Zum Gedenktag für die Opfer von Hiroshima und Nagasaki

Am 6. August 1945 warfen die USA (als übrigens bislang einzige Nation, die je eine Atombombe anders als zu Testzwecken eingesetzt hat) eine Atombombe mit dem zynischen Namen Little Boy auf die japanische Hafenstadt Hiroshima und ein paar Tage später eine weitere auf Nagasaki ab. Der Krieg war für die Allianz zu dem Zeitpunkt bereits gewonnen, Japan am Ende.

Foto: Ernestine Martin-Köppl, Emmering

Ich wurde eingeladen, an einem Gedenktag zu diesem Anlass am 5. August in Fürstenfeldbruck zu sprechen, was ich natürlich gerne tat. Doch das Erlebnis war ... ernüchternd. Nicht wegen der Veranstalter oder der Veranstaltung, die lokale Friedensbewegung und das Sozialforum haben sich unglaublich engagiert ins Zeug gelegt, um diese Sache zu organisieren und durchzuführen. Sondern wegen der Resonanz seitens der Bevölkerung. Die war quasi nicht vorhanden.

Gut, der zweite Bürgermeister Christian Stangl, mit dem ich mich schon einmal auf einer Art Podiumsdiskussion gezofft habe, hat immerhin das Grußwort gehalten, dabei aber die kriegerische Haltung seiner Partei (Die [Oliv-]Grünen) verteidigt, denn Krieg sei der einzige Weg, Aggressoren wie Putin wirksam entgegenzutreten. Aber ansonsten ... Es waren die 20 üblichen Verdächtigen da, aber die Brucker Bevölkerung ignorierte die Veranstaltung, obwohl sie öffentlichkeitswirksam am Rathaus begann, vollständig. Ein Pressevertreter war zwar die ganze Zeit über anwesend, berichtet wurde über die Veranstaltung allerdings nicht. Nicht - ein - einziges Wort.*

Was ist denn nur los, liebe Brucker? WOLLT IHR DENN DEN KRIEG? WOLLT IHR DEN TOTALEN KRIEG? Hurra???
Denn ... den könnt ihr schneller bekommen als euch lieb ist und auch total kann er sehr leicht werden, totaler als jeder, den die Menschheit je erlebt hat, denn der Ukraine-Konflikt hat das Potenzial, sich bei einer Eskalation zu einem europäischen oder gar Weltkrieg auszuwachsen, der dann mit ziemlicher Sicherheit auch ein Atomkrieg würde. Und wir, genau hier in Deutschland, würden aus strategischen Gründen die allerersten Ziele abgeben. Jeder Tag, den dieser Krieg andauert, wächst die Gefahr einer Eskalation ein Stückchen mehr ... und damit die Gefahr des Endes von euch, euren Kindern und Enkeln, euren Häusern, euren Hunden und Katzen und, ja!, sogar eurer ... Autos!

Wie soll eine militärische Lösung dieses Konflikts denn eurer Meinung nach aussehen?

Denkt jemand hier ernsthaft, dass die Ukraine Russland militärisch besiegen kann, so besiegen, dass Russland sich aus den besetzten Gebieten zurückzieht? So besiegen, dass Putin sich verschämt auf Altenteil zurückzieht, wenn man ihn in Den Haag denn lässt, und vorher noch Russland vollständig entwaffnet? Glaubt ihr diesen Schwachsinn wirklich, angesichts der prall gefüllten russischen Atom-Arsenale?

Die zweite mögliche militärische Lösung wäre die Kapitulation der Ukraine. Glaubt daran etwa jemand? Nach all den Milliarden, die der Westen bereits in die Ukraine investiert hat? Glaubt einer ernsthaft, dass der Westen nicht alles tun würde, um eine Kapitulation um jeden Preis zu verhindern?

Niemand? Also ... warum wird dieser Konflikt dann nicht schnellstens beendet? Denn wenn auf dem militärischem Weg keine Lösung zu erreichen ist, dann bleibt ja nur noch der Weg der Verhandlungen. Das ist so. Aber warum wird dann nicht verhandelt? Warum wird dieser Krieg auf den Köpfen der ukrainischen Bevölkerung weiter und immer weiter ausgetragen? Womöglich, bis im ganzen Land kein Ziegel mehr auf dem anderen steht?

Vielleicht, weil jede Partei sich erstmal eine Position der Stärke herausarbeiten will, bevor sie in Verhandlungen eintritt? Ich kann nicht für Putin sprechen. Weder weiß ich, was in dem Mann vorgeht, noch ist es angebracht, als Deutscher den Russen vorzuschreiben, in welchem System und unter welchem Regime sie leben wollen, das ist allein ihre Sache. Es ist jedoch anzunehmen, dass auch er erstmal seine Schäfchen ins Trockene bringen möchte. Wir hier können aber nur die Politik Deutschlands beeinflussen und Deutschland wiederum kann die Politik des Westens beeinflussen, daher ist das, was Deutschland macht, wie es sich verhält, die Bühne all derjenigen, die für Frieden einstehen. Und wenn Deutschland Fehler macht oder unkalkulierbare Risiken eingeht, dann ist das unsere Sache. Nun, wir sind Bündnispartner der USA. Und die USA haben seit Jahrzehnten in Bezug auf die Ukraine eine klare Agenda und die wollen sie durchziehen. Sie selbst riskieren dabei, nebenbei gesagt, herzlich wenig. Putin steht dabei im Weg, obwohl er eigentlich nicht der Gegner ist, das ist für die USA heute vielmehr China. Dennoch muss er weg und Russland muss zu einer Regionalmacht degradiert werden, bevor das Land womöglich noch mit China ein Militärbündnis eingeht ... und das wäre für den Westen gar nicht gut. Mit anderen Worten: Es geht eigentlich gar nicht um die Ukraine, es geht um die weltweite Vorherrschaft. Die Ukraine ist dabei nur das Bauernopfer. Auch wenn man uns weiszumachen versucht, dass es um Freiheit und westliche Lebensweise ginge, um Selbstbestimmung und Menschenrechte ... darauf sollte wirklich niemand mehr reinfallen, das ist die Standarderklärung bei allen NATO-Angriffen der letzten Jahrzehnte gewesen, Irak, Afghanistan, Libyen, etc. etc., die sich auch in der Vergangenheit schon niemals bewahrheitet hat.

Und wie genau wollen wir im Westen eigentlich diese Position der Stärke erreichen? Einerseits durch die Lieferung von Waffen und anderen Gütern an die Ukraine, damit das Land die Stärke hat, diesen Krieg weiterzuführen und eben nicht zu kapitulieren. Andererseits durch die Sanktionen gegen Russland. Die Sanktionen ... Sanktionen sind ja zunächst mal eine potenziell gute Sache. Es wäre wunderbar, wenn die Weltgemeinschaft jedem Aggressor sofort mit harschen Sanktionen begegnen würde, Sanktionen, die dafür sorgen, dass durch sie die Kosten der Aggression weit höher ausfallen als der erhoffte Ertrag aus der Aggression; unabhängig davon, wer der Aggressor ist, sei es Liechtenstein (in der Übertreibung liegt die Veranschaulichung ...), sei es Russland, seien es die USA!  Damit wären Kriege in der Tat kein geeignetes Mittel mehr, um eigene nationale oder imperialistische Interessen auf militärischem Wege durchsetzen zu wollen. Das ist aber nicht die Realität! Damit ein solcher Mechanismus funktioniert, müsste die Weltgemeinschaft, also die UN deutlich gestärkt werden, um solche Maßnahmen auch durchsetzen zu können. Der UN-Sicherheitsrat, dessen Aufgabe es ist, den mächtigsten Nationen innerhalb der UN Sonderrechte zuzuschanzen, müsste dazu aufgelöst werden. Doch das ist, wie gesagt, nicht Realität. Und daher funktionieren die aktuellen Sanktionen gegen Russland auch nicht. Sie wurden auch nicht von der UN ausgesprochen, sondern von den USA und der EU, also dem westlichen Machtblock. Daher fühlen sich viele Länder, darunter Indien oder China auch nicht daran gebunden. Das führt zu solch paradoxen Ergebnissen, dass Putin Öl und Gas, das er vertraglich zu festen Preisen nach Europa hätte liefern müssen, jetzt zu deutlich höheren Preisen an diese Länder verkaufen kann. Dass Indien das Gas dann in Frachtern zu nochmal höheren Preisen nach Europa verschifft, Schwamm drüber! Und der Außenhandel mit Russland boomt, allein Deutschland hat im Mai 2022 Exporte in Höhe von einer rekordverdächtigen Milliarde Euro nach Russland getätigt. Putin reibt sich die Hände, denn dank dieser Entwicklung schwimmt er geradezu im Geld, auch wenn einige Branchen in Russland wegen der Sanktionen durchaus Probleme haben. Aber das verschmerzt er locker, er hat ja durchaus noch diverse Partner in der Welt. Schöner Wirtschaftskrieg, voller Erfolg! Wenn auch nicht ... für uns.

Wenn die Sanktionen aber gescheitert sind und eine Position der Stärke so nicht mehr erreicht werden kann und eine militärische Lösung ebenfalls nicht erreicht werden kann, warum verhandeln wir dann immer noch nicht?? Wäre es nicht im besten Interesse der Ukrainerinnen und Ukrainer, dass das Leid, das dieser verbrecherische Krieg mit sich bringt, endlich beendet wird?

Wieder will ich nicht für Russland sprechen, es geht mir vielmehr darum, dass wir - der Westen - in diesem Spiel keine tödlichen Fehler begehen. Was sind Verhandlungen eigentlich? Zwei oder mehr Parteien handeln auf Augenhöhe (!) einen Kompromiss (!) aus, bei dem jede Seite etwas verliert, aber bei dem jede Seite auch etwas gewinnt (!). Wenn das nicht gewährleistet ist, kann zumindest eine der Parteien kein Interesse an solchen Verhandlungen haben.

Allein, an der Augenhöhe scheitert es schon. Biden hat klargemacht, dass er Russland nachhaltig schwächen möchte. Er hat außerdem klargemacht, dass die russischen Sicherheitsinteressen auf keinen Fall Teil einer Verhandlungsagenda sein können. Nun, wenn also von westlicher Seite aus schon von vorneherein klar gemacht wird, dass die Verhandlungen erst einmal nicht auf Augenhöhe erfolgen, weil Russland einem Diktat des Westens zu folgen hat und außerdem auch nichts Substanzielles gewinnen kann, weil sie russischen Hauptinteressen gar nicht erst zur Disposition stehen, dann versteht sich, dass Russland kein Interesse an einer solchen Art der Verhandlung haben kann. Das wäre in etwa so, als würden Sie mit Ihrem Chef über eine Gehaltserhöhung verhandeln wollen, aber der sagt: Wenn Sie in mein Büro kommen, dann sprechen wir ausschließlich über eine Erhöhung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Lohnkürzung. Würden Sie unter solchen Umständen in Verhandlungen einsteigen? 

Warum eigentlich kann ein US-Präsident sich erdreisten, dass exakt dieselben Sicherheitsinteressen, für die einer seiner Vorgänger, nämlich J.F. Kennedy im Jahr 1962 (Kuba-Krise) bereit war, den Dritten Weltkrieg zu riskieren, einfach vom Tisch zu wischen, nur weil sie von der Gegenseite vorgebracht werden? Über die Gründe vermag ich nur zu spekulieren ...

Der russische Angriffskrieg war und ist ein Verbrechen, darüber sind sich sicherlich alle einig. Aber die Mitschuld an einer Eskalation zu einem europaweitem oder gar Weltkrieg ist auch ein Verbrechen! Deshalb müssen wir mit aller Kraft daran arbeiten, die Falken wie Merz, Baerbock oder Hofreiter an die Kette zu legen und für Frieden und sofortige Verhandlungen, wie gesagt, auf Augenhöhe, einzutreten.

Wem genau wollen wir eigentlich helfen? Der Nation Ukraine? Oder den Menschen in der Ukraine?

Also den Menschen wohl eher nicht, denn denen wäre am meisten damit geholfen, dass dieser Krieg schnellstmöglich beendet wird. Von Seiten unserer Regierung wird der Fokus aber stattdessen leider auf die Nation der Ukraine gelegt. Schade. Denn es sollte niemals um Nationen und ihre nationalen Interessen gehen. Es sollte auch niemals um imperiale Interessen gehen. Diese Fokussierung können wir uns heute einfach nicht mehr leisten! Kriege sind spätestens in der heutigen Zeit, mit dem Vernichtungspotential heutiger Waffen, kein probates Mittel mehr, eigene nationale Interessen durchzusetzen! Ausrufezeichen! Oder, um es mit den Worten des Schriftstellers Ilija Trojanow zu sagen: Unter der Schläfe des Friedens pocht der kriegerische Puls. Was haben wir denn aus den Katastrophen des 20. Jahrhunderts gelernt, wenn nicht dies: Nationalismus führt zu Krieg. Nur eine Frage der Zeit.

Bedeutet eine Forderung nach einem Ende des Krieges nicht, vor Russland einzuknicken, Autokraten ihren Willen und ihre Aggression durchgehen zu lassen?

Ein entschiedenes Nein zu dieser These, die völlig verkennt, welche zivilisatorischen Fortschritte die Menschheit in den letzten Jahrhunderten gemacht hat, indem sie Alternativen zu militärischen Auseinandersetzungen entwickelt und erfolgreich ausprobiert hat. Wir kennen heute auch die Wege des zivilen Ungehorsams, der Verweigerung der Zusammenarbeit, des passiven Widerstands oder auch der internationalen Ächtung. Mit solchen Wegen hat Indien Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts die damalige Großmacht England trotz brutalster britischer Gegenwehr aus dem Land geworfen. Auch Afghanistan hat weniger durch die militärischen Bemühungen der Mudschaheddin oder Taliban, sondern vielmehr durch die Verweigerung der Zusammenarbeit die Besatzer, erst Russland, dann auch den Westen aus dem Land vertrieben. Ob das gut war für diese Länder und deren Bewohner, steht auf einem anderen Papier, doch die Wege waren erfolgreich. Sie erfordern allerdings Mut, Fantasie und ... Liebe! Vor allem letzteres, es erfordert, den Gegner als Menschen zu respektieren und ihm nicht mit Gewalt begegnen zu wollen, es erfordert im wahrsten Sinne des Wortes, der 2000 Jahre alten Botschaft Liebet eure Feinde zu folgen. Wer in diesem Sinne liebt, kann gar keinen Krieg wollen, geschweige denn führen, Krieg braucht als Voraussetzung den Hass und das Feindbild! Das sollten sich vor allem mal die Parteien, die sich selbst so gern und selbstbewusst als christlich ausgeben, vor Augen führen.

Es liegt an uns! Vergessen wir nicht: Wenn die Menschheit die großen Probleme unserer Zeit viel größere als dieser Ukraine-Konflikt  nicht in den Griff bekommt – Klimawandel, Artensterben, Ressourcenraubbau, Vermüllung der Umwelt – wird die Menschheit in dieser Form zu Beginn des kommenden Jahrhunderts nicht mehr existieren. Dieses Schicksal kann nur abgewendet werden durch Zusammenarbeit aller Menschen und Länder über Grenzen und Glaubensfragen hinweg! Tod dem Krieg!


* Korrektur: nach Veröffentlichung dieses Artikels berichtete der Münchner Merkur dann doch noch etwas.