmung mit dem Grundgesetz – davon ausgehen, dass eine der Kernaufgaben des Staates der Schutz des Eigentums ist. Wie kann man denn nur Leute auf eine Weise ansprechen, indem man Begriffe verwendet, die im Gegensatz zu deren Wertesystem stehen und erwarten, dass die einem dann auch noch freudig folgen? Wir LINKE können das. Ohne Rücksicht auf Verluste. Macht uns das stark? Nicht wirklich, oder?

Ich will an dieser Stelle nicht anregen, dass wir manche Dinge nicht mehr sagen sollten. Doch, sagt sie immer frisch raus! Aber achtet dabei auf eure Worte und seid euch stets der Wirkung der von euch verwendeten Frames bewusst! Erzählt Geschichten, mit denen die Menschen draußen sich identifizieren können! Ich will auch nicht über Sprachwissenschaft oder über Framing dozieren. Das steht mir als interessiertem Laien einfach nicht zu. Aber ich möchte eure Sensibilität für das Thema wachrufen. Denn nur, wenn unsere Botschaften widerspruchsfrei zum Wertesystem der Angesprochenen sind, wenn diese Botschaften glaubwürdig übermittelt werden und wenn sie bei unserer Zielgruppe auch verstanden werden (was wiederum zwingend voraussetzt, dass wir zuvor versuchen, unsere Zielgruppe zu verstehen), dann erst haben wir eine Chance, diese auch von uns und unseren Botschaften zu überzeugen. Und nur dann!

Die bisherigen Parteivorstände und Berufspolitiker aus unseren Reihen haben meines Erachtens den Themenkomplex „Sprache“ viel zu lange vernachlässigt, während Leute wie Erdogan oder Trump sich deren Möglichkeiten längst aktiv zunutze gemacht haben. Leider mit großem Erfolg. Sprache richtig einzusetzen, ist nicht rechtsextrem, es ist auch nicht populistisch. Es ist vielmehr notwendig. Denn die Protagonisten des Neoliberalismus nutzen die Sprache schon seit Jahrzehnten erfolgreich als Waffe gegen Demokratie und Sozialstaat. Es ist dringend an der Zeit, dass die LINKE sich den Möglichkeiten, die diese „Waffe“ eröffnet, nicht länger verschließt, um diesen Manipulationen Botschaften entgegenzusetzen, die „ankommen“.

Einen abschließenden Rat möchte ich euch mitgeben: Vielleicht könnt ihr die Sprachwissenschaftlerin Elisabeth Wehling (https://de.wikipedia.org/wiki/Elisabeth_Wehling) für einen Vortrag / ein Seminar für den Parteivorstand gewinnen, in dem sie die Grundzüge des Framings erläutert. Es gibt zur Einstimmung auch diverse Interviews dieser bemerkenswerten Frau im Internet zu finden, beispielsweise beim Deutschlandfunk. Sprachwissenschaft ist gern komplex formuliert, doch Frau Wehling bemüht sich um eine möglichst gute Verständlichkeit ihrer Ausführungen, daher empfehle ich sie. Meines Erachtens gehören die Erkenntnisse, die dort vermittelt werden, zu den Grundlagen, mit denen jeder Berufspolitiker sich dringend befassen sollte. Es wäre schön, wenn zumindest dieser Parteivorstand ein Bewusstsein für diese überaus wichtige Thematik entwickeln könnte. In ihr liegt nicht weniger als der Schlüssel zu gelungener Kommunikation!

4. Fazit

Es geht mir nicht um Besserwisserei. Oder darum, Claims abzustecken. Oder darum, euch in eine bestimmte Ecke zu bugsieren. Es geht einzig und allein darum, ein Bewusstsein für die dringend anstehenden Aufgaben zu entwickeln. Die Lösung dieser Aufgaben wäre die Voraussetzung für einen nachhaltigen Erfolg dieser Partei. Das Potenzial hat sie, nun liegt es an euch, ob sie es nutzen kann. Mir ist bewusst, dass diese Aufgaben eine menschliche Größe erfordern, die man nicht einem oder einer jeden abverlangen kann. Euch wird sie abverlangt, denn der Parteitag hat auch das Vertrauen ausgesprochen und erwartet, dass ihr die Partei in die Zukunft führt. Viel hängt nun von euch ab und davon, ob ihr dieser Erwartungshaltung gewachsen seid. Meiner Ansicht nach habt ihr alle das Zeug, den Zug gemeinsam auf das richtige Gleis zu bugsieren und die Lokomotive so richtig zu beheizen. Lasst euch bitte nicht von dieser Aufgabe ablenken, stellt den Zug aufs Gleis und fahrt los! Mit Volldampf! Ich danke für eure Aufmerksamkeit!

Love and Peace!

Germering, 6.3.2021

Ulrich Seibert (KV Amper, Bayern)