„So ein Verhalten ist unmenschlich, unwürdig. Ihr sollt einmal die geistige Elite dieses Landes werden…“ Professor Maier sprach jetzt leiser und angewidert.
Irgendwie rang er nach Worten. „Psychoterror“ sagte er, „Mobbing“. Wie eine düstere Bedrohung verebbten die Silben im Schweigen der Klasse.
Seine Ohren färbten sich. „Ein Mensch der nicht so schön und schlank ist wie in der Fernsehwerbung, leidet genug darunter… - und nur weil er schlecht sieht, ist er noch lange kein blinder Maulwurf.“ Er ließ die Sätze wirken. Seine Stimme schnitt tief unter die Haut, wie ein Skalpell.
Feine chirurgische Eingriffe.
Schon mehrmals in letzter Zeit lehnte Paul am Fenster und Tränen zeichneten Spuren auf seine runden Backen.
„Ruhe jetzt!!!“ hatte Maier gedonnert und die Hänselei schlagartig beendet.
Paul war als einziger stehengeblieben, hatte weiter apathisch beim Fenster hinausgeschaut.
Lähmende Stille. Betretenes Schweigen.
„Setz Dich Paul“, sagte Maier freundlich. Paul folgte mechanisch.
Wir sprachen später über das Wunder „Leben“ und ich wusste manchmal nicht, ob Maier Biologie oder nicht doch Religion unterrichtete.
Paul war ein guter Schüler. Es war auch gut, dass ich neben ihm saß. Bei Schularbeiten durfte ich abschreiben.
Ich sah ihn von der Seite her an. Es war immer ein ungutes Gefühl. Ich hatte ihm nicht geholfen. Irgendwie aber schien er dankbar, wenn wer einfach nicht mitmachte bei diesen „Nilpferd oder Maulwurf“ – Geschichten.
Vielleicht drei Wochen vor Schulende war Walter mit mir am Stadtfest. Walter ist schon achtzehn. Ich gab ihm Geld und er kaufte uns beiden je ein Bowie-knife.
Vom Küchenfenster aus kann ich gut den kleinen Garten der Nachbarn überblicken, bis hin zu den dichten Tujenhecken am swimming-pool vor dem Haus.
Wieder einmal hat Gran Dame das blöde Katzenvieh irgendwas gefangen. Meistens quält sie Eidechsen an der Begrenzungsmauer, da gibt es keine mehr mit Schwanz.
Ihre Pfoten drehen das Tier immer wieder herum. Sie scheint den Todeskampf zu genießen.
Katzen fressen nun einmal Mäuse oder Eidechsen, aber diese Quälerei verursacht unwürdiges Leid.
Ich springe von der Fensterbank, gehe langsam näher.
Zuerst weicht Gran Dame zurück, doch ihr Trieb ist irgendwie stärker, sie lässt nicht ab. Mit einem schnellen Satz holt sie ihr Opfer zurück. Einen Maulwurf. Zu behäbig und langsam. Blind und ohne Chance.
Knochen knacken leise.
In dem Moment packe ich zu.
Das scharfe Bowie-knife trennt mit Leichtigkeit den Kopf vom Rumpf.
Ich lege Gran Dame in den Kräutergarten, zum Petersilgrün.
Von wegen sieben Leben.