(Der Text entstand in seiner jetzigen Fassung unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dr. Helge Peukert und Prof. Dr. Niko Paech)
Zu diesem Thema hatte ich drei Sendungen gemacht, die als Trilogie zur Postwachstumsökonomie meine Sendereihe „Die Diktatur des Monetariats“ bei Radio Lora abschließen sollen. Meine Gäste waren die beiden renommierten Postwachstumsökonomen Prof. Dr. Dr. Helge Peukert und Prof. Dr. Niko Paech. Die Ansichten der beiden Wirtschaftswissenschaftler bezüglich des Wegs zur Rettung der Menschheit unterscheiden sich. In Bezug auf die Fakten, beruhend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und mittlerweile alltäglichen Erfahrungen vor der Haustür, nicht nur zum Klimawandel, sondern auch den weiteren, oft gerne verschwiegenen planetarischen Grenzen, stimmen sie aber völlig überein: Der menschliche Fußabdruck muss sich in Deutschland um rund 90% verringern, in den USA noch mehr. Wir schlittern ansonsten in eine Katastrophe, obwohl die Bewohner ärmerer Regionen noch nicht einmal an unseren Konsumorgien teilnehmen.
Insbesondere wir in Deutschland, als Teil der Industriegesellschaften, leben seit vielen Jahrzehnten weit über den Verhältnissen des Planeten, wir haben eine Konsumgesellschaft geschaffen, die auf einem (physikalisch unmöglichen) unendlichen Wachstumsdrang beruht. Unser Wirtschaftssystem, der Kapitalismus, braucht dieses Wachstum, ohne das er schlichtweg alsbald zusammenbräche. Wie immer wir es bezeichnen wollen: Diese Unmöglichkeit dürfte für jedes überwiegend privatwirtschaftlich organisierte Wirtschaftssystem mit dem ihm eigenen Expansionsdrang gelten. Denn Wachstum bedeutet immer und ausnahmslos auch mehr Ressourceneinsatz, damit mehr CO2-äquivalenten Ausstoß (also einschließlich Methan usw.) und damit mehr Klimaerwärmung, mehr Ressourcenraubbau, mehr Vermüllung und Umweltzerstörung und mehr Artensterben. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass diesbezügliche Verbesserungen beim Recycling, der Einsatz sogenannter regenerativer Energien usw. durch das Wirtschaftswachstum offenkundig unweigerlich sofort wieder zunichte gemacht werden. Die Politik nährt zwar überwiegend ein Narrativ, genannt „Entkopplungsnarrativ“, in dem sie behauptet, dass sich Wohlstand schaffen ließe, ohne den Planeten zu schädigen, doch bislang sind die Technologien, auf denen dieses Narrativ beruht, schlichtweg nicht-existent. Die Politik verfolgt somit ebenso offensichtlich wie offiziell eine Illusion und wir alle sägen unaufhörlich an dem Ast, auf dem wir sitzen.
Ich versuche mal, die unterschiedlichen Ansätze der beiden Postwachstumsökonomen in wenigen Sätzen zu skizzieren:
Helge Peukert sieht „die Politik“ als eine tragende Säule für den Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen: Ohne koordinierte Maßnahmen im Großen, natürlich neben vielfältigen wichtigen Graswurzelaktivitäten im Regionalen geht es nicht. Er hat eine ganze Menge an Notfall-Maßnahmen vorgeschlagen, die zum Teil unvermeidlicherweise von der Politik für alle verbindlich umgesetzt und durchgesetzt werden müssen. Das wird nur möglich sein, wenn sich die Machtverhältnisse ändern. Ein Aspekt ist, dass der Staat weder von Steuereinnahmen, die heute noch vom Wirtschaftswachstum und den Wünschen der Privatwirtschaft abhängen, noch von den Finanzmärkten abhängen sollte, um nicht „erpressbar“ zu sein. Daher sollte er (teilweise) über die Notenbank direkt „kostenlos“ finanziert werden. Die Verwendung soll – wenn eben möglich - auch auf lokaler Ebene durch Bürgerhaushalte kontrolliert und geplant werden, nicht zuletzt, um den heute vielfach üblichen Missbrauch und Schlendrian zu verhindern.
Die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen betreffen neben der lokalen Ebene das komplette Spektrum unseres Lebens, das geht los beim Verbot von Produkten/Dienstleistungen, für die Wald gerodet wird oder Sümpfe trockengelegt werden (egal wo auf der Welt), das geht über die weitestgehende Reduzierung von Militär bis hin letztlich zum Verbot von Flügen oder Kreuzfahrten, die auf fossilen Energien beruhen. Das Ziel muss sein, mit einer Tonne pro Person und Jahr auszukommen, was seiner Ansicht nach im Rahmen einer Industrie- und Konsumgesellschaft der bisherigen Ausprägungen völlig unmöglich ist und uns vor bisher kaum klar erkannte Herausforderungen im Rahmen eines neuen Zivilisationsentwurfs stellt.[1]
Niko Paech hingegen argumentiert, dass die Politik den Teufel tun wird und Versuche, auf der Makroebene einen Richtungswechsel hinzubekommen, zum Scheitern verurteilt sind und nur von den Initiativen an der Basis (Postwachstumspioniere, Boykott-Initiativen, Subsistenz-Praktiken, provokante Netzwerke auf Basis reduktiver Lebensstile, ökologisch orientierte Lebensgemeinschaften, suffizientes Unternehmertum, gemeinschaftsgetragene Wirtschaftsformen usw.) eine Änderung durch bereits möglichst heute praktizierte alternative Lebensformen Erfolg verspricht. Wenn sich Regierungen nicht mehr auf ein Entkopplungsnarrativ berufen können, fehlt die demokratische Basis für kollektive Lösungen. Denn letztere könnten nur darin bestehen, Einschränkungen bisheriger Mobilitäts- und Konsumpraktiken zu oktroyieren, was politischem Suizid gleichkäme. Reduktive Anpassungen meistern zu können, ist keine Frage des Wollens oder bekundeter Einsichten, sondern des Könnens und der Belastbarkeit, setzt daher eine übungsbedürftige Praxis voraus. Diese widerspräche den jahrzehntelang erstrittenen, antrainierten und mit allen politischen Mitteln durchgesetzten Wohlstandsstandards, würde von der Wählermehrheit somit als Bedrohung empfunden und politisch abgestraft. Weiter an einer zentral koordinierten Strategie festzuhalten, stellt wirksamen Wandel somit unter eine Voraussetzung, die unerfüllbar ist und verhindert ihn damit. Was stattdessen unter aktuellen kulturellen Bedingungen zur überlebensnotwendigen Transformation beiträgt, obliegt proaktiven Minderheiten, die intrinsisch motiviert ist oder sich in selbst organisierten Teilsystemen entfaltet – unabhängig von politischen Mehrheitsverhältnissen.[2]
Und welcher der beiden hat nun recht? Nun … beide! Peukert hat recht, wenn er sagt: „Wir müssen auch auf der Makroebene für eine geplante Umgestaltung sorgen“. Paech hat recht, wenn er sagt: „Den bereits heute praktizierten neuen Lebens- und Wirtschaftsformen kommt elementare Bedeutung zu.“
Wir leben in einer Demokratie (wenn auch mit einer gewissen Ungleichverteilung von Machtpositionen) und die allermeisten von uns wollen es dabei auch belassen (oder die demokratischen Elemente sogar noch ausbauen). Doch die Mehrheiten sind, wie sie sind. Über 90% der Abgeordneten im Bundestag stützen ein System, das nach der überaus vorherrschenden Meinung der Wissenschaft unmittelbar in den Abgrund führt. Die einzige nicht-neoliberale Ausnahme im Bundestag ist die Partei Die LINKE. Und für welches Alternativkonzept steht sie, wenn man sich ihre parlamentarischen Forderungen so ansieht? Sie steht für ökonomische und soziale Gerechtigkeit … was übersetzt bedeutet, dass die breite Bevölkerung doch bitteschön einen fairen Anteil am Kuchen des gesamtgesellschaftlichen Konsums erhalten möge. Mit anderen Worten, wenn vielleicht auch etwas überspitzt: Konsum für alle! Wer beispielsweise den Preis von Fleisch erhöhen möchte, um den Genuss des klimaschädlichsten aller Lebensmittel einzuschränken, wird unmittelbar die nicht ganz ungerechtfertigte Wut der Linkspartei zu spüren bekommen, da der Verzicht auf Fleisch dann letztlich auf dem Rücken der finanziell Schwächeren ausgetragen würde.
Doch in einem Punkt liegt auch die Linkspartei falsch! Sie liegt falsch darin, anzunehmen, dass Sozialismus sich auf der Basis uneingeschränkter Konsummöglichkeiten der Menschen definieren ließe. Da das Problem die Konsumgesellschaft ist, kann Sozialismus nicht bedeuten, den Konsum der bisher finanziell Schwächeren auszuweiten – zumal Konsum, wie Paech so eloquent ausführt, immer mit Ausbeutung einhergeht, Ausbeutung anderer, die womöglich am anderen Ende der Welt zu Dumping-Konditionen die Gegenstände herstellen, die wir genießen, und/oder Ausbeutung des Planeten. Es muss vielmehr darum gehen, den Konsum generell in Maßstäbe zu lenken, die den Erhalt der menschlichen Lebensgrundlagen ermöglichen, dabei auf jedwede Ausbeutung zu verzichten und auf die Gleichmäßigkeit in der Verteilung der Konsummöglichkeiten zu achten. Doch auch für die LINKE scheint trotz ihrer prinzipiellen Offenheit gegenüber klimapolitischer Progressivität Konsumdrosselung kein lohnender politischer Ansatz sein, denn nicht mal sie kann dann noch auf eine Wiederwahl hoffen, zumal angesichts des immer deutlicher sichtbaren weltweiten Rucks nach Rechtsaußen. Noch nicht, jedenfalls.
Wir stecken also in einem Dilemma. Einerseits müsste die Politik jetzt die Weichen für einen Umbau der Gesellschaft von einer Konsum- in eine Suffizienzgesellschaft stellen. Andererseits braucht sie auch Incentives, um diesen Weg einzuschlagen. Und diese Incentives können ausschließlich wir, wir alle, setzen. Die Verantwortung dafür, dass die Menschheit auch noch in einhundert Jahren mehr oder weniger zivilisiert überlebt, liegt nicht bei „der Politik“, sie liegt auch nicht bei „der Wirtschaft“ und schon gar nicht bei „der Religion“ oder gar bei „Gott“. Sie liegt allein bei mir, bei dir, bei unseren Kindern, Eltern … bei jedem Einzelnen von uns. Jede(r) von uns verfügt über ein gewisses Impactpotenzial, kann Menschen um sich herum beeinflussen, sie zum Nachdenken oder vielleicht sogar zum Umdenken anregen … oder auch nur, mal etwas Neues auszuprobieren.
Das Problem dabei: Wir Menschen sind tendenziell unbeweglich, wir fürchten das Unbekannte und wir neigen dazu, uns Privilegien gegenüber anderen Menschen / Menschengruppen zu verschaffen. Eine Ausdrucksform dieser Privilegien ist eben gerade … der Konsum. Wir denken ernsthaft, dass wir unseren „Individualismus“ leben und uns von Mitmenschen abheben, indem wir gewisse Markenklamotten tragen, einen klotzigen SUV fahren oder mit einem Ei-Dingsbumms-Phone der neuesten Generation herumwedeln. Wir folgen im Prinzip noch immer denselben steinzeitlichen Programmierungen wie schon seit Jahrzehntausenden – als solche Verhaltensmuster noch wichtig für das Überleben unserer Spezies gewesen sein mochten. Unsere Kriegsbereitschaft gerade in diesen Zeiten spricht Bände! Doch die Welt hat sich mittlerweile drastisch verändert, die Verhaltensmuster von damals sind heute nicht mehr zielführend – eher im Gegenteil!
Das Credo der darwinistischen Evolution lautet: „survival of the fittest“. Doch damit ist nicht Stärke gemeint, schon gar nicht die Macht, die gesamte Planetenoberfläche mehrfach pulverisieren zu können. Sondern neben gemeinschaftlicher Kooperation, die bereits in der Tierwelt anzutreffen ist und die Überlebenskarte der Frühmenschen war, die Kraft, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, insbesondere, wenn wir diese Veränderungen selbst herbeigeführt haben. In dieser Situation bedeutet Anpassungsfähigkeit, den Umstieg von der Konsum- zu einer Suffizienzgesellschaft zu meistern. Wenn wir stark genug sind, wenn wir bereit sind, ein wahrscheinlich weniger komfortables, dafür aber vielleicht sogar erfüllenderes Modell zu leben, dann könnten wir weiterhin „the fittest“ sein und unseren Platz auf dem Planeten behaupten.
Wenn nicht … tja, dann war’s das wohl für uns. Dann wird sich vermutlich demnächst die Schabe oder die Ratte als die dominante Spezies auf dem Planeten durchsetzen und von uns werden nur noch ein paar Ruinen bleiben … für den Planeten wäre das vielleicht sogar die bessere Option, wer weiß?
[2] Vgl.: https://www.youtube.com/watch?v=Go9qGGgX_xw