(„last thoughts on woody“ v. Bob Dylan)
Wenn sich der Kopf plötzlich dreht und die Gedanken nicht mehr versteht
Wenn du denkst du bist zu früh, zu spät, zu jung, zu alt, zu klug oder zu blöd
Wenn du den Anschluß verlierst, nicht Schritt halten kannst
Und dich im Zeitlupentempo oder der Hektik zerfranst
Egal was du grad machst, wenn du aufgeben anfängst
Wenn der Wein nicht mehr reicht, den du täglich trinkst
Wenn der Wind dich verweht und du klammerst dich an
Doch deine Hände die rutschen, die Finger sind klamm
Und dein Feuer erlischt, der letzte Funken verglüht
Und du weißt es soll brennen, doch du bist viel zu müd
Und der Gehsteig verwirft sich, so wie die Straße sich zieht
Und du weißt es ist falsch, doch dann gehst du zurück
Und die Einsamkeit kommt, während der Tag still vergeht
Und der nächste Morgen scheint viel zu weit weg
Und du findest keinen Halt, du rutscht im Morast
Und der Strohhalm ist glitschig, die Hände schweißnaß
Und deine leuchtenden Gletscher und sonnigen Höh’n
Werden zu touristischen Mülldeponien
Und die Grundmauern zittern und das Glas zerbricht
Und deine kleine Welt verliert an Gewicht
Und Blitze schlagen ein während der Donner rollt
Und du fragst dich wer wohl den Schaden bezahlt
Und du stehst im Regen und sagst leise zu dir
Ich hab nicht gedacht, daß es so schlimm sein wird
Und für die Momente der Sonne erlebst du Stunden im Sturm
Warum sprach niemand davon im Elfenbeinturm?
Und dann fröstelt es dich vor Angst und vor Scham
Und dann fängst du irgendwas suchen an
Und du stehst im knietiefen Wasser und ruderst mit den Armen
Und die Welt schaut dir zu durch den Fensterrahmen
Und dein Mädchen verläßt dich, sie hat nicht gewußt
Du fühlst dich krank, wie ein Brathuhn am Rost
Und nur dein Werkzeug fällt dir aus den Händen zu Füßen
Doch du brauchst es und willst es nicht aufheben müssen
Und deine Glocke läutet und du kannst sie nicht hören
Du denkst es sind nur deine Ohren verschlagen
Und vom wirbelnden Staub wären die Augen trüb
Und du denkst du hast versagt im Hochbetrieb
Und wurdest gelinkt mit deinen vier Assen
Du dachtest du hättest drei Damen besessen
Und es macht dich gemein und es macht dich verrückt
Wie ein sinnloses Spiel oder ein Zeitungsbericht
Und den Menschen willst du was Wichtiges sagen
Doch es fällt dir nicht ein, es ist im Hirn tief vergraben
Du suchst es verbissen und denkst tagelang nach
Legst den Kopf auf ein Kissen, liegst nächtelang wach
Doch was du auch tust, du weißt nicht was es ist
Und du fürchtest, daß du langsam das Ganze vergißt
Deine Augen verschwimmen und traurige Gedanken
Machen die weichen Daunen zu harten Planken
Und angstvoll starrst du in ein Raubtiergebiß
Denkst du bist dazwischen, wenn es die Kiefer schließt
Und du atmest flach, die Hände am Rücken verschrenkt
Und verfluchst dieses Schild, das dich zur Umleitung zwingt
Und du fragst dich, he was ist bloß los mit mir
Und mit dieser Straße auf der ich gehe, dem Weg den ich wähle
Und den Schleichwegen und Ausflüchten mit denen ich mich quäle
Mit den Kurven hier, in denen ich mich verlier
Und mit der Luft die mich umgibt und die ich inhalier
Ich bin zu lange umhergeirrt und zu sehr verwirrt
Warum stehe ich, warum gehe ich, wohin will ich gelangen?
Was rede ich, was weiß ich, was weiß ich anzufangen?
Mit der Gitarre, die ich spiele, mit der Geige, die ich streiche
Mit den Liedern, die ich singe und Tönen, die ich kreische
Mit Tönen die ich summe, mit Trommeln, die ich schlage
Und mit den Wörtern, die ich schreibe oder vortrage
Mit den Wörtern, die ich denke
In dieser Flut der Stunden in denen ich trinke
Wem kann ich helfen und wen muß ich beschämen?
Was kann ich geben und was muß ich nehmen?
Und du versuchst dein Bestes, versuchst dich zu zwingen
Und mit Gewalt die dunklen Gedanken verdrängen
Und du versuchst dich zu beruhigen und nicht aufzuregen
Und versuchst den Zweifeln keine Chance zu geben
Doch sie bleiben und warten es kommt ihre Zeit
Und sie bohren und nagen an deiner Selbstsicherheit
Und du denkst sie werden sich leise anpirschen
Und du fürchtest sie werden dich im Schlaf überraschen
Und du springst aus dem Bett und du schreckst aus dem Traum
Und du merkst du erinnerst dich nicht mehr daran
Ob du das warst der da weinte vor Angst
Und du weißt, daß du nach ganz Anderem verlangst
Und du weißt keine Pille kann dir den Wunsch erfüllen
Und kein Schnaps der Welt kann das Blut im Kopf stillen
Du brauchst etwas anderes
Etwas ganz anderes, na gut
Du brauchst Adrenalin und ein Bunjee-Seil
Du brauchst es schnell und tief und steil
Du brauchst ein Schneebrett am Lawinenhang
Und einen Vorgeschmack auf den Weltuntergang
Und mit lauter Wilden deinesgleichen
Suchst du nach Lösungen und Zeichen
Und nach jemandem dem es ganz egal ist
Wie du singst oder aussieht oder was du bist
Und mit ihm überdauerst du die nächste Mode
Und dann werden ganz langsam die Extreme Methode
Und wieder brauchst du einen Ausgang, eine Tür
Einen Weg in die Welt und die Pläne dafür
Einen Weg zu den Dingen, die du lange schon siehst
An denen du täglich blind vorbeigehst
Du brauchst etwas das dir Vertrauen gibt
Das dir die Augen öffnet und dir sagt
Das ist dein Platz auf dem du stehst
Und das ist dein Stuhl auf dem du sitzt
Und es ist deine Straße wie du sie erfährst
Nur den Blick nicht senken, denn das schmerzt
Und wie oft man dich auch schlägt und tritt
Du mußt aufrecht gehen sonst wirst du verrückt
Und du brauchst etwas
Etwas, das dir Hoffnung gibt
Doch Hoffnung ist ein Nebel, ein Windhauch, ein Wort
Es wird gesagt und gehört und schon ist es fort
Doch genau sie ist es, die dir so sehr abgeht
Und das Problem ist, du weißt das nur zu gut
Und da ist wieder die Kälte und du schaust kurz auf
Doch Hoffnung steht auf keiner Rechnung drauf
Und wird auf dich nicht im Schaufenster warten
Und ist auch nicht in den Straßenkarten
Der Reichen, die sich erbarmen
mit ihren Missionshäusern für die Armen
Kein Kinoheld wird dir deine Hoffnung vorführen
Und Hollywood kann dich damit nicht infizieren
Und was du suchst findest du nicht auf der Bühne bei den Statisten
Oder in der Weisheit von einem bauernschlauen Kabarettisten
Die Phrasen dreschen und wettern, immer lange schon alles wußten
Die toben und schimpfen und johlen, um dir das Geld aus der Tasche zu holen
Und du denkst du mußt für so was bezahlen
Und du findest es in keinem Nachtclub oder Yachtclub
Und es sitzt nicht in der Loge bei einem Theaterstück
Und du kannst es nicht mit einem Glückslos gewinnen
Und es sitzt auch nicht im Auto drinnen
Und es ist nicht in Gerüchten, was die Leute so sagen
Und es ist nicht in Gerüchen, die die Leute so tragen
Es ist in keiner Waschmittelwerbung, in keiner Kajüte
Und auch in keiner Wellblechhütte
Nicht am Golfplatz oder in der Überraschungstüte
Oder in der Bluse von einer der Fernsehbräute
Und es ist in keinem Stylingschaum und keinem steifen Kragen
Und weder Remus noch das Christkind können es dir sagen
Und auch nicht die Gummiente von deinen Blagen
Da kannst du noch so oft fragen
Oder die Zuckerwattestimmen vom Kaffekuchengeflüster
Mit Geschenkspapier umwickelt, mit Schneemannmuster
Sie sagen: bin ich nicht süß, bin ich nicht schön?
Mit meiner samtweichen Haut und den lackierten Zehen
Mit meinem duftenden Haar, voller Spannkraft und Halt
Und mit meinen Traummaßen, meiner Illustrierten-Gestalt
Und du denkst sie sind innerlich hohl
Diese perfekten Leute mit ihrem Atemmenthol
Was du suchst ist nicht hinter leeren Fassaden
In diesen Leuten, die im Champagner baden
Die sich hinter Sonnenbrillen verschanzen
Und jeden Tag mit was Neuem antanzen
Und du findest es nicht bei hochdekorierten Generälen
Mit ihren brüllenden Befehlen
Oder bei den Vertretern, die dir alles verkaufen
Die dir pustend und prustend die Türe einlaufen
Die herumfahren und handeln und schachern und tandeln
Und dir deine Welt in ein Irrenhaus verwandeln
Und die denken in ihrer Sandkastenwelt
Der Sinn des Lebens besteht aus Provisionen und Geld
Und du findest was du suchst nicht in talentlosen Idioten
Die den Zeigefinger heben und sagen das ist verboten
Die sich wichtig machen und Gesetze machen
Und die sich dann ins Fäustchen lachen
Weil sie denken sie hätten dich getäuscht...
Jene die jetzt auch auf den Zug aufspringen
Oder die plötzlich, weil es modern ist, auch singen
Die, um sich in Szene zu setzen oder für schnelles Geld,
kurz eintauchen nur, dann räumen sie‘s Feld
Und du fluchst und schreist und raufst dir die Haare
Sagst Jesus, warum verschenk‘ ich die besten Jahre
Mit diesen Leuten hier, wo keiner fühlt, wo keiner was spürt
Wo keiner mehr ist, wo sich jeder nur vorführt
Die nicht mehr wissen was ist gut und was schlecht
Guter Gott, das ist ALLES NICHT ECHT!
Nein, und es ist nicht deine Art und dein Weg ist es auch nicht
Du verlierst deinen Namen, verlierst dein Gesicht
Um zu verstehen
Mußt du woanders hin gehen
Und wo suchst du nun die Hoffnung die du bräuchtest
Und wo suchst du nach der Lampe die dir leuchtet
Und wo suchst du nach der Quelle die nicht versiegt
Und wo suchst du nach dem flackernden Kerzenlicht
Wo suchst du nach dieser Sehnsucht, diesem Verlangen
Von dem du weißt es ist in der Freiheit gefangen
Und es gibt nur zwei Wege für dich zu gehen
Deine Augen können nur aus zwei Arten von Fenstern sehen
Du kannst dich nur in zwei Arten von Vorhöfen begeben
Und nur zwei verschiedene Türgriffe drücken oder drehen
Entweder gehst du in die Kirche deiner Wahl
Oder du gehst ins Brooklyn State Hospital
Du findest Gott in der Kirche deiner Wahl
Du findest Woody Guthrie im State Hospital
Und es ist nur meine Meinung
Die kann falsch und richtig sein
Du findest beide im Grand Canyon
beim Sonnenuntergang
rr 13.10.00
Bob Dylan, „Last thoughts on Woody Guthrie“